Was bedeutet "saltus"?

Die Studie diskutiert relativ ausführlich die Frage, ob solche procuratores, de facto als Teil der Provinzadministration agierten, oder von ihr losgelöst eine direkte kaiserliche Kontrolle über Einzelterritorien ausübten. [...]
Das Institut solcher exterritorialen, unter direkter kaiserlicher Kontrolle stehenden Gebiete (für die seit Plinius der Gebrauch des Begriffes saltus vielfach bezeugt ist) wird in der Studie als wesentliches Instrument der Machtausweitung und -sicherung der Kaiser gegenüber dem Senat beschrieben. [...] die Studie zeigt detailliert auf, wie über die saltus die kaiserliche Macht systematisch ausgeweitet wurde, und dabei senatorische Machtpositionen (Quaestoren, senatorische Finanzverwaltung, etc.) schrittweise eliminiert bzw. an den Rand gedrängt wurden.
Nicht "großes Landgut", sondern "kaiserlicher Verwaltungsbezirk", analog zum "saltus sumolecennensis", der dann irgendwann im 2. Jh. zur "civitas" wurde. Aber ansonsten verstehst Du mich richtig. Genauer gesagt - ich will zunächst erstmal sagen, dass eine solche Deutung zumindest gleichrangig mit der als "Walgebirge" in Betracht gezogen werden sollte.
Meines Erachtens weitest Du den Begriff "saltus" in Deiner Argumentation unzulässig aus. Das geht zumindest aus der von Dir verlinkten Dissertation von Sabine Schmall so nicht hervor. Die Verwaltungseinheit "saltus" ist, wie Schmall darstellt, nur eine von vielen innerhalb der von kaiserlichen procuratores administrierten Ländereien. Auch von einer obligatorischen Verwaltungseinheit "saltus" spricht sie nicht.

In seiner Gesamtheit stellt das patrimonium sicherlich eine beachtliche Machtbasis dar, der direkt dem Imperator unterstellte Verwaltungsapparat mit den nach und nach gewährten Privilegien und Sonderregeln schmälert zwangsläufig die Einflußmöglichkeiten des Senats. Aber: Das ist ein langer Prozess, den Augustus zwar eingeleitet hat, der aber keineswegs mit seinem Tod beendet war. In welchem Maße also Varus bereits von kaiserlicher Bürokratie gefesselt war oder doch noch nach alter republikanischer Manier in die eigene Tasche wirtschaften konnte, darüber ließe sich trefflich streiten.

Daß in spät-augusteischer bis früh-tiberianischer Zeit ein "saltus" im Sinne einer kaiserlichen Domäne überhaupt irgendwo existiert hat, läßt sich aus Schmalls Dissertation nicht folgern.
 
Ähnlich in Tac. ann.1,50,2.:
"inde saltus obscuros permeat consultatque, ex duobus itineribus breve et solitum sequatur an inpeditius et intemptatum eoque hostibus incautum."
Von da ziehen sie durch dunkle Wälder und beratschlagen, ob sie von zwei Marschlinien die kurze und gewöhnliche oder die beschwerlichere, noch nicht versuchte und darum von Feinden unbewachte einschlagen sollen.
Im Jahre 14 zieht Germanicus gegen die Marser um die aufmüpfigen Legionen zu beschäftigen. Wieder taucht Saltus als "Wald" übersetzt auf, tatsächlich hatten die Truppen aber ein unbekanntes (auch das bedeutet "obscurus") Gebirge zu überwinden, von dem nur bisher ein Durchmarschweg bekannt war. Nun, man entschloss sich für den beschwerlichen Weg übers Gebirge. Als man das geschafft hatte, bekam Germanicus Nachricht von der bevorstehenden Feier der Marser und schickte, wie immer, Caecina los die Hindernisse im Wald (Silva!), in dem man sich nun befand, zu beräumen.

Die Römer überfielen danach die nichtsahnenden Marser.

Wieder Tac. ann.1,50,2:
"excivit ea caedes Bructeros, Tubantes, Usipetes; saltusque, per quos exercitui regressus, insedere.
Dieses Blutbad setzte die Brukterer, Tubanten, Usipeten in Bewegung; sie besetzten die waldigen Gebirge, über die das Heer zurück musste
Siehe da, die Römer mussten nicht durch dunkle Wälder zurück, sondern über das Gebirge (das hier, welch Überraschung, auch noch bewaldet ist - ohne Wald geht es nicht bei Saltus!), wie oben bereits angemerkt.

Weiter bei Tac. ann.1,50,3.
"sed hostes, donec agmen per saltus porrigeretur, immoti, dein latera et frontem modice adsultantes, tota vi novissimos incurrere."
Der Feind rührte sich nicht, bis sich der Zug durch den Wald hingedehnt hätte; hierauf aber stürzt er sich, während er leichte Angriffe auf Flügel und Front unternahm, mit ganzer Macht auf den Nachtrab.
Jetzt frage ich mich doch ernsthaft, wo nun plötzlich der Wald herkommt? Grade haben wir festgestellt, dass die Römer ein vorher unbekanntes Gebirge überwanden und auch die Germanen im Gebirge lauerten!
Ein schöner Hinweis, Ostfale, auf eine Stelle, die ich bisher übersehen hatte. Fangen wir mal mit dem Ziel der Expedition, den Marsern, an. Wo siedelten diese?
Marser (Germanien) ? Wikipedia
Die Marser (lateinisch: Marsi, griechisch οἱ Μαρσοί) waren ein kleiner germanischer Volksstamm, der zwischen Rhein (Rhenus), Ruhr und Lippe (Lupia) siedelte. Der Stamm der Marser entstand aus einer Abspaltung von den rechtsrheinisch verbliebenen Resten der Sugambrer, welche unter Tiberius im Jahre 7 v. Chr. in linksrheinische Gebiete an die Maas in das Gebiet der Sunuker umgesiedelt wurden.[1][2] Sie wurden erstmals von Strabon und mehrmals von Tacitus erwähnt
Wo das von Germanicus verwüstete Kernland der Marser genau lag, können wir nur vermuten. Lt. Tacitus wurde es über 50 Meilen verheert. Rechnen wir noch einen gewissen Weg vom Rhein hinzu, scheint mir die fruchtbare und salzreiche Soester Börde ein guter Kandidat zu sein.

