Kalkriese als Ort der Varusschlacht zweifelhaft

Das ganze habe ich aus den Beiträgen hier im Forum zu diesem Thema so entnommen, dass dem nicht so sein soll.

Mittlerweile hast du ja einen Aufsatz aufgetrieben, der zeigt, dass dem offenbar doch nicht so ist. Danke dafür. :yes:

Das verstehe ich nicht. :confused:

Wenn die von Cato d.Ä. zitierte Aufzählung bei Wolters abschließend ist, gibt es also keine Funde zerkratzter Münzen in Rheinlagern. Ist sie abschließend?


Dennoch scheint es mir so zu sein, dass dieser Befund weiterhin sehr erklärungsbedüftig ist. Vor allem ist doch interessant, dass wir solche Münzen auch abseits des Rheins in Augsburg haben. Interessant wäre aber sicher auch, ob solche Münzen auch jenseits von Germanien existieren.

Auf jeden Fall. Ein kniffliges Problem macht die Sache gleich noch spannender. :D
 
Das verstehe ich nicht. :confused:

Wenn die von Cato d.Ä. zitierte Aufzählung bei Wolters abschließend ist, gibt es also keine Funde zerkratzter Münzen in Rheinlagern. Ist sie abschließend?

Gibt es nun Funde in den Rheinlagern?

Wenn nicht, dann ist wirklich die Frage, ob das so verwunderlich wäre. Die Lager am Rhein waren nunmal wesentlich länger in Betrieb als die im Inneren von Germanien.
In Kalkriese wurde gekämpft. Die Münzen gelangten in den Boden, blieben dort liegen. In Haltern müßte es ähnlich gewesen sein. Sollten diese Münzen wirklich mit dem Aufstand 14 n.Chr. zu erklären sein, dann ist es logisch, daß man solche in Anreppen nicht gefunden hat.

In den Lagern am Rhein waren diese Münzen aber wahrscheinlich noch über Jahre offizielles Zahlungsmittel. Vieleicht sind sie aber dort auch (gegen neue) ausgetauscht worden?
 
Gibt es nun Funde in den Rheinlagern?

Wenn nicht, dann ist wirklich die Frage, ob das so verwunderlich wäre. Die Lager am Rhein waren nunmal wesentlich länger in Betrieb als die im Inneren von Germanien.
In Kalkriese wurde gekämpft. Die Münzen gelangten in den Boden, blieben dort liegen. In Haltern müßte es ähnlich gewesen sein. Sollten diese Münzen wirklich mit dem Aufstand 14 n.Chr. zu erklären sein, dann ist es logisch, daß man solche in Anreppen nicht gefunden hat.

In den Lagern am Rhein waren diese Münzen aber wahrscheinlich noch über Jahre offizielles Zahlungsmittel. Vieleicht sind sie aber dort auch (gegen neue) ausgetauscht worden?

Die Logik erschließt sich mir nicht. Je länger ein Lager genutzt wurde, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass dort Münzen verloren gegangen sind, die heute bei archäologischen Grabungen gefunden werden können. Meines Wissens gibt es nichts was das Lager Haltern mit dem Schlachtfeld von Kalkriese vergleichbar machen würde. Haltern ist nicht erobert worden. Was dort an Münzen gefunden wurde, kann nicht während einer Schlacht aus der Tasche eines getöteten Legionärs gefallen sein.

Nebenbei: In dem Münzsammler-Forum, zu dem ich einen Link gepostet hatte, ist die Rede von einem Numismatiker, der zerstochene Münzen aus Anreppen untersucht hat. Dort heißt es, der Experte sei zu dem Schluss gekommen, dass sich die Einstiche auf den Anreppener Münzen statistisch gleichmäßig über die ganzen Münzflächen verteilen und demzufolge keine gezielte Beschädigung des Augustusportraits festzustellen sei. Möglicherweise ist diese Information ja falsch. Vielleicht ist sie aber auch richtig und Wolters (war doch Wolters, oder?) bezieht Anreppen-Münzen deshalb nicht in seine Überlegungen ein.

