Vegetarismus im 18.Jh.

Brissotin

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Ich hätte mal eine Frage.

Wie verbreitet waren Vegetarier in Deutschland und Frankreich im 18.Jh.? Welche Bevölkerungsgruppen waren besonders davon betroffen? D.h. in welchen Bev.gruppen erfreute sich Vegetarismus einer ausgeprägten Beliebtheit?

Ich frage, da wir im Hobby Reenactment/LH immer mal Vegetarier haben. Im Grunde gehe ich damit als Darsteller um wie mit z.B. Kontaktlinsenträgern oder z.B. dem im Vergleich zu früher überdurchschnittlichen Tragen von Brillen (sieht man auf Bildquellen fast garnicht). Ich ignoriere es einfach, wenn Leute Vegetarier sind. Bei der Unterschichtsdarstellung spielt es nicht so arg die Rolle, weil da wirklich viel Fleisch ohnehin eher an Festtagen verzehrt wurde, ausgenommen Dienstboten, denen teilweise eine bestimmte Menge Fleisch zustand.

Den Wikipediaartikel dazu habe ich schon gelesen, allerdings steht darin wenig: Vegetarismus ? Wikipedia

Ich nahm / nehme bis jetzt an, dass angesichts der Hungerkatastrophen des 17. und 18.Jh. Vegetarismus bei einer breiten Bevölkerungsschicht wohl als sonderbar und ein Hohn angesehen worden wäre. Der Bauer hätte bestimmt seine Hühner nicht unverwertet gelassen, wenn sie z.B. nicht mehr Eier legten (muss man dann zwar länger kochen und alte Hühner schmecken nach meiner Erfahrung nicht so besonders, aber das heißt ja nichts).
Von daher kann ich mir vorstellen, dass die Neigung zu Vegetarismus eher in der Wohlstandsschicht auftrat (man könnte auch heute vielleicht als ein Ergebnis der Wohlstandsgesellschaft von den verschiedenen Stufen des Vegetarismus sprechen ?), wo man Hunger ohnehin nicht kannte und auch eher aus einem reichhaltigen Nahrungsangebot einfach bestimmte Bausteine weglassen konnte.

Vegetarismus ist mir in Primärquellen noch nicht untergekommen. Eher betont wird darin, wenn jemand besonders viel Fleisch oder Fisch aß. Manchmal werden bestimmte Fleischgerichte wie auch Fleischbrühen als Stärkungsmahlzeit für Kranke vorgeschlagen (offenbar auch schon in der Antike übliche, wenn man mit dem Wikipediaartikel zum Vegetarismus vergleicht).

Anmerkung: Bitte keine Diskussion, ob heute Vegetarismus sinnvoll oder sinnlos ist!
 
Leider kann ich nichts darüber sagen wie verbreitet Vegetarier waren, aber ich hätte da einen Artikel in englischer Sprache, über Vegetarier im 18. Jahrhundert in Frankreich. Mir war bisher nur Jean-Jacques Rousseau als Verfechter einer vegetarischen Ernährung bekannt, wie er in "Émile" wiederholt erwähnt, aber laut diesem Artikel gab es nicht nur seine Bemühungen frisches Gemüse unter die Leute zu bringen.

Über die Bevölkerung von Paris heißt es in obigem Artikel, daß sie in erster Linie Schwarzbrot, Gemüse und Ziegen-und Kuhmilch zu sich nahmen, und Fleisch entweder nie, oder so gut wie nie. Der Marquis de Turbilly (1717-1776) hat sich laut Artikel um die Verpflegung seiner Pächter gesorgt und "bald hatte jeder zu jeder Mahlzeit Suppe mit Butter, Gemüse, Früchte, Milchprodukte, und Brot [...] Wein und Fleisch blieb ihnen unbekannt. (S.16)"

Der Artikel sagt weiterhin aus, daß eine vegetarische Ernährung in Frankreich eher mit Armut verbunden wurde, es sei denn sie wurde aus weltanschaulichen Gründen angenommen, wie es zum Beispiel bei verschiedenen geistlichen Figuren oder im jansenistischen Kloster Port Royal der Fall war. Ansonsten scheint es bei besser-situierten Personen eher als Exzentrismus oder als Zeichen der Askese aufgefaßt worden zu sein.
 
@ Saint-Simone
Vielen Dank für den Link.

Mir geht es leider allerdings eher um den "freiwilligen" Vegetarismus. Ein Mensch, der sich aus dem Grund, weil er sich Fleisch schlicht nicht leisten kann, kein Fleisch verzehrt, scheint mir für meine Betrachtung weniger interessant.

