gnlwth
Mitglied
Guten Abend,
Also, ich fand das Kutschenmuseum prima - allerdings war es auch das erste (und bislang einzige) seiner Art, das ich gesehen habe, so dass mir vielleicht die Vergleichsmöglichkeiten fehlen. Ich weiß allerdings noch, dass ich gewissermaßen mit offenem Mund vor dem Prunkwagen vom Kini gestanden und in diesem Moment wirklich begriffen habe, dass der Mann nicht einfach etwas fehlgeleitet, sondern wirklich krank war - wenn dieses... Ding ihm gefallen hat oder sich darin gar sein Geisteszustand manifestiert hat, dann war er wirklich, wirklich nicht gesund. Allerdings war ich auch, obwohl ich jetzt seit fünf Jahren in München wohne, noch nie in Neuschwanstein, weshalb die Kutsche auf mich wohl auch einen solchen Eindruck machen konnte.
Zu der Reise nach Chalais habe ich nicht viel hinzuzfügen, allerdings
Ich dachte, die hätte man ihm erst nach seiner Pockenerkrankung aberkannt, nicht bereits so früh - soweit ich weiß, hatte man, als man den Jungen nach Chalais schickte, noch die Hoffnung, dass vielleicht alles gar nicht so schlimm ist und sich wieder verwächst. (u.a. Orieux und auch Waresquiel?).
Das habe ich auch nicht behauptet, ich wollte nur ein (mehr oder weniger belegtes) Beispiel dafür angeben, wie lange eine Reise in einem öffentlichen Verkehrsmittel damals tatsächlich gedauert haben kann. Wie üblich die Fortbewegung mit Postkutschen für den gewöhnlichen Hochadel (beziehungsweise seine Kinder) war, kann ich natürlich nicht sagen, allerdings war ja die finanzielle Situation der Familie Talleyrand in dieser Zeit äußerst prekär, so dass ihnen vielleicht auch gar nichts anderes übrig geblieben ist - beziehungsweise, da die Stellung von Kindern im 18. Jahrhundert wirklich eine andere war als heute, und man für Kinder einfach grundsätzlich nicht viel Geld ausgegeben hat (schon mal gar nicht, wenn man ohnehin klamm war) - hätte das ein anderes vierjähriges Kind unter Umständen genau so getroffen (es sei denn, es wäre um's Prestige gegangen, und man hätte protzen wollen ("wir können es uns sogar leisten, unsere Brut mit einem Achtspänner zu transportieren!"). Aber ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass hier schlicht (auch!) praktische Überlegungen eine Rolle gespielt haben: Eigene Equipage mit Bediensteten kostet halt echt mehr Geld, als das Fräulein Charlemagne und die Postkutsche.
Zur Reise in Amerika:
Ich glaube nicht, dass man das so vergleichen kann. Wenn man Talleyrand glaubt, dann fing die Wildnis jedenfalls kurz hinter Philadelphia an.
Eine richtige Straße verlief anscheinend entlang der Küste, allerdings zog er es z.B. dann doch vor, per Postschiff von New York nach Boston und schließlich Macchias zu fahren, später fuhr er auch per Schiff von New York nach Albany - mit dem Postschiff zu fahren scheint erheblich einfacher gewesen zu sein, als per Kutsche. Von Albany aus ging es weiter entlang des Mohawk Trail Richtung Westen, und zwar per Pferd, obwohl, "der Weg entlang des Mohawk River auf der alten Militärstraße zumindest bis Fort Stanwix mit Wagen befahrbar war [...]". (E. Ernst) - entweder es ging schon da zu Pferde leichter als mit Wagen, oder man hat sich dazu entschlossen, weil es, hatte man einmal Fort Stanwix passiert, sowieso nur noch zu Pferde ging. (Google Maps: Albany -> Fort Stanwix (Rome) = 170 km)
Weiterhin beschreibt Talleyrand, dass eigentlich nur die Küste wirklich besiedelt war - sobald man ein paar Meter ins Hinterland kam, stand man quasi im Urwald, da war nichts. Ausnahmen bildeten wohl die in den Atlantik mündenden Flüsse (z.B. der Kennebec und der Penobscot River), an denen man Sägemühlen baute - wodurch sich die "Zivilisation" so langsam ins Inland fraß. Dort, so beschreibt es Talleyrand, herrschten allerdings Zustände wie im Mittelalter (oder schlimmer), Schmutz, Armut, man benutzte kein Geld, sondern Tauschhandel war Gang und Gäbe, an Schulen nicht zu denken etc.
