Warum ist die lateinische Sprache eigentlich ausgestorben?

Das hatte ich vergessen:

Zufällig erblickte ich in einer Registerseite, die ich aus Matthesons "Der Musicalische Patriot" (1728) copiert hatte folgenden Themenverweis:

"Weibliche Musicanten"

Darauf folgen eine ganze Reihe von Seitenangaben. - Das ist sehr interessant. Ich hatte das Facsimile vor 8 Jahren aus der Fernleihe. Und ich erinnere mich, daß Mattheson geharnischt dafür eintrat, daß Frauenzimmer der Sologesang in Kirchen möglich werde (Bach war da ja auch nicht so engstirnig).

Der Ausdruck "Musicanten" ist wohl ein Zugeständnis, an die überwiegende Opposition: Berufsinstrumentalistinnen waren nicht zu erwarten, wofür man ja sogar noch im 20.Jahrhundert kämpfen würde. Sonst hätte er doch wohl etwa "Musicae" geschrieben. Bei männlichen Berufsmusikern hätte man sicherlich "Musici" geschrieben (lat. wäre dies, aber ob das gleichwohl ital. sein könne, wie "Musico", ist mir nicht bewußt).

Ich sagte ja, daß ich von der Vocabel "Musicant" ausgehe, auch wenn ich sie in vorbesagten Originalnachschlagewerken nicht fand.
 
Zur Musikgeschichte des 18. Jahrhunderts

Noch ganz kurz @Hoykkose:

Was Du da bei mir anstreichst, ist ja ok, Hoykkose - ist ja auch Dein Job


Und Dein Job? Seitenlange Beiträge zu liefern, nur damit ich den halben Tag lang mit Anstreichen beschäftigt bin?


Ich schreibe ziemliche Mengen (10Finger-blind) und manchmal hau ich halt daneben.

PVNCTVM ist neutrum - das entnahm ich dem Langenscheid erst heute


Warum schaust Du nicht erst in den Langenscheidt und haust dann erst in die Tasten? Dann würden auch meine Beiträge deutlich kürzer (obwohl sich das Publikum bis jetzt noch ganz gut zu amüsieren scheint).

Dies ist mein letzter Beitrag hier zur Musikgeschichte des 18. Jahrhunderts - mit dem Thema "Warum ist die lateinische Sprache ausgestorben?" hat das ja nun gar nichts mehr zu tun. Falls Du eine Fortsetzung der Diskussion wünschst, bitte ich darum, ein neues Thema zu eröffnen.


Fangen wir mit dem Kleinkram an:

wenn man etwa in Walters "Musicalisches Lexicon" schaut
Warum schaut Bach nicht einfach in das Musicalische Lexicon seines Schwagers Walter?
Bei Walter (Musicalisches Lexicon, 1732) erstaunlicherweise auch nicht:
Sonst findet man bei Walter nur noch
Daß Walter den "Musico"

Der Mann heißt Walther. Nur so zur Information, falls Du wirklich auf korrekte Schreibweisen achten möchtest.


Nun zum Musikerbegriff:


Was die Verwendung im frühen 18.Jahrhundert anbetrifft, so fürchte ich doch, daß mit dem Musicanten ein Dilentantist gemeint ist.

Das Wort heißt "Dilettant" und bezeichnet zunächst mal jemand, der Musik aus Spaß an der Freud' ausübt, ein gutes Beispiel wäre die von Dir angeführte solosingende Prinzessin.

Hingegen bezeichnet der Begriff "Musicant" im 18. Jahrhundert meistens jemand, der mit der Musik sein Geld verdient. Das kann natürlich der Bierfiedler im Wirtshaus sein, aber eben auch der renommierte Virtuose.
Inhaltlich sind die Begriffe "Musicant" und "Musicus" austauschbar. Man sah "Musicant" als das deutsche Pendant des lateinischen "Musicus" an (insofern ist die lateinische Bezeichnung die gewähltere, gleichwohl sind die Begriffe vielerorts austauschbar):
Musicus Vexatus, oder der wohlgeplagte doch nicht verzagte sondern iederzeit lustige Musicus Instrumentalis
[...]
Der vorwitzige Musicant Battalus, oder Msicus Curiosus
[...]
Der großmüthige Musicant Pancalus, oder Musicus Magnanimus
[Wolfgang Caspar Printz? Johann Kuhnau? =] Cotala, Musicus Vexatus, oder der wohlgeplagte doch nicht verzagte sondern iederzeit lustige Musicus Instrumentalis (Freyberg [recte: Dresden]: J. Chr. Mieth, 1690).


