Deutsche Weltmachtpolitik 19. - 20. Jahrhundert

Die Situation vor 1914 aus der Sicht zweier Flottenkonferenzen zu sehen, die 1922 und 1930 stattfanden, halte ich für problematisch.

Es gab für England mehrere Gründe, sich Frankreich und Russland anzunähern. Einer davon war die immer stärker werdende deutsche Hochseeflotte. Dieses Rüstungsprojekt des Kaiserreiches trug mit dazu bei, dass London einen Teil seiner Linienschiffe aus Übersee und dem Mittelmeer in die Nordsee verlegte. Hätte man das auch getan, wenn Deutschland eine zweitrangige Marine besessen hätte, die nur zur offensiven Küstenverteidigung fähig gewesen wäre?

Lichnowsky veröffentlichte 1918 ein Buch über seine Zeit als Botschafter in London. Als er 1912 seinen Posten antrat, wäre die Flottenfrage bereits ein Problem gewesen. Dass die mächtigste Landmacht ,auf der anderen Seite der Nordsee' sich anschickte, auch eine große Flotte zu bauen, löste in England starke Besorgnisse aus. Lichnowsky räumt aber auch ein, dass die deutschen Linienschiffe alleine nicht den Krieg ausgelöst hätten (My mission to London, 1912-1914,by Prince Lichnowsky, late German ambassador in England, with a preface by Professor Gilbert Murray ... : Lichnowsky, Karl Max,Fürst von,1860-1928. : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive f.) .

Entscheidungsprozesse in der Politik werden natürlich von Wahrnehmungen gesteuert. Ab 1907 sah die englische Politik im Kaiserreich die größte Gefahr in Europa. Und die zuweilen unberechenbare deutsche Diplomatie schien diese Annahme zu bestätigen. In der Marokkokrise von 1911 reagierte London entsprechend und stellte klar, dass man im Falle eines Krieges an der Seite Frankreichs kämpfen würde.

Deutschland hätte diese Flotte nicht bauen müssen - es gab keine militärische und politische Notwendigkeit. Das Kaiserreich musste mit einem Krieg an zwei Landfronten rechnen. Hier hätte der Schwerpunkt der Rüstung liegen sollen. Die Annahme, England sei auf Dauer auf Deutschland angewiesen und eine mächtige deutsche Marine würde diesen "Annäherungsprozess" beschleunigen, war ein fataler Irrtum von Admiral Tirpitz.
 
Die Situation vor 1914 aus der Sicht zweier Flottenkonferenzen zu sehen, die 1922 und 1930 stattfanden, halte ich für problematisch.
Der Meinung bin ich gar nicht, eben weil dadurch die globale Rüstungsdynamik augenfällig wird und die Tatsache, dass ab um 1910 herum die Vorstellung einer totalen britischen Dominanz auf dem Meer und das Festhalten am "two-power-standart" für die Zukunft ohnehin illusorisch war, völlig einerlei, was die Deutschen taten.
Insofern würde ich meinen ist die Deutsche Flottenrüstung nicht Ursache, sondern lediglich augenfälligstes Symptom einer globalen maritimen Gesamtentwicklung.


Es gab für England mehrere Gründe, sich Frankreich und Russland anzunähern. Einer davon war die immer stärker werdende deutsche Hochseeflotte. Dieses Rüstungsprojekt des Kaiserreiches trug mit dazu bei, dass London einen Teil seiner Linienschiffe aus Übersee und dem Mittelmeer in die Nordsee verlegte. Hätte man das auch getan,

Darauf war ich zuvor schon eingegangen. Das globale Flottenrüsten musste natürlich auch darauf hinauslaufen dass Abgeschnittene Teilgeschwader, im Falle eines überraschenden Kriegsausbruchs dem Angriff der kombinierten maritimen Kräfte eines möglichen Gegners zum Opfer hätte fallen können ohne zu all zu viel effektiver Gegenwehr in der Lage zu sein.
Nehmen wir da einfach mal den Beginn des Russisch-Japanischen Krieges zum Beispiel:

Seeschlacht vor Port Arthur – Wikipedia

oder die Geschichte des deutschen Ostasiengeschwaders:

Ostasiengeschwader – Wikipedia

Vor einem überraschenden Agriff auf einen der Stützpunkte oder dem Aufreiben von Teilgeschwadern durch die Hauptmacht anderer seekriegführender Nationen, waren auch die Briten nicht gefeiht. Insofern konnten sie so lange bedenkenlos Teilkräfte außerhalb des atlantischen Raumes belassen, so lange es keine maritimen Player außerhalb dieses Raumes gab, die ihre Hauptmacht asymetrisch gegen die britischen Teilkräfte einsetzen konnte.

Nun rüsteten aber auch die USA, Japan und in geringerem Maße Italien und Österreich-Ungarn auch an ihren Flotten herum. Alles Mächte, die ihre ihre Hauptstreitkräfte stehts außerhalb des atlantischen Kontextes haben und somit für britische Teilkräfte in anderen Teilen der Welt eine strategische Bedrohung darstellen konnten.

