Liebe im Mittelalter

Dinzelbacher schreibt, dass die Liebe im Mittelalter mentalitätsgeschichtlich bisher kaum untersucht wurde: "Die herkömmliche Betrachtungsweise von Liebe als epochenunabhängige anthropologische Konstante entspricht einer quellenmäßig nicht abgedeckten Rückprojektion gegenwärtiger Gegebenheiten" (in: Handbuch des Mittelalters, Bd. 5, Sp. 1965).

Mit Verlaub, aber Dinzelbacher schreibt das Mitte der 60er, als die Mentalitätsgeschichte in Deutschland gerade aus den Kinderklamotten rauswuchs.
 
:autsch: Wie konnte ich sie nur vergessen?

Agnes Bernauer, wegen der die Linie Bayern-München beinahe ausgestorben wäre: Agnes Bernauer ? Wikipedia

Dann sei noch die innige Liebe von Dante zu seiner Betrix erwähnt und wer mehr aufs körperliche steht: Boccaccios Decamerone


Ein sehr geutes Beispiel die Agnes Bernauer.

Ich denke, dass hier unsere Vorstellungen der Vernunftehe und umgekehrt der "seltenen" Liebesehe da doch sehr vom Hochadel geprägt sind. Wenn man unübersehbar nebenbei andere Möglichkeiten hat, ist man vermutlich eher zu einer "Vernunftehe" bereit, wie wenn diese Möglichkeiten nicht gegeben sind.

Die Aussicht ein ganzes Leben mit einem ungeliebten Menschen zu verbringen, wird auch eine Frau/einen Mann des 12. Jahrhunderts nicht unbedingt begeistert haben.

Die Geschichtsschreibung der "einfachen Leute" hat vernutlich immer noch Defizite.


Wobei die Agnes Bernauer natürlich das Beispiel für den Hochadel ist, dass die auch nicht mit allem einverstanden waren.
Aus neuerer Zeit fällt mir noch regional das Haus Württemberg ein, die Seitenlinien Urach, Teck und auch die heutigen Bonaparte verdanken ihre Existenz der Liebesheirat, res. Verweigerung die Liebes-Ehe aufzulösen.
 
Dinzelbacher schreibt, dass die Liebe im Mittelalter mentalitätsgeschichtlich bisher kaum untersucht wurde: "Die herkömmliche Betrachtungsweise von Liebe als epochenunabhängige anthropologische Konstante entspricht einer quellenmäßig nicht abgedeckten Rückprojektion gegenwärtiger Gegebenheiten" (in: Handbuch des Mittelalters, Bd. 5, Sp. 1965).

Aus literaturgeschichtlicher Sicht hat Eggers von einer "bestürzend neuen" Entdeckung der Liebe im Hochmittelalter gesprochen, bezogen auf den Fürstenhof, später auf die Stadt. "Das anfänglich elitäre Liebeskonzept dringt ab dem 14. Jahrhundert auch ins Bürgertum ein, wo es z. B. im Meistersang und im Volksbuch [...] (nach)-formuliert wird." (aaO, Sp. 1967).
Mit Verlaub, aber Dinzelbacher schreibt das Mitte der 60er, als die Mentalitätsgeschichte in Deutschland gerade aus den Kinderklamotten rauswuchs.

Richtig; da ist bspw. sein späteres Werk http://www.geschichtsforum.de/f178/europa-im-hochmittelalter-1050-1250-a-2571/ vorzuziehen: auf einige seiner Aussagen dort hatte ich bereits in http://www.geschichtsforum.de/313946-post31.html und http://www.geschichtsforum.de/317342-post43.html Bezug genommen.
 
[...]Beide Aspekte hat es im Verlauf der Menschheitsgeschichte stets gegeben, wiewohl sie zum einen nicht miteinander einfach vermengt werden dürfen und zum anderen auch zu beachten ist, daß bspw. auch aus Heiraten, welche aus politischen u.ä. Gründen stattfanden und eben keine Liebesheiraten waren, durchaus enge Zuneigung entstehen konnte - auch im Mittelalter.[...]

