Weltbild im (Mittelalter)

Die Epizyklen, als temporäre Rückläufigkeiten von Planetenbahnen, sind ja zunächst schlichte und nachvollziehbare Beobachtungen. Erst wenn man davon ausgeht, dass die Sonne im Zentrum aller planetaren Bewegungen steht und sich gedanklich auf diesen Ort der Beobachtung begibt, lösen sich diese auf, während sie vom Blickpunkt der Erde weiterhin gegeben sind.
Es verwundert mich, dass das kopernikanische Weltbild, welches von einer Kreisbahn der Planeten ausging, und nicht wie Kepler von schwach ausgeprägten Ellipsen, Epizyklen aus Sicht des postulierten Zentrums gekannt haben soll.
Bei Wiki wird es anschaulich gemacht:
Datei:Ellips2.gif – Wikipedia
 
Folgt man Wiki, so benötigte Kopernikus tatsächlich immer noch Epizyklen um Venus- und Merkurbahn zu beschreiben.
Das animierte Bild verstehe ich grad nicht in dem Zusammenhang.
(Mit der Gestalt der Erde selbst hat das allerdings nichts zu tun.)
 
Das animierte Bild verstehe ich grad nicht in dem Zusammenhang.
Kopernikus brauchte die Epizykel als Erklärung der elliptischen Planetenbahnen. Der Kreis galt immer noch als die vollkommenste geometrische Figur. Gott macht keine krummen Dinger. („Gott würfelt nicht“, lautet die letzte Variante von Einstein. Aber wahrscheinlich hatte auch Einstein unrecht. Gott würfelt wohl wirklich.)
 
Folgt man Wiki, so benötigte Kopernikus tatsächlich immer noch Epizyklen um Venus- und Merkurbahn zu beschreiben.
Das animierte Bild verstehe ich grad nicht in dem Zusammenhang.
(Mit der Gestalt der Erde selbst hat das allerdings nichts zu tun.)
Du kannst eine Ellipsenbahn als Kreisbahn mit Epizykel leicht mittels einer Koordinatentransformation darstellen und hast den Vorteil, dass die Kreisbahn viel leichter verständlich ist. Wenn ein Himmelskörper um einen anderen kreist, dann sieht man nur die 2D-Projektion einer 3D-Bewegung. Bis Newton gibt es noch keine Erklärung, nur Beobachtungen. Wie von @Tom erwähnt brachte eine Kreisbahn keine philosophischen Probleme, aber die Beobachtungen zeigten zu deutliche Abweichungen um einfach so als Ungenauigkeit akzeptiert zu werden.
Alle Abweichungen wurden in die Epizykel gelegt und oh Wunder, es kamen große Regelmäßigkeiten bei heraus. Auch ohne Erklärung konnte man so wenigstens weiter beobachten. Dies war wegen der wissenschaftsfeindlichen Haltung der Kirche mehr Fortschritt als wir heute so leicht nachvollziehen können. Man denke nur an Galileo Galilei und seine Probleme mit fehlsichtigen Geistlichen, die wahrscheinlich tatsächlich nichts in seniem Fernrohr sahen.
 
Dies war wegen der wissenschaftsfeindlichen Haltung der Kirche mehr Fortschritt als wir heute so leicht nachvollziehen können. Man denke nur an Galileo Galilei und seine Probleme mit fehlsichtigen Geistlichen, die wahrscheinlich tatsächlich nichts in seniem Fernrohr sahen.

Welchen Zusammenhang haben "Kirche" und "Geistliche" mit Galileis Fernrohr? Spielst Du auf den 24./25. April 1610 an, als Galilei sein Fernrohr in Bologna vorführte?
Darüber gibt es einen Bericht des jungen böhmischen Astronomen Martin Horký, der sich zu einem Studienaufenthalt in Bologna befand und am 27. April an Johannes Kepler schrieb:
"Galileo Galilei, der Mathematiker aus Padua, kam zu uns nach Bologna und brachte jenes Fernrohr mit, mit dem er die vier erfundenen Planeten gesehen hatte. Ich selbst schlief am 24. und 25. April Tag und Nacht keinen Moment, sondern ich prüfte die Güte von Galileis Instrument auf tausenderlei Art und Weise, sowohl an unteren Dingen als auch an oberen. Bei den unteren Dingen produziert es Wunder, im Himmel betrügt es, ... alle haben eingestanden, das Instrument betrüge. Galilei aber verstummte und reiste am frühen Morgen des 26. des Monats traurig vom berühmten Herr Magini ab und für die wohlgemeinten, zahllosen Überlegungen, dass er ein Märchen verkauft habe, dankte er nicht."