MfG
 
Zuletzt bearbeitet:
So interessant der Hintergrund ist, für die hiesige Fragestellung bleibt im Fokus, ob diese Münzen aus der Meuterei 14. n.Chr. stammen und somit bei Kalkriese einen berechtigten Zweifel an der Varusschlachttheorie stützen.
Und da steht zum einen der Fund solcher Münzen in Waldgirmes dagegen, da man ja bislang davon ausgeht, dass dieser Ort nach der Varusschlacht eilig verlassen wurde.
Und nach wie vor wäre es der massivste Fall von Personenverwechslung. Meint man Tiberius und zerkratzt hunderte (oder tausende?) Münzen mit dem Bild des Augustus, so ist die Aussage dahin, zumal es Münzen, auch "Kleingeld" mit dem Abbild des Tiberius gibt.
RIC² 239 var.
RIC² 240 (R); CBN 1739
RIC² 241a (R2); AMC 405
RIC² 241b (R2); AMC 375
RIC² 242 (R4); AMC 389
usw. usf.
Dabei vertreten sind Asse, Sesterzen und sogar Semes.
Man sollte meinen, dass diese, zumeist in den Jahren 8 bis 10 n.Chr. aufgelegten Münzen das Ziel solcher Aktionen wären, zumindest aber ein Ziel anstelle der Augustusbilder bieten würden.
 
Hallo, Gemeinde!

Nachdem ich ein paar Tage gestöbert, in dem Numismatikerforum rumgelesen und gegrübelt habe, wage ich mal eine für mich vorläufige Zusammenfassung zu der Kratzmünzfrage.

Als gegeben betrachte ich (bis zum Beweis des Gegenteils) folgende Punkte:

- Mutwillig zerstochene Münzen sind aus dem ganzen römischen Reichsgebiet bekannt (zum Beispiel Münzen mit den Abbildern von Nero und Caligula). Aber sie tauchen im Fundgut regelmäßig nur selten auf.

- Germanien unterscheidet sich diesbezüglich vom übrigen römisch kontrollierten Gebiet grundlegend, weil:
a) ausschließlich Kupfer-Asse betroffen sind,
b) die Beschädigungen massenhaft auftreten und
c) die Funde auf Militärplätze beschränkt sind. Weit voneinander entfernt liegende Militärplätze.

Daraus ziehe ich (ebenfalls bis zum Beweis des Gegenteils) folgende Schlüsse:

- Es kann zwar nicht abschließend beurteilt werden, ob zerstochene Münzen auch außerhalb Germaniens aufgetaucht sind. Da bisher niemand einen Hinweis auf sowas finden konnte, gehe ich aber davon aus, dass die Münzstecherei ein "Brauch" war, der sich in Germanien entwickelt und ausgebreitet hat, aber auf Germanien selbst beschränkt geblieben ist.

- Da nur "Kleingeld" beschädigt wurde und das Phänomen zwar massenhaft, aber nur an Militärstandorten nachweisbar ist, gehe ich davon aus, dass römische Militärangehörige (Legionäre und/oder Hilfstruppensoldaten) für die Beschädigungen verantwortlich sind.

- Da das Münzstechen nur innerhalb Germaniens verbreitet war, kann der Brauch nur während der römischen Präsenz bestanden haben - also vor dem Rückzug und der Abkehr von der Okkupationspolitik.

- Dass nach dem Rückzug weder der Brauch noch die bereits beschädigten Münzen auch außerhalb Germaniens nachweisbar werden, lässt sich nur auf zwei Arten erklären:
a) Mit dem Rückzug verschwand der Anlass für die Münzstecherei und sämtliche zerstochenen Münzen wurden in Germanien zurückgelassen.
b) Die zerstochenen Münzen, die mit dem Rückzug ins linksrheinische Gebiet gelangten, wurden dort planmäßig aus dem Verkehr gezogen. Die Münzstecherei endete, weil die Soldaten keinen Anlass mehr dafür sahen oder weil derlei "Protestaktionen" unterbunden wurden (Ich persönlich halte Variante b) für wahrscheinlicher: Kratzmünzen wurden getauscht und neu geprägt; Legionäre, die nach dem Umtausch noch mit zerkratzten Münzen bezahlen wollten, musste mit Prügelstrafe rechnen).