Und schließlich zu Bach:

Das Bach so französisch Affectiert, verwundert mich aufs höchste. Denn eigentlich ist er ja derjenige, welcher der galanten Musik den Rücken gekehrt hat. "Kirchen Musique" finde ich eigentlich besonders seltsam. Vielleicht war er einfach ein sehr widersprüchlicher Mensch. Vielleicht mußte er sich aber auch dem französelndem Kleinbürgertum anpassen, weil er eben geringeren Erfolg hatte.


Bodenlose Spekulationen halte ich für müßig.


Bach war übrigens zur Lebenszeit relativ unbedeutend - gegen Telemann eigentlich ein Zwerg.

Bach war zu Lebzeiten ein Musiker von europäischem Rang; ich zitiere aus einem Brief Giambattista Martini vom 14. April 1750:
Ich halte es für überflüssig, noch auf die einzigartigen Verdienste des Signore Bach eingehen zu wollen, denn er ist nicht nur in Deutschland, sondern auch in ganz Italien sehr bekannt und bewundert. Ich sage nur, daß ich es für schwierig erachte, einen Musiker zu finden, der ihn übertrifft; denn er darf sich heutzutage mit Recht rühmen, einer der ersten zu sein, die es in Europa gibt."


Ich weiß nicht recht, wie Du auf Deine absurde Behauptung vom unbedeutenden "Zwerg" kommst. Vielleicht hast Du ein etwas schiefes Bild über die Vorgänge um die Nachfolge des Thomaskantors Kuhnau im Hinterkopf?

Die Benennung eines neuen Thomaskantors ist Sache des Rates, die Herren Bürgermeister sind zwar alle studiert, weise und weltgewandt, verstehen aber nicht viel von Musik. Und sie hätten am liebsten einen Leipziger, oder wenigstens einen, den man in Leipzig kennt. Für die Stelle favorisiert wird der Komponist Georg Philipp Telemann
[...]
Das gerne zitierte Wort von Ratsherr Abraham Christoph Plaz: "da man nun die Besten nicht bekommen könne, so müße man mittlere nehmen, es sey von einem zu Pirna ehmals viel gutes gesprochen worden", zielt zwar nicht direkt auf Bach, sondern vermutlich auf einen weiteren Mitbewerber Schulmeister Christian Heckel, dennoch zeigt es aber, dass sich die Begeisterung des Rates über die noch zur Verfügung stehenden Bewerber in Grenzen hält.
www.bach.de | Johann Sebastian Bach | Leben | Leipzig


Es ist nun nicht so, daß ich vor Bach annähernd so viel Respect habe, wie vor Telemann, der nicht so eintönig sequenciert und harmonisch wesentlich interessanter componiert.

Dann kann ich Dir nur den Rat geben, Dich einmal mal mit einem in Harmonie- und Formenlehre beschlagenen Profimusiker auszutauschen.


Bach hatte nicht das Glück, eine so umfassene Ausbildung zu erhalten und er verstrickte sich ja auch in Pietisterei (auch wenn er nicht zu den allerradicalsten zählte), die leider stets mit Beschränktheit einher ging.


Der Pietismus ist zu seiner Zeit als Reformbewegung einzustufen, die mit der konservativen Orthodoxie oft im Clinch lag. Die Vertreter einer seinerzeit nicht unbedeutenden Geistesströmung pauschal als "beschränkt" einzustufen, könnte möglicherweise eher auf eine gewisse Beschränktheit Deinerseits schließen lassen.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Soweit all jenes, womit ich mir gestern die halbe Nacht um die Ohren schlug. - Aber : warum sollte man der LINGVÆ LATINÆ den Tribut rr nicht gönnen? Meine unausgesprochenen, eigentlichen Bedenken gingen zunächst dahin, daß mir "discurrieren" zu lang vorkam. Damit wäre es weniger eingängig und hätte weniger Chancen auf eventuelle Verbreitung. Außerdem gibt es im Deutschen das Wort "Curier", ein ja Französischer Begriff und das "-ier" daran ist rein Französisch. Daß "-ieren" eines ganz anderen Characters ist, erkennt man klarer, wenn man sich vor Augen führt, daß es in der Frühneuzeit meißt noch "-iren" lautete (was man eigentlich hätte belassen können ...). In den "Curier" kann man auf keinen Fall ein zweites r einfügen. In Wörterbüchern würde man aber ja anmerken, daß der "Curier" Französisch ist, während "discurrieren" Latein mit deutscher Endung ist. In vertiefenden Fachbüchern könnte man dann auch erfahren, wie "-iren" dereinst ebenfalls aus Frankreich kam.
Dann gibt es noch das Französische "curer", bei uns bekannt als curieren und das kommt vom lateinischen curare. Dementsprechend müßte "discuriren" mit "vernachlässigen", bzw. (medicinisch) nicht/schlecht versorgen, übersetzt werden.
-
Also doch discurrieren. Die galante Welt hatte mir in diesem Fall vielleicht was Unrechtes beigebracht ...
:(
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Eine gewisse Unzufriedenheit aber bleibt: Ein deutsches Wort, zusammengesetzt aus einem lateinischen Ausgangswort, einer altfranzösischen Infinitivendung und einem deutschen "-en" - welch bunter vogel!
Mit diesem Unbehagen griff ich nach Stieler und Frisch: Caspar Stieler hält in seinem Zeitungssprachewörterbuchanhang von 1695 (in "Zeitungs Lust und Nutz") "discouriren" bereit, das mir eigentlich bekannt vorkommt (wie übrigens auch "Discourse"). Im Frisch (1719) findet sich dann "discourir".