Insofern sehe ich für die britische Entscheidung zur Konzentration der Flotte einen push- und einen pull-Faktor.
Die deutsche Flottenrüstung, lasse ich da sicherlich als pull-Faktor gelten und das mag die Angelegenheit beschleunigt haben, dennoch bleibt da vom strategischen Standpunkt noch der push-Faktor derjenigen Seemächte mit ihren Schwrpunkt außerhalb des unmittelbaren ostatlantischen Kontextes.

Würden die Briten auch ohne die deutsche Flottenrüstung zur schrittweisen Konzentration ihrer Kräfte gezwungen worden sein? Vielleicht nicht zu diesem Zeitpunkt. Angesichts des Rüstungspotentials der übrigen Seemächte im Zeitablauf zu einem späteren Zeitpunkt aber ziemlich sicher doch.

wenn Deutschland eine zweitrangige Marine besessen hätte, die nur zur offensiven Küstenverteidigung fähig gewesen wäre?
Dann darf ich dich fragen, welche herausragenden offensiven Qualitäten du der Hochseeflotte unterstellen magst? Ich bin sehr gespannt.

- Direktes längeres Opperieren in britischen Hoheitsgewässern oder gar Invasionsphantasien:

Angesichts des Aufkommens der Torpedowaffe mit dermaßen langsamen und schlecht zu manöwrierenden großen Pötten vollständig undenbar. Was bei solchen Angelegenheiten ziemlich schnell herauskommen kann, hatte spätestens Tsuschima bewiesen.

Seeschlacht bei Tsushima – Wikipedia

Man müsste die Briten schon für ziemlich ignorant halten, wollte man unterstellen die Admiralität habe daraus nichts gelernt.

- Fernblockade und Handelskrieg?

Dazu waren die großen, schweren Pötte ebenfalls nicht geeignet. Die meisten Handelsschiffe wären denen schlicht weggefahren. Außerdem hätte man sie dazu erstmal in den Atlantik bekommen müssen. Das hätte bedeutet entweder den Kanal zu passieren -----------> Torpedowaffe oder aber den Weg um die britisschen Inseln nordwärts herum. Dann hätten die Briten den Verband aber durch Abriegeln der Verbindung an der Rückkehr in die Nordsee hindern können und die Hochseeflotte wäre spätestens in dem Augenblick, in dem ihr der Brennstoff ausgehen musste aus dem Spiel gewesen.

Die großen Pötte in der Nordsee zu lassen und die kleineren Einheiten auf Jagt nach Handelsschiffen zu schicken hätte ebenfalls keinen Sinn gehabt, denn wären die dabei auf größere britische Verbände gestoßen, wären sie zu Fischmehl verarbeitet worden.

Was tatsächliches strategisches Bedrohungspotential angeht, war vom maritimen Standpunkt her Frankreich für die Briten viel gefährlicher, als Deutschland.

- Es konnte dank seiner globalen Besitzungen überall wenigstens an Nachschub kommen und somit tatsächlich über einen längeren Zeitraum global aggieren.
- Durch seine lange Küstenlinie musste eine Blockade Frankreichs um ein vielfaches schwieriger sein, als eine Blockade Deutschlands.
- Durch die Kontrolle der Gegenküste des Kanals und die Bretagne mussten französische U- und Schnellboote mit Torpedos bestückt für die britische Handellschiffahrt im Kanal, in der Irischen See und im Atlantik wesentlich angreifbarer sein, als für alles, was Deutschland in dieser Hinsicht aufzubeiten hatte.
- Die französischen schnellen Kreuzer und die Möglichkeit sie an der französischen Atlantikküste oder außerhalb des nord-ostatlantischen Kontextes zu stationieren und einzusetzen, eröffneten im Punkto Handelskrieg ganz andere Möglichkeite als die deutsche Schlachtflotte, der es ganau an solchen Einheiten fehlte.

Im Übrigen möglicherweise auch ein sinnvoller Grund, mit Frankreich eine Konvention zu suchen.[/QUOTE]
 
Lichnowsky veröffentlichte 1918 ein Buch über seine Zeit als Botschafter in London. Als er 1912 seinen Posten antrat, wäre die Flottenfrage bereits ein Problem gewesen. Dass die mächtigste Landmacht ,auf der anderen Seite der Nordsee' sich anschickte, auch eine große Flotte zu bauen, löste in England starke Besorgnisse aus. Lichnowsky räumt aber auch ein, dass die deutschen Linienschiffe alleine nicht den Krieg ausgelöst hätten (My mission to London, 1912-1914,by Prince Lichnowsky, late German ambassador in England, with a preface by Professor Gilbert Murray ... : Lichnowsky, Karl Max,Fürst von,1860-1928. : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive f.) .

Das Buch kenne ich. Ich war bei der Rechersche hinsichtlich der Deutsch-Britischen Verhandlungen hinsichtlich Mocambique und Angola für den Eventualfall, das Portugal diese abstoßen müsste, mal drauf gestoßen.
Das es starke Bestürzung in Teilen der Öffentlichkeit auslöste ist sicher unbestritten. Aber auch in Regierung, Admiralität und Marineministerium?

