Begriff Angel-Sachsen

Herkunftstheorien sind schön und gut, aber was ist das Erkennungsmerkmal für einen "Sueben"? Hier liegt doch ein Zirkelschluss vor: Weil eine Gruppe irgendwann als "Sueben" bezeichnet wurde, nimmt man die Bezeichnung "suebisch" für eine andere, vorher existierende Gruppe (z. B. die Quaden) in Anspruch, die aber zuvor möglicherweise von den "Sueben" unterschieden wurde...
Es ist nicht nur Herkunftstheorie, wenn versucht wird, die Quellen, die uns zur Verfügung stehen zu analysieren und sie mit archäologischen Ergebnissen zu untermauern, wenn Ergebnisse solcher Diaziplin übereinstimmen. Seit wann ist ein Volk nicht mehr existent in deiner Welt? Du scheinst diesen Begriff abwehren zu wollen, als hätte ich definiert, dass der Begriff "Volk" einen ethnisch reinen Menschenkreis ausmacht. Dabei wäre meine Definition z.B. des Volks der Alamannen, wie sie im 6. Jahrhundert Im Südwesten waren, als eine mehr oder weniger lose Ansammlung von Menschen mit größtenteils elbgermanischer Herkunft, Neckarsueben, Kelten und allen anderen Stämmen, deren Reste in ihnen aufgegangen sind. Wo ist das Problem? Wir haben doch die Anhaltspunkte dafür.
 
Und wenn ein Ptolemaios im 2. Jahrhundert die Angeln als Sueben definieft, ja dann schau ich eben weitere Quellen an, und gleiche dann ab. Im Falle Englands aber kann ich keinen Ptolemaios anführen, wenn die Ereignisse um 450 bis 900 stattgefunden haben. Dafür habe ich wie gesagt Beda, Nennius und Gildas, die Archäologie und von mir aus die Humangenetik.
 
Was geographische Räume und ihre Bewohner angeht, so ist zu bedenken, dass antike und mittelalterliche Quellen häufig davon ausgingen, dass eine Situation, die sie in einer alten Überlieferung geschildert vorfanden, auch noch für ihre Zeit galt - wenn sie es nicht besser wussten, weil z.B. eine Überlieferung eine Bevölkerungsbewegung mitteilte. Manchmal hat man im Mittelalter versucht, verschiedene Überlieferungen, die nicht zueinander passten, zu harmonisieren und nur selten rebelliert ein Autor gegen seine Quellen und sagt, wenn Überlieferung A stimmt, kann Überlieferung B nicht richtig sein. Normalerweise nahm man das einfach hin. Und so findet man dann häufig in Quellen Situationen geschildert, die vielleicht 100 Jahre zuvor gestimmt hätten, aber zum Zeitpunkt der Niederschrift Schnee von gestern waren. Und wenn wir ehrlich sind, funktioniert das bei uns heute auch nicht viel anders. Je älter jemand ist, desto mehr Alltagswissen hat er in seinem Leben angesammelt, nur dass eben das Alltagswissen aus der Zeit, als er 20 war nicht mehr für die Zeit gilt, wenn er 60 ist.
 
Und wenn wir ehrlich sind, funktioniert das bei uns heute auch nicht viel anders. Je älter jemand ist, desto mehr Alltagswissen hat er in seinem Leben angesammelt, nur dass eben das Alltagswissen aus der Zeit, als er 20 war nicht mehr für die Zeit gilt, wenn er 60 ist.
Insofern halte ich es auch nicht für problematisch, den Suebennamen von der Antike bis ins Frühmittelalter zu übernehmen. Wenn sich der Suebe bei den Alamannen erhalten hat, sie sich dann als Schwaben empfunden haben, dann habe ich keinen Grund, ohne Beweise dagegen zu argumentieren. Vor allem, wenn die Archäologie ja bestätigt hat, dass überall dort, wo Stämme eine lange Zeit gelebt haben(Elbe Einzugsgebiet), die sich Sueben nannten und so genannt wurden, eine gemeinsame materielle und zum Teil religiöse Kultur besaßen. Ich überlasse es auch Beda, wenn er sagt, dass seine Vorfahren Northumbria als Angeln gegründet haben. Vor allem, weil es eben nicht nur Beda sagt. Wie viele sagen denn außer Ptolemaios, dass die Angeln Sueben sein sollen? Von wem weiß er das? Was sind seine Quellen? Das heißt nicht, dass Beda der Nachfahre der Angeln von Ptolemaios sein muss. Das bezweifle ich sehr stark. Ich habe ich die Entwicklung germanischer antiker Völker aber nie so wahrgenommen, dass sie ein starres Genvolk seien, das ohne Veränderung durch die Jahrhunderte wandelt.
 
