Kalkriese als Ort der Varusschlacht zweifelhaft

Hallo Xander,

Sepiola hat mal sehr schön, wenn auch mit anderer Intention, formuliert:

Daraus kann man nun Schlussfolgerungen über den Sinn des Gemeinten ziehen.

Oder man kann es bleiben lassen ...

Diese Wortgruppe (in Wäldern und Sümpfen) ist formal identisch mit mit einer Ortsangabe, doch ist das hier so?
Ich meine nicht. Vergleiche bitte mit der detaillierten Ortsbeschreibung der Unglücksstätten bei Tacitus, wo nur auf/bei dem freien Feld Bäume stehen und Haine in der Nähe. Wälder und Sümpfe kann ich an dieser Stelle nicht erkennen, also mache ich mir Gedanken, warum Florus so formuliert haben könnte.

Außerdem hatte ich ja geschrieben "genau genommen", weil Florus hier eindeutig die Betonung auf "Nichts war grausamer" legt. So zumindest meine Sichtweise. Wenn Du die nicht anerkennst, akzeptiere ich das natürlich.

Beste Grüße
Ostfale
 
...
Diese Wortgruppe (in Wäldern und Sümpfen) ist formal identisch mit mit einer Ortsangabe, doch ist das hier so?
Ich meine nicht. Vergleiche bitte mit der detaillierten Ortsbeschreibung der Unglücksstätten bei Tacitus, wo nur auf/bei dem freien Feld Bäume stehen und Haine in der Nähe. Wälder und Sümpfe kann ich an dieser Stelle nicht erkennen, also mache ich mir Gedanken, warum Florus so formuliert haben könnte. ...

Wenn sich die Kämpfe über mehrere Tage und eine größere Strecke hingezogen haben, so schließen sich doch Wälder und Sümpfe sowie freie Felder mit Bäumen nicht aus? Ich denke die Römer hatten da mit multiplen Standortnachteilen zu kämpfen (und noch mit Germanen)!

Gruß
Andreas
 
Wälder und Sümpfe kann ich an dieser Stelle nicht erkennen

... weil Du den Kontext wieder mal ausblendest und die "saltus" und "fallaces campi" nach Kräften ignorierst ...

Daher nochmal das Zitat im Volltext:


El Quijotes Hinweise laufen darauf hinaus, dass bei der Übersetzung auf den Kontext zu achten ist, das "vergisst" Du immer noch manchmal.

Zum Kontext der campi, die Tacitus erwähnt, möchte ich noch einmal folgendes anmerken:
Einmal sind die campi so trügerisch, dass man Dämme und Brücken bauen muss, um durchzukommen.
Das andere Mal stehen Bäume auf dem campus.

Daraus kann man nun Schlussfolgerungen über den Sinn des Gemeinten ziehen.

Oder man kann es bleiben lassen und lieber sinnfreien Klamauk treiben.
 
Genau genommen, "schildert" er hier keine Details, hat sicher auch nicht vor, ein Schlachtdetail zu beschreiben.
Von Details habe ich auch nichts geschrieben. Die Schilderung ist denkbar knapp, aber es ist trotzdem eine Schilderung, keine objektive Beschreibung.

Wie die Angaben "Das Lager wurde ausgeraubt" und "Gemetzel in Sümpfen und Wäldern" unter einen Hut zu bekommen sind, darüber lässt uns Florus im Unklaren.
Wie man daraus eine besondere Glaubwürdigkeit des Florus konstruieren soll, weiß ich nicht.
Auch dass Varus die Alleinschuld in die Schuhe geschoben wird, spricht nicht dafür, Florus eine höhere Glaubwürdigkeit als den anderen Autoren zuzuschreiben. Oder meinst Du, dass Varus wirklich komplett unfähig war?
Zweifel an der Zuverlässigkeit des Florus weckt auch die Angabe, wonach zwei Legionsadler "noch heute" im Besitz der Barbaren seien.

Sicher war dieser Zustand bis zur Varusschlacht gegeben, danach nicht mehr!
Den Anspruch auf die Elbgrenze hat Augustus jedenfalls bis zuletzt nicht aufgegeben. Noch im Todesjahr des Augustus begann Germanicus mit einem gewaltigen Heeresaufbot, im rechtsrheinischen Germanien "aufzuräumen".
Erst zwei Jahre später ordnete Tiberius den Rückzug hinter die Rheingrenze an.
 
Selbst ein Vordringen in dichtesten Urwald ist alles andere als abwegig, wenn Arminius einem allzu vertrauensseligem Varus vorschwindelt, "das ist nicht weit, das ist nur hier so schlimm". So außergewöhnlich ist dieses Szenario jetzt nicht in der Geschichte.

