Liebe im Mittelalter

Hallo!

Gab es auch im Mittelalter die neuzeitliche Vorstellung von Liebe?
Ich weiß, dass in den Texten von unterschiedlichen Formen von Liebe die Rede ist (zum Beispiel hier: http://www.stud.uni-hannover.de/~thog74/pdf,files/0303,02.0020.04,re,02,mittelalterliebe,01.pdf). Ich spreche auch nicht von der Minne. Ich meine, gab es auch im Mittelalter Menschen, die sich unsterblich ineinander verliebten und das Gefühl hatten, einfach zusammen zu gehören und deshalb dafür kämpften. Oder ist das eine Idee der Neuzeit, auf die damals niemand gekommen wäre. Ich halte es absolut für möglich, dass Liebe in diesem Sinne keine biologische sondern eine kulturelle Erfindung ist. Ähnlich wie andere Konzepte (Menschenrechte, Wissenschaft und Experiment...), die erstmal vorgedacht werden mussten und sich dann in der Gesellschaft und in den Gedanken des Individuums als selbstverständlich verankerten.

Gibt es dazu Quellen? Kennt sich da jemand aus?

Gruß aus Hamburg!

Jan
 
Gab es auch im Mittelalter die neuzeitliche Vorstellung von Liebe?

Was soll das denn sein, die neuzeitliche Vorstellung von Liebe. Diejenige des Casanova oder die von Martin Heidegger?

Ich spreche auch nicht von der Minne. Ich meine, gab es auch im Mittelalter Menschen, die sich unsterblich ineinander verliebten und das Gefühl hatten, einfach zusammen zu gehören und deshalb dafür kämpften.

Oh ja, die gab es. Denke nur an Heloise und Abaelard oder an eine der wenigen Liebeshochzeiten des Spätmittelalters zwischen Albrecht IV. von Bayern und Kunigunde. Bertha, die Tochter Karls des Großen hat ihre heimliche Liebschaft sogar auf dem Rücken in seine Unterkunft zurückgetragen, damit er keine Spuren im Schnee hinterließ. Das sind die Liebesepisoden, die mir spontan einfallen, ich mach mir heute nachmittag noch ein paar Gedanken. Doch sehe ich keine Veranlassung, bei mittelalterlichen Menschen ein anderes Verhältnis zu ihrer Gefühlswelt die Liebe betreffend anzunehmen.

Eine Episode aus der Heiligenvita des Korbinian von Arbeo von Freising erzählt von einer unrechten Verbindung zwischen Grimoald und der Witwe seines verstorbenen Bruders. Lange wurde von den beiden um ihre Liebe gekämpf, doch letztendlich (wie sollte es in der Hagiographie anders enden?) mussten sie sich auf Druck von Korbinian trennen.
 
Oh ja, die gab es. Denke nur an Heloise und Abaelard oder an eine der wenigen Liebeshochzeiten des
Eine Episode aus der Heiligenvita des Korbinian von Arbeo von Freising erzählt von einer unrechten Verbindung zwischen Grimoald und der Witwe seines verstorbenen Bruders. Lange wurde von den beiden um ihre Liebe gekämpf, doch letztendlich (wie sollte es in der Hagiographie anders enden?) mussten sie sich auf Druck von Korbinian trennen.

Fällt mir die Sage von der "Weibertreu" bei Weinsberg ein.

Und dann natürlich die Zimmersche Chronik, gibts ja mittlerweile digitalisiert. Ist zwar schon beginnende Neuzeit, aber iimmerhin.
Nur handelt es sich darin mehr um die "sterbliche" Liebe.:D
 
Danke für die Antwort. Der Inhalt freut mich!

Lukrezia Borgia schrieb:
Was soll das denn sein, die neuzeitliche Vorstellung von Liebe. Diejenige des Casanova oder die von Martin Heidegger?
Ich meinte weder noch. Ich meinte eher die von Romeo und Julia. Und diese Vorstellung von der "wahren Liebe" ist doch den meisten geläufig und ein Ideal, das sich viele wünschen. Also inklusive der "romantischen" Liebesheirat. Und die ist demnach relativ jung:

Die Liebesehe, die freie, selbst bestimmte Wahl von Frau und Mann des Ehepartners aufgrund von Neigung und Anziehung, ist ein relativ junges Phänomen in der Geschichte der Ehe. Ihre Etablierung begann Ende des 19. Jahrhunderts in der entstandenen Arbeiterschicht und setzte sich erst im 20. Jahrhundert auch in der Mittel- und Oberschicht durch. Arrangierte, von den Eltern stark beeinflusste Verbindungen zur Wahrung von Besitz und Stand, waren zuvor die Regel.
Wobei das nicht direkt mit der Liebe zusammenhängen muss, sondern natürlich eher mit der gesellschaftlichen Subventionierung dieser.

Danke für die zahlreichen Beispiele. Ich werde die Mal näher begutachten. Und wenn Dir noch mehr einfallen: gerne her damit!

Edit:
Und danke auch für Deine (jetzt erst gelesenen) Beispiele, Repo.
 