Der Aspelt der Askese hingegen scheint mir für die "freiwilligen" Vegetarier (also diejenigen, welche sich theoretisch mit Fleisch hätten versorgen können) interessanter.
Offenbar gab es generell zum Fasten, sprich dem Verzicht auf bestimmte Nahrungsmittel, zwischen Katholiken und Lutheranern und vor allem Reformierten Unterschiede.
 
Mir geht es leider allerdings eher um den "freiwilligen" Vegetarismus. Ein Mensch, der sich aus dem Grund, weil er sich Fleisch schlicht nicht leisten kann, kein Fleisch verzehrt, scheint mir für meine Betrachtung weniger interessant.

Ich denke, daß die Ernährung der Bevölkerung bzw. das Bewußtsein zur Ernährung erst mit dem Überfluss an Nahrungsmitteln in einer Gesellschaft aufgenommen wird bzw. wurde.

So gibt es auch heute noch viele Gebiete auf der Welt, in denen die Nahrungsmittel so knapp sind, daß sich für die Bevölkerung nicht die Frage stellt, ob sie sich Bewußt gesund ernähren wollen. Hier spielt nur das Vorhandensein von genügend Nahrungsmitteln eine Rolle.

Erst wenn so viele Nahrungsmittel vorhanden sind, daß eine Wahl getroffen werden kann, was man Essen möchte und was nicht, entstehen auch bestimmte Nahrungsmodelle.

Entscheidend somit für die Entwicklung des Vegetarismus ist nicht mal die Entwicklung der Gesellschaft, sondern die Menge der Nahrungsmittel, die zur Verfügung stehen.

Eine kleine Zusammenfassung zum Thema findest Du hier: Geschichte des Vegetarismus
 
Danke.

Die Ausführungen von Adams sind interessant.

Daraus:
"Nirgendwo verlangt es die Schicklichkeit, dass ein Mensch Fleisch essen müsse."

Man muss aber da wohl auch sehen, dass er als Moralist und Ökonom das Ganze wohl auch sah.

Interessant auch der Aspekt der Entfremdung. Tatsächlich ist die Beziehung zum Fleisch eines Bauern wohl eine andere als die des Städters gewesen. Der Bauer lebte und lebt zusammen mit den Tieren von denen er sich ernährt/e.

Amüsant aber auch, dass hier der Angabe der einen Vegetarierhomepage widersprochen wurde, Rousseau habe vegetarisch gelebt.
Also: Glaube nicht alles, was Du liest?=)
Scheint mir so wie mit ähnlichen Homepages, auf denen dann auch immer irgendwelche Berühmtheiten in Beschlag genommen werden, um scheinbar für die eigene Sache zu werben (?).
 
Zuletzt bearbeitet:
In meinem Handbuch über Veganismus (Becoming Vegan, Brenda Davis & Vesanto Melina) steht, dass es erst im 19. Jahrhunderte einen Wendepunkt gab, als die Vegetarian Society gegründet wurde. Auch der Terminus "Vegetarismus" stammt aus dieser Zeit.

Erst wenn so viele Nahrungsmittel vorhanden sind, daß eine Wahl getroffen werden kann, was man Essen möchte und was nicht, entstehen auch bestimmte Nahrungsmodelle.

Nun, gerade bei Lebensmittelknappheit bietet sich ja eine vegetarische Ernährung an, da die Ressourcen viel besser verwertet werden können. Diese pragmatische Entscheidung war gerade bei denjenigen, die Vegetarismus in Verbindung mit einer Staatsform propagiert haben, wie Rousseau oder Platon, ausschlaggebend. Die Beweggründe, sich für Vegetarismus als Lebensstil stark zu machen, hat ihre Ursache tatsächlich im Mitfühlen mit anderen Lebewesen, wie es mir scheint.

Vorsichtig muss man immer sein mit Persönlichkeiten, die Vegetarier gerne für sich vereinnahmen würden. Es finden sich etliche Zitate von Personen, vor dieser Zeit, aber da ist die Beweislage dann doch zu dünn, sie tatsächlich als Vegetarier einordnen zu können. Spontan fällt mir da nur Leonardo da Vinci ein, wo man das relativ sicher sagen kann.

Aus der Zeit wird Immanuel Kant gerne als Vegetarier genannt. Allerdings finde ich da bis auf das Zitat von ihm: "Die Grausamkeit gegen die Tiere ist der Pflicht des Menschen gegen sich selbst entgegengesetzt." nichts, was weiter darauf hindeutet. Allerdings könnte ich da in den nächsten Tagen noch etwas nachforschen.
 
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Ich habe mal in einer Fernsehsendung gesehen, dass im 19. Jhdt.? ein reicher englischer Adeliger mit einem gewaltigen Tick sein ganzen Vermögen dafür ausgab, die Bevölkerung davon zu überzeugen, mehr Kohlrabi zu essen. :yes:
Leider habe ich den Namen vergessen, ebenso den genauen Zeitpunkt.
Thema der Sendung waren einfach spleenige Engländer damals und heute.