Horký (er war zwar Sohn eines protestantischen Pfarrers, aber kein Geistlicher) gehörte zu Galileis schärfsten Kritikern, lehnte dabei allerdings sehr weit aus dem Fenster und verscherzte dadurch letztlich das Vertrauen Keplers.
Horký hatte zwar vier schwache Flecken um den Jupiter wahrgenommen, hielt sie aber für optische Phänomene, u. a. habe er auch eine Kerze durch das Fernrohr mehrfach gesehen ("vna candela accensa similiter multiplex conspici").

Kepler antwortete:
"Du sagst, dir erscheine eine Kerze und Spica im Sternbild Jungfrau doppelt. Du könntest mich nicht besser bestätigen. Denn es ist klar und auch mir, als ich diese Art von Instrument auf seine Tauglichkeit prüfte, erschienen die Dinge doppelt. ... Natürlich vermute ich, dass Galilei gut sieht, die andern unter euch, die ihr leugnet, das selbe zu sehen [wie Galilei], seid kurzsichtig. Hätte Galilei das gewußt, so hätte er leicht Abhilfe schaffen und alle falschen Verdächtigungen in den Wind schlagen können: Es kann nämlich Abhilfe geschaffen werden, wenn einem Auge eine bestimmte konkave Linse vorgesetzt wird."

Auch andere italienische Kollegen hatten Kepler schriftlich versichert, keine Planeten durch das Fernrohr gesehen zu haben.

Martinus Horky und das Fernrohr Galileis on JSTOR
 
Danke für den Hinweis. Ich weiß nicht mehr, welche Vorführung ich im Sinn habe. Meine Szene habe ich aus einer englischen Doku und da besuchten zwei Geistliche Galilei und sahen nichts, wo ein Freund Galileis ein paar Tage vorher etwas gesehen hat. Aber welches Jahr, ich weiß es nicht.
 
... sahen nichts, wo ein Freund Galileis ein paar Tage vorher etwas gesehen hat.
Es gab auch einen Freund, der nichts gesehen hat und die Lust verloren hat, weiter durch dieses Ding zu sehen:

Galileo Galilei kontrovers

Daraus entstand dann vermutlich die Legende von den Gelehrten, die sich geweigert haben sollen, durch das Fernrohr zu schauen.

EDIT:
Aus dem Buch von Walter Hehl noch ein schönes Zitat:

"Galileis Aufstieg zu einem Heiligen (der Wissenschaft) und gleichzeitig zum Symbol der Kluft zwischen Kirche und Wissenschaft ist für drei Jahrhunderte unaufhaltsam. Es ist eine Ironie der Galilei-Affäre, dass Kardinal Bellarmin (und damit die Kriche) versucht hatte, keine Kluft entstehen zu lassen - Galilei hat sie nicht gewollt, aber geschaffen, und niemand konnte sie bis heute wieder richtig schliessen."
 
Belege für eine Scheibengestalt der Erde: Null.
Nachdem ich dir hier doch eine Abbildung der Erde als Scheibe präsentiert habe, verweist du sie ins Reich der Fantasie, weil sie von Hieronymus Bosch stammt:
... der hier eine äußerst skurrile Phantasiewelt gemalt hat...
Als ob es keine anderen Abbildungen gäbe. Dabei gibt es sie durchaus, selbst der hier mehrfach erwähnte Isidor von Sevilla schrieb
„Der [Erd-]Kreis wird nach der Rundheit des Kreises benannt […] Darum wandelt der diesen umfliessende Ozean in Grenzen eines Kreises.“ Isidor von Sevilla, Etymologiae, Kap. 14: de terra et partibus

Es gibt noch mehr Abbildungen der flachen Erde:
800px-FraMauroDetailedMapInverted.jpg

Zitat aus Wikipedia: Mappa mundi von Fra Mauro aus dem Jahre 1459. Die Weltkarte gibt das topografische Wissen der Europäer jener Zeit wieder, sie zeigt die Alte Welt: Europa, Afrika, Asien.