MfG
 
Die Logik erschließt sich mir nicht. Je länger ein Lager genutzt wurde, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass dort Münzen verloren gegangen sind, die heute bei archäologischen Grabungen gefunden werden können. Meines Wissens gibt es nichts was das Lager Haltern mit dem Schlachtfeld von Kalkriese vergleichbar machen würde. Haltern ist nicht erobert worden. Was dort an Münzen gefunden wurde, kann nicht während einer Schlacht aus der Tasche eines getöteten Legionärs gefallen sein.

MfG

Ich wollte Kalkriese nicht mit Haltern vergleichen.
In Kalkriese hat eine Schlacht stattgefunden. Offensichtlich sind solche Münzen auf dem Schlachtfeld verblieben. Das Lager in Haltern muß wohl im Zuge der Varusschlacht aufgegeben worden sein. Vieleicht ist Haltern=Aliso und für die Germanicusfeldzüge wiederhergestellt worden. Jedenfalls hat es seit 16 n.Chr. ebenfalls nicht mehr bestanden. Das wäre eine mögliche Erklärung bezügl. der Aufstandstheorie hinsichtlich der Münzen.

Die Lager am Rhein waren z.T. wesentlich länger in Betrieb. Sie sind teilweise auch weitergebaut worden, von der ursprünglichen Holz/Erde Bauweise zu Steinbauten. Das könnte Auswirkungen auf die Fundlage haben. Es kann aber auch sein, daß linksrheinisch diese Münzen ausgetauscht wurden.
 
Zuletzt bearbeitet:
@ Tib. Gabinius: die Kalkriese-Varus-Kritiker (Wolters z.B.) haben ja die These, daß keine neuen Münzen, die nach den in Kalkriese gefundenen geprägt wurden, bis 16 n. Chr. in die Germania gebracht wurden. Daher fehlte den Legionären dann 14 n. Chr. eben der geeignete böse Caesar für das Rumstechen, daher nahm man den alten. Sonderlich überzeugend finde ich das allerdings nicht.

@ Maelonn: sehr gute Zusammenfassung. Von meinem Glauben an germanische Zerstörungen bin ich auch ab. Gefühlsmäßig spekulierend, scheint mir hier eine längere Zeit gepflegte "Mode" von in Germanien stationierten Soldaten vorzuliegen, vielleicht in einer Einheit aus wer weiß, was für Gründen, üblich. Vielleicht paßte da wem was nicht. Man könnte aber auch an harmloseres, Irrationales denken, was beim Militär auch heute nicht ganz selten ist, so nach dem Motto, gehörst du zur 17., hast du zerstochene Münzen (zugegeben, etwas sehr spinnert, denke gerade an bestimmte Barettwinkel bei bestimmten Einheiten oder so was :D).
 
@ Tib. Gabinius: die Kalkriese-Varus-Kritiker (Wolters z.B.) haben ja die These, daß keine neuen Münzen, die nach den in Kalkriese gefundenen geprägt wurden, bis 16 n. Chr. in die Germania gebracht wurden. Daher fehlte den Legionären dann 14 n. Chr. eben der geeignete böse Caesar für das Rumstechen, daher nahm man den alten. Sonderlich überzeugend finde ich das allerdings nicht.
Ist vor allem aber auch deswegen nicht sonderlich überzeugend, da es ja auch schon vor 14 Münzen mit dem Bild des Tiberius gibt. Wenn man also 14 schon Münzen mit dessen Bild zerstören wollte und leider noch keine aktuellen Münzen mit Tiberius zur Hand hatte, dann hätte man sicher die älteren, schon vorhandenen nehmen können, anstatt den alten Kaiser zu treffen, aber den neuen zu meinen.
 