Der langen Rede kurzer Sinn: Die regelmäßige Ableitung lautet "diskurrieren". Das einfache "r" kommt aus dem Französischen - vgl. das von derselben lat. Wurzel "currere" gebildete ital. "corrente" mit frz. "courante". Die Schreibweise "discurieren" wäre nach derselben "Regel" zu bilden wie etwa die Schreibweise "Curante"...


Was das Neudeutsche Wort "diskutieren" angeht, so ist dies ein besonders schriller Gesell, wie mir soeben auffällt: gegenwartsfranzösisches Ausgangswort, combiniert mit altfranzösischer Endung, garniert mit deutschem "-en". Und weil das noch nicht bunt genug ist, wird das Ausgangswort mittels k verfremdet, die altfranzösische Endung hatte man schon zuvor zum "-ieren" erweitert.


Nicht annähernd so schrill wie Deine Erläuterungen. Es ist eine vollkommen regelmäßige Bildung:
curere -> kurieren
discurrere -> diskurrieren
discutere -> diskutieren
 
Ich erlaube mir sehr kurz auf meinen Beitrag hier hinzuweisen http://www.geschichtsforum.de/249839-post25.html , welcher die Bedeutung Bachs schon im 18.Jh. unterstreicht. Außerdem wurde das einzige ganz klar Bach darstellende Porträt 1746 geschaffen, als er in die "Correspondierende Societæt der musikalischen Wissenschaften" eintrat, wo lediglich die bedeutensten Musiker seiner Zeit wie Telemann Zutritt hatten, was die zeitgenössische Wertschätzung Bachs noch untermauert. Außerdem war die Wirkung Bachs auch als Musiklehrer recht berühmt und soll auch den großen Leopold Mozart zu seiner Violinschule inspiriert haben. Nicht zu vergessen ist natürlich das bedeutende Werk C. P. E. Bachs "Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen“, welches allerdings auch ohne die Wirkung seines Vaters undenkbar wäre.
Bemerkenswert ist allerdings immer wieder, dass J.S. Bachs Söhne dem Ruhm des Vaters kaum im Augenschein der Zeitgenossen nachstanden, so lobte W.A.Mozart den Londoner Bach (Johann Christian) als einen der größten Komponisten des Jahrhunderts und das darf nicht verwundern, beeinflusste er den jungen Mozart doch sehr stark.

Entschuldigt bitte das OT, aber ich konnte es mir nicht verkneifen.
 
... ich möchte auch unsere Demoiselle bitten, endlich wieder auf das Thema dieses Threads zurückzukommen, das da lautet:

"Warum ist die lateinische Sprache ausgestorben?"
 
Hoykkose schrieb:
Und Dein Job? Seitenlange Beiträge zu liefern, nur damit ich den halben Tag lang mit Anstreichen beschäftigt bin?
Bitte schreib "Seitenlange" auseinander, dann kann man’s großschreiben. - Die natürliche, gottgegebene menschliche Fehlbarkeit, insonderheit wenn Du soviel anstreichst, bewirkt freilich, daß Du mal daneben haust. Es geht mir hierin nicht uneben, indem ich alle Deine Critikpuncte immerfort erläutern und vertiefen muß, was oftmals nicht zu vermeiden. So wird man Opfer seines eigenen Eifers. Vielleicht sollten wir beide eine Selbsthilfegruppe gründen ...