800px-Hereford-Karte.jpg

Hereford-Karte, 13. Jahrhundert

800px-Ebstorfer-stich2.jpg

Ebstorfer Weltkarte, spätestens um 1300.

Walsperger_-_Mappa_mundi.jpg

Zitat aus wikipedia: Weltkarte des Andreas Walsperger von 1448. Die Karte zeigt das Rund der Erde, die gesüdet ausgerichtet ist – also so, dass der Norden unten liegt. Die heilige Stadt Jerusalem befindet sich annähernd im Zentrum und der Ozean umgibt das gesamte Erdrund bis dort, wo Afrika bis zu den Sphären reicht. Sie ist damit eine zeitgenössisch konventionelle Weltdarstellung.

Alle diese Karten zeigen die Erde als vom Wasser umgebende Scheibe.

Dass dieses Denken für Unbelesene quasi normal war, sagen uns auch die Redewendungen wie „die Sonne geht auf“, weil sich scheinbar die Sonne über den Rand der Scheibe hoch bewegt. Das haben sicher nicht die Renaissancemenschen erfunden, um das Mittelalter schlecht zu machen, sondern stammt aus Zeiten, in denen niemand von der Erde als sich drehende Kugel dachte. Und das ist bis heute Usus, obwohl wir genau wissen, dass das nicht stimmt.

Übrigens verwahrte sich auch der Kirchenlehrer Augustinus gegen die Ansicht, dass es Antipoden (Gegenfüßler) auf der anderen (unteren) Seite der Erde geben könnte. Das war jedoch ein Einwand aus theologischer Sicht, nicht physikalischer. Aber weil die Theologie bzw. der Glaube das Leben der mittelalterlichen Normalos bestimmte, war das wichtiger als das, was Berthold von Regensburg angeblich in seinen Predigten über die Kugelgestalt der Erde gesagt hat. Ich halte es auch für wenig wahrscheinlich, dass seine mehrheitlich ungebildeten Zuhörer dies begreifen konnten, denn erst durch die Entdeckungsreisen am Ende des Mittelalters und früher Neuzeit wurde empirisch bestätigt, was Gelehrte voraussagten: Die Erde ist rund.

Dann waren auch die Gegenfüßler kein Thema mehr. Was aber die Engländer nicht daran hinderte, z.B. Australien als Land „down under“ zu bezeichnen.:D
 
Das sind die TO-KArten von denen ich oben schrieb:
...dass die Kugelgestalt der Erde im MA bekannt war. Allerdings ist es im MA noch nicht gelungen, dies auf Weltkarten darzustellen. Die mittelalterlichen TO-Karten (Radkarten) erleichterten es ja geradezu den mittelalterlichen Scheibenglauben zu unterstellen.
Sie sind mitnichten ein Beleg für den Glauben an eine Scheibenförmigkeit der Erde sondern dem Umstand geschuldet, dass sie keine Karten im Sinne heutiger Gebrauchskarten waren und es im Mittelalter nicht möglich war, die Erde perspektisch darzustellen. Isidor selbst schrieb von der Kugelgestalt der Erde (Hi duodecim venti mundi globum flatibus circumagunt.). Der Erdkreis meint die bewohnte Welt.

Übrigens verwahrte sich auch der Kirchenlehrer Augustinus gegen die Ansicht, dass es Antipoden (Gegenfüßler) auf der anderen (unteren) Seite der Erde geben könnte.
Mit welchen Argumenten? Das ist hier für die Fragestellung entscheidend. Da du hier so schön die Ebstorfer Karte dargestellt hast: Die hat sehr wohl Kopffüßer im Angebot.
 
Es gibt noch mehr Abbildungen der flachen Erde:

Den von mir verlinkten Artikel hast Du nicht gelesen?
Der Eingang des „Mythos der flachen Erde“ in deutsche und österreichische Geschichtsschulbücher im 20. Jahrhundert

