Ius primae Noctis

Haerangil

Aktives Mitglied
Der Brauch/Begriff des Ius Primae Noctis ist ja allgemein umstritten...

manche wollen in ihm einen blossen Literarischen Topos sehen der aufs Mittelalter rückproheziert wurde, andere eine art "Ersatzbrauchtum" das dazu diente besondere steuerliche Abgaben an den Lehnsherrn bei Hochzeiten zu rechtfertigen
...

gibt es überhaupt irgendwelche Hinweise darauf ,daß das ius primae Noctis wirklich vollzogen wurde?

Ich kann mir schon allein durch das kirchenrecht die legitimation eines solches Gesetzes nicht wirklich vorstellen...
 
Hab schon diverse Diskussionen um dieses Thema mitgelesen und alle kamen zu dem Schluss, dass es ein Märchen ist.
 
Ich hatte mich bereits in verschiedenen Threads dazu geäußert - vgl. u.a. folgende Beiträge:
http://www.geschichtsforum.de/118777-post42.html
http://www.geschichtsforum.de/192203-post52.html
http://www.geschichtsforum.de/226404-post79.html
http://www.geschichtsforum.de/240868-post417.html

Kurz: die Existenz eines solcherart verbrieften Rechts darf bestritten werden.
Zum einen ist es nicht eindeutig belegt, sondern wurde im Umfeld der Aufklärung und der Französischen Revolution aus antiaristokratischer Motivation heraus besonders betont, und zum anderen liegt höchstwahrscheinlich eine Fehlinterpretation früherer lehnsrechtlicher Festschreibungen und Praktiken vor.

PS (MOD): Das inhaltsgleiche Thema unter "Sonstiges im Mittelalter" wurde gelöscht...
 
Zumindest für Frankreich weiß ich (man hat dies sorgfältig erforscht), dass es sich bei diesem vermeintlichen Herrscherrecht um eine Fiktion handelt, die in Frankreich erst im 18. Jahrhundert auftauchte, wohingegen sie in Legenden, Sagen oder Balladen anderer Länder schon früher auftauchte.
Alain Boureau hat die Forschungsergebnisse zusammengefasst in seinem Buch von 1996 "Das Recht der ersten Nacht".

Daß ein Adeliger in Frankreich ein solches Tun je beansprucht haben würde ist ausgeschlossen, da jede Jungfrau und besonders eine Braut unter dem besonderen Schutze des ritterlichen Selbstverständnisses jedes Adeligen, und wäre er der kleinste Baron gewesen, stand. Frankreich war immer ein römisch katholisches Land, da passte eine solche Vorstellung niemals hin. Würde es ruchbar geworden sein, dass ein Adeliger solches verlangte, er hätte seine Ehre verloren und wäre in der Gesellschaft mißgeachtet worden.

Dass immer wieder in gefälschten "Urkunden" solches behauptet worden wäre, gehört in den Bereich der Verleumdung. Doch, wenn es nicht beweisbar gewesen wäre, wäre alleine schon eine solche Behauptung sehr gefährlich gewesen, da eine Rechtfertigung hätte erfolgen müssen.
salu, jeanne
 
Wir müssen unsere Klasse 45 Minuten lang über einen Geschichtsirrtum unterhalten. Als Thema haben wir das sogenannte "ius primae noctis", ein Recht das den Lehnsherren erlaubt haben sollte, bei einer Hochzeit seiner Bauern die Braut in der ersten Nacht in sein Bett zu führen...
In dem Buch "die 50 grössten Geschichtsirrtümer" (oder so ähnlich) steht dass dieses Recht nicht existiert habe, ausser in den Köpfen von Männern, natürlich...
Auf Wikipedia heisst es aber es habe existiert, in verschiedenen Versionen usw...Ius primae noctis – Wikipedia
:motz:
Auch wenn man nachgoogelt steht auf den meisten Seiten dass es diese Schweinerei gegeben hat. Aber es ist ein verbreiteter Irrtum....

Wisst ihr was darüber?
 
Ein guter Beleg, für die Vorsicht, die man bei Wiki in historischen und politischen Themen an den Tag legen sollte. (Ich gehe sogar soweit, dass die Wiki durch ihre oft falsche Gewichtung in den Artikeln oft eher kontraproduktiv ist: vermeintliche Sensation im Leben einer Persönlichkeit breit erklärt, wirklich relevantes, aber trockenes, am Rande erwähnt)

Kannst es ja mal in der Klasse erwähnen.
 