Nur, dass sich die suebischen Stämme, von den Hermunduren bis zu den Quaden archäologisch an den Orten, wo man sie lokalisiert hat, archäologisch als "Elbgermanen" kategorisiert hat. Dem schenke ich Glauben
Dein Glaube in allen Ehren, aber ich halte es lieber mit Fakten. Die Hermunduren, über deren Wohngebiete die Quellen äußerst widersprüchliche Angaben liefern, lassen sich mit archäologischen Mitteln nun mal nicht lokalisieren. Und wo etwas anderes behauptet wird, sind es bestenfalls Hypothesen, die auf äußerst wackligen Füßen stehen (oder auf gar keinen).
Gerade bei der Zuordnung von archäologischen Fundgruppen (die notwendigerweise Konstrukte der Archäologen sind) zu ethnischen Gruppen (zu der die schriftlichen Quellen oft kaum mehr berichten als die Namen) hat man sich in der Vergangenheit mit leichtfertigen Vermutungen beholfen, die oft unhinterfragt tradiert wurden und sich bis in die Literatur der neuesten Zeit ziehen.

Ein Beispiel, das ich schon öfter zitiert habe (Vladimír Salač über die Markomannen):

"In der Eisenzeitforschung genauso wie in der gesamten Archäologie erscheinen ganze Jahrzehnte lang Behauptungen, deren Wahrheit nicht bezweifelt wird und deren Inhalt deshalb in der Regel weiter nicht untersucht wird. Nicht selten wurde aber schon vergessen, wann, unter welchen Umständen und vor allem mit welchen Methoden diese Urteile entstanden. Dabei dienen sie oft als Ausgangspunkte für weitere Hypothesen und Untersuchungen. Bei der Forschung kommt so ein bestimmtes Beharrungsvermögen zum Vorschein, das aber in manchen Fällen paradoxerweise den Fortgang nicht fördert, sondern ganz umgekehrt bremst.
...
Der wirkliche Autor dieses Gedankens und seine Methode sind längst in Vergessenheit geraten. Diese Hypothese wurde allmählich zum historischen Faktum, welches angeblich in den schriftlichen Quellen verzeichnet war, welches ganze Generationen von Archäologen bevorzugten und manche immer noch vor der Aussagekraft der archäologischen Quellen bevorzugen. Verblüffend ist dabei die Kraft dieses Beharrungsvermögens, die auch modernen und seriösen Analysen der historischen Quellen widersteht, die nachweisen, dass gar keine direkte historische Nachricht über die Markomannen im Maingebiet existiert."
http://www.arup.cas.cz/wp-content/uploads/2010/05/Beharrungsvermögen.pdf

Hier noch als weiteres Beispiel ein Beitrag von mir (über die Hermunduren):
Ortsnamenkunde


Und wenn ein Ptolemaios im 2. Jahrhundert die Angeln als Sueben definieft, ja dann schau ich eben weitere Quellen an, und gleiche dann ab.
Hast Du das mal abgeglichen, welche Gruppen als "Sueben" definiert wurden? Dann hast Du bestimmt festgestellt: Welche Gruppen in der Antike zu den Sueben zählten und welche nicht, ist durchaus unklar. Tacitus rechnet eine größere Anzahl von Stämmen zu den Sueben. Bei Ptolemaios sind es gerade mal drei, die Langobarden, Angeln und Semnonen. Bei Plinius heißt der Sammelbegriff "Hermiones", darunter zählt er Sueben, Hermunduren (die waren demnach keine Sueben), Chatten und Cherusker. Orosius erwähnt in einer Aufzählung "Marcomanni Quadi Vandali Sarmatae Suebi", demnach subsumiert er Markomannen und Quaden nicht unter die Sueben.