Die Behauptung, dass die mittelalterliche Kartografie die Vorstellung einer flachen Erde dokumentiert, ist ein gelegentlich vorgebrachtes, aber falsches Argument und hinkt in ähnlicher Weise wie die Behauptung, wir gingen heute von einer flachen Erde aus, weil wir Atlanten benutzen. So wie wir heute trotz der flachen Atlanten um die Kugelgestalt der Erde wissen, gingen die Kartografen des Mittelalters trotz ihrer flachen mittelalterlichen Weltkarten von einer sphärischen Erde aus. Die Karte wurde – wie mittelalterliche Karten seit Isidor von Sevilla im Allgemeinen – in einer T-O-Form erstellt und beschreibt nur den als bewohnt angenommenen Teil der Erde. Die Ebstorfer Weltkarte und andere Mappae Mundi bezweckten keine genaue geografische Darstellung, sondern bildeten das theologische Wissen der Zeit ab, was auch in einigen Schulbüchern, wie zum Beispiel in Geschichte und Geschehen schon in diesem Sinne korrekt dargestellt wird. Brigitte Englisch, die eine Habilitation zur mittelalterlichen Kartographie verfasste, führt aus, dass diese Mappae Mundi zu dem „verbreiteten Vorurteil geführt [hätten], im Mittelalter sei die Erde als flache Scheibe aufgefasst worden“. In Wirklichkeit seien aber gerade diese Karten ein Beleg dafür, dass die Vorstellung von der sphärischen Erde nie bestritten wurde.​

Auf dieser Abbildung aus dem 13. Jahrhundert sieht man übrigens eine "flache" Erdkarte – und direkt darüber Christus mit der Erdkugel in der Hand:
Psalter_world_map.jpg

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/7a/Psalter_world_map.jpg
 
Das sind die TO-KArten von denen ich oben schrieb:

Sie sind mitnichten ein Beleg für den Glauben an eine Scheibenförmigkeit der Erde sondern dem Umstand geschuldet, dass sie keine Karten im Sinne heutiger Gebrauchskarten waren und es im Mittelalter nicht möglich war, die Erde perspektisch darzustellen.
Es gab keinen Grund, die Erde als auf dem Wasser schwimmende Scheibe zu zeichnen, es sei denn, man glaubte daran. Und man glaubte das, weil es in der Bibel steht, dass am 3. Schöpfungstag das Wasser, das vorher gänzlich die Erde bedeckte, abgeflossen sei – und sich nun am Rande der Erde befinden müsse.

1. Mose 1,8 – Zitat:

8 Und Gott nannte das Gewölbe Himmel. Es wurde Abend und es wurde Morgen: zweiter Tag.
9 Dann sprach Gott: Es sammle sich das Wasser unterhalb des Himmels an einem Ort und das Trockene werde sichtbar. Und so geschah es.
10 Und Gott nannte das Trockene Land und die Ansammlung des Wassers nannte er Meer. Gott sah, dass es gut war.


Es ist sehr wahrscheinlich, dass die mittelalterlichen Menschen in den Kirchen nichts von der Kugelgestalt der Erde hörten, sondern eben dieses Märchen von der Erschaffung der Welt, das von der Kirche bis auf den heutigen Tag verteidigt wird – jetzt mit der These vom „intelligent design“.


Mit welchen Argumenten? Das ist hier für die Fragestellung entscheidend.
Augustinus sagte in seinem Werk „De civitate Dei“ (Seite 74 des Dokuments, Fettschreibung von mir):
"Wenn man aber sogar fabelt, es gebe Antipoden, Gegenfüßler, das sind Menschen, die auf der entgegengesetzten Seite der Erde, wo die Sonne aufgeht, wenn sie bei uns untergeht, also unseren Füßen gegenüber wandeln: das ist völlig unglaublich."
(...)
Denn unter keinen Umständen lügt unsere Schrift, deren Mitteilungen über die Vergangenheit durch Erfüllung ihrer Voraussagen beglaubigt werden. Und es wäre doch zu unsinnig, wollte man behaupten, daß irgendwelche Menschen die Unermeßlichkeit des Ozeans überqueren und von dieser auf jene Seite segeln und gelangen könnten, so daß auch dort ein von jenem ersten Menschen <sc. Adam> abstammendes Geschlecht lebe."