Zuletzt bearbeitet:
Was soll das denn sein, die neuzeitliche Vorstellung von Liebe. Diejenige des Casanova oder die von Martin Heidegger?
Nur so zum Vergleich, wie sieht denn die Vorstellung von Liebe von Casanova aus?
Obwohl sein Bruder als Künstler ja schon eine gewisse Berühmtheit hatte, war Casanova in die Kunst wohl eher nicht verliebt. Er war ein Glücksspieler, beschäftigte sich auch mit der mathematischen wie philosphischen Seite des Glücks, aber hat das etwas mit seinem Begriff von Liebe gemein?
 
Nur so zum Vergleich, wie sieht denn die Vorstellung von Liebe von Casanova aus?
Obwohl sein Bruder als Künstler ja schon eine gewisse Berühmtheit hatte, war Casanova in die Kunst wohl eher nicht verliebt. Er war ein Glücksspieler, beschäftigte sich auch mit der mathematischen wie philosphischen Seite des Glücks, aber hat das etwas mit seinem Begriff von Liebe gemein?

Was hat der Beruf seines Bruders mit der Vorstellung von Liebe bei Giacomo selbst zu tun?

Jan schrieb:
Ich meinte weder noch. Ich meinte eher die von Romeo und Julia. Und diese Vorstellung von der "wahren Liebe" ist doch den meisten geläufig und ein Ideal, das sich viele wünschen. Also inklusive der "romantischen" Liebesheirat. Und die ist demnach relativ jung:

Zitat:
Die Liebesehe, die freie, selbst bestimmte Wahl von Frau und Mann des Ehepartners aufgrund von Neigung und Anziehung, ist ein relativ junges Phänomen in der Geschichte der Ehe. Ihre Etablierung begann Ende des 19. Jahrhunderts in der entstandenen Arbeiterschicht und setzte sich erst im 20. Jahrhundert auch in der Mittel- und Oberschicht durch. Arrangierte, von den Eltern stark beeinflusste Verbindungen zur Wahrung von Besitz und Stand, waren zuvor die Regel.
(http://www.la-sf.at/la-sf/upload/pdf/2006-04-03_Weichselbraun.pdf)

Jung ist die Liebesheirat, aber wie du schon richtig schreibst, handelt es sich zuvor um eine Art gesellschaftlichen Konsens, dass zumindest in den oberen Schichten die Liebe an sich eher nebensächlich war. Da Du aber nach der Liebe an sich frägst, erscheint mir dieser Umstand nicht unbedingt von großer Relevanz.
 
Mir ist noch ein frühmittelalterliches Beispiel eingefallen, was vielleicht daran liegt, dass ich gerade viel an Arbeo von Freising arbeite:

Die Herzogstochter Uta, Tochter des Agilolfingers Theodo I., die eine Affäre mit einem Höfling einging, schwanger wurde und damit den Tod des heililgen Emmeram mitverschuldete.
 
Jung ist die Liebesheirat, aber wie du schon richtig schreibst, handelt es sich zuvor um eine Art gesellschaftlichen Konsens, dass zumindest in den oberen Schichten die Liebe an sich eher nebensächlich war. Da Du aber nach der Liebe an sich frägst, erscheint mir dieser Umstand nicht unbedingt von großer Relevanz.
Auch da würde ich es nicht so arg übertreiben. Auch in der Oberschicht war die Liebesehe zwar selten in der Frühen Neuzeit, aber nicht so selten, dass ich direkt von einem "Phänomen" des 19. Jh. sprechen würde.
 
Auch da würde ich es nicht so arg übertreiben. Auch in der Oberschicht war die Liebesehe zwar selten in der Frühen Neuzeit, aber nicht so selten, dass ich direkt von einem "Phänomen" des 19. Jh. sprechen würde.

Spreche ich von einem Phänomen des 19. Jahrhunderts? Vielmehr habe ich doch ein paar Beiträge zuvor ins Spätmittelalter verwiesen.
 
Ich habe die Liebeshochzeit angeführt, weil sie mich auf den Gedanken gebracht hat, dass die "wahre Liebe" eventuell keine anthropologische Konstante ist, sondern eine Mode. Aber den Quellen nach zu Urteilen, scheint dem nicht so.
 
Ich habe die Liebeshochzeit angeführt, weil sie mich auf den Gedanken gebracht hat, dass die "wahre Liebe" eventuell keine anthropologische Konstante ist, sondern eine Mode. Aber den Quellen nach zu Urteilen, scheint dem nicht so.

Noch eine kurze Anmerkung zu den Quellen: Eben weil die mittelalterliche Überlieferung (zumindest Früh- und Hochmittelalter) aus dem klerikalen Bereich stammt, könnte man zu dem Schluß kommen, dass viele Ereignisse, die uns bei dieser Fragestellung weiterhelfen könnten, gar icht überliefert wurden. Insofern rechtferigen schon wenige Beispiele, die sich konstant über die Periode von einigen Jahrhunderten verteilen die Vermutung, dass sich in der Gefühlswelt des Menschen die Dinge nicht grundlegend verändert haben. Wir können uns ja auch heute noch mit Personen aus antiken Theaterstücken oder Epen identifizieren, ebenso können wir uns die Verzweiflung ausmalen, in der sich Tristan und Isolde wiedergefunden haben müssen.
 