Hoykkose schrieb:
Warum schaust Du nicht erst in den Langenscheidt und haust dann erst in die Tasten? Dann würden auch meine Beiträge deutlich kürzer.
Entschuldigung, ich schaue andauernd in den Langenscheidt, würde das noch zunehmen, könnte man auf meinem blassen Teint womöglich die lateinischen Vocabeln studieren. PVMCTVM macht mich nunmehr derart mißtrauisch, daß dieser CASVS (habe jetzt nicht nachgesehen - hoffentlich geht's gut ...) durchaus eintreten könnte ... - Ich habe aber in diesem Flügel der Bibliothek leider keinen Langenscheidt und sollte meine gute alte Fracturausführung (die ich eigentlich nicht gern rumschleppe) wohl mitnehmen ....


Hoykkose schrieb:
(obwohl sich das Publikum bis jetzt noch ganz gut zu amüsieren scheint)
Das fiel mir soeben auch auf, als ich nach diesem Threat googelte:


Warum ist die lateinische Sprache eigentlich ausgestorben? - Seite ...[SIZE=-1]Mitgliederbild von Demoiselle. Registriert seit: 10.2006. Beiträge: 181. Demoiselle wird schon bald berühmt werden Demoiselle wird schon bald berühmt werden ...[/SIZE]
www.geschichtsforum.de/f76/warum-ist-die-lateinische-sprache-eigentlich-ausgestorben-8819/index9.html - 78k - Im Cache - Ähnliche Seiten


Ob ich nun "berühmt" werde, wage ich zu bezweifeln (ob sich das bei meinem fortgeschrittenen Alter noch lohnt?). Doch es ist allemal Werbung für die Lateinische Sprache, wenn es die Leute recht divertiert. Ich versuche immer lebendig und persönlich zu schreiben - gerade in diesem Threat besteht ja sonst die Gefahr, daß es zur drögen Schulstunde wird ...
Sollte ich wider Erwarten doch berühmt werden, eröffne ich eine ACADEMIA LATINA, wo den ganzen Tag gelacht wird ...
:gathering:
Zu den musicalischen Affairen kann ich jetzt nichts mehr sagen, am Ende noch Musikstücke secieren und die Harmonien und Phrasierungen auseinander pflücken (sowie nächtelang voher alles am Clavicimbal aussieben) ... - Bislang blieben meine Bachausführungen immer haarscharf am Thema: "Lateinbrocken sind füglicher, als Modespracheaffectieren (wegen des geistigen Hintergrundes)".
-
Dieter schrieb:
... ich möchte auch unsere Demoiselle bitten, endlich wieder auf das Thema dieses Threads zurückzukommen, das da lautet: "Warum ist die lateinische Sprache ausgestorben?"
Für einen Moment war ich versucht, den DEAD LATIN BLUES extra für dieses Thema zu producieren (Text war schon fertig), hab's mir dann doch verkniffen. Was ich damit aber sagen wollte, liegt eigentlich auf der Hand: Der 'Spielbetrieb Weltculturbühne' wandelt sich unbarmherzig : alte Culturen treten ab und neue treten auf. Mein Herumspielen mit Anglicismen (vor allem die aufschlußreiche Parallele zur alten Französischmode) sollte das ganze verdeutlichen: So ist unsere heutige Welt. Die ist uns allen wohlbekannt, aber man sollte das bei diesem Thema nicht verdrängen, weil hierin der Schlüssel zum Bedeutungsverlust des Latein liegt.


Die präcise Antwort auf die Eingangsfrage müßte lauten: Das Lateinische ist gar nicht ausgestorben, es hat als Geistessprache nur an Bedeutung verloren. Und dies vornehmlich deshalb, weil das moderne Wissenschaftsenglisch eine imens hohe Bedeutung erlangt hat. Dazu hat sicherlich auch das 3.Reich mit beigetragen - sozusagen als beschleunigender Cathalisator - indem es nämlich bedeutende Köpfe aus Deutschland vertrieb, welche fortan als US-Köpfe fortrauchten. Und nach dem Krieg griff die junge deutsche Generation begierig nach der US-Cultur (Glenn Miller ect.), weil die eigene geschändet darnieder lag. Da begann schon die Hochconjunctur der Anglicismen. - Es muß hierzu aber noch ausgeführt werden, daß das gepflegte Geistes- und Wissenschaftsenglisch extrem niveauvoll und nuancenreich ist und dem Lateinischen absolut das Wasser reichen kann, wie selbst Wilfried Stroh (zuvor benannter Lateinprofessor) einräumt.