Wie wurde denn jenseits des Adels geheiratet bzw. aus welchen Gründen? Der Grundherr hatte vielerorts das Entscheidungsprivileg, aber nach welchen Kriterien, wenn nicht Liebe, wurde gewählt?
Und wie sah es in der Stadt des Hochmittelalters aus?
 
Mit Verlaub, aber Dinzelbacher schreibt das Mitte der 60er, als die Mentalitätsgeschichte in Deutschland gerade aus den Kinderklamotten rauswuchs.

Mit Verlaub, die Lieferungen zu dem von mir zitierten Band erschienen zwischen März 1990 und November 1991, und des Autors Literaturangaben enden 1990.:confused: Meinen wir ein unterschiedliches Werk?

Ich erlaube mir an der Stelle, einen Kommentar zu diesem Buch zu schreiben... [Europa im Hochmittelalter 1050-1250]

Das klingt sehr gut! Der Autor ist anscheinend sehr produktiv und hat soeben auch noch die zweite Auflage seiner "Europäischen Mentalitätsgeschichte" bei Kröner herausgebracht.

Aber wie sah es denn seinerzeit mit der Neigungsehe (Liebesehe) aus? Ariès/Duby (Geschichte des privaten Lebens) stellen beispielsweise die norditalienischen Verhältnisse noch so dar, als ob die "kaufmännischen" Aspekte im Bürgertum sehr wichtig waren. Für die Landbevölkerung vermute ich Ähnliches, wozu ja noch kirchliche und weltliche Heirats-Verbote und -Gebote kamen.
 
Da hab ich mich verschaut. :red: Hab nicht bemerkt, dass Du Spalten zitierst. Doch sind fast zwanzig Jahre in der Mentilatätsgeschichte auch ein ganz schöner Brocken. Wenn man bedenkt, welche Vorbehalte gegen die Annales-Schule noch in den 1990ern geäußert wurden, sollte man sich hier weitestgehend auf die Literatur der letzten 10 Jahre beschränken. Ich hab mal eins rausgesucht:

Bein, Thomas, Liebe und Erotik im Mittelalter, Graz 2003.


Sollte ich nächste Woche Zeit finden, werde ich es mal in Augenschein nehmen und dann könnte man ja darüber spekulieren, ob die Aussage, dass die "herkömmliche Betrachtungsweise von Liebe als epochenunabhängige anthropologische Konstante entspricht einer quellenmäßig nicht abgedeckten Rückprojektion gegenwärtiger Gegebenheiten" noch haltbar ist.
 
Wie wurde denn jenseits des Adels geheiratet bzw. aus welchen Gründen?
Der Grundherr hatte vielerorts das Entscheidungsprivileg, aber nach welchen Kriterien, wenn nicht Liebe, wurde gewählt?

Erst einmal etwas zur Klarstellung: Liebesheiraten waren lange Zeit - nämlich über das Mittelalter hinaus - allgemein eine Seltenheit. Das heißt aber nun wiederum nicht, daß sie nicht in einzelnen Fällen doch vorkamen - übrigens auch beim Adel.

Doch nun zum angesprochenen Thema...
Für den Grundherren war es natürlich am günstigsten, wenn Unfreie aus seinem Herrschaftsbereich heirateten. Entstammten die zukünftigen Ehepartner verschiedenen Grundherrschaften, so mußte die Problematik des Hörigkeitsverhältnisses der Frau sowie der damit verbundene Verlust der Arbeitskraft für den Grundherren gelöst werden. Dies geschah durch das Brautgeld, mittels dessen der Bräutigam seine Braut aus der Verfügung ihres Herrn loskaufen mußte (dies wurde und wird gemeinhin gern mit dem so nicht belegten ius primae noctis verwechselt).
Kurzum: auch wenn möglicherweise emotionale Zuneigung Hintergrund für den Ehewunsch war, so entschieden auch hier also handfeste wirtschaftliche Gründe über den grundherrschaftlichen Segen für die Eheschließung.

Und wie sah es in der Stadt des Hochmittelalters aus?

Grundsätzlich durfte da durchaus freier geheiratet werden, zumal ein Mindergeborener bzw. eine Mindergeborene durch die Bürgerfreiheit die Rechtsstellung des Ehegatten erlangte.
Heirat brachte also mitunter eine Standeserhöhung mit sich - soweit die Theorie...