Die Römer haben die Wahl zwischen zwei Wegen dorthin, einem bekannten, und einem unbekannten, aber wohl unbewachten. Der bekannte Weg dürfte die Lipperoute gewesen sein, der unbekannte wohl entlang des Hellwegs geführt haben. Sie wählten für den Hinweg den unbewachten, längeren Weg. Über den Rückweg vermeldet Tacitus nichts Genaues, hier könnten die Römer also auch versucht haben, zur Lippe (Lippstadt? Hamm?) zu gelangen. Ein Rückzug nach Süden durchs Sauerland ist strategisch-logistisch unwahrscheinlich, auch hätten in einem solchen Fall eher Chatten/Mattier als Bructerer versucht, den Römern den Rückweg abzuschneiden.

Wie auch immer, das fragliche Gebiet wimmelt laut Tacitus nur so von saltus. Ausgedehnte Wälder können wir nach den pollenanalytischen Befunden für den Lipperaum ausschliessen, auch frühkaiserzeitliche Eisenverhüttung (belegt), und Salzsiederei (vermutet) in/um Soest machen eher weitläufige Entwaldung wahrscheinlich. Also bleiben Berge. Nur, welche? Die höchsten Erhebungen, die ich in der fraglichen Region finden konnte, sind der Dortmunder Rücken (146 m, ca. 60 m höher als die Dortmunder Innenstadt), und das Kamener Hügelland (100 m, ca. 40 m höher als das Umland).
Hellwegbörden ? Wikipedia
Offenbar pflegt Tacitus also eine sehr freie, fast schon willkürlich zu nennende Nutzung des Begriffs saltus. wenn es um Germanien geht. Warum dichtet er der Westfälischen Bucht eine offensichtlich unzutreffende Topographie an?

sepiola:
Gab es zu dieser Zeit in der Magna Germania "saltus" im Sinne von Bergwäldern?
Ja. (Fakt)
Jedoch nicht dort, wo sie Tacitus drei Mal verortet (ebenfalls Fakt).

++
Unmittelbar vor den fraglichen Stellen (Annalen 1, 50,1) findet sich folgende Stelle:
at Romanus agmine propero silvam Caesiam limitemque a Tiberio coeptum scindit, castra in limite locat. =

Aber die Römer durchschneiden in Eile den Caesierwald, bis wo die von Tiberius begonnene Grenzscheide geht und schlagen auf der Grenze ihr Lager auf
Über die Lage des slivam Caesiam ist viel spekuliert worden. Immer wieder genannte Kandidaten sind Coesfeld, sowie das heutige Essen, wo es eine Reihe von Toponymen auf Hese-/Heisi- gibt. Allerdings liegen beide Kandidaten nicht sonderlich nahe an der Marschroute von Xanten in die Soester Börde.
http://www.rhm.uni-koeln.de/087/Gomoll.pdf

Unabhängig von der Frage der konkreten Verortung können wir entnehmen, dass Tiberius mit der Anlage eines rechtsrheinischen limes irgendwo nördlich der Ruhr begonnen hatte. Welchen verwaltungstechnischen Status wird das Gebiet zwischen dem Rhein und diesem limes gehabt haben? Wohl nicht den einer civitas. Vielleicht ein saltus?
Auffällig ist denn auch, dass Tacitus, der doch so gerne silva und saltus synonym bzw. in Konnotation nutzt, gerade an dieser Stelle, im Gegensatz zu den folgenden Abschnitten, silva verwendet. Warum? Weil Leser einen saltus innerhalb römischer Grenzen als Verwaltungseinheit verstanden hätten?

sepiola:
Gab es zu dieser Zeit in der Magna Germania "saltus" im Sinne von Verwaltungsbezirken?
Nein.
(Oder höchstens fiktive, aber noch nicht einmal die fiktiven sind auch nur ansatzweise belegt. Soviel zu Fakten und Fiktion.)
Noch mal: Was veranlasst Dich zu der Behauptung, es hätte (trotz Limesanlage, Stadtgründungen, Steuererhebung durch Varus etc.), keine römische Verwaltung in der Magna Germania gegeben?
Woraus schließt Du, eine solche Verwaltung hätte nicht unter direkter kaiserlicher Kontrolle gestanden?
An welcher Stelle irrt Mommsen, wenn er (a) den von Plinius bezeugten saltus Galliani in der Emilia als Verwaltungsgebiet des procurator at praedia Galliani identifiziert, (b) er diesen mit dem procurator vectigaliorum populi Romani, quae sunt citra Padum gleichsetzt, und aus beidem schließt, das die Institution bereits in republikanische Zeit zurückreicht?
Gesammelte Schriften - Theodor Mommsen - Google Books
Dann nimm dazu noch den saltus sumelocennensis, eindeutig eine in neuerobertem rechtrheinischen Territorium gelegene römische Verwaltungsgliederung aus Tacitus Zeit.
Und jetzt zähl mal eins und eins (und eins) zusammen. Der korrekte Ausdruck hier lautet Indizienbeweis, nicht Fiktion.

Beaker
Also konnte der kaiserliche Beamte Publius Cornelius Tacitus den Wald nicht vom Verwaltungsbezirk unterscheiden?
Tacitus war sicherlich in der Lage, zwischen saltus als Waldgebirge und saltus als Verwaltungseinheit zu unterscheiden. Aber er gibt sich scheinbar einige Mühe, bis hin zur verzerrten Wiedergabe der westfälischen Topographie, dies seinen Lesern unmöglich zu machen.

El Quijote
Mir ist nicht ganz klar geworden, was der Völkermord durch Germanicus mit der Saltus-Frage zu tun hat.
Hab ich doch schon gesagt: Ein Völkermord (oder auch nur großflächige Verwüstung) eines Gebiets, das zum kaiserlichen patrimonium gehört, ohne konkreten Anlass wirft ein paar unangenehme Fragen auf. Der saltus teutoburgiensis lag nicht fern vom verwüsteten Bructererland - ob er Teil des verwüsteten Gebiets war, ist Tacitus Text nicht zu entnehmen. "Durchsuchen der Verstecke" lässt, angesichts der sonstigen Kriegspraxis, jedoch nichts Gutes erahnen.
Tiberius jedenfalls billigt Germanicus Aufenthalt dort nicht (Annalen 1,62,2), Tacitus stellt verschiedene Mumaßungen über den Grund dieser Mißbilligung an. Einen naheliegenden Grund, nämlich dass Germanicus, anstatt sich auf Arminius zu konzentrieren (wo ihm am Ende die Zeit ausgeht), Zeit verplempert, und nebenbei potentielle Bundesgenoosen Rom entfremdet, und das Wirtschafts- und Steuerpotential der wieder in Besitz zu nehmenden Gebiete zerstört, nennt er nicht. Hätte ja auch nicht zur "story" um den Helden Germanicus und den missgünstigen Tiberius gepasst. Und in diesem Kontext ware es dann auch nicht hilfreich, wenn Leser den saltus teutoburgiensis als ein eigentlich schon halb romanisiertes, und vor der Varus-Schlacht kaiserlich verwaltetes Gebiet verstehen würden.