Eine andere Frage ist das Verschwinden des Latein als Alltagssprache, das sich ja an der Schwelle zwischen Altertum und Mittelalter allmählig vollzog. Das hätten wir von Anfang an bewußter trennen sollen. Ich bin mittlerweile mit dem Spätlatein bei der künftigen Weltmacht Asien angekommen und somit fertig.
Was aber die Übergänge des alten Alltagslatein in romanische Nationalsprachen angeht, wird die Luft dünner: Das Ausgangslatein hierzu wird kaum mit dem Ciceros identisch gewesen sein. Es geht ja hier um Volkssprachcultur und Volkscultur ist für den historisch Nachforschenden ein recht undankbares Gebiet, weil es hier an Zeugnissen mangelt. Die notorischen, exorbitanten Vielschreiber, die sich inhaltlich und thematisch kaum bremsen können und dazu das Ausdrucksvermögen besitzen, um ihre Welt eindrücklich zu beschreiben, findet man seltenst in der Masse des Volkes - wenn die überhaupt schreibt. Volkscultur war ja immer eine von Mund zu Mund; wenn eine Generation starb war es wie Festplattenabsturz ohne Backup. Freilich ist die Weitergabe Mund zu Mund, wie man vielfach festgestellt hat, vielfach erstaunlich exact. Aber ausschließen läßt sich der Stilleposteffect nie und es bleibt die Unzufriedenheit, daß kaum Zeugnisse da sind.
Mal als ganz kurzes Offtopic: Berliner Species bretonischen Volkstanzes, welche sogar in Frankreich herumreisen, bestanden immer darauf, es gäbe keine einzige Quelle für historischen Volkstanz. Die Leute machten Augen, als ich ihnen die Ausführungen galanter Tanzmeister vorlas, welche - sozusagen als historisches Offtopic - die alten Bauerntanzvergnügungen recht eindrücklich schildern. Und so ist es eben auch bei der Sprachcultur, wo man immer wieder auf die Beobachtungen von Vertretern damaliger Bildungsschichten angewiesen ist. Leider bekommt man dadurch kein optimal scharfes Bild, wie man es haben könnte, hätte das breite Volk fleißiger geschrieben.

Wo aber in der Eingangsfrage das "Aussterben des Latein" an sich thematisiert wurde, ohne dies zu concretisieren, gehe ich davon aus, daß allgemeines Standartlatein gemeint war, so wie es seit Jahrhunderten in unserer Cultur gelehrt wird. Hier möchte ich die Eingangsfrage verneinen: Bildungslatein ist noch nicht ausgestorben, hat aber (wie beschrieben) gegenüber dem Wissenschaftsenglisch um einiges an Bedeutung verloren.

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Was meine hiesigen Anläufe zur Lateinconservation anbetrifft: Ich glaube, daß man hierbei Mut zum Risico braucht. Wer mit der Angst, Fehler zu machen, an sowas ran geht, wird gar nicht erst anfangen. Das ist sicher auch ein Grund dafür, daß heute wenig Latein gesprochen wird: Der Anspruch des classischen Latein ist abschreckend hoch, sodaß man leicht gemeint ist, dem unmöglich gerecht werden zu können. Indeß war ich mir noch für keine Schandtat zu schade, wie man hier gesehen hat. Freilich sollte man sich anschließend, Kopf und Kragen halber, mit einem guten Degen wohl versehen ...
 

http://nurtext.zeit.de/2007/47/B-Elvira-Glaser

Ich fand noch diese Variante.

Das alles begeistert mich zu sehen - vielen Dank! - ist aber ja nicht ganz neu. Complette Texte aus dem 9.Jahrhundert hat man ja ein paar. Wenn man nun die ersten "unbeholfenen" Gehversuche des Schriftdeutschen entdeckt, zeigt dies ja, daß man erst nach einer Alternative nach dem Lateinischen suchen mußte. Eine andere Frage ist, welchem Dialect man diese Versuche zuordnen muß. Von einheitlicher deutscher Schriftcultur kann man sehr offensichtlich nicht reden. So etwas entwickelt sich über lange Zeiträume.
Bezeichnend ist auch, daß hier wieder von Mönchen die Rede ist, einer besonderen Bildungsschicht. Die haben unsere Musik geprägt, das Schießpulver erfunden ect. und jetzt hören wir, daß sie nicht allein das Latein aufbereitet haben, sondern nebenher auch die deutsche Schriftsprache eingeläutet.

An die damalige Volkssprachcultur kommt man hergegen direct nicht heran. Was eben den ganzen Laden zusammen hält, ist Latein.