Falls du auf deinen Recherchen über den Namen stolperst, kannst du den bitte hier angeben?
 
Nun, gerade bei Lebensmittelknappheit bietet sich ja eine vegetarische Ernährung an, da die Ressourcen viel besser verwertet werden können. Diese pragmatische Entscheidung war gerade bei denjenigen, die Vegetarismus in Verbindung mit einer Staatsform propagiert haben, wie Rousseau oder Platon, ausschlaggebend.
Bei Rousseau klingt es danach, als ob ihn eher der Gedanke an die toten Tiere abschreckte.

Heißt das, dass sich die Vegetarier mit jenen sozusagen solidarisieren wollten, welche sich sowieso kein Fleisch leisten konnten?

In einem anderen Thread hatte ich schon etwas über Agrarreformer geschrieben. Bei denen fand ich jedenfalls noch nicht die Ansicht, dass es besser sei auf pflanzliche Ernährung umzustellen. Dafür waren Eier und Milch als Nahrungsmittel auch wohl viel zu verbreitet. Ganz im Gegenteil wurde ja in Hohenlohe bsw. die Rinderhaltung intensiviert und Rindfleisch zum Exportartikel.
Für die Hungersnöte v.a. von 1770-72 findet Johann Friedrich Mayer (1719-1798) in seinem Werk "Lehrbuch für die Land- und Haußwirthe" eine bessere Erklärung, da er feststellt, dass sich in seiner Gegend die Ausfälle weitaus geringer als anderswo zeigten.*

* Johann Friedrich Mayer: "Lehrbuch für die Land- und Haußwirthe in der pragmatischen Geschichte der gesamten Land- und Haußwirthschaft des Hohenlohe Schillingsfürstischen Amtes Kupferzell" Nürnberg, Zeh, 1773
 
Bei Rousseau klingt es danach, als ob ihn eher der Gedanke an die toten Tiere abschreckte.

Ich kenne die Stelle nicht, mit der bei Rousseau argumentiert wird. Zwar wird hier auf Emile verwiesen und ich habe den Roman auch hier liegen, doch ohne konkrete Stelle findet man da nix. :D

Heißt das, dass sich die Vegetarier mit jenen sozusagen solidarisieren wollten, welche sich sowieso kein Fleisch leisten konnten?

Also bei Platon ist es wohl so, dass er darin die einzige Möglichkeit sieht, eine große Menge an Menschen dauerhaft ernähren zu können. So habe ich das zumindest im Hinterkopf. Ich schau mal, ob ich in den nächsten Tagen dazu Quellen liefern kann.


In einem anderen Thread hatte ich schon etwas über Agrarreformer geschrieben. Bei denen fand ich jedenfalls noch nicht die Ansicht, dass es besser sei auf pflanzliche Ernährung umzustellen. Dafür waren Eier und Milch als Nahrungsmittel auch wohl viel zu verbreitet. Ganz im Gegenteil wurde ja in Hohenlohe bsw. die Rinderhaltung intensiviert und Rindfleisch zum Exportartikel.

Ich denke auch nicht, dass zu dieser Zeit ein verbreitetes Gespür dafür vorhanden war, dass man durch die Mast von Tieren Lebensmittel "verschwendet". Wenn ich recht informiert bin, setzt das erst wieder in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert ein, wenn Einstein etwa sagt: "Nichts wird die Chance auf ein Überleben auf der Erde so steigern wie der Schritt zur vegetarischen Ernährung." Seitdem taucht das auch immer als Argument einschlägiger Organisationen auf.
 
Im 18. war noch wenig mit "Mast von Tieren", soweit ich weiß, wurden Lebensmittel für Menschen angebaut, Tierfutter gab´s eben auf Wiesen und in Wäldern.
Intensivtierhaltung kommt ja erst SEHR viel später.
Naja , und wer Milch trinken will, muß auch Kälber/Lämmer essen oder verkaufen, ähnliches gilt für´s Eier essen. Schweine kriegten eben Weidefutter oder Essensreste.
 
Im 18. war noch wenig mit "Mast von Tieren", soweit ich weiß, wurden Lebensmittel für Menschen angebaut, Tierfutter gab´s eben auf Wiesen und in Wäldern.
Intensivtierhaltung kommt ja erst SEHR viel später.
Die Entwicklung setzte allerdings im 18.Jh. ein. Der oben von mir angeführte Mayer empfahl offenbar erfolgreich die Stallhaltung des Viehs. Überhaupt war das 18.Jh. eine Zeit, in welcher vielerorts einschneidende Reformen erfolgten, die aber hier in den Thread nicht so gut passen. So wurde Allmenden aufgeteilt und die kollektive Waldnutzung zusehends abgeschafft.
 
