Gruß dem edlen Don Quijote
Zunächst zu meinem Stil im Text: es sollte ein sagen wir etwas scherzhaft locker gehaltener Einstieg als Newcomer sein, auf meinen Nickname gemünzt. Außerdem: als Schuljunge stand ich einst vor dem Caelius-Stein und mich ergriff die Romantik, auch wegen des nicht mehr erkennbaren Gesichts:
"Wie magst Du wohl gewesen sein, wie gestorben?"
Damals fing mein Römer-Hobby an, das dann auf die alten Tage sogar noch mal an die Uni führte (Nur Grundstudium l´art pour l´art, um nicht bloß Bücher gelesen zu haben). Ich fand/finde also auch den Gedanken reizvoll, wie es wohl wäre, wenn man Caelius selber fragen könnte?
Wie heißt es so schon: "Lass den Glauben für die Kirche!"?
Auch den Nichtglauben? Und welchen Glauben, auch den an Kalkriese?
Wohl deshalb wurde hier bellum eingesetzt und in Parallele zur clades Variana mit dem Namen des römischen Feldherren verbunden. [...]
Ja vielleicht. Wie gesagt war es ein Einstieg ins Thema,
allein auf diese Inschrift würde ich natürlich auch keine Theorie aufbauen. Doch es gibt eben noch andere Anhaltspunkte für eine solche, und da könnte es dann als Mosaikstein passen. Und wenn dem Bruder das Wort Niederlage peinlich war (ich gebe ja zu, daß er das so oder so wohl nicht geschrieben hätte), so hätte er doch
proelium oder
acies verwenden können. Hat er aber nicht, er schrieb, wie ich vermute, ausdrücklich
bellum.
Daß er damit
alle kriegerischen Ereignisse in Germanien unter
"Krieg des Varus" zusammenfassen wollte, kann ich mir nicht so recht vorstellen. Den antiken Quellen gemäß trat Varus sein Amt an, nachdem es Augustus so erschien, als ginge es nun nur noch darum, eine im Grunde bereits eroberte Provinz zu romanisieren und zu verwalten. Varus hatte sich in Syrien ja als guter Verwaltungsfachmann und Jurist erwiesen, und nicht primär als begabter Heerführer.
Es herrschte also Ruhe im Lande, wenn auch eine trügerische. Kein Krieg des Varus, jedenfalls vorerst noch nicht.
Und die nach dem Tod des Varus einsetzenden Germanicus-Feldzüge kann Bruder Publius eigentlich auch nicht gemeint haben, sie zum Krieg des (bereits toten) Varus zusammenfassend. Das war nunmal der
"Krieg des Germanicus" und nicht der des toten Varus! Sei mir nicht böse, aber eine solche Annahme würde auf mich als an den Haaren herbeigezogen wirken.
Außerdem gibt es noch den Hinweis:
"Die Gebeine dürfen hier bestattet werden."
Wie kann man das nun interpretieren? Bruder Publius muß die Bestattung, bzw. das Auffinden der Gebeine des Marcus, grundsätzlich für möglich gehalten haben. Daraus könnte geschlußfolgert werden, daß er noch nichts davon wußte, daß Germanicus die Gebeine der Gefallenen in einem Sammelgrab, dem tumulus, beisetzte.
Ergo kann er demnach mit
bellum auch nicht die Germanicus-Feldzüge gemeint haben, da er den Stein, siehe oben, offenbar
vor diesen in Auftrag gab. Es bliebe also in der Tat nur
"der Krieg des Varus" übrig, nichts vorher und nichts nachher!
Und wir Heutigen müssen eben überlegen, ob damit wirklich eine einzelne,
"die Varusschlacht" im bis heute üblichen Sinne gemeint war?
Oder ob, wie ich eben vermute, diese nur eine augusteische Propagandakonstruktion aus Staatsräson war (mgl. Gründe dafür hatte ich bereits genannt) und Varus tatsächlich im in einem großen Aufstand lodernden Germanien von Amts wegen und gegen eine an allen Orten germanische Übermacht
Krieg führte. Mit länger dauernden und unfassenden strategischen Maßnahmen, und dabei dann - nach und nach - seine Legionen aufgerieben wurden, nicht nur an einer Stelle.