Also zur Praxis...
Heiratete man gegen den Willen der Eltern, verlor man zunächst einmal sowohl das väterliche als auch das mütterliche Erbe. Zudem herrschten auch in der Stadt ständische Konventionen, die praktisch entscheidend für Eheschließungen sein konnten bzw. es auch waren.
Außerdem gab es in der Stadt auch die Problematik der unehrlichen Berufsgruppen und Stände - hier galt: ein "Ehrlicher" heiratete keinen "Unehrlichen", und einem "Unehrlichen" blieb es zumeist verwehrt, in den Stand der "Ehrlichen" einzuheiraten.
Anm.: "Unehrliche" waren bspw. der Henker/Scharfrichter, der Abdecker, der Totengräber, aber auch die Prostituierten...
 
@Timotheus
Vielen Dank für die Ausführung. Dennoch sagst du, dass die Heirat innerhalb der Grundherrschaft für den Herren günstig war. Deine Begründung "nach außen" ist sehr schlüssig, aber welchen Vorteil hatte es denn "nach innen", sprich: Wenn ein Bauer eine Bäuerin aus einer anderen Familie als Frau nahm... warum tat dieser es und welchen Vorteil hatte es für den Herrn?

Zur Stadt:
Deiner Angabe zufolge waren also die Eltern bestimmend über den Ehepartner ihres Sprösslings bzw. deren Zustimmung war sehr wichtig. Warum verheiratete aber z.B. ein Bäcker seine Tochter mit einem Schneider? Hatte auch das wirtschaftliche Vorteile oder waren sie eher sozialer Natur?
 
...sollte man sich hier weitestgehend auf die Literatur der letzten 10 Jahre beschränken
Nöö.

Bein, Thomas, Liebe und Erotik im Mittelalter, Graz 2003.
Die Besprechung in Sammelrez: T. Bein: Liebe und Erotik /A. de la Croix: Liebeskunst und Lebenslust - H-Soz-u-Kult / Rezensionen / Bücher war ja sehr positiv. Es ist freilich ein Werk, dessen Textteil nur von S. 7-33 reicht. Aber vielleicht ist dieser Teil umso gehaltvoller.

...könnte man ja darüber spekulieren, ob die Aussage, dass die "herkömmliche Betrachtungsweise von Liebe als epochenunabhängige anthropologische Konstante entspricht einer quellenmäßig nicht abgedeckten Rückprojektion gegenwärtiger Gegebenheiten"
Nichts gegen eine derartige Spekulation. Es ist wahrscheinlich schon von der Quellenlage her schwer, "Beweis" zu führen. Wenn ich Dinzelbacher richtig verstehe, sind sowieso erstmal diejenigen am Zuge, die jene "anthropologische Konstante" postuliert haben.
 
Dennoch sagst du, dass die Heirat innerhalb der Grundherrschaft für den Herren günstig war. Deine Begründung "nach außen" ist sehr schlüssig, aber welchen Vorteil hatte es denn "nach innen", sprich: Wenn ein Bauer eine Bäuerin aus einer anderen Familie als Frau nahm... warum tat dieser es und welchen Vorteil hatte es für den Herrn?

Das schrieb ich doch: dem Grundherrn ging es vordergründig um die Arbeitskraft, die für ihn erhalten blieb oder der er eben verlustig ging, so daß er eine finanzielle Entschädigung zu bekommen hatte.
Deshalb war Heirat innerhalb der Grundherrschaft für den Herren günstig; wobei es ihm dann auch egal war, ob ein Bauer eine Frau nun aus Liebe heiratete oder weil sie bspw. einfach aus einer ebenso tüchtigen Bauernfamilie stammte wie der seinen.
Soweit ich es überblicke - wiewohl ich zugebe, daß ich mich da irren kann -, gab es da sicherlich den einen Fall ebenso wie den anderen.

Zur Stadt:
Deiner Angabe zufolge waren also die Eltern bestimmend über den Ehepartner ihres Sprösslings bzw. deren Zustimmung war sehr wichtig. Warum verheiratete aber z.B. ein Bäcker seine Tochter mit einem Schneider? Hatte auch das wirtschaftliche Vorteile oder waren sie eher sozialer Natur?