Aber das wäre dann nur eine einseitige Ernährung, weil es ebend nichts andes gibt. Ist das dan Vegetarismus?

Ich glaube nicht.

Der Begriff Vegetarismus ist als Kunstwort so erst im 19. Jahrhundert entstanden und gemeint ist eine Ernährung, die auf Fleisch und Fisch verzichtet. Die Intention der ersten sich organisierenden Vegetarier war es, kein Produkt verzehren zu wollen, das von einem toten Tier stand. Diese Pioniere entstammten keinen besonders armen Schichten, so dass sie durchaus eine Wahl hatten, was sie essen. Zuvor nannte man Menschen, die auf Fleisch und Fisch verzichteten, Pythagoreer, abgeleitet von dem antiken Philosophenzirkel, der ja bekanntlich vegetarisch lebte. :winke:

Und warum Vegetarismus eine einseitige Ernährung ist oder nicht, da schlucke ich meinen Kommentar runter, denn Brissotin hat richtig- und wichtigerweise bereits im Eingangspost geschrieben:

Anmerkung: Bitte keine Diskussion, ob heute Vegetarismus sinnvoll oder sinnlos ist!
 
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Bei dem Gedanken an Adams, fiel mir aber auch heute Morgen ein, dass doch auch die Briten im 18.Jh. Unmengen an Roast Beef verzehrt haben müssen, wenn man den Quellen über die Oberschicht Glauben schenkt.

Die Schere zwischen denjenigen, die sich Fleisch leisten konnten und denen, denen es zu teuer war, ging auf jeden Fall immer weiter auseinander.
Dank Saint-Simone kann ich da ein paar Zahlen anbieten. So konnte sich ein Maurergeselle / ein Handlanger täglisch vom Arbeitslohn durchschnittlich
1520-1600 5,7 / 3,9 Pfund
1600-1700 5,9 / 3,9 Pfund
1700-1800 4,3 / 3,0 Pfund
Rindfleisch in Linz leisten.
Dafür, so Scheichl, sei aber der Kornpreis gesunken, weshalb sich das Weniger an Rindfleisch wiederum ausgeglichen habe.*

* Ludwig Rumpl: "Linzer Preise und Löhne" S. 336
nach:
F. Scheichl: "Ein Beitrag zur Geschichte des gemeinen Arbeitslohnes vom Jahre 1500 bis auf die Gegenwart" 3. Jahresbericht der Handelsakademie in Linz, Wien, 1885
 
Nur mal ein Einwurf am Rande: fisch- und fleischlose Ernährung ist das eine, echter Vegetarismus, insbesondere unter der Vorgabe ethischer Aspekte, funktioniert allerdings nur, wenn man auch bspw. auf Leder, Pelz, Federn, Horn, Elfenbein, Perlen etc. verzichtet. Beim Veganismus kämen dann eben auch noch die tierischen Produkte in Betracht, für die Tiere zwar nicht sterben aber dennoch domestiziert werden müssen, also bspw. Wolle. Die Frage wäre für mich an der Stelle eher, ab wann echter Vegetarismus oder gar Veganismus aufgrund der chemischen Nachbildbarkeit organischer Stoffe aus anorganischen Materialien lebbar war. Im 18. Jahrhundert konnte man sich zwar fisch- und fleischlos ernähren, Vegetarismus ist das allerdings nicht und wäre aus dem Bauch raus zu dieser Zeit auch gar nicht möglich gewesen, weil schlicht die synthetische Nachbildbarkeit noch nicht fortgeschritten genug war.
 
Im 18. Jahrhundert konnte man sich zwar fisch- und fleischlos ernähren, Vegetarismus ist das allerdings nicht und wäre aus dem Bauch raus zu dieser Zeit auch gar nicht möglich gewesen, weil schlicht die synthetische Nachbildbarkeit noch nicht fortgeschritten genug war.
In warmen Gefilden kommt man aber auch mit Leinen, Baumwolle und dergl. aus. Für Seide müssen freilich noch die Seidenraupen missbraucht werden. Also hätten die Vegetarier, welche auf Wolle verzichten wollten, einfach gen Süden auswandern müssen. Zumindest in Teilen Frankreichs war Baumwolle schon sehr verbreitet, auch wenn nichts desto minder Seide an der Königin als patriotischer galt.
Obendrein sprechen die Autoren, soweit ich das bis jetzt verstand, auch nur das Töten der Tiere als negativ an, nicht aber ihre Verwertung(Kleidung, Bettzeug, Geschirre, Perücken etc.).
In "Herrschermacht und Lockenpracht" werden allerdings auch schon Perücken aus Glasfaser abgebildet.
 
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