Ich spreche von der Besiedlung Englands durch die Angeln.
Und ich spreche von dem, was die Quellen über die Angeln sagen. Der Name der Angeln ist - ebenso wie der Name der Sueben - in ganz unterschiedlichen Gegenden anzutreffen. In welchem Verhältnis stehen die Angeln an der Elbe zu den Angeln

Die würde ich gerne lesen.
Der Einfachheit halber aus einem anderen Thread:
Ein Beispiel aus dem Balkan: Die dort ansässigen Romanen werden von ihren Nachbarn vielfach als "Walachen" (griechisch Vlachoi, mazedonisch Vlasi, albanisch Vllehët) bezeichnet. Die Bezeichnung kommt nicht aus dem Romanischen - aber auch nicht aus dem Griechischen, Slawischen oder Albanischen, sondern aus dem Germanischen! Und sie bezeichnete ursprünglich weder Balkanromanen noch sonstige Romanen, sondern Kelten!
Die ursprüngliche Bedeutung 'Kelten' ist nur noch in der englischen Bezeichnung Wales/welsh für die Waliser in Großbritannien erhalten; im Deutschen hat sich die Bedeutung zu "Romane" gewandelt und wurde in dieser Bedeutung von verschiedenen Balkansprachen übernommen.
Siehe auch: DWDS – Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache
Welche Informationen über den Alamannen-Namen benötigst Du noch?
Wenn wir nach dem Namen der Alamannen schauen, so ist es unzweifelhaft, dass es sich hier um eine germanische Namensbildung handelt. Ein paar Jahrhunderte später (Walahfrid Strabo) ist der Name in germanischem Munde außer Gebrauch gekommen, wurde aber nunmehr von den romanischen Nachbarn der Schwaben benutzt.
Die Ausweitung des Alemannenbegriffs auf alle Deutschen kam erst Jahrhunderte später.

Ausgewanderte "Schwaben" gibt es übrigens auch in Südosteuropa:
Banatschwäbisch (auch Donauschwäbisch) ist eine Mundart, die im Siedlungsgebiet der Donauschwaben im südöstlichen Teil Europas, dem Banat und der Batschka gesprochen wurde und zum Teil noch wird. Die durch den Anteil an der hochdeutschen Lautverschiebung als Mitteldeutsch gekennzeichnete Mundart ist dem Pfälzischen und Saarländischen sehr nahe, gespickt mit Elementen aus dem Ostfränkischen und Hessischen.
Banatschwäbisch – Wikipedia

Ich würde auch nie auf die Idee kommen, die Sachsen seien "als Volk" nach Siebenbürgen ausgewandert. Ebensowenig sind die Sueben "als Volk" auf die iberische Halbinsel ausgewandert.
Das ist dein gutes Recht. Ich spreche aber davon und begründe es ja auch.
D. h. Du möchtest nun allen Ernstes die begründete These aufstellen, dass der "größte Teil" der Siebenbürger Sachsen "als Volk" aus ursprünglich sächsischem Siedlungsgebiet ausgewandert ist?
Oder dass der "größte Teil" der Banatschwaben aus ursprünglich schwäbischem Siedlungsgebiet weggezogen ist?
Oder welche begründete These vertrittst Du in diesem Zusammenhang?
 
Seit wann ist ein Volk nicht mehr existent in deiner Welt? Du scheinst diesen Begriff abwehren zu wollen, als hätte ich definiert, dass der Begriff "Volk" einen ethnisch reinen Menschenkreis ausmacht.
Nichts dergleichen habe ich geschrieben.

Dabei wäre meine Definition z.B. des Volks der Alamannen, wie sie im 6. Jahrhundert Im Südwesten waren, als eine mehr oder weniger lose Ansammlung von Menschen mit größtenteils elbgermanischer Herkunft, Neckarsueben, Kelten und allen anderen Stämmen, deren Reste in ihnen aufgegangen sind. Wo ist das Problem?
Ich sehe nicht, dass ich daraus ein Problem gemacht hätte.
Man könnte natürlich fragen, als was sich die Menschen selbst gesehen hatten. Als "Elbgermanen" sicher nicht, als "Kelten" sehr wahrscheinlich auch nicht. Die Frage, ob bzw. ab wann sie sich selber als "Alamannen" gesehen haben, ist weder durch die Quellen noch durch die Bodenfunde klar zu beantworten.

