Abgesehen von dem einen, beinahe beiläufigen Satz zu einer anhand der Gräberfelder als militarisiert einzustufender kulturellen Grenze, kann ich eigentlich in den hier veröffentlichten Auszügen zur Michelsberger Kultur keine Hinweise auf eine politisch-territoriale Einheit erkennen.
Der "beiläufige" Satz (eigentlich ein ganzer Absatz in einem fünf Absätze zählenden Abriß eines Jahrtausends) bezog sich nicht mehr auf die Michelsberger Kultur, sondern..
Fast forward, aber immer noch neolithisch, bestenfalls chalkolithisch
... auf deren Nach-Nachfolgekultur, die
Bernburger Kultur, eine Spätform der unter Einfluß der Michelsberger Kultur entstandenen Trichterbecherkultur. Zu der militarisierten Grenze ist erwähnenswert, daß beide "Kontrahenten" ein sehr unterschiedliches genetisches Profil zeigen: Bei den Bernburgern dominiert mit fast 40% die mesolithische mtDNA U5 (70% Anteil bei nordischen Jägern und Sammlern). Die typisch danubisch-frühneolithischen Haplogruppen HV, J und N1 fehlen dagegen ganz. Bei der
Salzmünder Gruppe findet sich dagegen 20% J , 10% N1a und 5% HV, aber nur 5% U5*.
Spulen wir etwas zurück: Die
Trichterbecherkultur hatte zwei prägende Elemente. Das namensgebende knüpft an die keramische Kultur des Elbe-Saale Raums an. Das augenfälligere, megalithische Element ("Hünengräber") hat ungeklärte Wurzeln, zeigt frühen geographischen Schwerpunkt auf den dänischen Inseln und in Ostholstein, und expandierte ab Mitte des 4. Jahrtausends ca. 100 km/ Jhd. nach Süden. Zunächst noch durch die siedlungsarme norddeutsche Tiefebene, aber um den Harz herum wurde es dann, im alten neolithischen Siedlungsraum, deutlich voller.
Voller unter anderem auch deswegen, weil in Salzmünde ein frischer Schub mtDNA J, und, v.a. die sowohl damals als auch heute in Europa extrem rare mtDNA U3 angekommen war. Heute hat U3 die höchsten Konzentrationen in Jordanien, gefolgt von Armenien, Libanon, Irak und Georgien. Bei mtDNA J reden wir heute von Saudi-Arabien, Yemen, Ossetien, Kuwait und Iran, die Haplogruppe war aber auch schon in der
Starčevo-Kultur auf dem Balkan gut vertreten*. mtDNA J hielt sich recht gut in Mitteleuropa (heute 9% in D, U3 wurde nach dem Ende von Salzmünde so gut wie nicht mehr gesehen. [
Die Sachen mit den Salzmünder Pferdegräbern, und der zu dieser Zeit beginnenden Kupferverarbeitung im Elbe-Saale-Raum vertiefen wir wohl besser im Indogermanen-Thread].
Auch vorher war es im Elbe-Saale-Raum (und wohl nicht nur dort) genetisch fleißig hin und her gegangen. Die auf LBK folgende Rössener Kultur war stärker südwesteuropäisch geprägt (deutliche Zunahme von mtDNA H, dominierend bei südwesteuropäischen Jägern/Sammlern sowie im baskischen u. portugiesischen Neolithikum, dazu HV0/V, heute stärkste Konzentration ini Spanien und im Maghreb, insbes. Berber, auch im portugies. Neolithikum repräsentiert). Mit der nachfolgenden Schöninger Gruppe wurde es wieder westkarpatisch-danubisch (Hg J/K - dazu erstes "Einsickern" nordeuropäischer Jäger/Sammler), die
Baalberger Kultur (originäre Elbe-Saale Trichterbecherkultur) tendierte dann genetisch wieder "westlich" (H), diesmal jedoch ohne südiberisch-maghrebinischen Einschlag (HV0/V)*.