Natürlich war da das grundsätzliche Bestreben z.B. eines ehrbaren Handwerksmeisters, seine Tochter bspw. nicht mit einem "dahergelaufenen armen Schlucker" zu verheiraten. Im günstigsten Fall sah man mW darauf, auch innerhalb der Zunft zu bleiben; später dann ab dem 14. Jh. - ergo im Spätmittelalter - schottete man sich diesbezüglich allgemein noch mehr regulativ ab.
 
Zum Mittelalter kann ich nicht viel sagen. Aber wenn Epochen davor diese "unsterbliche Liebe" kannten, warum nicht auch das MA - als Abklatsch der Antike?

Ein guter Einstieg für diese Liebe wäre der Roman Daphnis und Chloe von Longos, der eine solche "unsterbliche Liebe" beschreibt. Oder die Liebe des schönen Habrokomas zur ebenso schönen Anthia im Roman des Xenophon von Ephesos. Ein ganzer Roman um eine "romantische Liebe", die es eben nun mal weit vor der romantischen Literatur des 19 Jh. gegeben hat.

Insofern frage ich mich immer, wie man auf die Idee gekommen ist, erst die Wende zum 19 Jh. hätte diese Art der Liebe erfunden.
 
... Aber wenn Epochen davor diese "unsterbliche Liebe" kannten, warum nicht auch das MA...?
Insofern frage ich mich immer, wie man auf die Idee gekommen ist, erst die Wende zum 19 Jh. hätte diese Art der Liebe erfunden.
Die Liebe "als solche", die hier gemeint ist, hat es sicher immer gegeben, und ist auch nicht von einer bestimmten Ethnie ausgegangen, wie der Historiker G. Bizet fälschlicherweise postulierte.

Ich hatte das "Problem" so aufgefasst: Seit wann ist es in breiteren Bevölkerungskreisen üblich oder gestattet, bei der Aufnahme von dauerhaften Intimbeziehungen bzw. bei der Eheschließung der "Stimme des Herzens" zu folgen und sonstige Aspekte (Tradition, Tabus, Ökonomie, beschränkte Verfügungsmacht usw.) hintanzustellen?

... warum nicht auch das MA - als Abklatsch der Antike?
Extrem kühne Formulierung - und sicher ein neuer Diskussionsstrang!;)
 
Seit wann ist es in breiteren Bevölkerungskreisen üblich oder gestattet, bei der Aufnahme von dauerhaften Intimbeziehungen bzw. bei der Eheschließung der "Stimme des Herzens" zu folgen und sonstige Aspekte (Tradition, Tabus, Ökonomie, beschränkte Verfügungsmacht usw.) hintanzustellen?

Hierbei wäre imho noch kritisch zu hinterfragen, ob dies entgegen allgemeiner Ansicht heute überhaupt für "breite Bevölkerungskreise" tatsächlich der Fall ist. :fs:
 
Seit wann ist es in breiteren Bevölkerungskreisen üblich oder gestattet, bei der Aufnahme von dauerhaften Intimbeziehungen bzw. bei der Eheschließung der "Stimme des Herzens" zu folgen und sonstige Aspekte (Tradition, Tabus, Ökonomie, beschränkte Verfügungsmacht usw.) hintanzustellen?


Ich wage hier mal die kühne Behauptung, dass die gesellschaftliche Konvention der Liebesheirat eine Erfindung der Emanzipation ist, die sich nach und nach aus den Menschenrechten und Frauenrechten herauskristallisierte. (Ausnahmen bestätigen die Regel, Herrscher konnten sich manchmal durchaus leisten, unter mehreren Bewerbern den auszusuchen, der ihnen am meisten zusagte. Bsp. wäre Queen Victoria - auch wenn das schon die Neuzeit betrifft)
Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, ja selbst Anfang des 20. Jahrhunderts war es durchaus nicht immer so, dass die Liebe oberste Priorität hatte, in patriarchalischen Gesellschaften spielt die (GEGENSEITIGE) Liebe zum Teil selbst heute kaum bis gar keine Rolle bei der Eheschließung.