Zur "message" der Germania von den unzivilsierten, den Römern grundverschiedenen Germanen passen solche Anklänge erfolgreicher Romanisierungsansätze auch nicht, Hier habe ich mich - zugegebenermaßen - etwas amateurpsychologisch ausgetobt, aber dies ja auch ausdrücklich als "Arbeitshypothese" gekennzeichnet. Tacitus rassistsiche Tendenz in Bezug auf die Germanen ist unübersehbar. Der Verweis auf germanische Blondheit und Blauäugigkeit macht diese Tendenz besonders plakativ, aber selbst wenn er davon nicht geschrieben hätte - bei ihm gibt es keine kulturelle und/oder genetische Interaktion zwischen Germanen, Kelten, und letztendlich auch Römern.
Nun sollte man aber bei einem in Gallien geborenen, u.U. sogar gallischstämmigen, römischen Verwaltungsbeamten mit vielfältiger Provinzerfahrung bis hin zum Prokonsulat in Asia eigentlich interkulturelle Kompetenz erwarten. Warum zeigt seine Germania davon nichts? Weil er dann sein sein Unwohlsein mit Germanicus Vorgehen hätte klarer ausdrücken, ja dies Vorgehen explizit hätte verurteilen müssen?
 
Tacitus war sicherlich in der Lage, zwischen saltus als Waldgebirge und saltus als Verwaltungseinheit zu unterscheiden. Aber er gibt sich scheinbar einige Mühe, bis hin zur verzerrten Wiedergabe der westfälischen Topographie, dies seinen Lesern unmöglich zu machen.

Insbesondere bei Cassius Dio finden wir ja tatsächlich Stellen, bei denen Cassius versucht, die Niederlage der Römer als von den Göttern gewollt und durch widrige Umstämde bedingt zu erklären.
Dass Tacitus nun versuchen wollte zu verdunkeln, ob es sich um einen Wald/ein Gebirge oder ein kaiserliche Domäne handelt, ist dagegen ein seeehr steile Hypothese.

Hab ich doch schon gesagt: Ein Völkermord (oder auch nur großflächige Verwüstung) eines Gebiets, das zum kaiserlichen patrimonium gehört, ohne konkreten Anlass wirft ein paar unangenehme Fragen auf.
Den Anlass gab es: Die Marser waren Teil der antirömischen Koalition, sie hatten an der Varusschlacht teilgenommen. Noch mal: Was hat der Überfall auf die durch ihre Trunkenheit wehrlosen Marser mit der Interpretation des saltus-Begriffs zu tun? Mit oder ohne Anlass?

Tiberius jedenfalls billigt Germanicus Aufenthalt dort nicht (Annalen 1,62,2), Tacitus stellt verschiedene Mumaßungen über den Grund dieser Mißbilligung an. Einen naheliegenden Grund, nämlich dass Germanicus, anstatt sich auf Arminius zu konzentrieren (wo ihm am Ende die Zeit ausgeht), Zeit verplempert, und nebenbei potentielle Bundesgenoosen Rom entfremdet, und das Wirtschafts- und Steuerpotential der wieder in Besitz zu nehmenden Gebiete zerstört, nennt er nicht. Hätte ja auch nicht zur "story" um den Helden Germanicus und den missgünstigen Tiberius gepasst. Und in diesem Kontext ware es dann auch nicht hilfreich, wenn Leser den saltus teutoburgiensis als ein eigentlich schon halb romanisiertes, und vor der Varus-Schlacht kaiserlich verwaltetes Gebiet verstehen würden.

Auch hier wieder die Frage: Was hat der von Tacitus dem Tiberius unterstellte Neid mit dem saltus-Begriff zu tun?
 
Ein schöner Hinweis, Ostfale, auf eine Stelle, die ich bisher übersehen hatte.
Darf ich bei dieser Gelegenheit noch einmal nachfragen, auf welche Stellen Du Dich für die Behauptung einer "erfolgreich abgeschlossenen Pazifizierung" gestützt hast?

Ausgedehnte Wälder können wir nach den pollenanalytischen Befunden für den Lipperaum ausschliessen
Nach den Pollenbefunden gab es eine Menge Wälder (wenn auch in der Regel nicht sehr ausgedehnte). Man könnte also sagen:
das fragliche Gebiet wimmelt laut Tacitus nur so von saltus.
Jedoch nicht dort, wo sie Tacitus drei Mal verortet (ebenfalls Fakt).
Fakt?
Wo verortet Tacitus Wälder, wo es faktisch keine Wälder gegeben hat?

Unabhängig von der Frage der konkreten Verortung können wir entnehmen, dass Tiberius mit der Anlage eines rechtsrheinischen limes irgendwo nördlich der Ruhr begonnen hatte.
Die Übersetzung "Grenzscheide" ist an dieser Stelle problematisch. Vom Kontext her wäre "Schneise" eindeutig die bessere Übersetzung. Siehe hier.

Auffällig ist denn auch, dass Tacitus, der doch so gerne silva und saltus synonym bzw. in Konnotation nutzt, gerade an dieser Stelle, im Gegensatz zu den folgenden Abschnitten, silva verwendet. Warum?
Weil man nicht zu oft hintereinander dasselbe Wort verwenden sollte. Hier kommt der Wald sechsmal auf einer halben DIN-A-4-Seite vor. Da wechselt er in lockerer Reihenfolge ab und schreibt dreimal "silva", dreimal "saltus".


Noch mal: Was veranlasst Dich zu der Behauptung, es hätte (trotz Limesanlage, Stadtgründungen, Steuererhebung durch Varus etc.), keine römische Verwaltung in der Magna Germania gegeben?
Woraus schließt Du, eine solche Verwaltung hätte nicht unter direkter kaiserlicher Kontrolle gestanden?
Was "behaupte" und was "schließe" ich?

Geschrieben habe ich:

Über Tacitus' Quelle zu den Feldzügen des Germanicus kann man nur eines mit Sicherheit sagen: Sie stammte frühestens von 15/16 n. Chr.

