Weltbild im (Mittelalter)

Wobei das Mittelalter natürlich genauso wenig einheitlich war wie die Antike oder die Neuzeit. Für 99,99 % der Menschen blieb die Erde eine Scheibe, falls sie überhaupt über so etwas nachdachten.
...
Das ist ein weit verbreiteter Irrtum zu dessen Ausbreitung maßgeblich wohl ein ziemlich dummer Hollywoodfilm der frühen Nachkriegszeit beitrug.
Barbara Tuchmann schreibt in der "Der Ferne Spiegel - das dramatische 14. Jhd.", dass bei gebildeten Schichten dieser Zeit, also solchen die des Lesens und Schreibens mächtig waren, die Kugelgestalt der Erde allgemeine Einsicht war. (Was die Analphabeten dieser Zeit dachten, wird sich wohl kaum ergründen lassen.)
Das ist ja auch nahe liegend, denn ohne dieses Verständnis wäre eine Breitengradnavigation der Seefahrer nicht möglich gewesen.
Die Entwicklung der Erkenntnis wurde u.a. in diesen Threads behandelt:
Größe der Sonne
Kugelform der Erde

Man sollte nicht der Versuchung erliegen zu glauben, dass die Menschen des Mittelalters ähnlich dumm gewesen seien wie die gegenwärtige Narren-Elite der "Flat-Earther".
Schon deshalb nicht, weil es uns unangemessen schmeicheln würde. :D
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich wies ja auf die TO- respektive Radkarten hin, die von Isidor ist deren Archetypus. Sie ist aber kein Beleg für einen Scheibenglauben, auch wenn sie sich natürlich leicht so präsentieren lässt.

Man hat die Erde (auch in TO-Aufteilung) auch so dargestellt, dass sie kugelförmig aussieht:


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Jens Ruge - der Autor dieser Seiten - stellt sich vor
1-02-erschaffung der gestirne
https://deacademic.com/pictures/dewiki/85/Ulm-Muenster-ReliefHauptportal-061104.jpg
 
Okay okay, ich geb mich geschlagen. Nur an der einen Behauptung möchte ich festhalten, dass das „Mittelalter“ eben sowenig einheitlich war wie die „Antike“ oder die „Neuzeit“. Solche großen Einheiten, Kulturen oder Gesellschaften differenzieren sich immer zeitlich, sozial und geographisch. Der „Gebildete“ – aber auch diese Bezeichnung ist schon wieder eine sehr hohe Abstraktion, die viele Gruppen und Individuen umfasst – dachte im 8. Jh. anders als im 14., der Bauer anders als der Herzog oder sein Gefolgsmann usw. Das „mittelalterliche Weltbild“ ist vor allem das Weltbild einer sehr kleinen Schicht von schriftkundigen Klerikern, später auch von Magistern an Universitäten, das sich vom Weltbild anderer Schichten, des Adels und der Bauern, stark unterschied. Von letzteren findet man noch einiges im Epos, z.B. Rolandslied, Nibelungenlied, auch Minnesang und Vagantendichtung. Und das sieht nicht einmal besonders christlich aus.

Was Ähnliches hab ich hier schon mal über China geschrieben (Beitrag 12). Die Wirklichkeit ist halt immer verdammt kompliziert.

Nur so als Abschlussbemerkung.
 
Man weiß schon seit dem 5. und 6. Jh. VOR Christus, dass die Erde eine Kugel ist. Während des gesamten Mittelalters war das jedem klar. Auch der Kirche.
Das sind schon starke Behauptungen, denn wer ist „man“ und „jeder“?

Von irgendwoher muss ja der Glaube gekommen sein, dass die Erde eine Scheibe sei. Wer hat das in die Welt gebracht bzw. propagiert? Oder anders gefragt: Wenn auch die katholische Kirche während des gesamten Mittelalters glaubte, dass Erde eine Kugelgestalt hat, warum hat sich die Scheibenversion trotzdem bis in die Neuzeit gehalten?
 
Okay okay, ich geb mich geschlagen. ...
Die Wirklichkeit ist halt immer verdammt kompliziert.
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So ist das Tom.
(Und 99,xx% kommen bei näherer Betrachtung üblicherweise nicht heraus. :))
Und das Interessante der näheren Betrachtung besteht oftmals darin, dass die Dinge sich anders darstellen als zunächst selbst gedacht. *
Und das macht sicher auch einen besonderen Reiz des GF, und des Lernens an sich, aus.
Denn dieses besteht ja im Verdauen des bisher nicht Beachteten.
Das beste Enzym für diesen Vorgang ist vielleicht das Erstaunen, welches einem Kind weit mehr gegeben ist, als etwa einem alten Knochen wie mir.