Entscheidungsprozesse in der Politik werden natürlich von Wahrnehmungen gesteuert.
Ab 1907 sah die englische Politik im Kaiserreich die größte Gefahr in Europa. Und die zuweilen unberechenbare deutsche Diplomatie schien diese Annahme zu bestätigen. In der Marokkokrise von 1911 reagierte London entsprechend und stellte klar, dass man im Falle eines Krieges an der Seite Frankreichs kämpfen würde.

1. Kommt es dabei aber ganz massiv darauf an, wer wahrnimmt und von einem naval scare innerhalb einer britischen Regierung wäre mir jetzt nichts bekannt.
2. Das im Kontext nach 1905 Deutschland zunächst mal als größte potentielle Bedrohung galt, nimmt nicht wunder, liegt aber nur zum Teil an der deutschen Politik, sondern viel mehr daran, dass Russland durch seinen Kollaps 1905 zunächst erstmal außer Gefecht war und damit aus der Gleichung der Großmächte zeitweise herausfiel. Das hatte natürlich auch Konsequenzen für Frankreich, dessen Außenpolitischer Partner gegen den Block Deutschland-Österreich-Ungarn-Italien damit erstmal flöten ging, womit Frankeich innerhalb Europas nur noch eingeschränkt handlungsfähig war und sich mindestens so lange, bis mit Russland wieder zu rechnen sein konnte an jeden Partner klammern musste, den es finden konnte.
Natürlich nutzte man seinens Britannien dann dankbar die Gelegenheit zur Verständigung mit Russland, womit das als potentieller Feind zunächst mal außen vor war. Aber wie belastbar war diese Verständigung noch, sobald sich Russland von 1905 vollständig erholt haben würde?

Deutschland war zu diesem Zeitpunkt für Großbritannien der vorrangige potentielle Feind, weil es ihm gelang, die größeren strategischen Probleme, nämlich Frankreich und Russland auf Grund von deren zeitweiliger Schwäche durch vorteilhafte Abmachungen zu binden. Aber wie lange würde das Bestand haben, wenn die erst einmal wieder voll handlungsfähig sind?
Du hattest eingangs auf die Widersprüchlichkeit der Deutschen Bündnispolitik hingeweisen, was richtig ist, nur war auch die britische Politik widersprüchlich, denn die Interessen von dessen außenpolitischen Partnern Russland und Japan, liefen sich nicht weniger diametral entegen, als diejenigen Österreich-Ungarns und Italiens auf der Anderen Seite. Sofern Russland wieder zu Kräften kam, war auch in diesem Block Erosionspotential en masse vorhanden, insofern muss man die Einstufung Deutschlands als zu diesem Zeitpunkt gefährlichsten Gegner als das einstufen, was es war, nämlich eine veränderliche Momentaufnahme, die Maßgeblich davon abhing, die größeren strategischen Probleme Frankreich und Russland auf Linie zu halten.


Deutschland hätte diese Flotte nicht bauen müssen - es gab keine militärische und politische Notwendigkeit. Das Kaiserreich musste mit einem Krieg an zwei Landfronten rechnen. Hier hätte der Schwerpunkt der Rüstung liegen sollen.
Darauf hatte ich bereits hingewiesen. Nur wieg gesagt, die Tatsache, dass Deutschland bei Zeiten ohnehin wieder nach der Landrüstung schauen musste, war auch den Briten bekannt. Deswegen musste sie die Flottenrüstung nicht weiter beunruhigen, das war offensichtlich eine Phase, die nicht von Dauer sein würde und in ihren Auswüchsen etwas mit der vorübergehenden Schwäche Russlands zu tun hatte.
Was würde auf absehbare Zeit passieren? Die Deutschen würden den Bau an Seestreitkräften massiv einschränken müssten und mit der Zeit würden sich ihre vorhandenen Einheiten schlicht technisch überholen.
Zu einer erfolgreichen Offensive gegen Großbritannien waren sie nicht fähig und wären es in zukunft noch weniger gewesen.


Die Annahme, England sei auf Dauer auf Deutschland angewiesen und eine mächtige deutsche Marine würde diesen "Annäherungsprozess" beschleunigen, war ein fataler Irrtum von Admiral Tirpitz.

Natürlich war sie ein Irrtum.
Nur bedenken wir mal die Möglichkeiten die Frankreich und Japan im Rahmen ihres Flottenbaus in Richtung Großbritannien entwickelten, dann war die Möglichkeit darüber zu einem Agreement zu kommen, vielleicht nicht so vollständig aus der Luft gegriffen, wie sich das heute ausnimmt.
Mit der Tripple-Entente schlossen die Briten ja gerade mit ihren bisherigen schärfsten Gegnern genau die Vereinbarungen, die man Deutscherseits gern gehabt hätte. Da hatte sich Druck auf die britischen Positionen offensichtlich ausgezahlt.
Entsprechend war das Kalkül die Briten zu einer Änderung der Bündnispolitik zu bewegen, wenn man den Druck weiter erhöht, zumal bei de erwähnten Widersprüchlichkeit der Britischen Kooperationen mit Russland und Japan, nicht grundsätzlich dumm, man verkannte nur einfach, dass man eben nicht in der Lage war einen solchen Druck zu erzeugen, weil man seine Möglichkeiten überschätzte.
 
