Die meisten "Palästinenser", die es schon vor etlichen Jahrzehnten nach Südamerika verschlug, waren eher Angehörige der Oberschicht und vielfach Christen oder säkulär - kann man also absolut nicht mit den heutigen Zuständen in Gaza vergleichen.
Nachfahren dieser Leute sind der argentinische Ex-Präsident Carlos Menem oder die Sängerin Shakira.
Menem stammt eigentlich von Syrern ab, Schakira so weit ich mich erinnere auch. Die Palästinenser sind überwiegend nach Chile ausgewandert, es gibt aber einige Gemeinden z.B. am Dreiländereck zwischen Argentinien, Paraguay und Brasilien so wie an der Grenze zwischen Uruguay und Brasilien.
RA schrieb:
Die Auswanderergruppe dieses Namens ist wohl in erster Linie auf die gemeinsame geographische Herkunft bezogen. Du schreibst ja, daß da auch Juden dazu gehörten. Diese Auswanderer werden sich nicht als Volk empfunden haben. Wir haben z. B. in unserer Stadt einen Verein der Niedersachsen, die machen auch regelmäßig Stammtische - ich würde deswegen nicht von einem niedersächsischen Volk sprechen.
Die eigene Identität entwickelt sich meistens durch den Kontrast mit Anderen. Palästinensische Christen und Juden haben in der Südamerikanischen Fremde noch deutlicher festgestellt, was sie gemeinsam hatten, was sie zu Hause wohl schon durch Osmanische und später Britische Fremdherrschaft zu spüren bekamen. Ob dieses Bewustsein, so wie das, was sich in den Politischen Bewegungen in Palästina entwickelte, nun schon alle Bestandteile hatte, die ein Staatstragendes Volk definitionsgemäß ausmachen, kann man wohl diskutieren. Dass eine gemeinsame Identität schon um die Jahrhundertwende vorhanden war, lässt sich mit diesen Beispielen jedoch nachweisen. Andere Länder haben mit weniger angefangen, bzw. haben sie noch größere innere Kontraste (schau mal auf Spanien mit mindestens 4 großen Sprachgruppen oder selbst auf den Libanon)
Übrigens hat schon T.E. Lawrence in den Sieben Säulen der Weisheit zwischen Syrern, Libanesen (als besonderer Teil der Syrer), Irakern und Palästinensern (und Beduinen) deutlich unterschieden.
RA schrieb:
Die modernen "Palästinenser" setzen sich anders zusammen. Z. B. ist ein großer Teil von ihnen (vielleicht die Mehrheit) Nachkommen von Leuten, die erst nach 1900 als Einwanderer nach Palästina kamen (z. B. als Landarbeiter für jüdische Siedler). Die hätten in Südamerika als "Syrer" o.ä. gegolten. Umgekehrt ist es heute natürlich undenkbar, daß jüdische "Palästinenser" akzeptiert würden.
"Palästinenser" als Volk gibt es also erst seit 1968 (oder rudimentär ab 1948).
Das jüdische Palästinenser heute nicht mehr als solche gelten hat nun wohl direkt mit der Geschichtlichen Entwicklung nach 1948 zu tun.
Es gab aber definitiv auch nach 1948 Juden auf der anderen Seite der Demarkationslinie die ein Zugehörigkeitsgefühl zum alten Palästina hatten, so wie auch viele jüdische Ägypter, Libanesen und Syrer nicht diese Länder verlassen wollten und es erst als Folge der Kriege (bzw. durch Ereignisse wie die "Operation Susanna") machen mussten.
Dass "ein großer Teil" der heutigen Palästinenser erst nach 1900 als "Landarbeiter" nach Palästina kamen, ist ein belegloser Propagandamythos, der gerne von interessierten Stellen verbreitet wird (z.B. Netanjahu hat es mal von sich gegeben).
Was schon zutrifft, ist dass sich die Bevölkerungsstruktur änderte, da die frühere Mittelschicht, die überwiegend aus Christen bestand, auswanderte da sie dazu die Mittel und die Aufnahmeländer hatte, während die ärmere muslimische Landbevölkerung zurück blieb.
Einige der Gründer und frühen Kader von PLO und Fatah so wie radikaleren Gruppen wie Schwarzer September waren jedoch Christen.