- Nina Willburger und Klaus Georg Kokkotidis, Sueben und Alamannen im Spiegel der Quellen und Bodenfunde
...
Willburger/Kokkotidis resümieren:
"Es zeigt sich, dass selbst nach Jahrzehnten wissenschaftlicher Diskussion die Frage nach der Entstehung der Alamannen und den Anfängen ihrer Geschichte nicht abschließend beantwortet werden kann; es stellt sich sogar die Frage, ob sich die germanischen Bewohner des heutigen Südwestdeutschlands während der Völkerwanderungszeit, also etwa vom 3. bis zum 5. Jahrhundert, überhaupt als ein Volk sahen oder ob sich ihre Identität nicht auf kleinere Einheiten, als Angehörige von Familien- oder Gefolgschaftsverbänden oder als Bewohner einer bestimmten Region, gründete."
 
Dein Glaube in allen Ehren, aber ich halte es lieber mit Fakten.
Das sind Fakten. Fakten, die archäologisch erforscht worden sind. Mit solchen Kalendersprüchen kommen wir hier nicht weit.

Hast Du das mal abgeglichen, welche Gruppen als "Sueben" definiert wurden? Dann hast Du bestimmt festgestellt: Welche Gruppen in der Antike zu den Sueben zählten und welche nicht, ist durchaus unklar. Tacitus rechnet eine größere Anzahl von Stämmen zu den Sueben. Bei Ptolemaios sind es gerade mal drei, die Langobarden, Angeln und Semnonen. Bei Plinius heißt der Sammelbegriff "Hermiones", darunter zählt er Sueben, Hermunduren (die waren demnach keine Sueben), Chatten und Cherusker. Orosius erwähnt in einer Aufzählung "Marcomanni Quadi Vandali Sarmatae Suebi", demnach subsumiert er Markomannen und Quaden nicht unter die Sueben.
Wie oben erwähnt haben archäologische Untersuchungen im Einzugsgebiet der Elbe, von Berlin bis Böhmen, Erkenntnisse hervorgebracht, die eine gemeinsame materielle Kultur in Alltag und Bestattung in diesem Gebiet zeigt. In den Quellen tauchen eben dort, wo untersucht wurde, germanische Stämme auf, die in den verschiedenen Quellen als Sueben zugeordnet worden sind . Semnonen tauchen bei Tacitus und Ptolemaios als Sueben auf, das war es dann glaube ich auch mit den Schnittmengen. Es macht Tacitus Erwähnungen aber nicht weniger glaubhaft, wenn in dem Gebiet, wo der Langobarden, Hermunduren, Semnonen, Quaden usw. erwähnt, man auch eine gemeinsame materielle Kultur festgestellt hat.

D. h. Du möchtest nun allen Ernstes die begründete These aufstellen, dass der "größte Teil" der Siebenbürger Sachsen "als Volk" aus ursprünglich sächsischem Siedlungsgebiet ausgewandert ist?
Das habe ich auf meine vorherigen Argumente bezogen, es ging um Angelsachsen.

Und ich spreche von dem, was die Quellen über die Angeln sagen. Der Name der Angeln ist - ebenso wie der Name der Sueben - in ganz unterschiedlichen Gegenden anzutreffen. In welchem Verhältnis stehen die Angeln an der Elbe zu den Angeln
Ja dann nimm doch mal die frühmittelalterlichen Quellen zur Hand! Angelsächsische Chronik, Beda, Gildas, Nennius. Mit Ptolemaios sind doch die Angeln der antike gemeint. Nicht so bei Beda, sondern das, was zu Bedas Zeit die Angeln waren! Das heißt aber nicht, dass bei den dortigen Angeln kein Teil aus der antike fortbestanden hätte.

Nichts dergleichen habe ich geschrieben.
Kam mir aber so vor.
 
Kann es sein, dass die Diskussion die Frage berührt, wie Archäologen, Kultur-und Ethno-Anthropologen, Paleogenetiker, Linguisten etc. "zusammenwirken" und was eigentlich Kriterien der Abgrenzungen von Kulturen oder Ethnien darstellen sollen, die quellenseitig Erwähnung finden?

Zugespitzt habe ich mal die Frage formuliert gefunden, ob Scherben Kulturen nachweisen (können). Gleiches gilt für Genstatistik, Bestattungsriten oder Sprachausbreitung, etc.

Zu diesem Diskurs (Konflikte der Fachgebiete) gibt es in den letzten Jahren etliche Beiträge.
 