Ich habe die Liebeshochzeit angeführt, weil sie mich auf den Gedanken gebracht hat, dass die "wahre Liebe" eventuell keine anthropologische Konstante ist, sondern eine Mode. Aber den Quellen nach zu Urteilen, scheint dem nicht so.
Wie ist da die Dichte an Wissen? Es ist ja schon schwierig, zu sagen, wann es sich um eine Liebeshochzeit handelte, wenn man die genauen Gründe für eine bestimmte Brautwahl nicht kennt. Zumeist kann man bei Ehen des Mittelalters doch maximal sagen, dass diese harmonisch verliefen. So wissen wir von einer glücklichen Ehe der Elisabeth von Thüringen mit Ludwig IV., aber über eine Liebe konkret ließe sich nur spekulieren.
 
Noch eine kurze Anmerkung zu den Quellen: Eben weil die mittelalterliche Überlieferung (zumindest Früh- und Hochmittelalter) aus dem klerikalen Bereich stammt, könnte man zu dem Schluß kommen, dass viele Ereignisse, die uns bei dieser Fragestellung weiterhelfen könnten, gar icht überliefert wurden. Insofern rechtferigen schon wenige Beispiele, die sich konstant über die Periode von einigen Jahrhunderten verteilen die Vermutung, dass sich in der Gefühlswelt des Menschen die Dinge nicht grundlegend verändert haben.
Richtig. :yes:

Entschuldige, dass ich auf Deinem Abstecher zum Casanova so rumreite, ich kann nicht anders.:red::D
 
:autsch: Wie konnte ich sie nur vergessen?

Agnes Bernauer, wegen der die Linie Bayern-München beinahe ausgestorben wäre: Agnes Bernauer ? Wikipedia

Dann sei noch die innige Liebe von Dante zu seiner Betrix erwähnt und wer mehr aufs körperliche steht: Boccaccios Decamerone
 
Wie der Diskussionsverlauf gezeigt hat, müssen wir hier wohl zwischen zwei Aspekten differenzieren:
1. Heirat als gesellschaftliche Konvention
2. Liebe und Zuneigung als emotionale menschliche Komponente

Beide Aspekte hat es im Verlauf der Menschheitsgeschichte stets gegeben, wiewohl sie zum einen nicht miteinander einfach vermengt werden dürfen und zum anderen auch zu beachten ist, daß bspw. auch aus Heiraten, welche aus politischen u.ä. Gründen stattfanden und eben keine Liebesheiraten waren, durchaus enge Zuneigung entstehen konnte - auch im Mittelalter.
Ein Beispiel gefällig?
Et viola: beide Vermählungen von Otto I.
Otto I. (HRR) ? Wikipedia
OTTO-1-DER GROSSE Deutscher König + 973
Edgitha ? Wikipedia
Edgitha von Wessex Deutsche Königin + 946
Adelheid von Burgund (931?999) ? Wikipedia
adelheid_von_burgund_999
 
Ich habe die Liebeshochzeit angeführt, weil sie mich auf den Gedanken gebracht hat, dass die "wahre Liebe" eventuell keine anthropologische Konstante ist, sondern eine Mode. Aber den Quellen nach zu Urteilen, scheint dem nicht so.

Während Brissotin und Borgia sich bei Casanova aufhalten (ich will gar nicht spekulieren, warum;)), gehe ich noch mal zurück ins Mittelalter.

Man sollte zwei deutliche Unterscheidungen machen: Die eine ist die Zäsur, die durch die "Okkupation" der Ehe durch das Kirchenrecht - irgendwann um die Jahrtausendwende (±100 J.) - eintrat. Die zweite ist die Unterscheidung zwischen Verhalten und Sitten im Adel (der Elite) einerseits und im gemeinen Volk andererseits.

Dinzelbacher schreibt, dass die Liebe im Mittelalter mentalitätsgeschichtlich bisher kaum untersucht wurde: "Die herkömmliche Betrachtungsweise von Liebe als epochenunabhängige anthropologische Konstante entspricht einer quellenmäßig nicht abgedeckten Rückprojektion gegenwärtiger Gegebenheiten" (in: Handbuch des Mittelalters, Bd. 5, Sp. 1965).

Aus literaturgeschichtlicher Sicht hat Eggers von einer "bestürzend neuen" Entdeckung der Liebe im Hochmittelalter gesprochen, bezogen auf den Fürstenhof, später auf die Stadt. "Das anfänglich elitäre Liebeskonzept dringt ab dem 14. Jahrhundert auch ins Bürgertum ein, wo es z. B. im Meistersang und im Volksbuch [...] (nach)-formuliert wird." (aaO, Sp. 1967).
 
Zurück
Oben