* Man kann sich ja mal fragen, wie viele Vorstellungen man selbst, z.B. in den letzten 10 Jahren, revidiert hat.
Bei mir selber kommt da einiges zusammen.

Grüße hatl
 
Von irgendwoher muss ja der Glaube gekommen sein, dass die Erde eine Scheibe sei. Wer hat das in die Welt gebracht bzw. propagiert? Oder anders gefragt: Wenn auch die katholische Kirche während des gesamten Mittelalters glaubte, dass Erde eine Kugelgestalt hat, warum hat sich die Scheibenversion trotzdem bis in die Neuzeit gehalten?

Sie hat sich nicht "bis in die Neuzeit gehalten".
Der Mythos, im Mittelalter hätte die Erde als Scheibe gegolten, ist in der Neuzeit erst aufgekommen und wurde insbesondere seit der Aufklärung propagiert.

"Doch schon in der frühen Neuzeit verselbständigen sich Worte, Bilder und Texte zu einem neuen Mittelalterbild, letztlich zu einer neuen Mittelalterwahrheit. Die Welt wird platter, bald sogar zur Scheibe. Das pseudo-mittelalterliche Scheibenbild ist schließlich im revolutionären Frankreich zur nicht mehr hinterfragbaren Mittelalterwahrheit aufgestiegen. Das jetzt 'dunkle' Mittelalter - eine geniale, nicht zuletzt antireligiös-politisch motivierte Fälschung - fungierte nur noch als 'schwarze' Folie für eine strahlende Moderne. Das Verfahren war erfolgreich: Bereits im 19. Jahrhundert ist die Scheibe allgegenwärtig. Sie bleibt es letztlich bis in unser 21. Jahrhundert. Wissenschaftliche Publikationen, die damals wie heute belegen, dass man erst im 19. Jahrhundert von der Erdscheibe fallen konnte, im Mittelalter aber die Erdkugel umrundete, blieben und bleiben ohne Wirkung auf das kulturelle Gedächtnis der Moderne."
Jürgen Wolf über das Verhältnis der Moderne zum Mittelalter - : literaturkritik.de
 
Bizarre Auswüchse erreichte der Mythos schon im späten 18. Jahrhundert, als etwa behauptet wurde, noch die Ankläger Galileos hätten an die Scheibenform der Erde geglaubt - 1633, über hundert Jahre nach Magellans Weltumsegelung!

Solcherlei Schwachsinn wurde allen Ernstes z. B. von Thomas Jefferson, dem späteren US-Präsidenten, in seinen "Notes on the State of Virgina" verbreitet:
Galileo was sent to the inquisition for affirming that the earth was a sphere; the government had declared it to be as flat as a trencher, and Galileo was obliged to abjure his error.
The Works of Thomas Jefferson, vol. 4 (Notes on Virginia II, Correspondence 1782-1786) - Online Library of Liberty

Viele glauben das heute noch. Manche Irrtümer sind unausrottbar.
 
Weil ich auf den unsäglichen Dummfilm zu Kolumbus hinwies:
Christopher Columbus | ARTE
"Denn Columbus‘ Theorie, die Erde sei ein Globus, stößt nur auf wenig Gehör. Schließlich siegt die Geduld und er kann Königin Isabella von seinem Vorhaben überzeugen."
Das ist purer Blödsinn, entstammt aber nicht Hollywood (sorry, es war zu nahe liegend) sondern ist eine Britische Produktion.

Oder wie es bei Faust zu lesen ist:
"WAGNER.
Verzeiht, es ist ein groß Ergetzen,
Sich in den Geist der Zeiten zu versetzen,
Zu schauen, wie vor uns ein weiser Mann gedacht,
Und wie wir's dann zuletzt so herrlich weit gebracht.

FAUST.
O ja, bis an die Sterne weit!
Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit
Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln.
Was ihr den Geist der Zeiten heißt,
Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
In dem die Zeiten sich bespiegeln.
"
Und tröstlich es doch zu meinen, dass man selber nun endlich den Schlüssel der Erkenntnis in den Händen hielte, während andere vorher vergleichsweise ziemliche Deppen waren, zu denen man nun per Geburt, gottlob nicht mehr gehört.
Das ist mE auch eine Form des Chauvinismus.
Und ein solcher hatte wohl stets als Idee eine besonders hohe Potenz der Ausbreitung.