Gab es zu dieser Zeit in der Magna Germania "saltus" im Sinne von Bergwäldern?
Ja. (Fakt)
Gab es zu dieser Zeit in der Magna Germania "saltus" im Sinne von Verwaltungsbezirken?
Nein.
(Oder höchstens fiktive, aber noch nicht einmal die fiktiven sind auch nur ansatzweise belegt. Soviel zu Fakten und Fiktion.)

Wenn Du behaupten willst, zu Varus' Zeit hätte die Verwaltung unter direkter kaiserlicher Kontrolle gestanden, dann liefere hierzu bitte Fakten.

An welcher Stelle irrt Mommsen
Mommsen äußert eine Vermutung. Ich nehme an, Du kennst den Unterschied zwischen Fakten und Vermutungen.

Dann nimm dazu noch den saltus sumelocennensis
Schon besprochen.
Belegt für die Zeit des Antoninus Pius (138-161).
Das bisher einzig zweifelsfreie Zeugnis für die Existenz eines saltus bei Sumelocenna/Rottenburg stammt aus der Zeit des Antoninus Pius.
150 Jahre nach Varus.
In einem seit Jahrzehnten befriedeten Gebiet.
Welche Schlussfolgerung man daraus für die Situation unter Varus ziehen soll, bleibt unerfindlich.

Der korrekte Ausdruck hier lautet Indizienbeweis, nicht Fiktion.
Bisher hast Du noch keine Fakten geliefert, auf denen man einen Indizienbeweis aufbauen könnte.

Also bleibt es dabei:

Es gibt noch nicht einmal einen Beleg dafür, dass um die Zeitenwende der Begriff "saltus" für einen kaiserlichen Verwaltungsbezirk üblich war.

Sogar wenn es dafür einen Beleg gäbe, wäre das noch lange kein Beleg für die Behauptung, in der kurzen Zeit zwischen der vermeintlichen Befriedung und der Varusschlacht wären im fraglichen Gebiet solche Verwaltungsbezirke eingerichtet worden.

Und sogar wenn: 15 n. Chr. gab es dort keinerlei römische Verwaltung mehr.


Hab ich doch schon gesagt: Ein Völkermord (oder auch nur großflächige Verwüstung) eines Gebiets, das zum kaiserlichen patrimonium gehört, ohne konkreten Anlass wirft ein paar unangenehme Fragen auf. Der saltus teutoburgiensis lag nicht fern vom verwüsteten Bructererland - ob er Teil des verwüsteten Gebiets war, ist Tacitus Text nicht zu entnehmen.
Der Formulierung nach war er nicht Teil des verwüsteten Gebiets, sondern lag nicht weit vom verwüsteten Gebiet.
Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass in der Gegend ein kaiserliches patrimonium existierte.
Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass der saltus teutoburgiensis verwüstet wurde.
Zwei Behauptungen ohne konkrete Anhaltspunkte. Und daraus wird eine dritte Behauptung konstruiert.
Das ist auch nur eine fiktive Story, kein "Indizienbeweis".
 
Den Anlass gab es: Die Marser waren Teil der antirömischen Koalition, sie hatten an der Varusschlacht teilgenommen. Noch mal: Was hat der Überfall auf die durch ihre Trunkenheit wehrlosen Marser mit der Interpretation des saltus-Begriffs zu tun? Mit oder ohne Anlass?
Ich unterscheide zwischen Grund und Anlass. Die Teilnahme der Marser an der Varusschlacht mag Kriegsgrund gewesen sein. Ein konkreter Anlass, z.B. ein kürzlicher Einfall der Marser in römisches Gebiet, ist jedoch nicht überliefert; die Marser wurden ja auch buchstäblich nichts Böses ahnend im Schlaf überrascht.
Im übrigen fand der Überfall auf die Marser im Herbst des Jahres 14 statt. Meine sonstige Diskussion von Verwüstungen bezeieht sich nicht auf diese "Generalprobe", sondern die Aktivitäten der Folgejahrs.
Auch hier wieder die Frage: Was hat der von Tacitus dem Tiberius unterstellte Neid mit dem saltus-Begriff zu tun?
Habe ich doch zwei mal ausführlich begründet. Wo genau hast Du Verständnisprobleme? Denn:
Spekulation, was du meinen könntest, liegt mir nicht so.