Ein schönes Beispiel, wo die römischen Truppen gerade nicht auf bekannten und gewohnten Wegen vorrücken, sondern sich einen Weg durch den Wald bahnen, überliefert Tacitus für das Jahr 14 n. Chr.:
inde saltus obscuros permeat consultatque, ex duobus itineribus breve et solitum sequatur an inpeditius et intemptatum eoque hostibus incautum.
delecta longiore via...
=
Von da ziehen sie durch dunkle Wälder und beratschlagen, ob sie von zwei Marschlinien die kurze und gewöhnliche oder die beschwerlichere, noch nicht versuchte und darum von Feinden unbewachte einschlagen sollen.
Man wählt den längeren Weg
...
Dass der "beschwerlichere" Weg durch bewaldetes Gebiet führt, wird keineswegs als unüberwindliches Hindernis gesehen:
Caecina cum expeditis cohortibus praeire et obstantia silvarum amoliri iubetur: legiones modico intervallo sequuntur.
=
Caecina musste mit den leichten Kohorten vorausziehen und, wo der Wald hinderlich war, wegräumen; die Legionen folgten in mäßiger Entfernung.
Tacitus: Annales, Feldzüge des Germanicus in Germanien, 14 n.Chr. (Tac.ann.1,50-52) (lateinisch, deutsch)
 
Zweifel an der Zuverlässigkeit des Florus weckt auch die Angabe, wonach zwei Legionsadler "noch heute" im Besitz der Barbaren seien.

Und einer dadurch gerettet wurde, dass der aquilifer sich im Sumpf verbarg, das widerspricht nämlich Tacitus, demzufolge alle drei Adler verloren gingen und erst nach und nach wieder zurückgeholt wurden.
 
Also griff Florus auf offensichtlich ältere Quellen zurück, die die späteren Ereignisse nicht mehr beinhalteten? Den Bericht eines Teilnehmers der Schlacht, der fliehen konnte?
 
Vielleicht hat er andere Quellen benutzt. Allerdings gilt Florus allgemein - nicht nur auf die Varusschlacht bezogen - als eher unzuverlässig. Es handelt sich bei Florus' Werk ja um Auszüge aus Titus Livius' ab urbe condita, nur mit dem Problem, dass Titus Livius' ab urbe condita mit dem 142. Buch 9 v. Chr. endete, die nachfolgenden Kapitel bei Florus können dementsprechend nicht von Titus Livius stammen (der ja, wie Velleius Paterculus oder Strabon immerhin ein Zeitzeuge gewesen wäre, wenn er denn etwas dazu geschrieben hätte).

Was ich mit meiner Ergänzung zu Sepiola aber vor allen Dingen aussagen wollte ist, dass Florus sich nicht mit Tacitus harmoniseren lässt.

Tacitus' Annalen werden ja auf das Jahr 112 datiert (Fertigstellung), bei Florus weiß man das nicht so genau. Manche datieren es früher als die Annalen, andere später. Ich würde Florus' Werk als nachtraianisch datieren, da mir dieser Satz zumindest so vorkommt:
A Caesare Augusto in saeculum nostrum haud multo minus anni ducenti, quibus inertia Caesarum quasi consenuit atque decoxit, nisi quod sub Traiano principe movit lacertos et praeter spem omnium senectus imperii quasi reddita iuventute reviserit.

ÜS: Von Caesar Augustus bis in unser Jahrhundert sind etwas weniger als 200 Jahre vergangen, in denen die Ineffektivität der Caesaren gleichwie alterte und verging, außer, dass unter dem Prinzeps Trajan die Armmuskeln sich bewegten und abgesehen von aller Hoffnung die Greisenhaftigkeit des Imperiums gleichsam die Rückkehr der Jugend sah.
Das müsste dann nach Trajans Tod verfasst worden sein. Wenn man Augustus' Machtantritt mit 43 v. Chr. berechnen würde (die Kaiserzeit wird ja erst ab 27 v. Chr. angesetzt), dann ließen sich auch die "kaum weniger als 200 Jahre" noch einigermaßen rechtfertigen. Aber gut, da gibt es natürlich keinen festen Fixpunkt wo man sagen könnte, hier gelten die haud multo minus anni ducenti noch, dort nicht mehr.
 
Und einer dadurch gerettet wurde, dass der aquilifer sich im Sumpf verbarg
Mit diesem kleinen Detail verrät Florus immerhin, dass auch er von Kampfhandlungen in der Wildnis ausgeht.
Es gibt keinen Grund für die Vermutung, dass Florus mit den Wäldern und Sümpfen nur eine "allgemeine Beschreibung des Landes, in dem das Ereignis stattfand" im Sinn hatte.
 