Talleyrands Beobachtungen sind ungeheuer interessant. Nicht, wenn man seitenlang romantische Naturbeschreibungen lesen will, denn die Natur interessierte ihn leider nicht sehr. Aber aus wirtschaftlichen und vor allem sozusagen "soziokulturellen" Aspekten sind seine Aufzeichnungen lesenswert. Jedes Mal, wenn ich in den USA bin, denke ich, irgendwie hat sich seit damals nicht sehr viel geändert....
Talleyrands Beschreibungen findet man vor allem hier:
Talleyrand in America as a financial promoter 1794-96, Unpublished Letters and Memoirs, Translated and Edited by Hans Huth and Wilma J. Pugh, Annual Report of the American Historical Society, United States Government Printing Office, Washington, 1942
Ein ebenfalls ungeheuer lesenswertes Buch, das einem einen sehr guten Einblick in das Leben (und den Alltag) der französischen Emigranten in Philadelphia zur Zeit der französischen Revolution gibt, will ich bei dieser Gelegenheit nicht unerwähnt lassen:
Moreau de St. Mery's American Journey 1793-1798, Translated and Edited by Kenneth Roberts and Anna M. Roberts, Doubleday & Company, New York, 1947
Das ist eine Art Tagebuch, das Médéric Louis Élie Moreau de Saint-Méry (einst Präsident der Nationalversammlung, später Besitzer eine Buchhandlung in Philadelphia) während seines Exils in den USA geführt hat. Saint-Méry hat wirklich alles Mögliche aufgeschrieben, von den Kartoffelpreisen über die Gepflogenheiten der Amerikaner beim Teetrinken zu Talleyrands Beschwerde über seine alten, vergurkten Gänsekiele...viel Alltagskram eben, aber interessant, wenn man sich für solchen Alltagskram interessiert).
Aber es ging ja hier um das Straßennetz. Also, vielleicht sollte man sich dabei noch folgendes klar machen: die beiden mit Abstand größen Städte an der Ostküste waren gar nicht so unwahrscheinlich groß, Philadelphia (die Hauptstadt) hatte etwa 60000 Einwohner, New York 40000. Die Bedeutung New Yorks als besseren Seehafen hatte man gerade erst begriffen, nur kurze Zeit später boomte die Stadt, aber vor 1800 steppte da nicht gerade der Bär. Boston war seit der Mitte des 18. Jahrhunderts deutlich kleiner als Philadelphia, Washington war eine riesige Baustelle, die Talleyrand auch besuchte - er konnte sich nicht vorstellen, dass aus dem Chaos in absehbarer Zeit eine neue Hauptstadt werden sollte. N.B.: Princeton war eine lange Straße mit etwa 80 Wohnhäusern, die Akademie hatte etwa 70 Studenten und zeichnete sich durch eine Bibliothek voller veralteter theologischer Bücher aus - gut, das hat sich geändert. Aber als ich vor zwei Jahren in Princeton war (das eigentlich auch heute noch aus einer "Akademie" und einer langen Straße besteht), beschlich mich irgendwann dann doch der Verdacht, dass sich auch hier nicht so wirklich was geändert hat...
Wie auch immer, Amerika war vor 1800 sicher sehr, sehr anders als nach 1800, und eine signifikante Entwicklung (von Städten, Bevölkerung, Handel und nicht zuletzt Infrastruktur) setzte doch wohl erst nach dem Verkauf von Lousiana so richtig ein, glaube ich.
Soweit abgeschweift; man möge Nachsicht mit mir haben.
Viele Grüße,
Gnlwth
"Amerika - was für ein Land: Zweiunddreißig Religionen und nur eine einzige Sauce!" Talleyrand zugeschrieben.