(Wäre vielleicht besser im Smalltalk aufgehoben)
 
Da weiter diskutiert wird, vielleicht noch ein Stückchen Astronomie. Natürlich nur eine astronomische Erklärung aus einer bestimmten Zeit und einem sozialen Umfeld. Allerdings von einem der größten Geister der Zeit, die man mitunter das Hochmittelalter nennt, von Dante. Der Mond:

„Auch wenn der Mond nur durch die Sonne reichliches Licht besitzt, so folgt daraus nicht, daß er von der Sonne abhängt. Man muß daher wissen, daß das Sein des Mondes, seine Kraft und seine Tätigkeit etwas Verschiedenes sind. Was das Sein betrifft, so hängt der Mond in keiner Weise von der Sonne ab; auch nicht bezüglich der Kraft und der Tätigkeit, absolut gesehen. Seine Bewegung besitzt er durch seinen eigenen Beweger; sein Einfluß ist durch seine eigenen Strahlen bedingt. Er besitzt nämlich ein gewisses Licht aus sich selbst, wie bei der Mondfinsternis offenkundig ist. Zu seiner besseren und wirksameren Tätigkeit empfängt er etwas von der Sonne, d.h. die Fülle des Lichts. Wenn er dies empfängt, ist seine Tätigkeit wirksamer.“ (Monarchia III, 4, 17 ff.)

In der „Göttlichen Komödie“ wird das aufgenommen, aber auch etwas variiert. Dante und Beatrice erörtern zunächst die Mondflecken. Die Flecken im Mond sind aber keine Unterschiede, also keine Fehler im Bau oder in der Oberfläche des Mondes, belehrt ihn die Himmelsbewohnerin Beatrice, denn jeder Himmelskörper ist an sich vollkommen. Sie sind durch Unterschiede der Stärke und der Art der göttlichen Kraft, des göttlichen Lichts bedingt, das durch die verschiedenen Sphären auf den Mond herunterscheint.

„Im Himmel, wo der Frieden Gottes ruht,
Dreht sich ein Kreis, in dessen Kraft und Walten
Das Sein all des, was er enthält, beruht.
Der nächste Himmel, reich an Lichtgestalten,
Verteilt dies Sein verschiednen Körpern drauf,
Von ihm gesondert, doch in ihm enthalten.
Aus andern Kreisen von verschiednem Lauf
Nimmt die verschiedne Kraft, in ihnen lebend,
Dann jeder Stern nach seinen Zwecken auf.
So siehst du diese Weltorgane schwebend,
In sich im Kreis bewegt von Grad zu Grad,
Von oben nehmend und nach unten gebend.
(Paradies 2, 111 ff.)

Beide Erklärungen widersprechen sich ein bisschen, aber das macht nichts. Gott ist unergründlich.
 
Dass es im Mittelalter in der Wissenschaft einen weitgehenden Konsens über die Sphärenform der Erde gab, stelle ich nicht in Abrede. Aber des Lesens unkundige Volk hatte davon wahrscheinlich keinen Schimmer, weil es damals von der Kirche mit Bildern vom Himmel (oben) und Hölle (unten) versorgt wurde – siehe die Malereien in den Kirchen, die für das Volk eine wesentliche Informationsquelle darstellten. Zu diesem Oben und Unten passte eine kugelförmige Gestalt der Erde nicht.

Denn nur durch die Gravitationskraft ist es zu erklären, dass lose Gegenstände immer auf der Erdkugel bleiben bzw. auf sie zurück fallen, egal wo sie sich auf dieser Kugel befinden. Und die Gravitation war lange Zeit ein Rätsel – und im Grunde immer noch ist –, denn sie ist die einzige Kraft, über die wir zwar wissen, dass es sie gibt und wie ihre Wirkung ist, aber nicht, was sie ist: Sie ist einfach immer da und lässt sich auch nicht abschirmen oder ablenken, was eine krasser Gegensatz zu anderen uns bekannten Kräften ist.

Insofern – siehe hier meinen ersten Absatz – hat die Kirche schon selbst dazu beigetragen, dass sich die Ansicht über die scheibenförmige Gestalt der Erde außerhalb der Wissenschaft so lange gehalten hat.
 