Ist vor allem aber auch deswegen nicht sonderlich überzeugend, da es ja auch schon vor 14 Münzen mit dem Bild des Tiberius gibt. Wenn man also 14 schon Münzen mit dessen Bild zerstören wollte und leider noch keine aktuellen Münzen mit Tiberius zur Hand hatte, dann hätte man sicher die älteren, schon vorhandenen nehmen können, anstatt den alten Kaiser zu treffen, aber den neuen zu meinen.

Moin

Sind denn diese Tiberius-Münzen rechtsrheinisch schon gefunden worden?

Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, schreibt Wolters, dass rechtsrheinisch noch keine/ganz wenige Münzen gefunden wurden, die zur Zeit der Germanicus-Feldzüge geprägt wurden!?
Wolters schließt daraus, dass frisch geprägte Münzen erst sehr spät die Truppen in Germanien erreichten.


Was die Erkennbarkeit des Konterfei auf den Münzen angeht, so glaube ich nicht, dass die meisten Soldaten die verschiedenen Persönlichkeiten auseinander halten konnten!

Test: nehmt die verschiedenen Variaten der 2 DM Münze (Konterfei von Adenauer, Heuss, Schumacher, Erhard, Strauß und Brandt) und macht mal eine Umfrage bei einfachen BW-Soldaten. Kann mir nicht vorstellen, dass die meisten die "Köpfe" richtig benennen können. Und dabei ist der Bildungsstand der BW-Soldaten sicher höher als der der ehemaligen Legionssoldaten!

Langer Rede kurzer Sinn: wenn Legionäre unzufrieden mit dem Staat waren, dann haben sie jede verfügbare Münze beschädigt, egal wer darauf abgebildet war. Denn jede Münze repräsentiert den Staat!
 
@ Tib. Gabinius: die Kalkriese-Varus-Kritiker (Wolters z.B.) haben ja die These, daß keine neuen Münzen, die nach den in Kalkriese gefundenen geprägt wurden, bis 16 n. Chr. in die Germania gebracht wurden. Daher fehlte den Legionären dann 14 n. Chr. eben der geeignete böse Caesar für das Rumstechen, daher nahm man den alten. Sonderlich überzeugend finde ich das allerdings nicht.
Bei einer, vielleicht auch zwei Emissionen oder solchen aus Prägestätten am anderen Ende des Reiches könnte ich das gut glauben. Aber hier geht es um eine ganze Reihe von Emissionen die ab 8 n.Chr. in Lugdunum geprägt wurden.
Wie diese NICHT in die Hände der Truppen gekommen sein sollen, zumal neu ausgehoben, ist mir nicht verständlich.
 
Sind denn diese Tiberius-Münzen rechtsrheinisch schon gefunden worden?
Muß ich passen, würde mich überraschen, wenn von den unten angeführten keine einzige dabei wäre.

Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, schreibt Wolters, dass rechtsrheinisch noch keine/ganz wenige Münzen gefunden wurden, die zur Zeit der Germanicus-Feldzüge geprägt wurden!?
Aber um die geht es eben hier nicht. Die unten von mir aufgeführten Münzen wurden zwischen 8 und 10 n.Chr., z.T. also sogar vor der Varusschlacht geprägt. Zwischen der Meuterei und den frühesten Münzen mit Bildnis des Tiberius liegen also sechs Jahre.
Was die Erkennbarkeit des Konterfei auf den Münzen angeht, so glaube ich nicht, dass die meisten Soldaten die verschiedenen Persönlichkeiten auseinander halten konnten!
Mussten sie ja auch nicht. Dafür gabs die Legende. DIe sagt ihnen überdeutlich wer da zu sehen ist.
TI CAESAR AVGVST F IMPERAT V
Tiberius Caesar, Sohn des Augustus, 5 mal zum Imperator ausgerufen.