Mit diesem kleinen Detail verrät Florus immerhin, dass auch er von Kampfhandlungen in der Wildnis ausgeht.
Es gibt keinen Grund für die Vermutung, dass Florus mit den Wäldern und Sümpfen nur eine "allgemeine Beschreibung des Landes, in dem das Ereignis stattfand" im Sinn hatte.

Es gibt aber erhebliche Zweifel, dass Florus hier eine detaillierte Beschreibung des Schlachtortes geliefert hat.

Ernst Bickel meint:
- Richtig erfaßt ist der Sinn dieser Florusstelle bei Guhl u, Koner, Das Lebender Griechen und Römer. S, 717 "in der Niederlage des Varus riss ein Fahnenträger den Adler vom Schaft und verbarg sich mit demselben vor den verfolgenden Deutschen in einem Sumpfe.“ - (Hervorhebeung von Ostfale)

Hier nachzulesen:http://www.rhm.uni-koeln.de/092/Bickel3.pdf

Kernaussage ist:
"Die Signifergeschichte des Florus ist eine Wandernovelle, die ihr Erscheinen bei Florus dem Vorhandensein des Stertiniusadlers verdankt, und dem Fahnenträger der Truppe den Ehrenkranz flechten sollte."

Mal ernsthaft, Florus gibt an, dass ein Überfall des Sommerlagers des Statthalters stattfand und im gleichen Atemzug beschreibt er, dass selbiges von Sümpfen und Wäldern umgeben war? Nein, die Sümpfe und Wälder bemüht er nur um die Grausamkeit dieser Schlacht weitab von römisch zivilisierten Gegenden zu betonen, nicht um die konkrete Gegend zu beschreiben!

Grüße
Ostfale
 
Es gibt aber erhebliche Zweifel, dass Florus hier eine detaillierte Beschreibung des Schlachtortes geliefert hat.

Ernst Bickel meint:
- Richtig erfaßt ist der Sinn dieser Florusstelle bei Guhl u, Koner, Das Lebender Griechen und Römer. S, 717 "in der Niederlage des Varus riss ein Fahnenträger den Adler vom Schaft und verbarg sich mit demselben vor den verfolgenden Deutschen in einem Sumpfe.“ - (Hervorhebeung von Ostfale)

Und wo ist da jetzt der Widerspruch zu Sepiolas Ausführungen?

Mal ernsthaft, Florus gibt an, dass ein Überfall des Sommerlagers des Statthalters stattfand und im gleichen Atemzug beschreibt er, dass selbiges von Sümpfen und Wäldern umgeben war? Nein, die Sümpfe und Wälder bemüht er nur um die Grausamkeit dieser Schlacht weitab von römisch zivilisierten Gegenden zu betonen, nicht um die konkrete Gegend zu beschreiben!

Florus ist vor allem ein Rhetoriker, dem Rhetorik wichtiger ist, als der historische Sachverhalt. Florus ist die denkbar schlechteste Quelle, auf die wir uns stützen können. (Mit Ausnahme vielleicht noch von Cassius Dio.)
 
Ernst Bickel meint:
- Richtig erfaßt ist der Sinn dieser Florusstelle bei Guhl u, Koner, Das Lebender Griechen und Römer. S, 717 "in der Niederlage des Varus riss ein Fahnenträger den Adler vom Schaft und verbarg sich mit demselben vor den verfolgenden Deutschen in einem Sumpfe.“ - (Hervorhebeung von Ostfale)

Hier nachzulesen:http://www.rhm.uni-koeln.de/092/Bickel3.pdf
da schau her... das waren also "die Deutschen", die den Varus ein bischen totgemacht *) hatten...

__________
*) diese neckische Formulierung ist von Hebel, Kalendergeschichten
 
Ernst Bickel meint:
- Richtig erfaßt ist der Sinn dieser Florusstelle bei Guhl u, Koner, Das Lebender Griechen und Römer. S, 717 "in der Niederlage des Varus riss ein Fahnenträger den Adler vom Schaft und verbarg sich mit demselben vor den verfolgenden Deutschen in einem Sumpfe.“ - (Hervorhebeung von Ostfale)

Richtig, das ist der gemeinte Sinn.
Der signifer verbarg sich mit dem Adler im Sumpf.
Genau das erzählt Florus seinen Lesern.
 
Zuletzt bearbeitet:
Irgendwann haben wir hier mal über den Bohlenweg bei Damme diskutiert. ELQ hat in diesem Zusammenhang auf Pieper verwiesen. Und dessen Ausführungen sind sehr interessant.