Speziell was das Mittelalter angeht, denke ich, wird sich jeder schwer tun eine klare Aussage zu formulieren. Während die Literatur die Liebe bzw. Minne und ihre Erfüllung als oberstes Glück betrachtet, waren die gesellschaftlichen Konventionen doch meist eher macht- und finanzpolitischer Natur. Zuneigung der Ehepartner kam vor, war aber keine zwingende Voraussetzung.
Zwar gab es auch im Mittelalter bereits die Idee der "maritalis affectus" sprich: der Ehe zweier einander zugeneigter Partner, dies war jedoch eher pro Forma - die Kirche weigerte sich einfach, Menschen zu verheiraten, die sich offensichtlich abgeneigt waren. (Inwieweit dies aber jemals irgendwelche Zwangsehen aus politischen Gründen verhindert hat, weiß ich nicht... vielleicht kann da jemand anders aushelfen :) )

Wirkliche Liebesehen zu belegen, wird denke ich auch recht schwierig werden, da die Laien-Literatur des Mittelalters extrem stilisiert ist und bestimmten Schemata folgt und die klerikale Literatur (z.B. Geschichtsschreibung) sich eher selten für die Gefühlswelten der Menschen interessierte und mehr an Fakten orientiert war.

Dennoch denke ich, dass die Ideale der höfischen und Minne-Literatur nicht von irgendwoher kommen, es muss also durchaus oft vorgekommen sein, dass Menschen sich zwar ineinander verliebten, aber nicht zueinander kamen (auf Grund von Unterschieden im Stand, z.B.). Wirkliche Liebesehen dürfte es nur dort gegeben haben, wo sich eben politische und private Interessen der Ehepartner zufällig trafen. Damit meine ich nicht die nach der Heirat evtl. entstehende Zuneigung zueinander, sondern die Liebe als Auslöser der Heirat.
 
Ich wage hier mal die kühne Behauptung, dass die gesellschaftliche Konvention der Liebesheirat eine Erfindung der Emanzipation ist, die sich nach und nach aus den Menschenrechten und Frauenrechten herauskristallisierte. ...

Ich kann dem gut folgen. Um die "Selbstbestimmung" insbesondere der Frauen ist es lange Zeit sicherlich nicht gut bestellt gewesen. Noch zwei kurze Zitate aus Aries/Duby (Geschichte des privaten Lebens, Frankfurt: Fischer 1990, Bd. 2):

  • "Gattenwahl. Um ein Verwandtschaftssystem analysieren zu können, müssen wir zunächst erkunden, 'wie die Männer in ihm die Frauen tauschten'. [...]" Das darf man nicht wörtlich nehmen, aber immerhin:] "Ein Vater 'gibt' seine Tochter in die Ehe, der Schwiegersohn 'nimmt' sie zur Frau - diese mittelalterlichen Wendungen waren sogar bei uns noch vor kurzem gebräuchlich." (S. 126, als Einleitung zu eingehenderen Betrachtungen zum Thema)
  • "Die Ehe. [...] die Mädchen wurden frühzeitig verheiratet. 1370 betrug im toskanischen Prato das Durchschnittsalter bei der Eheschließung sechzehn Jahre; 1427 lag es [...] in Florenz bei siebzehneinhalb. [...] In Siena begannen um 1350 die Eltern, an die Verheiratung ihrer Tochter zu denken, wenn sie zwölf Jahre alt war. [...]" Ende des 15. Jh. vollzog sich freilich ein deutlicher Anstieg des Heiratsalters. (S. 279)
Kinder in sehr früher Jugend zu verheiraten oder wenigstens zu "versprechen", widerspricht heutiger Anschauung. Ob die damalige geringere Lebenserwartung auch eine Rolle spielte, wage ich nicht zu entscheiden.
 
Kinder in sehr früher Jugend zu verheiraten oder wenigstens zu "versprechen", widerspricht heutiger Anschauung. Ob die damalige geringere Lebenserwartung auch eine Rolle spielte, wage ich nicht zu entscheiden.

Ich denke eher, dass es mit der allgemeinen ökonomischen Haltung zu tun hatte... ein "Maul" weniger zu stopfen. Gerade Kinder, die noch im Wachstum sind, können einem die "Haare vom Kopf fressen" , je früher man sie also jemand anderem "anhängt", umso besser für die eigenen Finanzen. Auch darf man nicht vergessen, dass gerade eine junge Dame von Stand mit entsprechender Garderobe ausgestattet sein will... was sicherlich auch ein Grund für die frühe Verheiratung war, wurde doch die finanzielle Belastung des Haushalts auf den Bräutigam geschoben.