Nach dem Siedlungsbefund verliefen diese Wechsel im Elbe-Saale-Raum weitgehend friedlich - die Vorbevölkerung starb teilweise aus (Krankheiten?), und gab landwirtschaftlich schlechtere Lagen auf, die dann die Zuwanderer neu besiedelten. Am Rhein ging es aber offenbar zeitweise heftig zur Sache. Schön wärs, wenn wir vom Rhein und aus Belgien/ Nordfrankreich auch mal ein bißchen neolithische aDNA bekämen, dann könnte man besser erkennen, wie einschneidend die Bevölkerungsverschiebungen dort waren. Für die norddeutsche Tiefebene und Dänemark gilt ähnliches - trotz jahrhundertelanger Plünderung von Hünengräbern müßte sich ja hier und da noch ein auswertbares Stück Knochen finden lassen.
Langer Rede, kurzer Sinn - Expansionen aus (Süd-)West- nach Mitteleuropa sind archäologisch und genetisch faßbar, aber ihre Intensität ist bislang noch weitgehend unbekannt. Dies betrifft, neben Rössen, vor allem die
Michelsberger Kultur. Wir wissen von befestigten Höhensiedlungen an Rohstoffzentren (Salz, hochwertiger Werkzeugstein), einem weitreichenden Austauschsystem (Piemonteser Jadeit verbreitet über ganz Westeuropa, mit sekundärem Veredelungszentrum in Carnac), technischen Innovationen (hitzebeständige Keramikplatten zum Brotbacken, verbreitet auch in die frühe Trichterbecherkultur) und neuen, sich schnell ausbreitenden, "megalithischen" Grabformen (Galeriegräber) in technisch anspruchsvoller Ausführung. Für mich hat das Ensemble ein bißchen was von "La Tene light".
Weiterhin wissen wir von einer aktiven Rolle der Michelsberger Kultur bei der wirtschaftlichen Integration und letztlich auch Neolithisierung der "Peripherie" - nicht nur im westbaltischen Raum (Ertebölle->Trichterbecher), sondern auch in den Niederlanden (Swifterband) und auf den britischen Inseln. Skandinavische frühe Neolithiker zeigen die engste genetische Ähnlichkeit zu heutigen Basken. Allerdings zeigen auch die genetischen Spuren der Saami nach Iberien. Der Genfluß mag also schon auf die meerseitige mesolithische Re-Kolonialisierung Norwegens am Ende der Eiszeit zurückgehen, und muß nicht aktive Aufsiedlung Skandinaviens bedeuten.
Also:
Territorial - sicherlich, im Sinne von miteinander vernetzten Handelszentren.
Geeint - durch weiträumigen Austausch von (Prestige-)gütern, Technologie, Baustilen und Begräbnissitten.
Sprachlich - steht zu vermuten, ohne
lingua franca funktioniert solch Netzwerk nicht.
Politisch - Prestigegüter wie Jadeitäxte deuten auf soziale Differenzierung, die Höhenfestungen auf systematische Ausbeutung und Monopolisierung von Ressourcen.
Die Monopolisierung wird nicht alle glücklich gemacht haben. Ein paar Indizien für krisenhafte Entwicklung, z.B. die vorerwähnten Brandspuren am holzverkleideten Steinwall von Michaelsberg/Bruchsal gibt es, aber die Gründe für den Zerfall sind noch weitgehend unbekannt. Um 3.500v. Chr. brach, wohl infolge Klimaabkühlung und Vergletscherung der hochliegenden Fundstelle, die Jadeitzufuhr aus dem Piemont ab. Gleichzeitig begann das Kupfer von der unteren Donau aus seinen Siegeszug durch Europa, verbunden mit dem Vorrücken der Badener Kultur. Diese brachte, wie ihr Ausläufer Salzmünder Gruppe zeigt, nicht nur neue Technologie, sondern auch neue Siedler nach Mitteleuropa.
* Vgl. die vor kurzem im "anderen" Neolithik-Faden von silesia verlinkte Studie, insbes. Datasets S8 ("ancient DNA") und S14 (aktuelle mtDNA) aus dem Data Supplement
Tracing the genetic origin of Europe's first farmers reveals insights into their social organization | Proceedings of the Royal Society of London B: Biological Sciences