Kann es sein, dass die Diskussion die Frage berührt, wie Archäologen, Kultur-und Ethno-Anthropologen, Paleogenetiker, Linguisten etc. "zusammenwirken" und was eigentlich Kriterien der Abgrenzungen von Kulturen oder Ethnien darstellen sollen, die quellenseitig Erwähnung finden?
Das kann sehr gut sein. Ich kann das allerdings nicht beurteilen, weil ich in all diesen Themen genau 0 Erfahrungen besitze.
 
Angelsächsische Chronik über die Angeln (<7> steht für die tironische Note und entspricht <&>):

nachträgliche Hinzufügung von "Hand 8" für das Jahr 443:
Her sendon Brytwalas to Rome 7 heom fultomes bædon wiþ Piohtas, ac hi þar næfdan nanne, forþan ðe hi fyrdedon wið Ætla Huna cyningæ, 7 þa sendon hi to Anglum 7 Angelcynnes æðelingas ðæs ylcan bædan.

Dieselbe Hand 8 ergänzt den Eintrag für 449:
Hi ða sende to Angle 7 heton heom sendan mare fultum 7 heom seggan Brytwalana nahtnesse 7 ðæs landes cysta. Hy ða sendan heom mare fultum. Þa comon þa menn of þrim mægþum Germanie, of Ealdseaxum, of Anglum, of Iotum. Of Iotum comon Cantware 7 Wihtware, þæt ys seo mæið ðe nu eardað on Wiht, 7 ðæt cynn on Westsexum þe man gyt hæt Iutna cyn. Of Ealdseaxon comon Eastsexa 7 Suðsexa 7 WestSexan. Of Angle comon, se a siððan stod westi betwyx Iutum 7 Seaxum, Eastengla, Midelangla, Mearca 7 ealle Norðhymbra.

Was können wir dem entnehmen? Es ist nicht die originale Hand, die in die Angelsächsische Chronik die Angeln einführt, sondern der Interpolator, der als Hand 8 bekannt ist.
Der Interpolator setzt die Angeln von ihrer geographischen Herkunft her zwischen die Jüten und die Sachsen.

Im Originaleintrag für 449 werden die Brüder Hengist und Horsa erwähnt:
Her Mauricius 7 Ualentines onfengon rice 7 ricsodon .vii. winter. 7 On hiera dagum Hengest 7 Horsa from Wyrtgeorne geleaþade Bretta kyninge gesohton Bretene on þam staþe þe is genemned Ypwinesfleot, ærest Brettum to fultume, ac hie eft on hie fuhton.
Was sagt dieser Eintrag über den Quellenwert der Chronik aus? Wir sind uns einerseits sicher, dass die Ereignisse stattgefunden haben. Aber hier berichtet jemand aus dem 9. Jhdt. über Ereignisse 400 Jahre früher. (An dieser Stelle ist hinzuzufügen, dass es neben Redundanzen auch Einträge gibt, die für das falsche Jahr verzeichnet sind, und zwar im 9. Jhdt. die Angelsächsische Chronik ist also nicht einmal für die Zeitgeschichte absolut verlässlich) Er gibt Legendenwissen in die Form der Chronik, wie z.B. an den Namen der Heeresführer Hengist und Horsa zu erkennen ist. Während Hengist der 'Hengst' ist, ist Horsa (leicht desemantisiert im heutigen horse 'Pferd' erhalten), die 'Stute', also kaum der ggeignete Name für einen Mann. Ohne mich mit dem Angelsächsischen auszukennen, würde ich behaupten, dass die Desemantisierung für den Verfasser der Chronik schon nicht mehr zu erkennen, also bereits vollzogen war, dass er also nicht mehr wusste, dass Hengist und Horsa die beiden Geschlechter des Pferds bedeuteten. Daraus folgt: die drei Mächte aus Germanien (þrim mægþum Germanie), die da kamen waren bei den gemeinsamen Nachfahren derart mit Pferden assoziert, dass in den Legenden ihre mythischen Anführer Pferdebezeichnungen erhielten, die tatsächliche Geschichte ist aber verborgen. Das ist natürlich damit zu begründen, dass ein Narrativ auch Protagonisten benötigt.
 