(Ich gehe sogar soweit, dass die Wiki durch ihre oft falsche Gewichtung in den Artikeln oft eher kontraproduktiv ist: vermeintliche Sensation im Leben einer Persönlichkeit breit erklärt, wirklich relevantes, aber trockenes, am Rande erwähnt)

Wobei sich Wiki in "guter" Tradition befindet; von römischen Biographen bis zu manchem heutigen Lexikon sind die allermeisten Menschen mehr an Geschichtchen interessiert als an Geschichte...
 
Wobei sich Wiki in "guter" Tradition befindet; von römischen Biographen bis zu manchem heutigen Lexikon sind die allermeisten Menschen mehr an Geschichtchen interessiert als an Geschichte...

Das könnte daran liegen, dass sich die meisten Menschen mit Geschichtchen über und um konkrete Persönlichkeiten viel schneller identifizieren können als mit nüchternen Fakten.
Fakten schrecken z.B. in ihrer Ungeheuerlichkeit ab. Werden diese Fakten in menschlichen Schicksalen konkretisiert, werden sie anders aufgenommen, weil Emotionen stärker beteiligt sind.
Wichtig dabei ist immer, die Fakten nicht zu vernachlässigen, oder gar zu verfälschen.
 
Fakten schrecken z.B. in ihrer Ungeheuerlichkeit ab.

Fakten sind ersteinmal vollkommen emotionsfrei, deswegen eben auch nicht "ungeheuerlich" oder dergleichen. Solch eine Emotionalisierung ist imho Gift für jede sachliche Diskussion.

Werden diese Fakten in menschlichen Schicksalen konkretisiert, werden sie anders aufgenommen, weil Emotionen stärker beteiligt sind.

Eben! Die Frage ist, was ich will, eine emotionalisierende Geschichte oder schlichte Fakten, die ich dann selbst beurteilen kann. Emotionen trüben das Bild. :S
 
Fakten sind ersteinmal vollkommen emotionsfrei, deswegen eben auch nicht "ungeheuerlich" oder dergleichen. Solch eine Emotionalisierung ist imho Gift für jede sachliche Diskussion.

Dennoch löst eine Tatsache, ein Faktum Emotionen aus. Ein Massenmord z.B. ist ungeheuerlich und zunächst gar nicht fassbar.

Schildert eine Person ihre Erfahrungen als Überlebende/r innerhalb einer solchen Situation, werden die ungeheuerlichen Tatsachen greifbarer, in ihrer Ungeheuerlichkeit nicht verändert, wohl aber z.B. in der Anteilnahme des Zuhörers oder Lesers.

Ich denke aber, wir meinen das Gleiche.

EDIT: Geschichtsirrtümer leben hingegen von Sensationslust.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Ich kann persönlich nichts dazu sagen, ob es das ius primae noctis wirklich gab. Sicher hat der Herr sich öfter mal die Küchenmagd, so gut aussehend und jung, ins Schlafgemach geholt.

Interessanterweise sind es immer die schlüpfrigen Geschichten, die sich hartnäckig halten. Ich denke da an die Dinge von Tiberius auf Capri, die man den Touristen noch heute erzählt.
 
Um noch einmal etwas zum Kontext des ius primae noctis auszuführen...

Es geht ja nicht darum, ob sich ein Herr mit schönen Töchtern der Untertanen u. dgl. zu vergnügen gedachte bzw. sich mit diesen vergnügte, denn dafür brauchte bspw. ein Adliger weder einen Vorwand noch eine gesetzliche Legitimation.
Es geht hierbei vielmehr darum, ob ein derartiges Recht jemals überhaupt im Sinne einer Rechtsvorschrift o.ä. verbrieft gewesen ist.

Als gewichtiges Indiz gegen ein solch verbrieftes Recht bzw. Privileg wird unter Historikern gemeinhin angesehen, daß die Forderungen nach Abschaffung von als ungerecht empfundenen Herrenrechten, welche während der Bauernerhebungen im 16. Jh. laut wurden, nie von einem Recht der Grundherren sprachen, nach welchem diese zum Raub der Jungfräulichkeit befugt waren (und so etwas wäre von den Bauern ja höchstwahrscheinlich als eine der größten Ungerechtigkeiten empfunden worden).

Laut des Handwörterbuchs zur deutschen Rechtsgeschichte:
Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte schrieb:
... ein Privileg des Grundherrn auf Beiwohnung in der Brautnacht einer Grundhörigen hat niemals existiert...