Darf ich bei dieser Gelegenheit noch einmal nachfragen, auf welche Stellen Du Dich für die Behauptung einer "erfolgreich abgeschlossenen Pazifizierung" gestützt hast?
U.a. Ostfalens Zitate von Cassius Dio. Ich errinnere auch noch weitere Quellen, die ich jedoch nachschlagen müsste, wofür mir derzeit die Zeit fehlt.
Unabhängig von den Schriftquellen: Zivile Städte (Waldgirmes) werden nicht in einer Gegend angelegt, wo man jeden Moment einen Aufstand befürchtet. Sie sind nicht namenlos. Und man errichtet in ihnen keine Verwaötungsgebäude, ohne auch festzulegen, welches Gebiet von dort aus in welcher Art verwaltet werden soll.
Gefunden wurde bislang eine solche Stadt, jedoch sprach Cassius Dio von Städten im Plural. Es gibt so einige Orte in Deutschland, für die, mit besserer oder schlechterer Begründung, über römische Gründung spekuliert wird. Zu den ernsthafteren Kandidaten gehören Minden und Hannoversch-Münden (Ptolemäos Munitium), gern gennant werden auch Höxter-Corvey, Hameln und Elze, selbst bei Magdeburg ist meines Wissens das letzte Wort noch nicht gesprochen. Welche dieser oder anderer Mutmaßungen sich letztendlich bestätigt oder nicht, sei dahingestellt - Varus Sommerlager wird sich mit Sicherheit an einem (noch zu lokalisierenden) Zentralort östlich des "saltus teutoburgium" befunden haben. Und die Art, wie man dorthin reiste - mit großem Troß, und die Soldaten z.T. mit Frauen und Kindern - spricht deutlich dafür, dass auch das "Fußvolk" zumindest diesen Teil Germaniens für pazifiziert hielt.
Nach den Pollenbefunden gab es eine Menge Wälder (wenn auch in der Regel nicht sehr ausgedehnte). (..) Wo verortet Tacitus Wälder, wo es faktisch keine Wälder gegeben hat?
Mal abgesehen davon, dass es durchaus auch lateinische Wörter für kleine Nutz-/ Hudewälder, Haine, etc. gegeben hat - wer sprach denn hier von Wäldern? Du sagtest:
Gab es zu dieser Zeit in der Magna Germania "saltus" im Sinne von Bergwäldern?
Ja. (Fakt)
Diese Bergwälder musst Du mir in der Westfälischen Bucht mal zeigen!
Die Übersetzung "Grenzscheide" ist an dieser Stelle problematisch. Vom Kontext her wäre "Schneise" eindeutig die bessere Übersetzung. Siehe hier.
Interessanter Aspekt, der mir so nicht present war. Danke für den Hinweis! Da können wir einen neuen Faden "Was bedeutet "limes"?" draus machen, der sicherlich auch Potential für mindestens 20 Seiten hat, Ich könnte was zum "limes saxoniae" beisteuern... :)
Mommsen äußert eine Vermutung. Ich nehme an, Du kennst den Unterschied zwischen Fakten und Vermutungen.
Mommsen liefert einen auf epigraphische Belege gestützten Indizienbeweis, wie dies für die römische Geschichtsforschung, mangels vollständiger Dokumentation, üblich ist. Du hast Dich lange geweigert, seine Argumentation überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, und nun traust Du Dich an die von mir angefragte Kritik seines Indizienbeweises nicht ran. Ziemlich schwach, ganz ehrlich!
Dann nimm dazu noch den saltus sumelocennensis
Schon besprochen.
Belegt für die Zeit des Antoninus Pius (138-161).
150 Jahre nach Varus.
Wo ist da der Beleg? Der Autor in Deiner Quelle verweist per Fußnote auf einen Aufsatz aus 1981, der mir nicht vorliegt, wobei noch nicht einmal klar ist, ob sich die Fußnote auf die Datierung, oder das vermutete Umfeld (Heiligtum) bezieht. Bei der Landesdenkmalpflege Baden-Würtemberg, die ich durchaus für eine vertrauenswürdige Quelle halte, heißt es:
Denkmalpflege Baden-Württemberg: Inschriften
Überliefert ist damit nicht nur der Name der römischen Siedlung, sondern auch ihre rechtliche Stellung zu Beginn des 2. Jahrhunderts n. Chr.
Beginn des 2.Jahrhunderts ist 100 Jahre nach Varus, und die Lebzeit Tacitus. Mag ja sein, dass der saltus sumelocennensis erst später zu datieren ist, dann liefere aber bitte einen nachprüfbaren Beleg, am besten verbunden mit einer Begründung, wie die Landesdenkmalpflege zu einer früheren und fehlerhaften Datierung kommt.
In einem seit Jahrzehnten befriedeten Gebiet.
Beleg?
Welche Schlussfolgerung man daraus für die Situation unter Varus ziehen soll, bleibt unerfindlich.
Denkst Du nicht, dass die Römer mit der Zeit eine "standard operating practice" für die Romanisierung und Provinzialsierung neueroberter Gebiete entwickelt haben? "Experimentierfeld" war sicherlich Gallien, dann kam der Nordalpenraum, dann die Germania Magna, dann Britannien, schließlich das Dekumatland. Natürlich mit Versuch und Irrtum, aber auch mit Rückgriff auf Erfahrungen, die sich "nebenan" nur 1-2 Generationen früher bewährt hatten.
Gerade dies macht den Begriff "saltus" für mich so spannend - er erlaubt einen Einblick in die Mechanismen römischer In-Besitz-Nahme. Vor diesem Hintergrund können wir von mir aus gerne erstmal Tacitus Tacitus sein lassen, und über saltus sumelocennensis und saltus nidensis im Dekumatland reden. Wenn wir daraus einen Konsens, oder zumindest eine Idee über die römische Vorgehensweise zum Ende der Expansionsphase entwickelt haben, können wir im nächsten Schritt prüfen, ob und welche Elemente dieses Vorgehens auch schon in der Germania Magna (und in anderen Vorläuferregionen wie Britannien, Nordalpenraum, Gallien) zu finden sind. Dies geht aber nur, wenn an den Begriff saltus, wie übrigens auch an den Begriff limes, erstmal ergebnisoffen herangegangen wird. Diese Bereitschaft sehe ich bei Dir, aber auch ein paar anderen Mitgliedern, zur Zeit nicht.
[Vermutlich würde die bislang hier geführte Diskussion jedoch auch viel weniger Aufmerksamkeit finden, wenn sie einen hypothetischen saltus mattiacensis, und nicht gerade den saltus teutoburgiensis beträfe. Insofern bist Du mit Sicherheit nicht der Einzige, an dem es liegt, dass wir uns immer wieder an Tacitus festbeißen].
 
Ich unterscheide zwischen Grund und Anlass. Die Teilnahme der Marser an der Varusschlacht mag Kriegsgrund gewesen sein. Ein konkreter Anlass, z.B. ein kürzlicher Einfall der Marser in römisches Gebiet, ist jedoch nicht überliefert; die Marser wurden ja auch buchstäblich nichts Böses ahnend im Schlaf überrascht.
Ein Anlass ist auch überliefert: Die Meuterei der Legionen nach Augustus' Tod.
Im übrigen fand der Überfall auf die Marser im Herbst des Jahres 14 statt.
Ich verstehe diesen Einwurf nicht. Habe ich etwas anderes geschrieben?

Habe ich doch zweimal ausführlich begründet
An deiner Ausführlichkeit ist nichts auszusetzen, eher an der Überzeugungskraft deiner Argumente. Du schreibst viele richtige Dinge, ziehst dann daraus aber Schussfolgerungen, die aus diesen Dingen nicht gezogen werden können. Der Überfall auf die trunkenen Marser etwa kann nicht für die Bedeutung des Saltus-Begriffs herangezogen werden. Erst dadurch, dass du sie willkürlich in die Soester Börde verortest, hast du einen Anlass, gegen Tacutus' Saltus zu polemisieren.
Ich muss hier Schluss machen, später mehr.
 