Test: nehmt die verschiedenen Variaten der 2 DM Münze (Konterfei von Adenauer, Heuss, Schumacher, Erhard, Strauß und Brandt) und macht mal eine Umfrage bei einfachen BW-Soldaten. Kann mir nicht vorstellen, dass die meisten die "Köpfe" richtig benennen können. Und dabei ist der Bildungsstand der BW-Soldaten sicher höher als der der ehemaligen Legionssoldaten!
Nicht was die Staatsführer angeht. Wo das Heer war, da war auch ein Konterfei des Kaisers und seines designierten Nachfolgers. Die Soldaten wurden direkt auf ihn eingeschworen, wenn sie schon Tiberius (ihren Heerführer) nicht gekannt hätten, so sicherlich Augustus. Ein imagnifer führte ein Bildnis des Kaisers mit der Truppe, in den Kasernen standen Statuen, auf den Foren standen Statuen, auf den Münzen wurden sie gezeigt usw. usf.
Gerade um die Staatsführer wurde ein Personenkult getrieben, der es den Soldaten nahezu unmöglich machte, ihren Kaiser NICHT zu kennen. Das geht eben so weit, dass die Gattinnen der Kaiser neue Frisuren en vogue machten, die sich dann prompt auf den zivilen Bildern und Statuen wiederfinden.

Langer Rede kurzer Sinn: wenn Legionäre unzufrieden mit dem Staat waren, dann haben sie jede verfügbare Münze beschädigt, egal wer darauf abgebildet war. Denn jede Münze repräsentiert den Staat!
Ah ja, darum finden wir so viele zerkratzte Domitianbilder? Nach seiner Ermordung waren sie recht unzufrieden...
Und auch die Münzen vor Vitellius oder Vespasian weisen einen erheblichen Mangel an zerkratzten "Obrigkeitsdarstellungen" auf. Römische Soldaten waren öfter unzufrieden. Einen blinden Anarchismus zu unterstellen, zumal gegen einen der eher beliebteren Kaiser setzt sich nicht angemessen mit dem Personenkult auseinander, der damals betrieben wurde.
 
...
Mussten sie ja auch nicht. Dafür gabs die Legende. DIe sagt ihnen überdeutlich wer da zu sehen ist.

Konnten das denn die meisten Legionäre lesen?

Ein imagnifer führte ein Bildnis des Kaisers mit der Truppe, in den Kasernen standen Statuen, auf den Foren standen Statuen, auf den Münzen wurden sie gezeigt usw. usf. ...

...Gerade um die Staatsführer wurde ein Personenkult getrieben, der es den Soldaten nahezu unmöglich machte, ihren Kaiser NICHT zu kennen.

Den Imagnifer kannte ich noch nicht. Danke für den Hinweis!

Ich sehe allerdings schon einen Unterschied, ob man seinen Staatsführer kennt oder ob man ihn auch (auf Münzen) erkennt! So fotorealistisch waren die Abbildungen ja nun auch nicht!


Ah ja, darum finden wir so viele zerkratzte Domitianbilder? Nach seiner Ermordung waren sie recht unzufrieden...
Und auch die Münzen vor Vitellius oder Vespasian weisen einen erheblichen Mangel an zerkratzten "Obrigkeitsdarstellungen" auf. Römische Soldaten waren öfter unzufrieden. Einen blinden Anarchismus zu unterstellen, zumal gegen einen der eher beliebteren Kaiser setzt sich nicht angemessen mit dem Personenkult auseinander, der damals betrieben wurde.

Klar waren die Legionäre öfter unzufrieden, doch gibt es halt verschiedene Ursachen für Unzufriedenheit.

Wenn ich zu meiner BW-Zeit mit dem Spieß oder Kompaniechef unzufrieden war, habe ich ja nicht gleich auf den Staat geschimpft. Wenn die mich damals nach Afghanistan geschickt hätten, sähe es schon anders aus.

Und was die Beliebtheit eines Kaisers angeht, so kann sich diese gerade bei einem gesteigerten Personenkult auch sehr schnell umkehren. Aktuelle Beispiele gibt es ja reichlich.