P.S.: Ich habe eine Photocopie von einem Originaltext des 9.Jahrhunderts, wo in der Überschrift gar das Wort TEVTONICVS auftaucht. Allgemein wird gesagt, unsere Vorfahren hätten sich hier von Tacitus inspirieren lassen. Wenn das stimmt, wäre Tacitus am Ende Namensgeber der Deutschen. Noch in der Frühneuzeit wird "Teutsch" stets mit "Tevtonicvs" übersetzt und umgekehrt. - Welch großen Einfluß doch das Lateinische auf unsere Nation hat(te)!
 
Zuletzt bearbeitet:
http://www.geschichtsforum.de/f32/teutonen-kelten-6005/index6.html#post282850

Da habe ich das tiefer formuliert. Es geht letztlich um die Bedeutung des Lateinischen im deutschen Raum. Ich gehe fest davon aus, daß der Begriff "Deutsch", der im 18.Jahrhundert "Teutsch" lautete, von Tacitus inspiriert war.

Das bedeutet: Das Lateinische hatte einen imensen Einfluß auf die Entwicklung der heutigen Volks- und Nationalidentität der Deutschen. Manche möchten vielleicht lieber, wir und unsere Vorfahren, die alten Bewohner von GERMANIA (wiederum aus röm. Sicht) könnten ganz auf eigenen Füßen stehen.

Allein seh ich vor Nebel meine Füße nicht!

Vielleicht bringt jemand Licht in dieses Dunkel ...
 
Ich gehe fest davon aus, daß der Begriff "Deutsch", der im 18.Jahrhundert "Teutsch" lautete, von Tacitus inspiriert war.


Vergiß es. Der Begriff "deutsch" kommt weder von Tacitus noch von den Teutonen. Die lateinische Übersetzung "teutonicus" für "diutsch"/"tiutsch" kam im Hochmittelalter auf:

http://www.geschichtsforum.de/282865-post117.html



DEMIOSELLE schrieb:
Bitte schreib "Seitenlange" auseinander, dann kann man’s großschreiben. - Die natürliche, gottgegebene menschliche Fehlbarkeit, insonderheit wenn Du soviel anstreichst, bewirkt freilich, daß Du mal daneben haust.


Am Satzanfang schreibt man alle Wörter groß, auch Adjektive wie "seitenlang". Falls das Wort "seitenlang" nicht zu Deinem Wortschatz gehören sollte, empfehle ich einen Blick in ein deutsches Wörterbuch.
Wenn ich danebenhaue, lasse ich mich gern korrigieren; hier in diesem Fall hast allerdings wieder Du danebengehauen.


DIESELOLME schrieb:
Doch es ist allemal Werbung für die Lateinische Sprache, wenn es die Leute recht divertiert.


Die Bedeutung des Worts "divertieren" (unterhalten) dürfte wohl nur den Italienischkennern (und vielleicht dem einen oder anderen Musikspezialisten) hier geläufig sein; es gehört weder zum lateinischen noch zum deutschen Wortschatz.


LEISEMODEL schrieb:
Bildungslatein ist noch nicht ausgestorben


Doch wenn es weiter so verhunzt wird wie hier, sehe ich es bald auf dem Sterbebett liegen:


DOLLEMEISE schrieb:


Das Wort heißt "immens".


LEIDEMOSEL schrieb:


Dieses Wort ist griechischer Herkunft und schreibt sich korrekt "Katalysator". Wenn Du es schon einer zwanghaften Latinisierung unterziehen mußt, laß ihm doch wenigstens sein T(au), das Th(eta) ist gar zu peinigend.
Hingegen hättest Du das
MELDESOLEI schrieb:
sehr wohl mit "y" schreiben können, da das ursprünglich griechische Wort tatsächlich mit "y" ins klassische Latein (-> "cymbalum") übernommen wurde. Siehe hierzu Vicipaedia:
Clavicymbalum - Vicipaedia


EMILDOESEL schrieb:
Berliner Species bretonischen Volkstanzes, welche

Das lateinische Wort "species" bedeutet "Art"; das deutsche Pendant wäre "Spezies". Du meinst hier vermutlich "Spezis" (= besonders enge Freunde)?


Armes Latein! Wer solche "Freunde" hat, braucht keine Feinde mehr...