Dass es im Mittelalter in der Wissenschaft einen weitgehenden Konsens über die Sphärenform der Erde gab, stelle ich nicht in Abrede. Aber des Lesens unkundige Volk hatte davon wahrscheinlich keinen Schimmer, weil es damals von der Kirche mit Bildern vom Himmel (oben) und Hölle (unten) versorgt wurde

Dazu hatte ich schon einmal einen Beitrag geschrieben und aus einer Predigt Berthold von Regensburg aus dem Jahr 1272 zitiert, in der das des Lesens unkundige Volk das Weltbild der Gelehrten auf anschauliche Weise vermittelt bekam: Die Erde habe die Form eines Balls.
Oder eines Eidotters: Die Erde ist der Dotter, das Eiklar drumrum die Atmosphäre, die Schale der Himmel.

Wan diu erde ist rehte geschaffen alse ein bal. Swaz daz firmament begriffen hat - daz ist der himel, den wir da sehen, da die sternen ane stent - , swaz der umbe sich begriffen hat, daz ist geschaffen als ein ei. Diu uzer schale daz ist der himel den wir da sehen. Daz wize al umbe den tottern daz sind die lüfte. So ist der totter enmitten drinne, daz ist diu erde.

Die Kirche als Bremser des wissenschaftlichen Fortschritts ab 1540

siehe die Malereien in den Kirchen, die für das Volk eine wesentliche Informationsquelle darstellten. Zu diesem Oben und Unten passte eine kugelförmige Gestalt der Erde nicht.

Und zu den Abbildungen in und an den Kirchen habe ich neulich mal ein paar Beispiele gezeigt, wo die Erde als Kugel dargestellt wird. Schau mal nach oben, Beitrag 24.
 
Dass es im Mittelalter in der Wissenschaft einen weitgehenden Konsens über die Sphärenform der Erde gab, stelle ich nicht in Abrede. Aber des Lesens unkundige Volk hatte davon wahrscheinlich keinen Schimmer, weil es damals von der Kirche mit Bildern vom Himmel (oben) und Hölle (unten) versorgt wurde – siehe die Malereien in den Kirchen, die für das Volk eine wesentliche Informationsquelle darstellten. Zu diesem Oben und Unten passte eine kugelförmige Gestalt der Erde nicht.
Es wurden ja hier im Thread Beispiele gebracht von Erddarstellungen, auch in der Skulptur. Hast du Beispiele für solche Bilder, deren Existenz du hier unterstellst?

Ich kenne ja ein Beispiel für ein Bild, allerdings aus dem 16. Jhdt., da wird ein blumiger Weg in Richtung Hölle und ein dorniger Weg in Richtung Himmel gezeigt, eine oben-unten-Dichothomie gibt es hier nicht:

PMa_000015_PE_Andahualillas.jpg

San Pedro de Andahuaylillas, Marketingname: "Sixtinische Kapelle der Anden".

Insofern – siehe hier meinen ersten Absatz – hat die Kirche schon selbst dazu beigetragen, dass sich die Ansicht über die scheibenförmige Gestalt der Erde außerhalb der Wissenschaft so lange gehalten hat.
Nur um das festzuhalten: Die Kirche hat keine Scheibenweltförmigkeit der Welt vertreten und trotzdem ist sie Schuld, dass mutmaßlich Menschen an die Scheibenförmigkeit der Welt geglaubt haben?
 
Diese Predigt des Bertholds von Regensburg mag es gegeben haben, ob das aber die Regel war, wage ich zu bezweifeln, schließlich ist nicht einmal klar, ob er sie tatsächlich hielt: Sie ist ein Beleg nach dem bekannten Hörensagenprinzip.

Um zu belegen, dass die mittelalterliche Kirche die Kugelgestalt der Erde lehrte – sie war ja fast die einzige Lehrmeisterin, weil sie als einzige antike „wissenschaftlichen“ Schriften besaß –, müsste es sehr viele ähnliche Predigten geben, die überliefert worden sind. Ähnlich denke ich auch in Bezug zu den Bildern in den Kirchen: Himmel- und Höllenbilder waren Standard, Erde als Kugel eine Ausnahme.
 