Das einander "versprechen" dürfte eher politischem Zweck dienen... Wenn zwei Kinder einander versprochen sind, sind deren Familien sozusagen Verbündete, schließlich verfolgen sie ein gemeinsames Ziel. Und da man auch damals schon wusste, dass es nicht unbedingt immer Sinn macht, Kinder im Alter von sieben bis neun Jahren zu verheiraten, gleichzeitig aber vielleicht nicht bis zur Hochzeit warten wollte... usw.

Aber auch dies ist nur Vermutung :)
 
Grüße!

Also das nenne ich mal ein interessantes, nicht-kriegerisches Themengebiet!


Gut, also mal meine Sichtweise (mit keinem 100%igen Anspruch auf Richtigkeit)

Rein psychologisch gesehen (ich habe mich im Rahmen meiner Schulbildung und aus privatem Interesse etwas mit Psychologie befasst) ist es mit der Liebe im Mittelalter so (ich bitte um Entschuldigiung für die lange, trockene Erklärung):

Im Grunde genommen ist das Gefühl der Verliebtheit genau genommen (alle Romantiker, bitte nicht sauer sein, ich glaube sehr wohl an die wahre Liebe) ein chemischer Prozess (Pheromone), bei dem gleichzeitig die Evolution eine grosse Rolle spielt (der Wunsch nach Sicherheit; der Grund warum Reichtum anziehend wirkt). Selbstverständlich allerdings spielt auch der Charakter eine Rolle.

Diese zwei Faktoren sind am Anfang einer Beziehung ausschlaggebend, und je nachdem Charakter der Partner hält eine Beziehung mithilfe eines solchen Chemiecocktails länger oder kürzer.

Dieser Chemiecocktail ist aber von der Wirkungsweise aus betrachtet ähnlich wie die Wirkung von Koffein oder Drogen dh. man braucht immer mehr, um die gleiche subjektiv empfundene Wirkung zu erzielen. Da der Körper aber keine Industriemacht ist und so quasi nicht noch mehr "Chemiefabriken" erbauen kann, beginnt nun eine kritische Phase einer Beziehung, die für viele Ehen der Knackpunkt ist.

Dann zählen meistens andere Faktoren, und das ist der wahre Prüfstein einer Beziehung. Hier spielen dann Faktoren wie Freundschaft zw. den Beziehungspartnern, äusserliche Gesellschafts- und Umwelteinflüsse eine große Rolle, und sind entscheidend was Glück und Unglück einer Beziehung bzw. für ihr Fortbestehen.

So, nun was heißt dieser Fachroman (wie vorher gesagt, kein Anspruch auf richtigkeit, da ich 1. keine Erfahrung in Beziehungsfragen habe und 2. meine psychologische "Ausbildung" doch schon länger zurückliegt) für die Liebe im Mittelalter:

Höchst wahrscheinlich gab es im Mittelalter sehr wohl "Liebe" wie wir sie heute kennen, genau so wie Liebeshochzeiten (wie vorher bereits geschrieben) und es auch arrangierte Hochzeiten gab. Besonders sicher bin ich mir dabei, wenn es von den Schichten her (Bevölkerungspyramide) von unten nach oben ging also von arm nach reich, und reich nach reich, aber kaum reich auf arm.

Die andere Frage natürlich ist, ob es glückliche Ehen waren: Bei arrangierten Hochzeiten sage ich lieber nichts, aber bei den Liebeshochzeiten ist es eine andere Frage: Gab es eine freundschaftliche Basis, war alles in Ordnung, aber war diese Basis nicht vorhanden, wurden die Ehen zwangsweise durch den gesellschaftlichen Druck, der besonders durch die die klerikalen Kräfte ausgeübt wird, eine Scheidung unmöglich, und sie werden zwangsweise zueinander gepresst (es wird quasi von der Liebesehe zur Zwangsehe).

Also, das ist mal meine Sichweise, und bin gerne bereit, dazuzulernen.