* * *

Auch unsere lieben Anglizismen wollen richtig geschrieben sein, insbesondere sollte man "d" und "t" nicht verwechseln:
DIESELOLME schrieb:


"Standard" schreibt sich mit "d" am Schluß. Das Wort hat zwar mit der Standarte einen gemeinsamen Vorfahren, ansonsten jedoch seine eigene lange Geschichte hinter sich. Der gemeinsame (germanische) Vorfahre war das fränkische Wort *standhard (=standfest), welches ins Altfranzösische entlehnt wurde. Von dort wurde es alsbald unter der Bedeutung "Feldzeichen" (mit "t") wieder zurückentlehnt, während der "Standard" seinen Weg übers Englische genommen hat und von dort aus erst viel später unter der Bedeutung "Norm" seinen Weg ins moderne Deutsch gefunden hat.

Besonders wichtig ist das beim
EISMODELLE schrieb:


Ein "threat" ist eine Drohung, ein "thread" hingegen ein Gesprächsfaden.


MODELIESEL schrieb:
Freilich sollte man sich anschließend, Kopf und Kragen halber, mit einem guten Degen wohl versehen ...


Oder anstatt mit "Drohungen" um sich zu werfen und mit Kriegsgerät zu rasseln, doch lieber vorher mit dem Langenscheidt oder wenigstens dem Duden...
 
"Warum ist die lateinische Sprache ausgestorben?"
Da gibt es doch bestimmt eine wissenschaftliche Diskussion, welche hinterfragt, ob die lateinische Sprache ausgestorben ist oder fortlebt. Vielleicht könnte man davon mal die wichtigsten Argumente sammeln. Erst wenn sich hierin eine deutliche Aussage herausarbeiten ließe, welche besagen würde, dass sie ausgestorben ist, kann man doch erst überprüfen warum. Denn diese Frage scheint doch müßig, wenn ein Konsenz darüber besteht, dass die ausgestorben geglaubte Sprache, eigentlich noch existiert.
:grübel:
 
Die präcise Antwort auf die Eingangsfrage müßte lauten: Das Lateinische ist gar nicht ausgestorben, es hat als Geistessprache nur an Bedeutung verloren. .

Natürlich ist das Lateinische ausgestorben, denn der Gebrauch wissenschaftlicher Begriffe in einigen Fachdisziplinen ist kein Beweis für das Überleben einer Sprache. Allerdings hat Latein in den Jahrhunderten nach der Zeitenwende eine sprachliche Metamorphose durchgemacht und ist unter den besonderen Bedingungen der jeweiligen Länder in die romanischen Sprachen übergegangen.

Und übrigens: Warum schreibst du eigentlich "präcise, Risico, Cultur" usw. mit "c"? Soll das eine besondere Note sein oder bist du der deutschen Rechtschreibung nicht mächtig?
 
Natürlich ist das Lateinische ausgestorben, denn der Gebrauch wissenschaftlicher Begriffe in einigen Fachdisziplinen ist kein Beweis für das Überleben einer Sprache. Allerdings hat Latein in den Jahrhunderten nach der Zeitenwende eine sprachliche Metamorphose durchgemacht und ist unter den besonderen Bedingungen der jeweiligen Länder in die romanischen Sprachen übergegangen.

Die beiden fett markierten Sätze widersprechen sich m.E. Letzterem stimme ich zu. Dadurch, dass mit der Teilung des römischen Reiches und dem Zusammenbruch des Westreiches die politische Einheit in den lateinsprachigen Territorien verloren gegangen war, konnten die lateinischen Dialekte sich eben so weit voneinander weg entwickeln, dass sie sich heute teilweise gravierend unterscheiden. Ich schrieb es schon einige Seiten zuvor: Die heutigen Sprachnamen waren ursprünglich Adjektive zur Herkunftsbezeichnung der einzelnen Dialekte.
 
Natürlich ist das Lateinische ausgestorben, denn der Gebrauch wissenschaftlicher Begriffe in einigen Fachdisziplinen ist kein Beweis für das Überleben einer Sprache.
Ich meinte jene Praxis in der Frühneuzeit, teils bis hinein ins 20.Jahrhundert, gemäß der man sich in der Universalsprache Latein recht gut in der Fremde verständigen konnte. Abgesehen von Clerikern und Wissenschaftlern wie Leibnitz, waren das auch einfachere Leute, die auf ihr Schullatein zurückgriffen. Die Regelschule im 18.Jahrhundert nannte sich ja "Lateinschule", auch wenn dort nicht nur Latein gelehrt wurde. Bis in die späten 1960er hatten practicierende Katholiken eh ständig Latein im Ohr und recitierten es brav jeden Sonntag. Diese Praxis ist inzwischen stark verkümmert. Es ging mir nicht um die Alltagssprache der alten Römer, sondern um das spätneuzeitliche Universallatein. Und dieser Thread befindet sich ja auch in der Frühneuzeit.
 
