Ich hole das hier mal aus der Versenkung und kommentiere einige Sachen:
Broetchen schrieb:
Haben die immer gewusst, welches Jahr aktuell gewesen ist? War es überhaupt nötig, es zu wissen?
Im Grunde genommen bringst Du Dich selbst schon in eine Richtung, die auf Beantwortung der Frage abzielt. "War es nötig, es zu wissen?" Ich meine nicht, dass die Frage, in welchem Jahr man sich nun befindet, eine große Relevanz für das tägliche Leben des agrarisch geprägten Landbewohners hatte. Für ihn war, wie EQ schon richtig sagte, wichtig, dass er die Wochentage kennt, um den durch die Schöpfungsgeschichte begründeten 7-Tage-Rhythmus einzuhalten und das freitägliche Fastengebot zu befolgen. Was ansonsten für die Erfüllung der kirchlichen Fastengebote vonnöten war, erfuhr man kurzfristig vom örtlichen Geistlichen und im Laufe des Lebens entwickelte man sicherlich auch ein Gefühl dafür. (Beispielsweise: "Aha, jetzt war Aschermittwoch, dann ist am nächsten Sonntag ein Quatembertag!" - und falls man als lothringischer Bauer des 13. Jahrhunderts nichts mit dem Begriff anfangen konnte, so wusste man doch, dass es ein Tag ist, wo man fasten muss.)
Doch war es wirklich notwendig, das Jahr zu kennen? Ich meine, dass diese Frage nur für die gelehrten Schichten des Mittelalters mit einem "Ja" zu beantworten ist. Wohlgemerkt meine ich damit das Früh- und Hochmittelalter. Die Situation wandelt sich im Spätmittelalter, als das Leben sich langsam von einem Dasein zu einem Geschäft wandelte. (Jaja, auch der gute alte Burkhardt ist doch hin und wieder noch für einen plakativen Slogan gut...)
Mir ging es halt in erster Linie wirklich um das Jahr. Mich haben da verschiedene Dinge stutzig gemacht. Von einigen bekannten historischen Persönlichkeiten sind beispielsweise keine Geburtsdaten bekannt. Da wurden dann nur die Sterbedaten aufgeschrieben.
Warum auch sollte man Geburtsdaten aufschreiben? Die Geburt war ja lediglich der Eintritt in das irdische Leben, das qualitativ weit unter dem stand, was einem nach dem Tod erwartete. Dieses Leben diente nur zur Vorbereitung auf das, was sich in der Ewigkeit tun wird. Ich möchte (mich und) euch schonen und nicht in die verzwickten, philosophiebeladenen aber dennoch unheimlich reizvollen Debatten über diese Causa einsteigen. Ein Hinweis auf Augustinus soll genügen, der sagt, dass das irdische Leben eben darum unvollkommen ist, weil wir hier nie glücklich werden können. Das Streben nach Glückseligkeit sei das, was das einzig relevante für den Menschen ist. Da die paar Jahrzehnte, die uns auf der Erde geschenkt sind, begrenzt sind, ist hier die Glückseligkeit stets mit einem Makel behaftet - dem der Endlichkeit und eben dieser macht die Glückseligkeit unvollkommen.
Mit dem Tod jedoch tritt der Mensch ins Jenseits ein - ein Tag, an dem er (falls er zu den besonders Privilegierten gehört) sogleich zur Anschauung Gottes gelangen kann. Und das ohne zeitliche Begrenzung, jetzt fängt für ihn der Spaß erst richtig an, um es salopp auszudrücken. Das ist übrigens auch der Grund, warum man die Gedenktage der Heiligen immer an ihrem Todestag begeht - dem Tag, an dem sie zur ewigen Glückseligkeit wechseln. (Namenstage von Heiligen, die am Tag von deren Translation begangen werden, bilden hier eine Ausnahme, weil sie zunächst eine regionale Tradition hatten und die besondere Freude der Erlangung von Reliquien für eine bestimmte Kirche ausdrücken.)
Und wann hat sich das ungefähr geändert? Ab welchem Jahrhundert wusste man üblicherweise sein Geburtsjahr?
Kirchenbücher mit Geburts- und Taufdaten gibt es in breiter Streuung erst seit der frühen Neuzeit. (Die Beschlüsse des Tridentinums waren hier maßgeblich, aber das würde jetzt zu weit führen.) Wobei hin und wieder nur das Taufdatum überliefert ist - was ja von Mercy schon gegenüber dem Geburtstag hervorgehoben wurde. Über mittelalterliche Sterbedaten erfahren wir zumeist aus Nekrologien, bei bedeutenden Persönlichkeiten gelegentlich aus Annalen oder sonstigen historiographischen Werken. Geburtsjahre lassen sich zurückrechnen, wenn ein Chronist etwas über sein eigenes Alter oder über das von genannten Personen schreibt. Spontan fällt mir hier Hermann von der Reichenau ein, von dem uns genaue Lebensdaten überliefert sind. Leider funktioniert die Seite der digitalen Monumenta gerade nicht, so dass ich die betreffenden Stellen nicht nachsehen kann.
Das soll aber nicht heißen, dass das die Regel war, sondern es ist eine Ausnahme, dass so viele Details bekannt sind. Hermann war ein Adliger, der schon früh ins Kloster eintrat und dort klösterliche Bildung erfuhr.