Nun, dann möchte ich einige meiner Ausführungen gern mal verteidigen:
Es gibt im Islam schon eine jeweils herrschende Lehre. Genau wie im Christentum in seiner jeweiligen Ausprägung. Daß es verschiedene Hauptströmungen, Sunna, Schia, Katholiken, Arianer, Orthodoxe etc., gab und gibt, widerspricht dem nicht. Auch wenn der Islam theoretisch Sache des einzelnen ist und es keine zentrale Autorität wie einen Pabst gibt, sind doch relativ strikte Lehrgebäude vorhanden mit relativ klaren Anweisungen, was geht und was nicht.
Doch, ich würde schon sagen, daß hier ein Widerspruch vorliegt. Wenn es nämlich mehrere Strömungen mit unterschiedlicher Auslegung der Lehre gibt, dann herrscht nicht mehr eine Lehre, sondern sie liegt im Wettstreit mit anderen. Insofern ist meiner Meinung nach ein Pluralismus im Denken im Christentum und Islam genauso möglich wie in der heidnischen Antike, die ebenfalls bis weit an ihre Grenzen herangehen. Daß diese vorhanden sind, kann keiner bestreiten, aber auch im Klassischen Altertum kennt das Denken Grenzen. Du hast ja selbst das Beispiel gebracht.
Wie weit die Grenzen auch im Christentum sein können, zeigt unter anderem das Beispiel von Descartes, der sogar das ganze Sein in Frage stellen kann, um seine Theorien zu entwickeln.
Und auch im Islam sind die Lehrgebäude keineswegs so strikt, wenn man sieht, wie unterschiedlich Deutungen einzelner Rechtsgelehrter ausfallen können.
Ich könnte jetzt fragen, woher weißt Du das, aber das wäre zu billig. Ich bin sicher, daß im hohen und späten Mittelalter mindestens genausoviel Menschen philosophisch-theologisch beschäftigt waren wie in der griechischen Antike, sowohl was Lehrende, vor allem aber Lernende betraf, schon wegen der vielen Universitäten. Es geht aber nicht um die Zahl der Philosophierenden, sondern um die Vielfalt der Denkrichtungen.
Du hast recht, die Frage wäre sogar recht und billig. Ich gehe von Fakten aus, also von dem, was wir wissen, und nicht dem, was sein könnte, oder was man hochrechnen müßte.
Wieviele Philosophen der griechischen Zeit kennen wir, von denen wir durch Schriften einen Teil ihres Werkes fassen können, und sei es manhcmla nur ein Leitsatz. Zwei, drei Dutzend, vier vielleicht? Und wieviele gibt es, die wir nur dem namen nach kennen, weil sie irgendwo erwähnt werden. Dreihundert, Vierhundert? Ich weiß es nicht. Nun verteile aber das mal auf eine Zeit vom sechsten Jahrhundert bis zur Zeitenwende, auf ein Gebiet von Ostspanien bis zur Krim. Wo sind sie, die Philosophen von Massilia, von Kroton, von Kyrene, von Boiotien, von Epirus, von Elis, von Smyrna usw., und ich meine jetzt nicht, daß hier und da mal einer geboren wurde, sondern ich rede von ihrem Wirken.
Und, nein, es geht nicht um die Vielzahl von Denkrichtungen, sondern um die Zahl der Philosophen, denn ich will versuchen, zur Fragestellung zurückzukehren. Ich fasse mal verknappt zusammen: Wäre es nicht schön, durch eine antike Stadt zu wandeln, wo überall die inspirierenden Philosophen herumstehen. Und mir ging es eigentlich nur darum, daß es auch nicht so war, daß überall dutzende davon herumstanden. Man würde ja auch nicht erwarten, daß in den deutschen Landen um 1780 lauter Dichter und Denker herumstanden, oder
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Antike und mittelalterliche oder auch neuzeitliche Philosphie bis zur Aufklärung gegeneinader aufzuwiegen in der Frage, wo es nun mehr oder weniger Aktive oder Denkrichtungen gab, liegt mir fern, denn man kann ja Philosophie nicht in Kilo oder Metern aufwiegen.
Ich verstehe Dich hier nicht recht. Dein letzter Satz ist in sich selbst eigentlich etwas widersprüchlich (wieso werden die Historiker "verleitet"?). Daß in der Antike im Produktionsbereich wenig technische Innovation umgesetzt wurde, auch aus bestimmten ideologischen Gründen, wie der Geringschätzung der Erwerbsarbeit, ist eigentlich Allgemeingut. Daß es in vielen Bereichen den Einsatz von Technik gab und teilweise erstaunliche Leistungen vollbracht wurden, auch. Das eine schließt das andere nicht aus. Fakt bleibt, daß es wegen der primitiven Produktionsverhältnisse so gut wie kein Wirtschaftswachstum gab.
Wieso Historiker verleitet werden, weiß ich auch nicht. Das müßte man mal überprüfen.
Auch hier würde ich sagen, gibt es einen Widerspruch. Denn das Bauwesen ist ein Produktionsbereich, und hier werden technische Innovationen umgesetzt. Dabei geht es weniger um die Erleichterung der Arbeit, das stimmt, sondern um die Verbesserung des Ergebnisses.
Aber auch in anderen Bereichen ist man nicht immer innovationsfeindlich. Neulich habe ich erst gesehen, wie in Dalmatien eine Produktionsstätte für Öl auf eine äußerst effiziente Massenproduktion ausgelegt war. Und wenn man sich zum Beispiel anschaut, wie Großtöpfereien organisiert waren, um Masse zu produzieren, kann man nicht unbedingt von primitiven Produktionsverhältnissen ausgehen. Das mit dem Allgemeingut sollte man immer mal wieder hinterfragen.
Witzigerweise stiimme ich Dir im Ergebnis zu, das eine schließt das andere nicht aus.
Ich meine, daß die Frage nach Wirtschaftswachstum die antike Welt nicht beschreiben kann, dies ist ein moderner Begriff, der schon heute sehr fragwürdig ist, umso mehr im Rückbezug auf die Vergangenheit. Genausogut könnte man nach dem Grad der Elektrifizierung fragen. Da ist die Gefahr sehr groß, eine historische Zeit nach heutigen Maßstäben zu beschreiben.
Uns fehlt da viel zu sehr die Information, eine Statistik haben wir gar nicht. Da ein Großteil der antiken Wirtschaft Landwirtschaft ist, müßte man zum Beispiel auch die Urbarmachung von Land dazuzählen.