Da gibt es doch bestimmt eine wissenschaftliche Diskussion, welche hinterfragt, ob die lateinische Sprache ausgestorben ist oder fortlebt.


Wie hier bereits mehrmals zur Sprache kam, ist das Lateinische nach den üblichen Kriterien eine tote Sprache.

Von Sprachtod spricht man, wenn eine Sprache keine Muttersprachler mehr hat. Ab diesem Moment unterliegt die nun tote Sprache nicht mehr den normalen Entwicklungen und Veränderungen, die im Laufe der Zeit innerhalb einer Sprache stattfinden; sie wird unveränderlich und starr.
Wenn eine Sprache als tote Sprache angesehen wird, dann bedeutet das nicht unbedingt, dass es niemanden mehr gibt, der imstande wäre, die Sprache zu verstehen. Eine tote Sprache kann gut dokumentiert sein, als Fremdsprache gelehrt und eventuell sogar noch in bestimmten Zusammenhängen mündlich oder schriftlich gebraucht werden. So ist Latein z. B. eine tote Sprache, weil es niemanden gibt, der es als Muttersprache hat. Gleichwohl gibt es aber viele Menschen, die Latein verstehen, weil sie die Sprache als Fremdsprache gelernt haben.

Sprachtod - Wikipedia
 
Wenn aber Italienisch, Spanisch, Französisch, etc die moderne Form diverser latainischer Dialekte sind, dann HAT Latein heutzutage aber noch Muttersprachler.
Das Klassische Latein und das Vulgärlatein in der Form, wie es vor rund 2000 Jahren verwendet wurde, DAS ist allerdings ausgestorben.

Der "Kikero" ist tot, aber der "Tschitscherone" lebt :D
 
Das Klassische Latein und das Vulgärlatein in der Form, wie es vor rund 2000 Jahren verwendet wurde, DAS ist allerdings ausgestorben.


Und diese Sprachformen (das Vorklassische Latein könnte man noch dazuzählen) bezeichnet man nun einmal als "Latein".

Französisch ist nicht Latein, und ein französischer Muttersprachler, der die Fremdsprache Latein nicht gelernt hat, ist auch kein Lateiner.
 
Kommt darauf an, wo man die Grenze setzt. Ab wann gilt ein Dialekt als eigenständige Sprache und die Muttersprache des Dialektes als ausgestorben?
 
Kommt darauf an, wo man die Grenze setzt. Ab wann gilt ein Dialekt als eigenständige Sprache und die Muttersprache des Dialektes als ausgestorben?


Ab dem Punkt, wo der Dialektsprecher die Muttersprache des Dialektes als Fremdsprache lernen muß.

Der "Punkt" ist sicher fließend; es gibt keinen Tag X, an dem der Dialektsprecher aufsteht und seine "Muttersprache" nicht mehr versteht, sondern eine längere Übergangszeit. Daß die Übergangszeit im Falle von Französisch, Italienisch etc. schon lange vorbei ist, steht allerdings außer Diskussion. Der Text der Straßburger Eide von 842 zeigen, daß sich das Gelehrtenlatein dieser Zeit längst von der Volkssprache abgekoppelt hatte und bereits eine tote Sprache war.
 
Das Klassische Latein und das Vulgärlatein in der Form, wie es vor rund 2000 Jahren verwendet wurde, DAS ist allerdings ausgestorben.
Wie das Deutsch des Frühmittelalters. Für mich als Laien ist die Aussage im Wikipedia nicht ganz einleuchtend. Wenn wir bei anderen Sprachen eine Fortentwicklung bei dem Bewusstsein einer sprachlichen Tradition zulassen, warum wird dies dann dem Lateinischen abgesprochen?

Für mich stellt es keinen Widerspruch dar, dass eben das antike Latein nicht mehr als Muttersprache lebt, da sich darauf doch bis jetzt niemand von uns bezog oder in Zweifel gezogen hätte, dass dieses nach 1500 Jahren nach Ende des Weströmischen Reiches nicht mehr besteht. Oder ist die Festlegung, dass man die heutigen deutlich von der lateinischen Sprache stammenden Sprachen nicht mehr als direkte Fortentwicklung begreifen will, dadurch begründet, dass dies im Sprachgebrauch zu Verwirrung führen würde, wenn man noch heute bei den verschiedenen in Frage kommenden Sprachen schlicht von Latein sprechen würde?
 
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