Da du hier so schön die Ebstorfer Karte dargestellt hast: Die hat sehr wohl Kopffüßer im Angebot.
Sehe ich nicht - wo?[/I]
 
Ich zitiere mal aus der von dir verlinkten Dissertation:

Mit seiner Darstellung hatte Isidor das seit Homer bekannte antike Konzept des rings vom Ozean umgebenen Erdkreises aufgenommen. Daß er dabei von rota sprach, hat gelegentlich zu der Auffassung geführt, Isidor habe das Konzept einer flachen, scheibenförmigen Erde vertreten. Die kreisförmigen, auf antike Vorbilder zurückgehenden mittelalterlichen Weltkarten und die auf Isidor zurückgehenden T-O-Schemata scheinen diese Interpretation zu stützen. Doch ist aus der Möglichkeit, daß diese im Mittelalter als Abbilder einer flachen Erde verstanden werden konnten, nicht auf die Vorstellung Isidors zurückzuschließen. Die Vorstellung der vom Wasser kreisförmig umgebenen Ökumene war mit dem von Isidor ausführlich geschilderten Sphärenmodell durchaus vereinbar - auch Macrobius und Martianus Capella gingen, wie wir sahen, von der Vorstellung einer sphärisch gewölbten, rings vom Ozean umgebenen Ökumene aus.

Daß Isidor von einer sphärischen Gestalt der Erde ausging, wird sowohl in den 'Etymologien' als auch in seiner naturphilosophischen Lehrschrift 'De natura rerum' an verschiedenen Stellen deutlich. In dem an die Beschreibung der Erdoberfläche anschließenden Kapitel der 'Etymologien' schrieb Isidor über die Unterirdischen: So wie das Herz mitten im Tier liege, so liege, wie man erzähle, die Hölle in der Mitte der Erde - deswegen heiße es im Evangelium "im Herz der Erde"14. Im Kapitel über die Herrschaftszeichen nannte Isidor Augustus als Erfinder des Reichsapfels: dieser habe, so werde berichtet, einen Ball (pila) als Zeichen eingeführt, um wegen der Völker, die ihm auf dem ganzen Erdkreis unterworfen seien, die Gestalt des Erdkreises größer zu zeigen15. In seinem Brief an Sisebut, den König der Goten, dem Isidor seine Schrift 'De natura rerum' widmete, nannte er bei der Beschreibung einer Mondfinsternis die Erde eine Kugel (globus)16.​
 
Augustinus sagte in seinem Werk „De civitate Dei“ (Seite 74 des Dokuments, Fettschreibung von mir):
"Wenn man aber sogar fabelt, es gebe Antipoden, Gegenfüßler, das sind Menschen, die auf der entgegengesetzten Seite der Erde, wo die Sonne aufgeht, wenn sie bei uns untergeht, also unseren Füßen gegenüber wandeln: das ist völlig unglaublich."
(...)
Denn unter keinen Umständen lügt unsere Schrift, deren Mitteilungen über die Vergangenheit durch Erfüllung ihrer Voraussagen beglaubigt werden. Und es wäre doch zu unsinnig, wollte man behaupten, daß irgendwelche Menschen die Unermeßlichkeit des Ozeans überqueren und von dieser auf jene Seite segeln und gelangen könnten, so daß auch dort ein von jenem ersten Menschen <sc. Adam> abstammendes Geschlecht lebe."
In dem zitierten Abschnitt sagt Augustinus rein gar nichts über die Gestalt der Erde.
Was er über die Gestalt der Erde sagt, steht in dem Abschnitt, den Du wohlweislich ausgelassen hast. Da schreibt er nämlich:
"Denn man sagt, die Erde sei innerhalb des Himmelsgewölbes aufgehängt und nehme in ihm zugleich den untersten und den mittleren Platz ein, woraus sie dann folgern, daß auch die andere, untere Seite der Erde nicht unbewohnt von Menschen sein könne. Sie bedenken aber nicht daß, selbst wenn man eine runde Kugelgestalt der Erde voraussetzt, vielleicht auch mit Gründen beweist, doch noch nicht daraus folgt, daß die Erde auch auf der anderen Seite von Wassermassen frei ist, und wenn sie es wäre, daß dann dort auch Menschen wohnen müssen."

Augustinus hat also rein gar nichts gegen die gängige Ansicht, die Erde sei eine innerhalb des Himmelsgewölbes aufgehängte Kugel, einzuwenden. Er hält lediglich die Schlussfolgerung für unzulässig, dass deswegen auch die andere Hälfte der Kugel bewohnbar und von Menschen bewohnt sein müsse.

Bis zur Entdeckung der Gravitation als Kraft, die jedem Körper innewohnt, lag es außerhalb des Vorstellungsvermögens der meisten Menschen, sich die Erde als Kugel vorzustellen, die frei im Raum schwebt.
Dann ist es doch schön, dass wir mit Augustinus einen prominenten Kirchenvertreter haben, der sich das ohne weiteres vorstellen konnte.