Beste Grüße
Andreas
 
Konnten das denn die meisten Legionäre lesen?
Ja, und die wirklichen Analphabeten im Heer dürften es durchaus verstanden haben, spätestens durch die Kameraden und den Vergleich.

Ich sehe allerdings schon einen Unterschied, ob man seinen Staatsführer kennt oder ob man ihn auch (auf Münzen) erkennt! So fotorealistisch waren die Abbildungen ja nun auch nicht!
Eben. Augustus selbst dürften im ersten Jahrzehnt des ersten Jahrunderts nur wenige Soldaten wirklich "hautnah" erlebt haben. Aber sein idealisiertes Konterfei, wie etwa die wirklich berühmte Statue vom Typ Primaporta, hatten sie ständig vor der Nase. Andersrum wird also eher ein Schuh draus. Die Meisten Soldaten hätten den alten Mann nicht erkannt, wenn sie ihn in angerempelt hätten, aber sein idealisiertes, ewig jung und damit gleich bleibendes Konterfei kannten sie.

Klar waren die Legionäre öfter unzufrieden, doch gibt es halt verschiedene Ursachen für Unzufriedenheit.
So viele sind es i.d.R. auch nicht. Meist geht es um Geld, Dienstzeiten und Arbeitsbedingungen oder alles zusammen. Die Ernährung ist nur selten ein Grund. Und, mit Verlaub, man muss schon wirklich zu den Waffen greifen wollen, wenn man sich mit der "Obrigkeit" als solche anlegt, und das war in Pannonien offensichtlich nicht der Fall und auch in Germanien kam es nicht zur vollkommenen Abspaltung.

Wenn ich zu meiner BW-Zeit mit dem Spieß oder Kompaniechef unzufrieden war, habe ich ja nicht gleich auf den Staat geschimpft. Wenn die mich damals nach Afghanistan geschickt hätten, sähe es schon anders aus.
So? Und wenn du freiwillig einen Vertrag unterschrieben hättest, unter vorheriger Belehrung, dass du dich nur mit diesem Vertrag auch für Auslandseinsätze verpflichtest? Natürlich gegen mehr Geld?
Ähnlich war es nunmal 14 n.Chr. Der alte Kaiser, auf den man sich eingeschworen hatte und dem man sich verpflichtet gefühlt hatte starb.
Deinem Vergleich folgend wäre das so, als hättest du unter Scharping deinen Dienst angetreten und als Struck zum Minister wurde hast du deinen Vertrag in Frage gestellt (ob zu Recht oder zu Unrecht sei mal dahin gestellt).
Die Soldaten leisteten jedes Jahr Anfang Jänner den Diensteid neu, auf den Kaiser.
Abe alle Diskussion dahingestellt, die Quellen (Tacitus und Cassius Dio) berichten, dass es gegen TIBERIUS ging, nicht gegen Augustus. Das man die Münzen nun versucht so zu interpretieren ist also eine Theorie die gegen Quellenaussage steht.

Und was die Beliebtheit eines Kaisers angeht, so kann sich diese gerade bei einem gesteigerten Personenkult auch sehr schnell umkehren. Aktuelle Beispiele gibt es ja reichlich.
Richtig. Ist uns aber im Falle des Augustus eben genau nicht bekannt. Bei anderen Kaisern ist das wohl eher der Fall gewesen. Und wenn man dann noch ungeliebt als Kaiser startet brauchen wir nicht einen eher beliebten als Stellvertreter zu erwarten.
Es hat schon seinen Grund warum Tiberius eher zurückhaltend auftritt (neben seinem mutmaßlichen Charakter).
 
Ja, und die wirklichen Analphabeten im Heer dürften es durchaus verstanden haben, spätestens durch die Kameraden und den Vergleich.