Einfach nur zu sagen, dass die Schlachtflotte die Briten bedrohte und es deshalb die Annäherung an Frankreich gab, ist mir für die Bewertung der Weltmachtpolitik zu kurz gesprungen.
Viel mehr sollte doch gegenüber gestellt werden, welche Ziele der Bau der Schlachtflotte hatte und was für diese Ziele sinnvoller in der Umsetzung gewesen wäre. Zu Beginn der großen Rüstung der Marine war ja gerade der Spanisch-Amerikanische Krieg zu Ende gegangen und war sicher ein gute Maßstab für die Anforderungen für den Kampf um den Platz an der Sonne.
Starten wir doch mal bei den innenpolitischen Anlässen und dem Streben nach Weltmachtstatus. Dann ist die Forderung nach einer Flottenexpansion verständlich. War eine Schlachtflotte im Umfang von 1898 mit diesen Zielen kompatibel? Das würde ich noch bejahen, da die vorhandenen Linienschiffe im Zuge der allgemeinen Verstärkung der Panzeerung zunehmend veralteten und auch kleinere Schiffe in größerem Umfang aufgelegt wurden. Aber schon beim zweiten Flottengesetz müsste diskutiert werden, wie weit die Verdopplung der Schlachtflotte bei nur geringer Erhöhung der kleineren Einheiten noch dem "Bedarf" entsprach. Zudem nahm dadurch der Anteil der Marine am gesamten Rüstungsetat so weit zu, dass Heer und allgemeine Infrastruktur ebenfalls in ihrer Rolle und Stärke hinterfragt werden müssen.


Insgesamt umfasst die Weltmachtpolitik einige Jahrzehnte, unterschiedliche politische Gruppierungen und mit dem innenpolitischen Start der Flottenpolitik eine komplexe Situation. Aber aus heutiger Sicht, wie weit wurde die historische Entwicklung immer wieder nachgesteuert oder eben auch nicht und folgte eher der eigenen Trägheit der einmal angestossenen Richtung?
 
Die Situation vor 1914 aus der Sicht zweier Flottenkonferenzen zu sehen, die 1922 und 1930 stattfanden, halte ich für problematisch.

Es gab für England mehrere Gründe, sich Frankreich und Russland anzunähern. Einer davon war die immer stärker werdende deutsche Hochseeflotte. Dieses Rüstungsprojekt des Kaiserreiches trug mit dazu bei, dass London einen Teil seiner Linienschiffe aus Übersee und dem Mittelmeer in die Nordsee verlegte. Hätte man das auch getan, wenn Deutschland eine zweitrangige Marine besessen hätte, die nur zur offensiven Küstenverteidigung fähig gewesen wäre?

England war nicht mehr in der Lage die Splendid Isolation aufrechtzuerhalten, da es seine Kräfte überstieg. So verschaffte sich das Foreign Office zunächst im Osten, Entente mit Japan, Entlastung. Kurze Zeit später erfolgte der koloniale Ausgleich mit Frankreich und damit wurde auch die Verständigung mit dem Zarenreich möglich und 1907 schließlich auch erreicht. Allerdings darf nicht übersehen werden, das die Interessen zwischen England und Russland, gerade in Persien, nicht übereinstimmten. Es knirschte gewaltig im Gebälk und Grey musste sich das ein und andere Mal im Unterhaus rechtfertigen.

Cliomara schrieb:
Lichnowsky veröffentlichte 1918 ein Buch über seine Zeit als Botschafter in London. Als er 1912 seinen Posten antrat, wäre die Flottenfrage bereits ein Problem gewesen. Dass die mächtigste Landmacht ,auf der anderen Seite der Nordsee' sich anschickte, auch eine große Flotte zu bauen, löste in England starke Besorgnisse aus. Lichnowsky räumt aber auch ein, dass die deutschen Linienschiffe alleine nicht den Krieg ausgelöst hätten (My mission to London, 1912-1914,by Prince Lichnowsky, late German ambassador in England, with a preface by Professor Gilbert Murray ... : Lichnowsky, Karl Max,Fürst von,1860-1928. : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive f.) .

Lichnowksy war in seiner Dienstzeit in London aber auch nicht vollständig über alle Geschehnisse und Abläufe informiert und kam deshalb auch nicht immer zu richtigen Schlussfolgerungen. Beispielsweise wusste er nichts von Benno von Siebert, den deutschen Spion in der russischen Botschaft. Lichnowsky ist deshalb Grey in der Frage des projektierten englisch russischen Marineabkommens auf dem Leim gegangen und hat diesem geglaubt. Dabei hat Grey ihn zumindest vorsätzlich getäuscht; wie kurze zeit später auch das englische Parlament.
Auch meinte Lichnowksy an anderer Stelle, es sei ein Fehler von Bismarck gewesen, die Allianz mit Österreich-Ungarn einzugehen. Nur, das war eben die gegebene Option.