Was außerdem u.U. auch nur relativ kurz gedauert haben mag, vielleicht ein oder zwei Wochen. Jedenfalls nicht nur vier Tage mit einem einzelnen Hinterhalt. Also gewissermaßen ein "ganz normaler" Kolonialkrieg gegen aufständische Germanen an diversen Lokalitäten. Wobei die drei Legionen noch nicht einmal konzentriert zusammen gefochten haben müssen. Das war später ja auch beim Krieg des Germanicus nicht so.
Nach meiner Hypothese wären dann sämtliche antiken Berichte nichts als reine Erfindung mit allenfalls minimalem Wahrheitsgehalt. In Augustus Auftrag!
Das könnte auch erklären, warum sie so seltsam voneinander abweichen, sodaß, wie jemand einmal schrieb, sie beinahe so wirken, als schilderten sie jeweils ganz verschiedene Ereignisse. Nur eines hatten sie gemeinsam, befehlsgemäß von ganz oben wie ich vermute: es gab nur
eine Schlacht!
Und auch wenn ich Deiner These folgte, die ich aber wie gesagt für nicht plausibel halte (s.o.), die Inschrift auf dem Stein hätte womöglich den gesamten
immensum bellum in Germanien unter
"Krieg des Varus" subsumiert:
Man könnte sich dann immer noch leicht vorstellen, daß zunächst Varus den Kampf aufnahm, und zwar so wie ich es hypothetisch geschildert habe, Tiberius (von Pannonien zurückkehrend) ihn nach dessen schließlicher Niederlage in den Jahren 9-11 kurze Zeit weiterführte, sich aber zurückziehen mußte, die Rheingrenze sicherte und nach einer Pause zur militärisch notwendigen Konsolidierung aufgrund der Verluste Germanicus a.d. 15 erneut nach Germanien aufbrach, um endgültig reinen Tisch zu machen.
Caelius war (also) möglicherweise gar nicht zusammen mit Varus gefallen, sondern an einem anderen Ort." (a.a.O.)
Kein schlechter Gedanke! Das ist ja überhaupt unser Problem: es gibt einfach
zu wenig Material und schon garnicht hieb und stichfestes, - in den Textquellen und auch in den archäologischen Befunden. Auch wenn im Streit der Fraktionen oft allzu leichtfertig und voreilig von Gewißheit geredet wird, oder diese zumindest angedeutet wird. Daher der große Raum für Hypothesen, Theorien und Spekulationen. In dem zu bewegen ich mir dasselbe Recht herausnehme wie alle anderen auch.
Es kann eben alles so oder so oder auch ganz anders gewesen sein. Das ist, wenn man ehrlich ist, immer noch der Stand der Dinge. Aber das ist unbefriedigend, und nichts scheuen auch Wissenschaftler, sogar Naturwissenschaftler so sehr wie den simplen Satz:
"Ich weiß es nicht!"
Ein Blick in die Wissenschaftsgeschichte beweist es: lieber die (aus heutiger Sicht) seltsamsten "Gewißheiten" (z.B. Descartes Menschenseele in der Zirbeldrüse) als dieses Eingeständnis!
Vorbildlich war diesbezüglich nur Sokrates:
"Ich weiß daß ich nichts weiß!" Und die Scholastiker mit ihrem
"ignorabimus", "Wir werden es nicht wissen!" Ja und wer weiß, vielleicht wird das für alle Zeiten auch für das "Varusrätsel" gelten?
Jedenfalls, könnten wir den Marcus Caelius tatsächlich in einer Geisterséance befragen, würden wir womöglich aus allen Wolken fallen. Ich selbst sage auch nicht, daß es so wie ich es schreibe zweifelfrei
war, sondern meine es eher wie:
"Ich könnte es mir so vorstellen!"
Zwar meine ich Anhaltspunkte dafür zu haben, aber
Beweise natürlich nicht. Die haben meines Erachtens aber alle Anderen für ihre Versionen vorläufig auch nicht, weder die Pro- noch die Contra-Kalkriese Fraktion.
Machen wir uns nichts vor, die Quellen sind alle voller topoi. Aber in dieser Beziehung musst mir helfen: an welcher Stelle macht Cassius Dio eine negative Bemerkung über seine Quellen?
An dieser: C.D. Römische Geschichte, Bd. IV. Buch 53/19.4-6:
"[...] Denn man argwöhnt, daß sich alle Worte und Taten nur nach den Wünschen der jeweiligen Machthaber und ihrer Anhänger richten (sic! Also im Varus-Fall womöglich auch nach denen des Augustus, d. Verf.)
.