Kann mir nicht vorstellen, dass die meisten lesen konnten. Bedenke aus welche sozialen Schichten die Legionäre kamen und dass es keine Schulpflicht gab! Selbst heute mit Schulpflicht ist das Interesse an schulischer Förderung in den sog. "bildungsfernen Schichten" nur mäßig ausgebildet.
Ein römischer Bauer fern der Städte hätte seinen Sohn wohl weder auf eine Schule schicken können (Kostenfrage), noch selber Zuhause unterrichten können (Zeit- und Bildungsfrage).

Zudem halte ich es für unrealistisch, dass man im Falle eines Unzufriedenheits-Ausbruches noch einen Münzvergleich oder eine Befragung von Kameraden durchführt. ;)

So? Und wenn du freiwillig einen Vertrag unterschrieben hättest, unter vorheriger Belehrung, dass du dich nur mit diesem Vertrag auch für Auslandseinsätze verpflichtest? ...

Gut, dann ändere ich das Beispiel:
"Wenn ich zu meiner BW-Zeit mit dem Spieß oder Kompaniechef unzufrieden war, habe ich ja nicht gleich auf den Staat geschimpft. Wenn die miese Ausrüstung geschickt hätten, sähe es schon anders aus."

Wird es nun deutlich, was ich meine?

Zudem habe ich 1982/83 unter Wörner gedient, da waren Auslandseinsätze eh tabu. Aber das ist ein anderes Thema!

Gruß
Andreas
 
Kann mir nicht vorstellen, dass die meisten lesen konnten. Bedenke aus welche sozialen Schichten die Legionäre kamen und dass es keine Schulpflicht gab!
Doch, doch die Schriftlichkeit in Rom war sehr ausgeprägt. Anders ergeben die vielen staatsoffiziellen aber auch funeralen Inschriften keinen Sinn. Aber auch Graffiti zeugen von einer sehr ausgeprägten Schriftlichkeit auch unterer Schichten (dazu Weeber, Decius war hier...) und nicht zuletzt die vielen Schreibtäfelchen und Schreibgriffel aus Römerlagern. An der britischen Nordgrenze haben sich sogar ganze Briefe erhalten. die sogenannten Vindolanda Tablets.
Dazu kommen die vielen Besitzermarken auf Ausrüstungsgegenständen der römischen Legionäre (man denke bloß an die immer wiederkehrende LPA-Dikussion in diesem Thread) oder auch die Halsbänder und Amulette von Sklaven, auf denen genau festgehalten wurde, wo man den entlaufenden Sklaven wieder abzuliefern hatte (z.B. "beim Händler X hinter dem Tempel der Y").


Selbst heute mit Schulpflicht ist das Interesse an schulischer Förderung in den sog. "bildungsfernen Schichten" nur mäßig ausgebildet.

Vorsicht, das ist nicht zu vergleichen. Bildung bedeutete immer die Chance zu sozialem Aufstieg. Die heutigen bildungsfernen Schichten erleben aber, dass das Versprechen des sozialen Aufstiegs durch Bildung nicht mehr funktioniert, was zu Frustration und zur Ausbildung von Vermeidungsstrategien führt. Bildungsferne heißt heute im Prinzip die Frustration, dass Bildung nicht mehr zum sozialen Aufstieg führt zu vermeiden, indem man gar nicht erst mehr die als fruchtlos erfahrenen Anstrengungen in Angriff nimmt. Das aber ist ein recht junges Phänomen.
 
Doch, doch die Schriftlichkeit in Rom war sehr ausgeprägt. Anders ergeben die vielen staatsoffiziellen aber auch funeralen Inschriften keinen Sinn. Aber auch Graffiti zeugen von einer sehr ausgeprägten Schriftlichkeit auch unterer Schichten (dazu Weeber, Decius war hier...) und nicht zuletzt die vielen Schreibtäfelchen und Schreibgriffel aus Römerlagern. An der britischen Nordgrenze haben sich sogar ganze Briefe erhalten. die sogenannten Vindolanda Tablets.
Dazu kommen die vielen Besitzermarken auf Ausrüstungsgegenständen der römischen Legionäre (man denke bloß an die immer wiederkehrende LPA-Dikussion in diesem Thread) oder auch die Halsbänder und Amulette von Sklaven, auf denen genau festgehalten wurde, wo man den entlaufenden Sklaven wieder abzuliefern hatte (z.B. "beim Händler X hinter dem Tempel der Y").

