Quijote (1)
So, nun endlich mal:
Das ist unlogisch. Kalkriese soll kein Ort der Varusschlacht sein, weil es nicht eine Schlacht war, sondern ein Krieg mit mehreren Schlachten?
Nein, äußerst logisch: wenn es die die e i n z i g e ganz große Varusschlacht in greulichen Wäldern, Untergang der drei Legionen in vier Tagen usw. - und
die war ja gemeint -, überhaupt nicht gab, kann sie wohl auch nicht in Kalkriese stattgefunden haben!
Zuzustimmen wäre allerdings dem Argument, daß
trotzdem Varus-Truppen in Kalkriese gekämpft haben könnten, - dann hätte Deine rhetorische Frage aber genau genommen lauten sollen:
"Kalkriese soll kein Ort e i n e r (und nicht
der)
Varusschlacht sein...?"
Nur, wenn tatsächlich Varus-Truppen in Kalkriese kämpften - nach meiner Annahme dann aber an nur einem von vielen Orten -, und höchstwahrscheinlich auch nicht alle drei Legionen, dann gingen sie dort aber (noch) nicht unter, sondern siegten bzw. marschierten erfolgreich durch den Paß. Wie ich inzwischen mit meiner Interpretation der Fundlage und örtlichen Gegebenheiten dargelegt habe.
Das ist aber doch Unsinn. Varus fiel nämlich erst später in Ungnade, nicht schon nach seinem Ableben. Und warum hätte ausgerechnet der der julisch-claudischen Familie feindlich gesonnene Tacitus eine Legende im Dienste der augusteischen Staatsraison bedienen sollen? Zumal diese angenommene Legende im krassen Widerspruch zum Monumentum Ancyranum steht, welches die augusteische Selbstsicht darstellt?
"Ganz Germanien habe ich befriedet...!" So in der Endfassung v. 14. n.Chr. wahrscheinlich aber schon lange zuvor begonnen. Man glaubt geradezu das (heimliche) Hohngelächter der Augustus-Gegner zu vernehmen:
"Von wegen...!" War doch nur fünf Jahre vorher die "neue Provinz" verloren gegangen und noch keineswegs wieder zurückerobert.
Das ließ sich nicht einfach bestreiten oder gar verheimlichen, sowenig wie der Verlust von drei Legionen. Man konnte es nur
schönfärben, sodaß Augustus in diesem Punkt seiner Selbstdarstellungs-Propaganda wenigstens nicht als bloßer Wichtigtuer dastand, sondern als einer der alles versucht und nichts falsch gemacht hat!
Aber wie konnte man das bewerkstelligen, dem Princeps zu Diensten?
Fragen wir uns doch einmal, was sich wohl ein antiker Joseph Goebbels ausgedacht hätte? Ich denke im Prinzip dasselbe wie der echte im 20. JH zu den Niederlagen seines "Augustus" Hitler, was er bekanntlich sogar bis ans für jeden erkennbare Ende und damit ins geradezu absurde fortführte ("Endsieg"): die Ereignisse selbst nicht unbedingt bestreitend, - sie aber
umdeutend!
Wie ich es in meinem Stalingrad-Beispiel dargelegt habe.
Und insofern standen auch die Deutungsbemühungen der augusteischen Propaganda nicht in
"... krassen Widerspruch zum Monumentum Ancyranum...". Zwar wurde Unschönes berichtet (das meintest Du wohl) - das ging ja auch garnicht mehr anders -, aber es schmälerte dennoch nicht das Image des Princeps. Genau
so etwas mußte her, um von der peinlichen Tatsache wenigstens
abzulenken - ganz ungeschehen machen konnte man sie wie gesagt ja nicht mehr -, daß Augustus imperialer Germania-Plan jämmerlich gescheitert war!
Denn so wie Hitlers höchstpersönliche
"geniale Strategie" als "Oberbefehlshaber der Wehrmacht" offiziell nicht bei Stalingrad scheiterte, war auch Augustus als Politiker von Verantwortung für das Germanien-Desaster befreit: Ungunst der Götter, klimatische und geographische Verhältnisse, ein hinterlistiger, an sich aber unterlegener Gegner und ein unfähiger General!