Ohne mich mit dem Angelsächsischen auszukennen, würde ich behaupten, dass die Desemantisierung für den Verfasser der Chronik schon nicht mehr zu erkennen, also bereits vollzogen war, dass er also nicht mehr wusste, dass Hengist und Horsa die beiden Geschlechter des Pferds bedeuteten.
Wenn du noch die Stammbäume der Angelsächsischen Königsfamielien anschaust, dann wird es richtig abenteuerlich, nämlich wenn der Stammvater jeder bedeutenden Familie Wodan sein soll. Nicht weit nach Wodan kommen Namen wie Cedd, Celdwella und Cynric. Alles keltische Namen. Also ohne Zweifel sind nicht nur in der angelsächsischen Chronik, sondern auch bei allen anderen Quellen dazu Mythen, Heilsgeschichten und damalige Weltsicht der Autoren tief mit in deren Arbeiten verstrickt. Das haben aber viele Quellen des Mittelalters so an sich. Wichtig wäre jrtzt herauszufinden, wie der Schreiber darauf gekommen sein kann, dass er Angeln eingefügt hat. Ob es daran liegt, dass "East Anglia" schon weit vorher gegründet worden ist, er sich daran orientiert und/oder von seinen Vorfahren weitererzähltes "Wissen" berichtet usw...
 
Ohne mich mit dem Angelsächsischen auszukennen, würde ich behaupten, dass die Desemantisierung für den Verfasser der Chronik schon nicht mehr zu erkennen, also bereits vollzogen war, dass er also nicht mehr wusste, dass Hengist und Horsa die beiden Geschlechter des Pferds bedeuteten.
Diese Folgerung kann ich nicht nachvollziehen. Warum sollte ihm die Bedeutung von Hengist und Horsa als Hengst und Stute nicht bekannt sein? Die Römer waren doch auch stolz, von Romulus und Remus zu berichten.
 
Wenn dem Schreiber es merkwürdig hätte vorkommen sollen, dass das Brüderpaar eigentlich zwei komische Namen hat, dann kann ich dir nur nochmal Bedas Kirchengeschichte der Angeln und Nennius Historia Brittonum anempfehlen. Dass davon ausgegangen wird, dass von diesen beiden Werken die Angelsächsische Chronik teilweise abhängt, will ich nur kurz anmerken. Da wimmelt es von Wundern, Schicksalserfüllungen und dergleichen. Dagegen wirkt ein Brüderpaar mit den Namen Hengist und Horsa als Inbegriff glaubwürdiger Erzählungen. Das war, so meine ich, nicht die Zeit, in der in solchen Kategorien gedacht wurde.
 
Diese Folgerung kann ich nicht nachvollziehen. Warum sollte ihm die Bedeutung von Hengist und Horsa als Hengst und Stute nicht bekannt sein? Die Römer waren doch auch stolz, von Romulus und Remus zu berichten.
Und welche Bedeutung hat Romulus und Remus? Das Römerlein und das Ruder? Sind Romulus und Remus historisch?

Wenn dem Schreiber es merkwürdig hätte vorkommen sollen, dass das Brüderpaar eigentlich zwei komische Namen hat, dann kann ich dir nur nochmal Bedas Kirchengeschichte der Angeln und Nennius Historia Brittonum anempfehlen. Dass davon ausgegangen wird, dass von diesen beiden Werken die Angelsächsische Chronik teilweise abhängt, will ich nur kurz anmerken. Da wimmelt es von Wundern, Schicksalserfüllungen und dergleichen. Dagegen wirkt ein Brüderpaar mit den Namen Hengist und Horsa als Inbegriff glaubwürdiger Erzählungen. Das war, so meine ich, nicht die Zeit, in der in solchen Kategorien gedacht wurde.
Es geht mir darum, dass das Brüderpaar unhistorisch ist. Hengist und Horsa waren vielleicht mit den Sachsen assozierte Begriff, weil diese mit Pferden kamen (das sächsische Pferd ist ja auch im Wappen Niedersachsens, NRWs, allerdings müssen wir vor dem 11. Jhdt. nicht mit Wappen rechnen), da Hengst im Englischen nicht erhalten (stallion) und horsa von der 'Stute' geschlechtsneutral zu 'Pferd' geworden ist (Desemantisierung, semantic bleaching), denke ich, dass den Tradierern dieser Erzähltradition die ursprüngliche Bedeutung nicht mehr klar waren. Es ist zimelich unwahrscheinlich, dass einer der Brüder 'Stute' hieß.
 
Das kann sehr gut sein. Ich kann das allerdings nicht beurteilen, weil ich in all diesen Themen genau 0 Erfahrungen besitze.
Kann es sein, dass Dir bisher die Problematik überhaupt nicht bewusst ist, von der ich die ganze Zeit schreibe? Nochmal zurück auf die Frage, die Du nicht beantwortet hast:

Was ist das Erkennungsmerkmal für einen "Sueben"?