Daher schwatzt man von vielen Dingen, die sich garnicht zutrugen, während man von anderem, was sich bestimmt ereignet, nichts weiß; jedenfalls laufen fast sämtliche Geschehnisse in einer Version um, die sich mit den Tatsachen nicht deckt (...). Infolgedessen werde auch ich alle nun folgenden Ereignisse, soweit sie besprochen werden müssen darbieten und keine Rücksicht darauf nehmen, ob sich die Dinge in Wahrheit so oder auf andere Weise abspielten!"
Und an dieser: Römische Geschichte, Bd. IV. Buch 54/15.3:
"Ich habe daher meinerseits die Absicht, in sämtlichen derartigen Fällen lediglich was überliefert wird niederzuschreiben, ohne mich damit zu beschäftigen, ob die Überlieferung der Wahrheit entspricht oder nicht. Diese meine Erklärung soll auch für den Rest der Schrift gelten!"
Das ist schon ziemlich heftig, nicht wahr? Dio bezog dies ganz generell auf die Senatsarchive, bzw. die staatliche "Informationspolitik" seit dem Ende der Republik, also seit Augustus! Und wie ich schon sagte, ich finde es unseriös, wenn Leute, deren Varusschlachtversion sich
ausschließlich auf Dios Schilderungen bezieht - dazu gehörte schon Mommsen -, und damit auf den
einzigen Text, der überhaupt (eindeutig) von einer mehrtägigen Schlacht in Wald und Sumpf erzählt, dem Publikum diese Stellen "unterschlagen".
Dio sagt nämlich nichts anderes, als daß er den Senatsarchiven, aus denen er sich informierte, selber nicht traut!
Ganz generell! Und: "...
fast sämtliche Geschehnisse..." Das heißt zwar nicht unbedingt und definitiv, daß auch der Varus-Bericht in den Archiven aus politischen Gründen gefälscht war, kann aber noch heute einen entsprechenden Verdacht
erheblich erhärten, - besonders wenn es Anhaltspunkte und Plausibilität für einen solchen Verdacht gibt!
Auf jeden Fall ist es nach wissenschaftlichen Maßstäben unzulässig, Dios Varus-Bericht
nicht in Zweifel zu ziehen. Zumal wie gesagt
er selber dies offenbar tut! Wobei in Zweifel ziehen nicht heißt, völlig auszuschließen, daß er doch wahr sein
könnte. Aber eben nicht mehr!
Womit die Version von der viertägigen Schlacht in Wald und Sumpf - und damit auch Kalkriese -, nicht um ein Jota
gewisser bzw. gar
"wissenschaftlich gesicherter" ist, als die auf Paterculus etc. abstellenden Lagerhypothesen oder auch meine hier dargelegte Version vom Verlust der Varuslegionen in einem weitgefächerten und insofern unspektakulären "Standard"-Kriegsszenario.
Und das ist es, was ich den Kalkriesern übel nehme: daß sie genau
das notorisch nicht wahrhaben wollen und ihre Gewissheiten auf allzu dünnem Eis laufend leider auch in der Tat mit allerlei Marketing-Gedröhn untermalen! Wenn dann noch einige von ihnen, wie ich kürzlich irgendwo im Netz las, Skeptiker und Kritiker, in diesem Fall
Lippek, mit derart ja ich sage kindischer Häme und Polemik zu diskreditieren versuchen, ist man wahrlich geneigt auszurufen:
"Und ihr wollt Wissenschaftler sein?"
Was keineswegs heißt, daß ich umgekehrt sämtlichen Kalkriese-Kritikern unbesehen glaube. Es wird zweifellos auch auf dieser Seite viel zusammengeschrieben, was weder Hand noch Fuß hat. Was mich aber nicht stört, solange nicht auch dort von absoluter Gewißheit geredet wird.
Diejenigen jedoch, die man im Prinzip ernst nehmen kann haben bei mir einen Sympathie-Bonus, auch wenn ich ihre Hypothesen nicht teile, weil sie die Schwächeren sind. Ohne Födergeldregen, Reklame in der Laienpresse, deren Schreiber meist garnicht wissen worum es geht, ohne politische Unterstützung, winkende Karrieren usw.
Die entsprechende Argumentation möchte ich gerne lesen.
Uff, später, wahrscheinlich morgen, ich will mich jetzt mal ein wenig aufs Ohr legen,
Wieso? Bleiben nicht die Knochengruben und die VAR-Countermarken?
Auch ein Thema, das man nicht mit ein paar Sätzen bearbeiten kann, heute also nicht mehr, siehe oben.