Diese Predigt des Bertholds von Regensburg mag es gegeben haben, ob das aber die Regel war, wage ich zu bezweifeln, schließlich ist nicht einmal klar, ob er sie tatsächlich hielt
Videoaufzeichnungen von Predigten aus dem Mittelalter sind leider nicht verfügbar, wir müssen uns an die verfügbaren schriftlichen Aufzeichnungen halten.

Aber zeige mir doch bitte eine Predigt, in der den Menschen erklärt wurde, die Erde sei eine Scheibe. Wenn Du diese Ansicht für die "Regel" hältst, sollte es doch wenigstens den einen oder anderen Beleg geben.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass die mittelalterlichen Menschen in den Kirchen nichts von der Kugelgestalt der Erde hörten
Dafür konnten sie sehr wahrscheinlich zahlreiche Abbildungen sehen, in der die Erde als Kugel gezeigt wird. (Siehe z. B. meinen letzten Beitrag).
Wie viele davon soll ich eigentlich noch zeigen?
 
Ja. Die Darstellungen der Erde in den Kirchen entsprachen dem, was man tatsächlich in der Natur sehen bzw. sich vorstellen konnte: Landschaft mit Menschen drauf und Gott im Himmel, meistens auf einer Wolke sitzend mit Engeln umherschwebend.
Letzeres wäre doch eine ganz bemerkenswerte Abstraktionsleistung.
Ganz im Gegensatz zu Ersterem welches den unmittelbaren Sinneseindrücken folgt.
Wie kann man das sinnvoll in einem Satz zusammenfassen?
 
1. Mose 1,8 – Zitat:

8 Und Gott nannte das Gewölbe Himmel. Es wurde Abend und es wurde Morgen: zweiter Tag.
9 Dann sprach Gott: Es sammle sich das Wasser unterhalb des Himmels an einem Ort und das Trockene werde sichtbar. Und so geschah es.
10 Und Gott nannte das Trockene Land und die Ansammlung des Wassers nannte er Meer. Gott sah, dass es gut war.

Zum 1. Buch Mose gibt es von Augustinus einen umfangreichen Kommentar. Er verrät uns in diesem Kommentar auch, wie er sich die Erde vorstellte, nachdem Gott das Licht geschaffen hatte, und bevor das Wasser sich sammelte und das Trockene sichtbar wurde:

Cum enim totam terram adhuc aqua tegeret, nihil impediebat ut aquosa et globosa moles ex una parte faceret diem lucis praesentia, ex alia noctem lucis absentia, quae in eam partem succederet a tempore vespertino, ex qua lux in aliam declinaret.
Augustinus Hipponensis - De Genesi ad Litteram libri duodecim

"Da nämlich bis jetzt das Wasser die ganze Erde bedeckte, hinderte nichts daran, dass die wässerige und kugelförmige Masse auf einer Seite durch die Anwesenheit des Lichts den Tag bildete, und die andere durch die Abwesenheit des Lichts die Nacht."

Viel deutlicher konnte es Augustinus wohl nicht sagen, dass auch er die Erde für kugelförmig hielt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Augustinus hat also rein gar nichts gegen die gängige Ansicht, die Erde sei eine innerhalb des Himmelsgewölbes aufgehängte Kugel, einzuwenden. Er hält lediglich die Schlussfolgerung für unzulässig, dass deswegen auch die andere Hälfte der Kugel bewohnbar und von Menschen bewohnt sein müsse.
Wenn du meinst, mir damit etwas Neues zu erzählen, dann irrst du dich, denn als ich Augustinus ins Spiel brachte, habe ich gesagt: „Übrigens verwahrte sich auch der Kirchenlehrer Augustinus gegen die Ansicht, dass es Antipoden (Gegenfüßler) auf der anderen (unteren) Seite der Erde geben könnte. Das war jedoch ein Einwand aus theologischer Sicht, nicht physikalischer.“

Ich bin katholisch erzogen worden, insofern bin ich selbst Zeuge, wie im Religionsunterricht – im 20. Jhdt.! – die Erschaffung der Welt als eine Tatsache hingestellt wurde. Ich habe aus der Bibel zitiert, die an dieser Stelle eindeutig ist: Hier das trockene Land, dort das Meer. Deshalb zeigen die mittelalterlichen Abbildung der Erde genau das: Das trockene Land und rundherum das Meer. Ich bin mir sicher, dass in früheren Jahrhunderten nichts anderes als eben diese Schöpfungsgeschichte erzählt wurde.