Wie ich bereits demonstriert habe, sind sich die schriftlichen Quellen durchaus uneins, welche Stämme zu den Sueben zu zählen sind und welche nicht. Leider nennt keine Quelle ein eindeutiges Erkennungsmerkmal, mit Ausnahme von Tacitus' Germania:
"insigne gentis obliquare crinem nodoque substringere: sic Suebi a ceteris Germanis, sic Sueborum ingenui a servis separantur."
("Das Kennzeichen des Volksstammes ist es, das Haar seitlich zu richten und in einem Knoten zusammenzubinden: So sondern sich sich die Sueben von den übrigen Germanen ab, so sondern sich die Freigeborenen der Sueben von den Sklaven ab.")

Nun kann man schauen, wo dieses Kennzeichen archäologisch nachgewiesen ist:
Der Suebenknoten ist an zwei Moorleichen, den Männern von Osterby, mit den Knoten auf der rechten Schläfe, und Dätgen, am Hinterkopf, nachgewiesen. Die Gemeinde Osterby (Kreis Rendsburg-Eckernförde), der Fundort einer der Moorleichen, führt in ihrem Wappen einen Suebenknoten. Die männliche Moorleiche von Hooghalen, die 1866 in der Nähe der niederländischen Gemeinde Beilen in Drente gefunden wurde, hatte nach Aussage der Finder lange Haare wie eine Frau, die zu einem Knoten gebunden waren. Ob es sich bei diesem Haarknoten um einen Suebenknoten handelt, lässt sich jedoch nicht bestätigen, da der Leichnam kurz nach der Auffindung auf einem Friedhof begraben wurde und jetzt vergangen ist.
Suebenknoten – Wikipedia

Sicheren Nachweis für "Sueben" haben wir also ausschließlich aus Schleswig-Holstein, unweit von einer Gegend, die heute noch den Namen der Angeln trägt.

Ja dann nimm doch mal die frühmittelalterlichen Quellen zur Hand!
Bei dieser Gelegenheit fällt mir der Widsith ein, da wird eine Grenze zwischen Angeln und Sueben festgelegt:
Der Widsith (V. 35–44) erwähnt als erinnernswerte Heldentat des jungen Angelnherrschers Offa in seiner Konkurrenz mit dem Dänen Alewih, er habe gegen die Myrgingas allein mit dem Schwert ein großes Königreich an der Fifeldor (meist identifiziert mit der Eider) erkämpft und so den Grenzverlauf zwischen Angeln und Sueben (Swaefe) festgelegt.
Offa (Angeln) – Wikipedia
Betrachte dies mal als augenzwinkernden Exkurs.

Fakt ist, dass die Archäologie nicht in der Lage ist, aus einer Keramikscherbe, einem Armreif oder einem Helm herauszulesen, ob der Besitzer dieser Utensilien sich dem Stamm der Hermunduren, der Angeln, Sueben oder Langobarden zugehörig fühlte.

Nur wenn wir aus sicherer Quelle wissen, dass am Fundort zur gegebenen Zeit ein bestimmter Stamm siedelte, lassen sich solche Zuschreibungen machen. So lassen sich z. B. die Markomannen ab der Zeitenwende aufgrund der Quellen in Böhmen lokalisieren. Bei vielen anderen Stämmen ist so eine Lokalisierung nicht möglich. Als besonders krasses Beispiel hatte ich die Hermunduren genannt, die von Tacitus gleichzeitig an der oberen Donau wie im Quellgebiet der Elbe lokalisiert werden. (Welche materielle Kultur wurde eigentlich dort jeweils festgestellt?)

Wie ich anhand der Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen gezeigt habe, ist es tatsächlich gut denkbar, dass ein Stammesname gleichzeitig an ganz unterschiedlichen Orten anzutreffen ist, ohne dass deswegen ein gleichnamiges "Volk" oder auch nur ein "großer Teil" eines gleichnamigen Volks gewandert sein muss. Namen können mit Leichtigkeit übertragen werden, neu aufkommen oder ganz verschwinden.