Also, ich fand das Kutschenmuseum prima - allerdings war es auch das erste (und bislang einzige) seiner Art, das ich gesehen habe, so dass mir vielleicht die Vergleichsmöglichkeiten fehlen. Ich weiß allerdings noch, dass ich gewissermaßen mit offenem Mund vor dem Prunkwagen vom Kini gestanden und in diesem Moment wirklich begriffen habe, dass der Mann nicht einfach etwas fehlgeleitet, sondern wirklich krank war - wenn dieses... Ding ihm gefallen hat oder sich darin gar sein Geisteszustand manifestiert hat, dann war er wirklich, wirklich nicht gesund. Allerdings war ich auch, obwohl ich jetzt seit fünf Jahren in München wohne, noch nie in Neuschwanstein, weshalb die Kutsche auf mich wohl auch einen solchen Eindruck machen konnte.
Zu der Reise nach Chalais habe ich nicht viel hinzuzfügen, allerdings
Verständlich werden diese Reiseumstände erst, wenn man weiß, dass sie unmittelbar nach Aberkennung seiner Ältestenrechte zustande kam.
Ich dachte, die hätte man ihm erst nach seiner Pockenerkrankung aberkannt, nicht bereits so früh - soweit ich weiß, hatte man, als man den Jungen nach Chalais schickte, noch die Hoffnung, dass vielleicht alles gar nicht so schlimm ist und sich wieder verwächst. (u.a. Orieux und auch Waresquiel?).
Insofern kann diese Reise nicht als übliche Fortbewegung eines damaligen Aristokraten gelten.
Das habe ich auch nicht behauptet, ich wollte nur ein (mehr oder weniger belegtes) Beispiel dafür angeben, wie lange eine Reise in einem öffentlichen Verkehrsmittel damals tatsächlich gedauert haben kann. Wie üblich die Fortbewegung mit Postkutschen für den gewöhnlichen Hochadel (beziehungsweise seine Kinder) war, kann ich natürlich nicht sagen, allerdings war ja die finanzielle Situation der Familie Talleyrand in dieser Zeit äußerst prekär, so dass ihnen vielleicht auch gar nichts anderes übrig geblieben ist - beziehungsweise, da die Stellung von Kindern im 18. Jahrhundert wirklich eine andere war als heute, und man für Kinder einfach grundsätzlich nicht viel Geld ausgegeben hat (schon mal gar nicht, wenn man ohnehin klamm war) - hätte das ein anderes vierjähriges Kind unter Umständen genau so getroffen (es sei denn, es wäre um's Prestige gegangen, und man hätte protzen wollen ("wir können es uns sogar leisten, unsere Brut mit einem Achtspänner zu transportieren!"). Aber ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass hier schlicht (auch!) praktische Überlegungen eine Rolle gespielt haben: Eigene Equipage mit Bediensteten kostet halt echt mehr Geld, als das Fräulein Charlemagne und die Postkutsche.
Zur Reise in Amerika:
An der Ostküste dürfte doch die Infrastruktur nicht so schlecht gewesen sein. Ich denke, dass Postroutennetz war sicherlich nicht schlechter als in Nordostdeutschland zur selben Zeit.
Ich glaube nicht, dass man das so vergleichen kann. Wenn man Talleyrand glaubt, dann fing die Wildnis jedenfalls kurz hinter Philadelphia an.
Eine richtige Straße verlief anscheinend entlang der Küste, allerdings zog er es z.B. dann doch vor, per Postschiff von New York nach Boston und schließlich Macchias zu fahren, später fuhr er auch per Schiff von New York nach Albany - mit dem Postschiff zu fahren scheint erheblich einfacher gewesen zu sein, als per Kutsche. Von Albany aus ging es weiter entlang des Mohawk Trail Richtung Westen, und zwar per Pferd, obwohl, "der Weg entlang des Mohawk River auf der alten Militärstraße zumindest bis Fort Stanwix mit Wagen befahrbar war [...]". (E. Ernst) - entweder es ging schon da zu Pferde leichter als mit Wagen, oder man hat sich dazu entschlossen, weil es, hatte man einmal Fort Stanwix passiert, sowieso nur noch zu Pferde ging. (Google Maps: Albany -> Fort Stanwix (Rome) = 170 km)
Weiterhin beschreibt Talleyrand, dass eigentlich nur die Küste wirklich besiedelt war - sobald man ein paar Meter ins Hinterland kam, stand man quasi im Urwald, da war nichts. Ausnahmen bildeten wohl die in den Atlantik mündenden Flüsse (z.B. der Kennebec und der Penobscot River), an denen man Sägemühlen baute - wodurch sich die "Zivilisation" so langsam ins Inland fraß. Dort, so beschreibt es Talleyrand, herrschten allerdings Zustände wie im Mittelalter (oder schlimmer), Schmutz, Armut, man benutzte kein Geld, sondern Tauschhandel war Gang und Gäbe, an Schulen nicht zu denken etc.