Und was Augustinus gesagt hatte und du zitierst hast, wiederspricht dem nicht, denn er hielt es für ausgeschlossen, dass jenseits des Meeres trockenes Land, auf dem Menschen leben, geben könnte. Für ihn gab es nur das (trockene) Land, das er und seine Zeitgenossen kannten. Warum sagte er das? Weil er sonst in die Bredouille käme zu erklären, welche Abstammung diese Menschen jenseits des Meeres hätten, schließlich waren die Nachkommen Noachs schon alle vergeben: Es gab Semiten (nach Sem), Hamiten (nach Ham) und Jafetiten (nach Jafet). Und das durfte nicht sein, denn die Bibel lügt ihm zufolge nicht.

Übrigens habe ich damals im Unterricht auch erfahren, dass die Geschichte von Adam und Eva eine wahre ist, und die Evolutionstheorie nur eine Hypothese, von ungläubigen Menschen erfunden. Seit 20 Jahren – oder 120 Jahren! nach Darwin – wird plötzlich gesagt, diese Hypothese stünde nicht (mehr) im Widerspruch zur Bibel – und ich bin mir fast sicher, nach nicht einmal 120 Jahren wird man entdecken, dass irgendein Kirchenmann schon vor Darwin sinngemäß auch die Evolution für möglich hielt, so dass am Ende heißen wird: Die katholische Kirche hat schon immer die Evolution für möglich gehalten, wenn nicht sogar erfunden. :D
 
Mod:/
Dieses Forum dient nicht dazu, persönliche Traumata zum Zentrum von Argumentationen zu erheben, oder damit zu begründen, was man als weltanschauliche Gläubigkeiten oder Ansichten vor sich her trägt oder ablehnt.

Entweder wird hier anhand der Fachliteratur und Quellen diskutiert, oder Beiträge - die auf Weltanschauungen nicht verzichten können - wandern gemäß den Forenregeln in den trash.
/Mod
 
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Wenn dieses Statement, Silesia, mir gelten sollte: Ich habe, erstens, durch meine Erziehung keine Traumata erfahren, die über das hinausgehen würden, was damals die meisten meiner Generation erfahren haben.

Zweitens bin ich selbst Quelle, denn ich zähle mich zu Zeitzeugen, die durch den zeitlichen Abstand auch selbst emotionalen Abstand zu den vergangenen Geschehnissen gewonnen haben.

Und drittens, und damit sind wir wieder beim Thema: Ich habe nie bestritten, dass es die Gelehrten schon recht früh die Kugelgestalt der Erde annahmen. Ich habe nur gesagt, dass das ungebildete, des Lesens nicht mächtige Volk des Mittelalters – und das waren sicher mehr als 90 % der Bevölkerung –, das weder wusste noch annahm.

Man kam mir dann mit der Behauptung, das Volk im MA hätte es aber trotzdem wissen können, dass die Erde eine Kugel ist, weil es Abbildungen des Reichsapfels und auch Predigten gab, in denen das erwähnt wurde. Ja, theoretisch hätte das Volk das wissen können, aber ich bezweifle, dass das auch praktisch der Fall war: Weil das ohne das Wissen um die Massenanziehungskraft, das Vorstellungsvermögen der meisten Menschen übersteigt.

Du irrst, wenn du meinst, diese meine Meinung hätte was mit meiner Weltanschauung zu tun.
 
Du bist sicher kein Zeitzeuge für das mittelalterliche Weltbild oder die Erstellung von TO-Karten und darum geht es in diesem Thread. Was du persönlich mit der Kirche auszumachen hast, geht uns hier nichts an.

Zu deiner Argumentation, dass die TO-Karten quasi "das Wissen des Volkes" beeinflussten: Meinst du nicht, dass das Volk eher Zugang zu Kirchenbauwerken hatte (und somit eher Skulpturen von Reichsäpfeln sah) als zu wertvollen Codices, die es eher NIE zu Gesicht bekam?

Du bist wahrscheinlich in einer Kirche mit angeschlossener Leihbücherei aufgewachsen. Das gab es im Mittelalter nicht. ;)
 
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