Deutschland hätte diese Flotte nicht bauen müssen - es gab keine militärische und politische Notwendigkeit. Das Kaiserreich musste mit einem Krieg an zwei Landfronten rechnen. Hier hätte der Schwerpunkt der Rüstung liegen sollen. Die Annahme, England sei auf Dauer auf Deutschland angewiesen und eine mächtige deutsche Marine würde diesen "Annäherungsprozess" beschleunigen, war ein fataler Irrtum von Admiral Tirpitz.

Die Flotte war nicht Ziel, sondern Instrument zur angestrebten Weltmachtstellung. Die Nachfolger von Bismarck wollten sich nicht mehr mit dem Erhalt und Sicherung des Besitzstandes begnügen. Die Zeiten, in denen Bismarck als Makler zwischen den rivalisierenden Interessen der anderen Großmächte vermittelte, waren vorbei. Noch im Janaur1885, kurz nach der problemlosen Verlängerung des Dreikaiserbündnisses, konnte Bismarck im Reichstag verkünden, "Wir sind von Freunden umgeben in Europa.....Wir sind von Regierungen umgeben, die mit uns das gleiche Interesse haben, den Frieden zu erhalten."
 
Die Flotte war nicht Ziel, sondern Instrument zur angestrebten Weltmachtstellung.
Ja, vielleicht nochmals deutlicher: Weltmachtstellung ähnlich GB, seinem auch dynastisch nahestehenden Vorbild. KW II.s auch persönliche Affinität zu Flotte/Meeren hatte weiterhin deutlich familiäre Vorbilder aus der mütterlichen Linie, er selber hatte ja GB etliche male besucht.
 
Allerdings darf nicht übersehen werden, das die Interessen zwischen England und Russland, gerade in Persien, nicht übereinstimmten. Es knirschte gewaltig im Gebälk und Grey musste sich das ein und andere Mal im Unterhaus rechtfertigen.

Nicht nur in Persien.
Die Fortsetzung der britischen Allianz mit Japan, ging ja letztendlich am Ende auch klar gegen die russischen Interessen in Fernost, insofern sie Japans Dominanz in Korea stabilisierte und dann, was Einflussperspektiven in der kommenden Zeit hinsichtlich der Mandschurei betrifft, dadurch auch einem dezidierten Konkurrenten Russlands nutzte.


Die Flotte war nicht Ziel, sondern Instrument zur angestrebten Weltmachtstellung. Die Nachfolger von Bismarck wollten sich nicht mehr mit dem Erhalt und Sicherung des Besitzstandes begnügen. Die Zeiten, in denen Bismarck als Makler zwischen den rivalisierenden Interessen der anderen Großmächte vermittelte, waren vorbei. Noch im Janaur1885, kurz nach der problemlosen Verlängerung des Dreikaiserbündnisses, konnte Bismarck im Reichstag verkünden, "Wir sind von Freunden umgeben in Europa.....Wir sind von Regierungen umgeben, die mit uns das gleiche Interesse haben, den Frieden zu erhalten."

Wobei ich hier auch meinen würde, dass es Bismarck im Hinblick auf die eher zurückhaltende Außenpolitik in der zweiten hälfte seiner Amtszeit auch alleine durch die noch zu regelnden innenpolitischen Fragen und Probleme wesentlich einfacher hatte, dem eine Absage zu erteilen, schon weil das neugegründete Reich erstmal stabilisiert und die internen, nach wie vor bestehenden Probleme und Barrieren abgebaut werden mussten.
 
Wobei ich hier auch meinen würde, dass es Bismarck im Hinblick auf die eher zurückhaltende Außenpolitik in der zweiten hälfte seiner Amtszeit auch alleine durch die noch zu regelnden innenpolitischen Fragen und Probleme wesentlich einfacher hatte, dem eine Absage zu erteilen, schon weil das neugegründete Reich erstmal stabilisiert und die internen, nach wie vor bestehenden Probleme und Barrieren abgebaut werden mussten.

Die Reichstagwahlen von 1884 standen unter dem Zeichen des Kolonialismus und der deutsche Kolonialverein fühlte sich gewissermaßen bestätigt. Der deutsche Kolonialverein machte innenpolitische schon Druck, waren doch seine namenhaften Mitglieder in Politik, Handel und Bankwesen tätig. Die Herren meinten, das Deutsche Reich leide an Überbevölkerung und benötige dringend neue Absatzmärkte.

Damit hatte Bismarck zu rechnen.
 
...
Zunächstmal der Krieg von 1864 war, da Österreich mitging und weder die Interessen Frankreichs, noch Russlands in besonders schwerer Form tangierte (vergleichen mit dem, was Frankreich 1859 vom Stapel gelassen hatte, war das für das europäische Mächtesystem geradezu harmlos) keinerlei Risiko.