Die Parallelen zur Goebbels´schen Stalingrad-Propaganda stechen doch geradezu ins Auge, oder etwa nicht? Nichts neues unter der Sonne. Es sind sogar nahezu
dieselben Argumente, nur die Götter wurden durch Schlagworte wie
"Verhängnis",
"ungünstige Fügung" usw. ersetzt. Und auch Hitler entließ am laufenden Band angeblich unfähige Generäle, die er für Niederlagen verantwortlich machte, die in Wirklichkeit ihm persönlich anzulasten waren; wie nicht zuletzt ja sogar der ganze Rußlandkrieg überhaupt. Was dann den Vergleich mit Augustus
"Unternehmen Germania" abrundet.
Augustus seinerseits zeigte sich unmittelbar nach der Katastrophe zwar zunächst in aller gebotenen traditionellen Form als "Trauernder" - was schließlich unvermeidbar war und allseits erwartet wurde -, und gewährte sogar den Überresten des Varus ein Familienbegräbnis (aber
kein Staatsbegräbnis!).
Doch zugleich verbot er Berichte über den Verlust der Legionen "zu seinen Lebzeiten" und verwehrte den Überlebenden die Rückkehr in die Heimat!
Was normalerweise über Römer verhängt wurde, die aus Kriegsgefangenschaft freigekauft wurden. Wer nicht im Kampf fiel oder sich in aussichtsloser Lage ins Schwert stürzte, sondern sich dem Feind ergab
"...mit dem mögen die Feinde alsdann tun was sie wollen!" So die radikale römische "Virtus"-Ideologie.
Einerseits waren demnach also die Überlebenden, vielleicht sogar
alle Varus-Soldaten, auch die Gefallenenen, verächtliche Versager (
sie und ihr Feldmarschall, nicht Augustus) , - wofür es wieder eine neuzeitliche Entsprechung gibt: auch für Stalin war jeder russische Kriegsgefangene ein zu bestrafender Verräter!
Und noch Tiberius tadelte den Germanicus wegen der Bestattung der Varus-Gefallenen mit dem Argument, dies hätte ihm aus formalreligiösen Gründen nicht zugestanden. Was nicht gerade überzeugend klingt.
Andererseits waren diese Überlebenden aber wohl auch
unerwünschte Zeugen, was ziemlich nahe liegt! Soldaten und Offiziere, die empört herumerzählten, die ganze offizielle "Varusschlacht"-Geschichte vom jämmerlichen Untergang im dunklen Wald und von ihrem dummen Feldmarschall sei total gelogen, es wäre überall tapfer gekämpft worden, auch
Varus hätte sich durchaus als fähiger Feldherr erweisen, aber die Übermacht der aufständischen Germanen wäre einfach zu groß gewesen, - das wäre sicher
das Letzte gewesen, was Augustus für sein Image als
"Befrieder ganz Germaniens" und Mehrer des Reiches gebrauchen konnte!
Das Einzige, was ich den antiken Darstellungen glaube, ist die Begeisterung des Varus für Gerichtsverhandlungen. Er war von Haus aus Jurist und vermutlich an militärischen Dingen nur pflichtgemäß interessiert. Syrien hatte in dieser Hinsicht ja auch wenig Anforderungen gestellt, und man darf wohl auch davon ausgehen, daß er nach Germanien eher als Verwaltungsfachmann für eine im goßen und ganzen bereits befriedete neue Provinz (wie man meinte) bestellt wurde, denn als dringend benötigter Militärstratege. Außerdem hatte er dafür seine Stabsoffiziere, - auf die er übrigens im Zweifelsfall auch gehört haben dürfte! In Judaea hatte er sich z.B. als Freund
Herodes d. Gr. und juristischer Experte im Prozeß gegen dessen gegen ihren Vater konspirierende Söhne engagiert.
Und
Tacitus, der der julisch-claudischen Familie feindlich Gesonnenene?