Talleyrands Beobachtungen sind ungeheuer interessant. Nicht, wenn man seitenlang romantische Naturbeschreibungen lesen will, denn die Natur interessierte ihn leider nicht sehr. Aber aus wirtschaftlichen und vor allem sozusagen "soziokulturellen" Aspekten sind seine Aufzeichnungen lesenswert. Jedes Mal, wenn ich in den USA bin, denke ich, irgendwie hat sich seit damals nicht sehr viel geändert....
Talleyrands Beschreibungen findet man vor allem hier:
Talleyrand in America as a financial promoter 1794-96, Unpublished Letters and Memoirs, Translated and Edited by Hans Huth and Wilma J. Pugh, Annual Report of the American Historical Society, United States Government Printing Office, Washington, 1942
Ein ebenfalls ungeheuer lesenswertes Buch, das einem einen sehr guten Einblick in das Leben (und den Alltag) der französischen Emigranten in Philadelphia zur Zeit der französischen Revolution gibt, will ich bei dieser Gelegenheit nicht unerwähnt lassen:
Moreau de St. Mery's American Journey 1793-1798, Translated and Edited by Kenneth Roberts and Anna M. Roberts, Doubleday & Company, New York, 1947
Das ist eine Art Tagebuch, das Médéric Louis Élie Moreau de Saint-Méry (einst Präsident der Nationalversammlung, später Besitzer eine Buchhandlung in Philadelphia) während seines Exils in den USA geführt hat. Saint-Méry hat wirklich alles Mögliche aufgeschrieben, von den Kartoffelpreisen über die Gepflogenheiten der Amerikaner beim Teetrinken zu Talleyrands Beschwerde über seine alten, vergurkten Gänsekiele...viel Alltagskram eben, aber interessant, wenn man sich für solchen Alltagskram interessiert).
Aber es ging ja hier um das Straßennetz. Also, vielleicht sollte man sich dabei noch folgendes klar machen: die beiden mit Abstand größen Städte an der Ostküste waren gar nicht so unwahrscheinlich groß, Philadelphia (die Hauptstadt) hatte etwa 60000 Einwohner, New York 40000. Die Bedeutung New Yorks als besseren Seehafen hatte man gerade erst begriffen, nur kurze Zeit später boomte die Stadt, aber vor 1800 steppte da nicht gerade der Bär. Boston war seit der Mitte des 18. Jahrhunderts deutlich kleiner als Philadelphia, Washington war eine riesige Baustelle, die Talleyrand auch besuchte - er konnte sich nicht vorstellen, dass aus dem Chaos in absehbarer Zeit eine neue Hauptstadt werden sollte. N.B.: Princeton war eine lange Straße mit etwa 80 Wohnhäusern, die Akademie hatte etwa 70 Studenten und zeichnete sich durch eine Bibliothek voller veralteter theologischer Bücher aus - gut, das hat sich geändert. Aber als ich vor zwei Jahren in Princeton war (das eigentlich auch heute noch aus einer "Akademie" und einer langen Straße besteht), beschlich mich irgendwann dann doch der Verdacht, dass sich auch hier nicht so wirklich was geändert hat...
Wie auch immer, Amerika war vor 1800 sicher sehr, sehr anders als nach 1800, und eine signifikante Entwicklung (von Städten, Bevölkerung, Handel und nicht zuletzt Infrastruktur) setzte doch wohl erst nach dem Verkauf von Lousiana so richtig ein, glaube ich.
Soweit abgeschweift; man möge Nachsicht mit mir haben.
Viele Grüße,
Gnlwth
"Amerika - was für ein Land: Zweiunddreißig Religionen und nur eine einzige Sauce!" Talleyrand zugeschrieben.
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