Denkst Du nicht, dass die Römer mit der Zeit eine "standard operating practice" für die Romanisierung und Provinzialsierung neueroberter Gebiete entwickelt haben? "Experimentierfeld" war sicherlich Gallien, dann kam der Nordalpenraum, dann die Germania Magna, dann Britannien, schließlich das Dekumatland.
Der Gedanke ist schon richtig - und genau darauf warte ich eigentlich die ganze Zeit: Wenn wir anhand deutlicher Belege nachvollziehen könnten, wie die Provinzwerdung in z.B. Gallien oder Britannien ablief, wieviel Zeit verging zwischen Eroberung und Etablieren einer zivilen Verwaltung, wenn für letztere dann noch der eine oder andere "saltus" nachweisbar wäre, zeitnah eingerichtet in den neuen Provinzen, dann hätten wir eine diskutable Basis für Deine Hypothese einer "standard operating practice" und kaiserliche Domänen rechts des Rheins zu Zeiten Varus'.
 
Ich errinnere auch noch weitere Quellen, die ich jedoch nachschlagen müsste, wofür mir derzeit die Zeit fehlt.
Dann warte ich eben, bis Du wieder Zeit hast. :winke:

Gefunden wurde bislang eine solche Stadt, jedoch sprach Cassius Dio von Städten im Plural.
Dann müssen es schon mal zwei gewesen sein.
Vielleicht auch für mehr, aber für mehr fehlt bisher der Beleg.
Dass für die geplanten und begonnenen Städte irgendeine Art von Verwaltung vorgesehen war, ist natürlich anzunehmen.
Aber das macht noch lange nicht eine spezielle Form der Verwaltung als kaiserliche Domäne mit der Bezeichnung "saltus" wahrscheinlich.
Zumal diese Form für diese Zeit nirgends nachgewiesen ist.

Varus Sommerlager wird sich mit Sicherheit an einem (noch zu lokalisierenden) Zentralort östlich des "saltus teutoburgium" befunden haben.
Warum östlich?

Und die Art, wie man dorthin reiste - mit großem Troß, und die Soldaten z.T. mit Frauen und Kindern - spricht deutlich dafür, dass auch das "Fußvolk" zumindest diesen Teil Germaniens für pazifiziert hielt.
Das "Fußvolk" ließ sich auf der "Reise" von nicht weniger als drei Legionen eskortieren.
Das spricht nicht dafür, dass man diesen Teil Germaniens für pazifiziert hielt. Das spricht dagegen.
Die drei Legionen hatten den Auftrag, einen Aufstand niederzuschlagen. Die (fingierte) Nachricht von einem Aufstand muss Varus sehr glaubwürdig vorgekommen sein, sonst wäre er nicht drauf reingefallen.
Das spricht deutlich dagegen, dass die Römer nicht im Traum mit einem Aufstand gerechnet hätten.

Deine Aussage war: Es gab keine Wälder, wo sie Tacitus drei Mal verortet. Das hast Du als "Fakt" bezeichnet.
Ob das Fakt ist, habe ich in Frage gestellt.
Wenn Du Fakten hast, bitte auf den Tisch damit.

Augusto schrieb:
Sepiola schrieb:
Mommsen äußert eine Vermutung. Ich nehme an, Du kennst den Unterschied zwischen Fakten und Vermutungen.
Mommsen liefert einen auf epigraphische Belege gestützten Indizienbeweis
Mommsen schreibt: "vermuthet".
Du schreibst "Indizienbeweis".
Da halte ich mich erst mal an Mommsen und schreibe "Vermutung".
Und wenn Du das für "schwach" hältst, bring einfach stärkere Argumente.

Beginn des 2.Jahrhunderts ist 100 Jahre nach Varus
Meinetwegen auch 100 Jahre. Auch daraus kann man nicht auf die Zeit des Varus schließen.
Bei der Landesdenkmalpflege Baden-Würtemberg, die ich durchaus für eine vertrauenswürdige Quelle halte
Dann haben wir zwei vertrauenswürdige Quellen, die sich widersprechen. Die eine hat einen wissenschaftlichen Apparat, die andere nicht.

Denkst Du nicht, dass die Römer mit der Zeit eine "standard operating practice" für die Romanisierung und Provinzialsierung neueroberter Gebiete entwickelt haben?
Nach meinem unmaßgeblichen Eindruck waren die Römer bei der Provinzialisierung eher flexibel. Das Ergebnis war wichtig: Die Region musste unter Kontrolle gebracht werden. (Und daneben versuchten Legaten, Kaiser, Lokalmagnaten, Senatoren usw. natürlich noch möglichst, jeweils ihr eigenes Süppchen zu kochen.)
Informationen interessieren mich sehr, da schließe ich mich Alfirin an.
Auf Spekulationen habe ich keine Lust.

Diese Bereitschaft sehe ich bei Dir, aber auch ein paar anderen Mitgliedern, zur Zeit nicht.
Bevor Du anderen etwas unterstellst, frag Dich doch mal, welchen Eindruck von "Ergebnisoffenheit" Deine Beiträge machen, z. B. die mit der seitenlangen Anti-Tacitus-Polemik.
 
Zuletzt bearbeitet:
@EQ: Den Überfall gegen die Marser sehe ich in der Tat separat. Natürlich war er innenpolitisch motiviert. Germanicus hatte sein Vermögen schon für die Beruhigung der meuternden Kölner Legionen verbraucht, also musste er den Xantener Legionen schnelle und leichte Beute bieten. Tiberius wird wohl auch erst mal froh gewesen sein, dass die Meuterei vom Tisch war..
Als das ganze aber im Folgejahr so weiter geht, ohne dass es zu nachhaltigen Erfolgen gegen Arminius kommt, lässt Tiberius Begeisterung deutlich nach.
Interessieren würde mich, warum Du die Soester Börde für willkürlich hältst.,Zwischen Lippe und Ruhr, von ersterer ("bekannter Weg") leicht zu erreichen, 50 Meilen plus mindestens die Strecke durch den silva Caesia vom Rhein entfernt - was befindet sich dort? Auch musste die potentielle Beute leicht transportabel und attraktiv genug sein, um meuternde Soldaten zu berhuhigen. Salz macht sich sicherlich nicht schlecht in dieser Hinsicht, Pökelfleisch werde sie zur Not wohl auch noch genommen haben...