1863/64 war Frankreich auf der Suche nach einen Verbündeten und das sollte Preußen sein. Russland schied schon wegen der Probleme in Polen aus.
Napoleon ließ in der Frage der Herzogtümer das von ihm selbst propagierte Nationalitätenprinzip gelten. Frankreich stand Preußen wohlwollend gegenüber.
Russland war Preußen ebenfalls wohlgesonnen wegen dessen Unterstützung im Jahre 1863 im Zuge des polnischen Aufstandes.
 
Im Januar 1863 begann ein erneuter Versuch der Polen ihre Unabhängigkeit gegenüber dem Zarenreich zurückzugewinnen. Die Polen genossen dabei die Sympathien, mehr aber auch nicht, der Franzosen und Briten. Bismarck hingegen traf im Februar 1864 ein Abkommen mit den Russen, die sogannnte Alvensleben Konvention. Preußen und Russland sicherten sich gegenseitig Unterstützung bei der Niederschlagung des Aufstandes zu; wobei es auf preußischer Seite ruhig war. Die Russen erhielten beispielsweise die Erlaubnis polen auch auf preußischen Territorium zu verfolgen. Die Konvention hat allerdings nicht lange Bestand gehabt, da die Engländer und Franzosen in dieser Richtung Druck ausübten.

Das wichtige dabei ist, das die Russen Preußen dankbar waren und das hat sich in ihrer Haltung 1866 aber insbesondere 1870 gezeigt.

Scheidt, Konvention Alvensleben und Interventionspolitik der Mächte in der polnischen Frage 1863
 
1863/64 war Frankreich auf der Suche nach einen Verbündeten und das sollte Preußen sein. Russland schied schon wegen der Probleme in Polen aus.
Napoleon ließ in der Frage der Herzogtümer das von ihm selbst propagierte Nationalitätenprinzip gelten. Frankreich stand Preußen wohlwollend gegenüber.
Russland war Preußen ebenfalls wohlgesonnen wegen dessen Unterstützung im Jahre 1863 im Zuge des polnischen Aufstandes.

Richtig, ich sehe nur nicht, wo das dem von mir zitierten Teil in irgendeiner Weise widerspricht, ich hatte mich ja lediglich dahingehend eingelassen, dass die schleswig-holsteinische Frage an und für sich die Interessen Frankreichs nicht im besonderen Maße tangierte, so das dieses in irgendeiner Form hätte bereits sein können, sich auf die dänische Seite zu schlagen.
 
Hätte im Krieg von 1866/1867 Frankreich nicht die Füße still gehalten und sich auf seiten Österreichs beteiligt um sich als Lohn dafür die Rheingrenze zu holen - ein Szenario, dass in keinem Moment wirklich auszuschließen war -, würden wir heute über Bismarck als den Totengräber Preußens reden und einen wahnwitzigen Risiko-Politiker, der einem Bülow oder Bethmann-Holweg in nichts nachgestanden hätte.

Eher m.E. doch ein unwahrscheinliches Szenario deiner hätte, wäre, Fahrradkette Argumentation. 1866/67 gab es keinen Außenpolitiker in Europa der es wie Bismarck verstanden hatte, außenpolitische Situationen zutreffend zu analysieren und entsprechendes, mögliches Handeln daraus abzuleiten.

Davon einmal abgesehen, hatte Frankreich überhaupt nicht die Absicht in den Konflikt, das war schon in den Monaten vor der militärischen Auseinandersetzung immer deutlicher geworden, einzugreifen. Napoelon III. wollte in Trüben fischen, will heissen sich vom Sieger bezahlen lassen und sicherstellen, das der Sieger nicht zu mächtig wird. Napoleon III. vermutete selbst, wie viele andere auch, das wahrscheinlich Österreich aus dem Konflikt als Sieger hervorgeht. Preußen wurde sträflich unterschätzt.

Darüber hinaus kosten Kriege Geld und ich weiß gar nicht, ob Napoleon III. sich über das mexikanische Abenteuer hinaus wirklich einen Krieg leisten konnte.
 
Auch war seine Politik als Initialzündung für die europäische Blockbildung, nicht ganz unschuldig an dem Dilemma, in dem sich die wilhelminische Außenpolitik dann später wiederfand.
Wenn man mit Bismarck in diese Richtung argumentiert, sollte man hinterfragen, ob es seinen Nachfolgern möglich war im selben Modus weiter zu arbeiten.

Da bin ich anderer Meinung. Bismarcks äußere Politik war spätestens ab 1875 Friedenspolitik zur Bewahrung des Erreichten; nämlich der Einheit der Deutschen in einem Staat.

Seine bündnispolitischen Absprachen dienten genau diesem Zwecke. Bismarck verstand ein Bündnis als Sicherung, nie als Erwerbsgenossenschaft. Der Dreibundpartner Italien hätte das sehr gerne anders gesehen und auch der andere Dreibundpartner Österreich-Ungarn wäre es sehr recht gewesen von Bismarck eine nachhaltigere Unterstützung auf dem Balkan zu erhalten.