Auf der Suche nach wirklichen Belegen i.S.v. festgeschriebenen Paragraphen wurden Historiker wohl nur in der relativ kleinen Gemeinde Maur (Schweiz) überhaupt fündig. Dort steht im Artikel 4 der Offnung von 1543:
Artikel 4 der Offnung von 1543 schrieb:
Wer hier zur heiligen Ehe gelangt, der soll den Meier und auch seine Frau einladen. Da soll der Meier dem Bräutigam einen Hafen leihen, in dem er ein Schaf sieden kann. Auch soll der Meier ein Fuder Holz an die Hochzeit bringen. Ebenso sollen er und seine Frau den Viertel eines Schweineschinkens bringen. Und wenn die Hochzeit zu Ende ist, so soll für die erste Nacht der Bräutigam den Meier bei seinem Weib liegen lassen, oder er soll es auslösen mit fünf Schillingen und vier Pfennigen.
Einmal abgesehen davon, daß die Historiker davon ausgehen, daß davon in Realität nicht wirklich Gebrauch gemacht wurde, liegt zudem hierbei mE auch der hauptsächliche Sinn nicht auf "soll für die erste Nacht der Bräutigam den Meier bei seinem Weib liegen lassen", sondern vielmehr auf "soll es auslösen mit fünf Schillingen und vier Pfennigen". Es geht also vornehmlich um das Lösegeld, welches für die Braut nach altem Gewohnheitsrecht zu zahlen war: der Mann kaufte die Braut dem (Grund-)Herrn ab, dem sie gewohnheitsgemäß "gehörte".
 
Dann bleibt doch die Frage, wie sich dieser Irrtum ausbreiten konnte und sogar einen lateinischen Namen bekam.
Lässt sich vielleicht das Aufkommen dieses Klischees datieren?
 
Interessanterweise sind es immer die schlüpfrigen Geschichten, die sich hartnäckig halten. Ich denke da an die Dinge von Tiberius auf Capri, die man den Touristen noch heute erzählt.

Da stimm ich dir zu, in solchen Sachen sind die Menschen phantasievoll und dichten auch mal gerne. Und wenns sich über Jahre hinweg weitererzählt und von einigen auch noch umgesetzt wird (wohl auch mit Spaß an der Sache) dann ist es auch nicht weit mit dem lateinischen Namen
 
Dann bleibt doch die Frage, wie sich dieser Irrtum ausbreiten konnte und sogar einen lateinischen Namen bekam.
Lässt sich vielleicht das Aufkommen dieses Klischees datieren?

In den ersten Kapiteln von Jörg Wettlaufer: Das Herrenrecht der ersten Nacht. Hochzeit, Herrschaft und Heiratzins im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Campus, Frankfurt am Main u. a. 1999 wird versucht, diese Problematik aufzuzeigen: Das Herrenrecht der ersten Nacht ... - Google Buchsuche
 
Die Fachrezension zu Wettlaufers Arbeit klingt nicht überzeugend:
Abschliessend bliebe festzuhalten, dass eine Menge an fachlicher Kompetenz, Zeit und Energie in eine Fragestellung investiert wurde, die keinen besonderen Erkenntniswert hat. Wir wissen nun, dass das jus primae noctis auf frühfeudale Abgabenansprüche zurückgeht, und dass im Spätmittelalter Bauern wie Grundherren an die Tradition solcher Praktiken geglaubt haben. Wir wissen immer noch nicht, ob es die Praxis im Mittelalter wirklich gegeben hat und auch nicht, ob der bis zum Ende des 18. Jahrhundert nachweisbare Glaube daran in der Frühen Neuzeit zur sozusagen verspäteten Umsetzung eines solchen Rechtstitels geführt hat.
PERFORM 2 (2001), Nr. 3 | Lorenz über Wettlaufer: Das Herrenrecht der ersten Nacht
 
Auch in anderen Kulturkreisen wird das JPN thematisiert. Sogar einige etwas dunkle Zeilen im Gilgamesch-Epos werden dementsprechend interpretiert.

Unabhängig von der offensichtlichen Nicht-Nachweisbarkeit des JPN gibt es sozio-biologische Gründe für seine Existenz. Hierbei geht es nicht um die "erotische" Komponente, sondern um eine konkrete Schwangerschaft. Das älteste Kind (Sohn, bei Anerbenrecht der Hoferbe!) besitzt dann eine gewisse Verwandschaftswahrscheinlichkeit mit dem Grundherren. Diese "genetische Verstärkung" kann für beide Seiten einen sehr positive Effekt besitzen.
 
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