Der Gedanke ist schon richtig - und genau darauf warte ich eigentlich die ganze Zeit: Wenn wir anhand deutlicher Belege nachvollziehen könnten, wie die Provinzwerdung in z.B. Gallien oder Britannien ablief, wieviel Zeit verging zwischen Eroberung und Etablieren einer zivilen Verwaltung, wenn für letztere dann noch der eine oder andere "saltus" nachweisbar wäre, zeitnah eingerichtet in den neuen Provinzen, dann hätten wir eine diskutable Basis für Deine Hypothese einer "standard operating practice" und kaiserliche Domänen rechts des Rheins zu Zeiten Varus'.
Hier brauche ich aber Hilfe. Mein Thema ist die Wirtschaftsgeographie. Für Germanien (nicht nur zur Römerzeit) kenne ich mich da, glaube ich, ziemlich gut aus, und fühle mich auch in der Lage, politische und verwaltungstechnische Prozesse andernorts in den entsprechenden sozio-ökonomischen Kontext zu setzen. Ich bin aber weder Historiker noch Verwaltungsrechtler, weiter bis zum kleinen Latinum hat es nicht gereicht. Meine Hoffnung war, dass irgendjemand anders aus diesem Forum mit entsprechenden Kenntnissen mal einsteigt - es gibt ja offensichtlich Mitglieder aus den Dekumatland oder dem Alpenraum, die vermutlich auch mal die lokale Heimatgeschichte gesichtet haben...
 
Dann müssen es schon mal zwei [römische Stadtgründungen] gewesen sein.
Vielleicht auch für mehr, aber für mehr fehlt bisher der Beleg.
Dass für die geplanten und begonnenen Städte irgendeine Art von Verwaltung vorgesehen war, ist natürlich anzunehmen.
Aber das macht noch lange nicht eine spezielle Form der Verwaltung als kaiserliche Domäne mit der Bezeichnung "saltus" wahrscheinlich.
Zumal diese Form für diese Zeit nirgends nachgewiesen ist.
Wie es mir scheint, ist für diese Zeit überhaupt keine Verwaltungsform nachgewiesen. Wir wissen zwar von diversen "procuratores" unterhalb, oder besser neben der Provinzebene, und dies auch schon zur republikanischen Zeit (vgl. Mommsen), aber der Status des so administrierten Territoriums ist bestenfalls auf griechisch überliefert. Wir wissen weiterhin, dass während der Kaiserzeit "procuratores" so gut wie immer kaiserliche, nicht senatorische Beamte sind. Von dem Moment an, wo durch procuratores verwaltete Territorien in Inschriften oder Dukumenten näher bezeichnet werden, sind sie meist saltus.
Nehmen wir mal das Beispiel Köln: Tacitus nennt es ara Ubiorum (Altar der Ubier, Annalen 1,39,1). Überwinterungsstandort zweier Legionen, mit repräsentativen Häusern, voll von Gassen (Annalen 1,39,3f), von Tacitus mal als urbs (Annalen 1,41,2), mal als oppidum (Annalen 1,25,1) bezeichnet. Was wissen wir über den offiziellen Status zur fraglichen Zeit? Der Terminus "civitas ubiorum" scheint eine Erfindung Werner Ecks zu sein, die ebenfalls häufig benutzte Bezeichnung "oppidum ubiorum" ist begrifflich vage und scheinbar auch nur durch Tacitus belegt (vgl. zu beidem nachfolgenden Link, Kap. 1.4.2 f). War "oppidum" überhaupt je eine offizielle römische Territorialbezeichnung wie "civitas", municipium" oder "colonia"? Dies ist nicht als Tacitus-bashing gemeint, es soll nur zeigen, dass wir selbst über den administrativen Status Kölns zur fraglichen Zeit nur mutmaßen können.
Romanisierung am Beispiel Kölns: Köln in römischer Zeit - Hausarbeit - schule-ratgeber.de

Für das Dekumatland sind die Belege von saltus, wann immer sie nun genau entstanden sind, meines (zugegebenermaßen beschränkten) Wissens nach, die ersten, die von Lokalverwaltung zeugen. civitates erscheinen erst deutlich später.

Du kannst hier mit Recht fehlende Belege beklagen - ich hätte auch gerne mehr davon. Aber wenn wir uns, mangels Belegen, zwangsläufiig in den Bereich von Vermutungen und Wahrscheinlichkeiten begeben müssen, halte ich persönlich die Wahrscheinlichkeit, dass (a) die Magna Germania zu Varus Zeit unter direkter kaiserlicher, nicht senatorischer, Verwaltung stand, und (b) dass der Terminus saltus, erwiesenermaßen ab 70 n.Chr., in der ersten Hälfte des 1.Jh. auch im Dekumatland für (kaiserlich administrierte?) Territorien unterhalb der Provinzebene verwendet, schon zu Varus Zeit eine territorial-administrative und nicht nur eine topographische Bedeutung trägt, alles andere als vernachlässigenswert.

Ich meinte natürlich westlich. Sorry.

Das "Fußvolk" ließ sich auf der "Reise" von nicht weniger als drei Legionen eskortieren.
Das spricht nicht dafür, dass man diesen Teil Germaniens für pazifiziert hielt. Das spricht dagegen.
Na ja, ich glaube nicht, dass das Ziel der Übung war, "Fußvolk" sicher in die Sommerfrische und zurück zu bringen. [Obwohl - hat eigentlich schon mal wer an der Nordseeküste nach Varus Sommerlager gesucht? Aber vielleicht bevorzugte der gemeine römische Sommerfrischler zu der Zeit ja auch noch Bergwälder, und die See kam erst zu Plinius Zeit in Mode...:)]
Drei Legionen sind natürlich ein Argument. Andererseits mag es durchaus interne Gründe gegeben haben (siehe 14 n. Chr.), die Legionen zusammenzuhalten und nicht ein oder zwei von ihnen unbeaufsichtigt am Rhein zu lassen. Bei der (anscheinend von Varus erstmals intensiv betriebenen) Steuererhebung ist die Demonstration militärischer Stärke auch nicht von Schaden.
Die drei Legionen hatten den Auftrag, einen Aufstand niederzuschlagen. Die (fingierte) Nachricht von einem Aufstand muss Varus sehr glaubwürdig vorgekommen sein, sonst wäre er nicht drauf reingefallen.
Das spricht deutlich dagegen, dass die Römer nicht im Traum mit einem Aufstand gerechnet hätten.
Ich denke, wir beziehen uns hier beide auf Cassius Dio. Die fingierte Nachricht vom Aufstand wurde erst direkt vor dem Rückmarsch lanciert, vorher scheint es weitgehend ruhig gewesen zu sein. Warum Varus meinte, er müsse mit allen drei Legionen den Aufstand niederschlagen, bleibt unklar. Eitelkeit (die durchaus bei Cassius Dio anklingt, und die Arminius gewiss gekannt und zu nutzen gewusst hätte), oder auch Machtdemonstration können hier eine Rolle gespielt haben. So richtig Ernst scheint Varus den "Aufstand" aber nicht genommen zu haben. Wären intensive und längere Kampfhandlungen erwartet worden, hätte man sicherlich die Legionen nicht mit dem Troß belastet, sondern diesen direkt nach Hause geschickt. [Selbst wenn Varus selbst ein ziemlicher Dilletant gewesen sein mag, er hatte schon noch ein paar erfahrene Heerführer um sich herum].