Warum sollte es ein Caprivi oder Hohenlohe nicht möglich gewesen sein, die Bündnisse fortzuschreiben?

Es war doch der neue Kurs, der die außenpolitischen Konstellation nachhaltig veränderte. Es wurde gewissermaßen als erste Amtshandlung der Rückversicherungsvertrag aufgekündigt und auch das mehrfache, drängende russische Bemühen wurden abgelehnt. Dadurch wurde erst der Weg frei für den russisch-französischen Zweibund von 1894. Dieser war die Ausgangsbasis für die weitere bündnispolitische Entwicklung, aus dem schließlich die Triple Entente hervorgegangen war.
Man kann nicht auf der einen Seite der einen Weltmacht Großbritannien mit einer Flottenpolitik herausfordern und auf der anderen Seite der anderen Weltmacht den Laufpass geben und sich dann irgendwann darüber wundern, das es einsam um Deutschland geworden ist. Es ist ja nicht so, dass das Deutsche Reich nun immer und überall im Unrecht gewesen ist; nur die Art und Weise des diplomatischen Vorgehens war nicht wirklich geeignet Vertrauen bei den anderen Mächten entstehen zu lassen. Die waren ganz sicher auch keine Unschuldsengel, aber eben diplomatisch geschickter.
 
Da bin ich anderer Meinung. Bismarcks äußere Politik war spätestens ab 1875 Friedenspolitik zur Bewahrung des Erreichten; nämlich der Einheit der Deutschen in einem Staat.

Seine bündnispolitischen Absprachen dienten genau diesem Zwecke. Bismarck verstand ein Bündnis als Sicherung, nie als Erwerbsgenossenschaft. Der Dreibundpartner Italien hätte das sehr gerne anders gesehen und auch der andere Dreibundpartner Österreich-Ungarn wäre es sehr recht gewesen von Bismarck eine nachhaltigere Unterstützung auf dem Balkan zu erhalten.

Warum sollte es ein Caprivi oder Hohenlohe nicht möglich gewesen sein, die Bündnisse fortzuschreiben?

Es war doch der neue Kurs, der die außenpolitischen Konstellation nachhaltig veränderte. Es wurde gewissermaßen als erste Amtshandlung der Rückversicherungsvertrag aufgekündigt und auch das mehrfache, drängende russische Bemühen wurden abgelehnt. Dadurch wurde erst der Weg frei für den russisch-französischen Zweibund von 1894. Dieser war die Ausgangsbasis für die weitere bündnispolitische Entwicklung, aus dem schließlich die Triple Entente hervorgegangen war.
Man kann nicht auf der einen Seite der einen Weltmacht Großbritannien mit einer Flottenpolitik herausfordern und auf der anderen Seite der anderen Weltmacht den Laufpass geben und sich dann irgendwann darüber wundern, das es einsam um Deutschland geworden ist. Es ist ja nicht so, dass das Deutsche Reich nun immer und überall im Unrecht gewesen ist; nur die Art und Weise des diplomatischen Vorgehens war nicht wirklich geeignet Vertrauen bei den anderen Mächten entstehen zu lassen. Die waren ganz sicher auch keine Unschuldsengel, aber eben diplomatisch geschickter.

Ich bin der Meinung, aber das ist lediglich meine private Ansicht, dass die von Bismarck betriene Isolierung Frankreichs erst die Tür dazu aufgestoßen hat die beiden Flügelmächte so tief in die mitteleuropäischen Angelegenheiten mit hinein zu ziehen.
Nicht weil er Russland oder Großbritannien von sich aus dazu veranlasst hätte, sondern weil Frankreichs außenpolitische Lage innerhalb Europas dadurch so prekär wurde, dass es verstärkt versuchen musste, sich an Großbritannien und Russland anzuhängen und dann dementsprechend auch irgendwann Konzessionen zu machen.

Die konnten Frankreichs Bemühungen so lange links liegen lassen, wie es expansionstechnisch außerhalb Europas noch weiter ging, aber kaum, wenn es das mal nicht mehr ging.
Der Rückversicherungsvertrag war für Russland so lange recht attraktiv, wie man meinte im Fernen Osten noch Zugewinne erzielen zu können und dafür einen freien Rücken in Europa brauchte.
Was wäre der Rückversicherungsvertrag aber für Russland noch wert gewesen, (so man ihn bis dahin verlängert hätte) nachdem durch das Auftreten Japans weitere russische Expansion in Richtung Mandschurei und Korea unterbunden worden wäre?
Ich würde meinen in dem Moment, in dem in Ostasien der Weg versperrt war und russische Machtpolitik nun wieder in Osteuropa und im Schwarzmeerraum stattfinden musste, wäre der Wert eines hypothetisch verlängerten Rückversicherungsvertrags drastisch gefallen und Frankreich musste gezwungenermaßen attraktiv werden.