Noch komplizierter wird es mit Sammelnamen, dazu gehört offensichtlich der Suebenname. In einer Notiz, die sich auf Ereignisse des Jahre 29 v. Chr. bezieht, schreibt Cassius Dio, die Sueben wohnten, "um es genau zu erklären, jenseits des Rheins - allerdings beanspruchen auch viele andere den Namen der Sueben für sich."
Nach Cassius Dio müsste man die eigentlichen Sueben bei den Rhein-Weser-Germanen suchen, nicht bei den Elbgermanen. Dass die Sueben bis zum Rhein siedelten, bestätigt auch Strabo.
Allerdings scheint es auch anderen Stämmen keine Probleme bereitet zu haben, sich bei passender Gelegenheit selber als "Sueben" zu bezeichnen.
Das würde erklären, warum bei der Zuordnung einzelner Stämme zu den Sueben in den antiken Quellen so ein Wirrwarr herrscht, warum die Sueben einmal als riesengroßer Stamm (vom Rhein bis zur Elbe) beschrieben werden, warum sie in späterer Zeit ziemlich lange überhaupt nicht mehr in den Quellen auftauchen, als seien sie vom Erdboden verschluckt worden, und warum sie sich dann plötzlich erneut materialisieren: Weil es eben wieder schick wurde, sich den Suebennamen umzuhängen.

Dann wäre es aber völlig sinnlos, im archäologischen Befund danach suchen zu wollen, ob die Besitzer irgendwelcher Utensilien sich gerade zu den Sueben rechneten oder nicht.
 
... da Hengst im Englischen nicht erhalten (stallion) und horsa von der 'Stute' geschlechtsneutral zu 'Pferd' geworden ist (Desemantisierung, semantic bleaching), denke ich, dass den Tradierern dieser Erzähltradition die ursprüngliche Bedeutung nicht mehr klar waren.

Allerdings erwähnt auch noch das Testament des Wulfric Spot (um 1000) noch "an hund wildra horsa [and] sex tene tame hencgestas" (100 wilde Stuten und 16 zahme Hengste).

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Resource Details - Staffordshire Past Track
 
Hengist und Horsa wurden übrigens schon von Beda Venerabilis in seiner Kirchengeschichte erwähnt, die freilich auch alles andere als zeitnah entstand: "Duces fuisse perhibentur eorum primi duo fratres Hengist et Horsa."

Deshalb schrieb ich von Tradierern:
dass den Tradierern dieser Erzähltradition die ursprüngliche Bedeutung nicht mehr klar waren.

Allerdings erwähnt auch noch das Testament des Wulfric Spot (um 1000) noch "an hund wildra horsa [and] sex tene tame hencgestas" (100 wilde Stuten und 16 zahme Hengste).
Das wirft natürlich meine Argumentation über den Haufen.
 
Und welche Bedeutung hat Romulus und Remus? Das Römerlein und das Ruder? Sind Romulus und Remus historisch?
Nein :D
Sepiola hat gerade gezeigt, dass die Worte Hengist und Horsa in ihrer Bedeutung durchaus zur Zeit der Entstehung des Manuskripts im Wortschatz der Angelsachsen gewesen sein dürften. Wenn der Schreiber also gemerkt hat, dass das legendäre Brüderpaar Hengist und Horsa die Bedeutung Hengst und Stute haben, hätte ihm auffallen müssen, dass die beiden unhistorisch sein müssen? Ich habe den vergleich mit R&R angestellt, weil das auch eine legendäre Gründungssage ist mit einem erfundenen Brüderpaar und den Römern ist es in der Überlieferung alles andere als komisch vorgekommen, das vorzutragen.

Es geht mir darum, dass das Brüderpaar unhistorisch ist. Hengist und Horsa waren vielleicht mit den Sachsen assozierte Begriff, weil diese mit Pferden kamen (das sächsische Pferd ist ja auch im Wappen Niedersachsens, NRWs, allerdings müssen wir vor dem 11. Jhdt. nicht mit Wappen rechnen), da Hengst im Englischen nicht erhalten (stallion) und horsa von der 'Stute' geschlechtsneutral zu 'Pferd' geworden ist (Desemantisierung, semantic bleaching), denke ich, dass den Tradierern dieser Erzähltradition die ursprüngliche Bedeutung nicht mehr klar waren. Es ist zimelich unwahrscheinlich, dass einer der Brüder 'Stute' hieß.

Ich erinnere mich an einen sehr weisen und kritischen User dieses Forums, der mich einmal vor Pseudoetymologie gewarnt hat ;).
 
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