Es handelt sich um einen Bohlenweg aus der vorrömischen Eisenzeit. Die ehemalige Laufstrecke des (untersuchten Teistückes) ist gewaltsam zerstört worden. Es gibt einen entsprechenden Zerstörungshorizont. Aufgrund von C14 und dendrochronologischen Untersuchungen weist das Enddatum auf 15 n.Chr. hin. Interessanterweise wurden auch diverse Holzwaffen dort gefunden. Diese weisen z.T. auch entsprechende Kampfspuren auf. Es handelt sich sowohl um keulenartige Waffen, als auch um Stichwaffen. Auch eine Lanze von insgesamt 2,50m Länge wurde gefunden. Interessant im Hinblick auf Tacitus ann. I,64!

Zu den Waffen habe ich diesen Link gefunden:

Exercitii Militaris - Die vier hölzernen Übungsschwerter vom Bohlenweg XXV (Pr). | Philipp Roskoschinski - Academia.edu

Der Bohlenweg befindet sich Luftlinie ca. 10km vom Schlachtfeld entfernt. Kann oder muß man das jetzt im Zusammenhang sehen? Und wenn ja wie? Sehr verlockend wäre es hier natürlich auf die pontes longi hinzuweisen. Aber im heutigen Norddeutschland gab es seinerzeit viele Sumpf- und Moorgebiete. Und wohl auch diverse Bohlenwege.

Pieper will zumindest einen Zusammenhang zwischen den Holzwaffen und dem Geschehen von 15 n.Chr. sehen. Allerdings ist sein Aufsatz mittlerweile auch über 15 Jahre alt. Vieleicht gibt es mittlerweile ja auch neue Erkenntnisse.

vergl.
Peter Pieper: Die taceteischen Annalen und die Holzfunde vom Bohlenweg XXV zwischen Damme und Hunteburg
in:
W. Schlüter, R. Wiegels (Hrsg): Rom, Germanien und die Ausgrabungen von Kalkriese, Osnabrück 1999
 
...
Der Bohlenweg befindet sich Luftlinie ca. 10km vom Schlachtfeld entfernt. Kann oder muß man das jetzt im Zusammenhang sehen? Und wenn ja wie? ...

Vielleicht ist es statthaft zu spekulieren, wie solche mit den damaligen Mitteln mühsam hergestellten intakten Holzwaffen (in dem Text wird auf Übungswaffen geschlossen) verloren gehen konnten. Und wem sie wohl mal gehört haben, müssen ja keine germanischen Gegenstände gewesen sein wenn es wirklich Übungswaffen waren.
 
Erschlagen kann man jemanden jedenfalls auch mit einem Holzknüppel, also auch eine Übungswaffe ist gefährlich. Die Frage ist, was machen Übungswaffen auf einer Baustelle? Mich würden da auch noch mal die genaueren Fundumstände interessieren. Wurden hier ggf. zuvor mal als Übungswaffen gebrauchte Hölzer beim Bau des Bohlwegs als Fixierungshölzer wieder/weiterverwendet?
 

Anhänge

  • 300px-Bohlenweg_Wittmoor_nord.png
    300px-Bohlenweg_Wittmoor_nord.png
    10,1 KB · Aufrufe: 425
Erschlagen kann man jemanden jedenfalls auch mit einem Holzknüppel, also auch eine Übungswaffe ist gefährlich. Die Frage ist, was machen Übungswaffen auf einer Baustelle? Mich würden da auch noch mal die genaueren Fundumstände interessieren. Wurden hier ggf. zuvor mal als Übungswaffen gebrauchte Hölzer beim Bau des Bohlwegs als Fixierungshölzer wieder/weiterverwendet?

Zitat:
Die Gegenstände stammten alle von der Lauffläche des gennanten Bohlenweges, und zwar aus einem durch Verkohlung der Bohlen gekennzeichneten Zerstörungshorizont.

Neben dem Weg wurden auch noch Reste eines Palisadenzauns freigelegt zu dem ein kurzer Stichweg führte. Gemutmaßt wird, ob sich innerhalb der Palisade ein Werkplatz zur Holzbearbeitung befand.

Pieper spricht diese Waffen als germanisch an und verweist auf Tacitus, welcher solche Holzwaffen entsprechend erwähnt. In meiner Verlinkung werden die Gegenstände als Übungswaffen angesprochen. Ob dies richtig ist bleibt meiner Ansicht nach fraglich. Was haben solch römische Übungsschwerter dort inmitten der germanischen Pampa zu suchen?
 
Zuletzt bearbeitet:
Roskoschinski spricht sie ja auch nicht als römische sondern als germanische Waffen an und will aus der Existenz germanischer Übungswaffen - handelt es sich wirklich um solche? - eine bessere Ausbildung germanischer Krieger ableiten.
 
Römische Gegenstände könnten mit sonstigem Troß liegengeblieben sein, oder sie wurden evtl als minderwertiges Plündergut von Germanen weggeworfen (nach ein paar Kilometern vom erbeuteten Troßwagen geschmissen).
 
Zurück
Oben