Nach meinem unmaßgeblichen Eindruck waren die Römer bei der Provinzialisierung eher flexibel. Das Ergebnis war wichtig: Die Region musste unter Kontrolle gebracht werden. (Und daneben versuchten Legaten, Kaiser, Lokalmagnaten, Senatoren usw. natürlich noch möglichst, jeweils ihr eigenes Süppchen zu kochen.)
Informationen interessieren mich sehr, da schließe ich mich Alfirin an.
Auf Spekulationen habe ich keine Lust.
Nun denne, liebe Dekumatländer, Rheinlander, Pfälzer, Schwaben, Niederbayern, Schweizer, Österreicher etc. - was weiss Eure Heimatgeschichte denn diesbezüglich zu berichten? Ich bin auch sehr gespannt!
 
Wie es mir scheint, ist für diese Zeit überhaupt keine Verwaltungsform nachgewiesen.
Eine Form ist wohl nachgewiesen: Die Selbstverwaltung durch die einheimische Aristokratie. Diese sollte durch Landtage auf Linie gebracht werden. Die zentrale Institution war die Ara Ubiorum.
Die militärischen Stützpunkte hatten natürlich eine militärische Verwaltung. Für Aliso benennt Velleius einen praefectus castrorum.
Soviel auf die Schnelle.
 
Da ich die interessante Diskussion mitlese:

Kann mir nochmal jemand die Entstehungsgeschichte erläutern, ab wann der Begriff in einem Verwaltungs-Kontext nachweislich in Gebrauch kam?

An die Frage von Alfirin anknüpfend: gibt es aus anderen regionalen Fällen Quellen bzw. Hinweise, dass die Römer sozusagen in der Frühphase einer Okkupation administrative Pläne oder "Vorstellungen" über Verwaltungsregionen entwickelten?
 
Wir wissen zwar von diversen "procuratores" unterhalb, oder besser neben der Provinzebene, und dies auch schon zur republikanischen Zeit (vgl. Mommsen), aber der Status des so administrierten Territoriums ist bestenfalls auf griechisch überliefert. Wir wissen weiterhin, dass während der Kaiserzeit "procuratores" so gut wie immer kaiserliche, nicht senatorische Beamte sind.
Nur kurz mangels Zeit: procuratores im Sinne senatorischer Beamter gab es wohl nie. Der procurator war zunächst Verwalter privater Vermögenswerte, als solcher zu Augustus' Zeit befaßt mit der Administration von Octavians Privatvermögen. Dieses patrimonium, ursprünglich auch nur ein Begriff für die Gesamtheit der Vermögenswerte einer Privatperson, wurde erst später institutionalisiert unter Claudius bzw. im Ansatz schon unter Caligula. Erst als das patrimonium des princeps nicht mehr als reines Privatvermögen der Person angesehen wurde, sondern als Verfügungsmasse des jeweils regierenden imperators, kann man von procuratores im Sinne von Beamten sprechen und verdrängten diese procuratores auch die klassisch republikanischen Ämter. Wenn in republikanischer Zeit von procuratores die Rede ist in Zusammenhang mit Senatoren, dann waren das aber eben noch Verwalter des Privatvermögens eben dieser Senatoren.
Soweit jedenfalls die oben schon wiederholt angesprochene Dissertation von Sabine Schmall.
 
Soweit jedenfalls die oben schon wiederholt angesprochene Dissertation von Sabine Schmall.

Ahja, danke für den Hinweis. Ich lese gerade eine Dissertation von Christoph Schäfer zu den privatrechtlichen Procuratoren. Von daher kann ich bestätigen, daß es Procuratoren in der Republik nur im privaten Bereich gab.

Frau Schmall scheint ja dann den guten alten Hirschfeld ganz schön zu demontieren. Ich bin gespannt. Habs mir grad runtergeladen. Ich hab da so meine Zweifel. Nur weil sich Praesidial-Procuratoren unter Augustus noch Praefectus Civitatis nannten, muß das nicht heissen, daß sie keine Praesidial-Procuratoren waren. Und auch Procuratoren staatlicher Minen, die keinesfalls Privatbesitz waren, sondern nur zufällig in einer kaiserlichen Provinz lagen, gab es schon früh.
 
Zuletzt bearbeitet:
So richtig Ernst scheint Varus den "Aufstand" aber nicht genommen zu haben. Wären intensive und längere Kampfhandlungen erwartet worden, hätte man sicherlich die Legionen nicht mit dem Troß belastet, sondern diesen direkt nach Hause geschickt.
Das verstehe ich nicht.

Gerade wenn man mit längeren Kampfhandlungen rechnen muss, braucht man unbedingt den Tross.

Und "direkt" nach Hause geschickt? Direkt durch das Gebiet der Aufständischen?
 
Das muß als Gerücht zurückgewiesen werden; bereits Eugen Ewig verwendet ihn ein halbes Jahrhundert vorher im Titel eines Artikel in einer Festschrift für Henri-Camille Wampach.

Ich verstehe es auch nicht. Es gab die Ubier. Und sie bildeten eine civitas. Deshalb gab es selbstverständlich auch eine civitas ubiorum. Unabhängig davon, ob der Begriff in antiken Quellen auftaucht oder nicht.

Ob dabei jeweils eine Haupt-Siedlung, der Kreis/Region, oder der Stamm gemeint ist, erschließt sich aus dem Kontext. In ländlichen Regionen, die noch nicht über voll ausgebildete Städte verfügen, ist das oft kaum zu unterscheiden.
 
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Ich verstehe es auch nicht. Es gab die Ubier. Und sie bildeten eine civitas. Deshalb gab es selbstverständlich auch eine civitas ubiorum. Unabhängig davon, ob der Begriff in antiken Quellen auftaucht oder nicht.

Die Civitas Ubiorum taucht in den antiken Quellen auf.
Tac. ann. 1 schrieb:
primam ac vicesimam legiones Caecina legatus in civitatem Ubiorum reduxit
=
Die erste und die zwanzigste Legion führte der Legat Caecina in die Civitas Ubiorum zurück
 
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