Grüße

SK
 
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... das ist mal meine Sichweise, und bin gerne bereit, dazuzulernen.

Ich erlaube mir, einen Punkt dazu aufzugreifen...

Die andere Frage natürlich ist, ob es glückliche Ehen waren: Bei arrangierten Hochzeiten sage ich lieber nichts...

Das hatten wir bereits: wie ich schon ausgeführt hatte, konnte es auch in solchen Fällen durchaus zu glücklichen Ehen kommen. Dies läßt sich aber ebensowenig verallgemeinern wie das Gegenteil, das es genauso gab: daß die Ehe nämlich alles andere als glücklich war.

... aber bei den Liebeshochzeiten ist es eine andere Frage: Gab es eine freundschaftliche Basis, war alles in Ordnung, aber war diese Basis nicht vorhanden, wurden die Ehen zwangsweise durch den gesellschaftlichen Druck, der besonders durch die die klerikalen Kräfte ausgeübt wird, eine Scheidung unmöglich, und sie werden zwangsweise zueinander gepresst (es wird quasi von der Liebesehe zur Zwangsehe).

In diesem Tenor klingt es mE zu sehr nach "die ach so abgrundtief böse Kirche hat unglückliche Ehen geradezu bestärkt".
Sagen wir es so: nach christlichem Verständnis war die Ehe - ob nun arrangiert oder als Liebesheirat und ob nun unglücklich oder glücklich - natürlich unauflöslich/unauflösbar.
Aber es gab auch dabei Ausnahmeregelungen:
1. wenn sich herausstellte, daß die Ehepartner zu nahe verwandt waren (das fiel kurioserweise niemandem vor bzw. bei Eheschluß auf)
2. wenn die Ehe kinderlos blieb - denn ohne Kinder konnte die Ehe als "nicht vollzogen" erklärt werden - bzw. insbesondere bei Ausbleiben männlicher Nachkommen - hierbei griff man dann auch gern zur Begründung unter 1. zurück*
3. bei ernsthafter schwerer geistiger Erkrankung eines Ehepartners u. dgl.

* Ein Beispiel dafür liefert folgender Fall, wo die Auflösung der Ehe sogar Gegenstand eines Konzils war:
ludwig_7_der_junge_koenig_von_frankreich_+_1180
eleonore_von_aquitanien_koenigin_von_frankreich_und_england_+_1204

Anm.: Wenn wir uns dabei allerdings an der christlichen Sichtweise reiben, dürfen wir dennoch nicht darüber hinwegsehen, daß das Zustandekommen derart unglücklicher Ehen gewöhnlich nicht durch Angehörige des Klerus erfolgte, sondern durch die betreffenden Familien - es sei denn, wir haben bspw. einen Fall von hohen Klerikern, die selbst Nachkommen hatten.



PS: Nicht gegen Dich, aber allgemein in die Runde möchte ich noch eine grundsätzliche Bemerkung abgeben.
Man mag ja das Mittelalter als Epoche nicht sonderlich schätzen, aber es ist weder der Diskussion noch dem Thema selbst geholfen, wenn dieser persönliche Gusto immer wieder durchklingt...
:fs:
 
Gut, die annulierungsgründe sind schon klar, aber wie du gesagt hast, war die Ehe zwischen zwei "normalen" Partnern unauflöslich.

Weiters meine ich nicht die Kirche selbst, sondern die durch Sie geprägte Gesellschaft als "klerikalen" Druck, da er ja im Grunde der Meinung der Kirche entspricht und Natürlich trat der Fall der unglücklichen Ehen vor allem ausserhalb der klerikalen Kreisen auf.

Das heißt, nicht die Kirche, sondern die Beziehungspartner und die Umwelt (Gesellschaft) machen die Ehen zu Himmel oder Hölle (schönes Beispiel: Bauerndörfer, in denen die meisten Einwohner konservativ sind. Hier sind Scheidungen zwar meistens seltener, was aber kein indikator für glück oder unglück ist, sondern einfach, das die Scheidung tabu ist.).

Ich persönlich erachte das Mittelalter nicht als "Finster" oder eine "schreckliche Zeit" sondern als Neutral, da ja die wirklich schrecklichen Sachen eigentlich später geschehen sind.
 
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