Ok, klingt überzeugend!



Vorsicht, das ist nicht zu vergleichen. Bildung bedeutete immer die Chance zu sozialem Aufstieg. Die heutigen bildungsfernen Schichten erleben aber, dass das Versprechen des sozialen Aufstiegs durch Bildung nicht mehr funktioniert, was zu Frustration und zur Ausbildung von Vermeidungsstrategien führt. Bildungsferne heißt heute im Prinzip die Frustration, dass Bildung nicht mehr zum sozialen Aufstieg führt zu vermeiden, indem man gar nicht erst mehr die als fruchtlos erfahrenen Anstrengungen in Angriff nimmt. Das aber ist ein recht junges Phänomen.

"Bildungsferne" (doofes Wort) bedeutet in erster Linie: "..., dass die betreffende Person über keinen oder nur einen niederen Schulabschluss verfügt. Sie verfügt somit über keine Kenntnis des Lehrstoffs, der an Fachhochschulen und Hochschulen unterrichtet wird. Sie kann damit ihren Kindern weder das für das „höhere“ Bildungssystem nötige Wissen vermitteln noch die dort herrschenden Praktiken und Möglichkeiten." (Danke Herr Wiki)

Der Begriff "Bildungsferne" wird also nicht durch den Aspekt eines fehlenden sozialen Aufstiegs geprägt!

Beste Grüße
Andreas
 
"Bildungsferne" (doofes Wort) bedeutet in erster Linie: "..., dass die betreffende Person über keinen oder nur einen niederen Schulabschluss verfügt. Sie verfügt somit über keine Kenntnis des Lehrstoffs, der an Fachhochschulen und Hochschulen unterrichtet wird. Sie kann damit ihren Kindern weder das für das „höhere“ Bildungssystem nötige Wissen vermitteln noch die dort herrschenden Praktiken und Möglichkeiten." (Danke Herr Wiki)

Der Begriff "Bildungsferne" wird also nicht durch den Aspekt eines fehlenden sozialen Aufstiegs geprägt!

Und was ist damit: "...Sie kann damit ihren Kindern weder das für das „höhere“ Bildungssystem nötige Wissen vermitteln noch die dort herrschenden Praktiken und Möglichkeiten."
 
Und was ist damit: "...Sie kann damit ihren Kindern weder das für das „höhere“ Bildungssystem nötige Wissen vermitteln noch die dort herrschenden Praktiken und Möglichkeiten."

Wenn ich dich in dem weiter oben formulierten Text richtig verstanden habe, sind die "Bildungsfernen" Schichten frustriert, weil die Außenwelt einen sozialen Aufstieg verhindert!?

In dem von dir hier zitierten Wiki-Text ist die Unfähigkeit von Familien beschrieben Wissen, "Lehrnwerkzeuge" und Perspektiven an die Kinder weiter zu geben. Das Problem liegt somit innerhalb der Familie.
Dies gilt auch unabhängig davon, ob die Außewelt einen sozialen Aufstieg zulässt oder nicht.

Aber wir sollten dies hier nicht weiter auswalzen, da es vom Thema weg führt!

Beste Grüße
Andreas
 
Wenn ich dich in dem weiter oben formulierten Text richtig verstanden habe, sind die "Bildungsfernen" Schichten frustriert, weil die Außenwelt einen sozialen Aufstieg verhindert!?

Dann hast du mich falsch verstanden. Das Problem bildungsferner Milieus ist, dass die Eltern die Schulerfahrung gemacht haben, dass Anstrengung nicht honoriert wird. Insofern ist auch das Interesse die Kinder zu Anstrengung zu animieren gering, weil die eigene Schulerfahrung besagt, dass Anstrengung "nichts bringt".
 
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