Nun, auch zu seiner Zeit wäre es sicher nicht gut angekommen, allzusehr am Nimbus des göttlichen Augustus als Vollender, wenn nicht sogar eigentlichem Schöpfer des Imperium Romanum zu kratzen. In dessen grandioser Nachfolge ja auch des Tacitus oberster Brötchengeber und Imperator stand. Er wird, wie später auch
Cassius Dio, in den Senatsarchiven nachgesehen oder sich sonstwie an der offiziellen Version orientiert haben.
Sollte er etwa schreiben: alles garnicht wahr, Augustus ließ lügen
, und
so war es wirklich? Heute geht das, - aber beispielsweise im heutigen Rußland oder England in bezug auf Stalin oder Churchill käme man mit allzuviel Image-Demontage trotzdem wohl nicht unbedingt auf die Bestseller-Liste.
Cassius Dio war diesbezüglich schon mutiger und deutet zumindest an, daß es höchstwahrscheinlich gelogen war! Doch was stattdessen wirklich geschah sagt auch er nicht. Möglicherweise weil er es schlicht nicht wußte, - nach zweihundert Jahren.
Das stand ja auch nirgends nachzulesen.
Tacitus verfolgte hinsichtlich der Germanen im übrigen eine literarisch-propagandistische Doppelstrategie: mal waren sie edle Wilde, an denen sich die von Verweichlichung und Unmoral bedrohten Römer ein Beispiel nehmen sollten, - dann zeigte er sich wiederum ganz als traditioneller römischer Patriot und Herrenmensch, der die Germanen als primitive Barbaren, als trunk- und spielsüchtige Waldmenschen schilderte. Die an und für sich auch leicht zu besiegen gewesen wären, wäre Varus nicht so unfähig und Arminius nicht so treulos und verschlagen gewesen.
Und daß aus dem Treulosen und Verschlagenen, der sonst leicht zu besiegen gewesen wäre, dann auf einmal wieder der tapfere "Befreier Germaniens" wird, der Rom sogar auf der Höhe seiner Macht herausforderte usw. - nun ja, wenn man schon verloren hat, dann wenigstens gegen einen Gegner von außergewöhnlichem Format!
Und dann noch etwas: für Tacitus und Cassius Dio war das, wovon sie schrieben bekanntlich rund hundert, bzw. sogar zweihundert Jahre her. Es dürfte daher im Publikum niemanden mehr weiter interessiert haben, was damals
wirklich geschah! Zumal das auch reichlich langweilig gewesen wäre, ganz ohne Sumpf und Wald-Drama! Schon grundsätzlich gab es ja kein Interesse des gebildeten Salons an objektiver Geschichsschreibung wie heute.
Was man im Grunde und hauptsächlich lesen wollte waren die
topoi und spannende Geschichten. Und das wurde bedient, - also liefen nachts Wölfe um Caecinas Lager und zwei Geisterreiter ritten mitten durch die Wälle!
Und auch ob er sich tatsächlich theatralisch vors Lagertor legte, um seine fliehenden Soldaten zu beschämen, ja ob diese Panik
überhaupt stattfand könnte ebenso fraglich sein wie der spätere "raffinierte Trick" mit dem zurückgelassenen Troß. Für so etwas gab´s Applaus, nicht für trockene Faktendarstellungen!
Dasselbe, so meine ich, wird daher auch für die Gänsehaut-Story von den im unheimlichen Sumpf und Wald dahinstolpernden Legionären des Varus gegolten haben. Ich gehe sogar davon aus, daß
gerade die spannenden und gruseligen Elemente dieser Version von deren ursprünglichen sicher nicht dummen Erfindern im Augustus-Auftrag
wohlüberlegt waren. Ein wesentliches Kennzeichen gut gemachter Propaganda ist bis heute, daß sie die
Gemüter ergreift!
War der
"Lederstrumpf" des Engländers Fenimore Cooper ein historischer Tatsachenbericht? Natürlich nicht, wurde auch niemals behauptet.
Aber was für eine Story! Und wie gut die Briten dabei wegkamen, nicht wahr?