Diese Predigt des Bertholds von Regensburg mag es gegeben haben, ob das aber die Regel war, wage ich zu bezweifeln, schließlich ist nicht einmal klar, ob er sie tatsächlich hielt: Sie ist ein Beleg nach dem bekannten Hörensagenprinzip.
Das ist aber ein seltsame Argumentation angesichts eines mittelhochdeutschen Zitats. Es ist doch letztlich egal, ob Berthold von Regensburg oder Hans von Wurst die Predigt gehalten hat. Fakt ist: Sie gehört in den Kreis mittelalterlicher Schriften zur Gestalt der Werde, wie auch z.B. die von Gautier von Metz, der schrieb, dass die Erde wie ein Apfel sei, auf dem die Menschen wie Fliegen umherwandelten, hier die zugehörige Illustration:

Gossuin_de_Metz_-_L%27image_du_monde_-_BNF_Fr._574_fo42.jpg


Um zu belegen, dass die mittelalterliche Kirche die Kugelgestalt der Erde lehrte – sie war ja fast die einzige Lehrmeisterin, weil sie als einzige antike „wissenschaftlichen“ Schriften besaß –, müsste es sehr viele ähnliche Predigten geben, die überliefert worden sind. Ähnlich denke ich auch in Bezug zu den Bildern in den Kirchen: Himmel- und Höllenbilder waren Standard, Erde als Kugel eine Ausnahme.
Der Lehrmeister des Mittelalters war Isidor von Sevilla. Seine Etymologien sind nach der Bibel die Schrift die in den meisten Handschriften aus dem MA überliefert oder in anderen Werken zitiert ist. Er schreibt, wie oben zitiert, über die Kugelgestalt der Erde.
 
Nur um das festzuhalten: Die Kirche hat keine Scheibenweltförmigkeit der Welt vertreten und trotzdem ist sie Schuld, dass mutmaßlich Menschen an die Scheibenförmigkeit der Welt geglaubt haben?
Ja. Die Darstellungen der Erde in den Kirchen entsprachen dem, was man tatsächlich in der Natur sehen bzw. sich vorstellen konnte: Landschaft mit Menschen drauf und Gott im Himmel, meistens auf einer Wolke sitzend mit Engeln umherschwebend.

Bis zur Entdeckung der Gravitation als Kraft, die jedem Körper innewohnt, lag es außerhalb des Vorstellungsvermögens der meisten Menschen, sich die Erde als Kugel vorzustellen, die frei im Raum schwebt. Ganz im Gegenteil: Erde war für sie ein Fixpunkt, um den sich alles andere drehte. Das lehrte die Kirche und verbot daher auch folgerichtig Kopernikus Schrift, in dem er dieses geozentrische Welterklärungsmodel negierte.
 
Ähnlich denke ich auch in Bezug zu den Bildern in den Kirchen: Himmel- und Höllenbilder waren Standard, Erde als Kugel eine Ausnahme.
Was sollen Himmel- und Höllenbilder denn bitte belegen?
Ich nehme an, Du meinst so was in der Art:

dornbirn-leopold-kirche-fegefeuer-chormalerei-korr-heller-foto-rudolf-sagmeister-0026-h900.jpg


Das Bild stammt aus den 1890er Jahren.
 
Bei Cassiodor finde ich:

nam mundus ipse, ut quidam dicunt, spherica fertur rotunditate collectus, ut diversas rerum formas ambitus sui circuitione concluderet. unde librum Seneca consentanea philosophis disputatione formavit, cui titulus est de forma Mundi; quem vobis idem reliquimus perlegendum.

Allerdings hapert es hier bei der Übersetzung. Ich komme ungefähr so weit:

Denn die Welt selbst, wie einige sagen....


Der relevante Teil bleibt mir noch verschlossen.
Ich würde so übersetzen:
"Denn die Welt selbst, wie einige sagen, soll in kugelförmiger Rundung zusammengezogen sein, um mit der Biegung ihres Umfangs verschiedene Formen der Dinge zu umfassen."
Was der letzte Gliedsatz bedeuten soll, erschließt sich mir allerdings nicht, was vielleicht gegen die Richtigkeit meines Übersetzungsversuchs spricht. Ich könnte ihn auch so übersetzen: "um mit der Kreisförmigkeit ihrer Bahn verschiedene Formen der Dinge zu umfassen", was allerdings nur im Rahmen eines heliozentrischen Weltbilds (das in der Antike noch eine Außenseiterthese war) halbwegs Sinn ergeben würde.
 
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