Ist natürlich alles etwas spekulativ, und lässt sich in der Form nicht beweisen. Aber es ist, meine ich, nicht so ganz abwegig.


Wie ich das sehe, war das Funktionieren von Bismarcks Außenpolitik massiv daran gebunden, dass sich Großbritannien und Russland weitgehend außerhalb der zentraleuropäischen Region und tendenziell mit entgegengesetzten Interessen bewegten.
War dies nicht mehr der Fall, musste sich durch ein allzu bedrängtes und daher konzessionsbereites Frankreich eine recht gefährliche Melange ergeben.
Ob und wie Russland und GB aber außerhalb Europas opperierten, das lag nicht in der Hand der Wilhelmstraße.

Die weitergenede Spekulation würde meinerseits dahin gehen, dass wenn Bismarck auf das Bündnis mit Österreich verzichtet und an dem mit Italien festgehalten hätte, das Frankreich die Möglichkeit gegeben hätte, sich durch Anlehnung an Österreich-Ungarn selbst abzusichern.
Wäre das erfolgt, hätte sich dadurch zum einen der Russisch-Französische Gegensatz verschärft, ein gutes Verhältnis zu Deutschland wäre für Russland nochmal wichtiger geworden und Frankreich wiederrum wäre durch die gewonnene außenpolitische Sicherheit möglicherweise Großbritannien gegenüber weit weniger konziliant gestimmt gewesen.
Das ist natürlich nicht mehr, als eine spieltheoretische Erwägung. Aber ich halte es für nicht ganz abwegig, dass man längerfristig damit sicherheitspolitisch besser gefahren wäre.
 
Die weitergenede Spekulation würde meinerseits dahin gehen, dass wenn Bismarck auf das Bündnis mit Österreich verzichtet und an dem mit Italien festgehalten hätte, das Frankreich die Möglichkeit gegeben hätte, sich durch Anlehnung an Österreich-Ungarn selbst abzusichern.
Wäre das erfolgt, hätte sich dadurch zum einen der Russisch-Französische Gegensatz verschärft, ein gutes Verhältnis zu Deutschland wäre für Russland nochmal wichtiger geworden und Frankreich wiederrum wäre durch die gewonnene außenpolitische Sicherheit möglicherweise Großbritannien gegenüber weit weniger konziliant gestimmt gewesen.
Das ist natürlich nicht mehr, als eine spieltheoretische Erwägung. Aber ich halte es für nicht ganz abwegig, dass man längerfristig damit sicherheitspolitisch besser gefahren wäre.
Zwei Fragen dazu:

Inwieweit berücksichtigst Du den Kapitalbedarf des Zarenreiches, welches dieses durch sein Bündnis mit Frankreich decken konnte?

Hat es im Deutschen Reich einen so weiten Spielraum für die Berliner Führung gegeben, dass sie sich Wien zum Feind machen konnte? Ich denke da an die Haltung der Katholiken als auch die austrophile Haltung in der süddeutschen Bevölkerung
 
Zwei Fragen dazu:

Inwieweit berücksichtigst Du den Kapitalbedarf des Zarenreiches, welches dieses durch sein Bündnis mit Frankreich decken konnte?
Hätte dise Frage ein hypothetisches Französisch-Österreichisches Bündnis aufgewogen, dass Russland mit Rücksicht auf den französischen Partner am Balkan die Hände vollständig gebunden hätte?

Ich würde meinen, zumal noch in den 1870er und 1880er Jahren und auch wegen der immer vorhandenen Sympathien innerhalb Frankreichs für die Polen, hätte für Frankreich ein Österreichisches zunächstmal näher gelegen, als ein russisches.
Und wäre das zustande gekommen, wäre es an Frankreich gewesen, die österreichischen Balkaninteressen abzudecken.


Hat es im Deutschen Reich einen so weiten Spielraum für die Berliner Führung gegeben, dass sie sich Wien zum Feind machen konnte? Ich denke da an die Haltung der Katholiken als auch die austrophile Haltung in der süddeutschen Bevölkerung

Ob es einen solchen Spielraum realiter gab, wird man heute nicht mehr nachweisen können. Wie gesagt, das sind alles hypothetische Überlegungen und da sie einmal kontrafaktisch sein, kann ich nichts davon beweisen.
Ich persönlich sehe da gewisse Spielräume, kann mich da selbstredend aber auch täuschen.
 
Ich bin der Meinung, aber das ist lediglich meine private Ansicht, dass die von Bismarck betriene Isolierung Frankreichs erst die Tür dazu aufgestoßen hat die beiden Flügelmächte so tief in die mitteleuropäischen Angelegenheiten mit hinein zu ziehen.
Nicht weil er Russland oder Großbritannien von sich aus dazu veranlasst hätte, sondern weil Frankreichs außenpolitische Lage innerhalb Europas dadurch so prekär wurde, dass es verstärkt versuchen musste, sich an Großbritannien und Russland anzuhängen und dann dementsprechend auch irgendwann Konzessionen zu machen.

Die konnten Frankreichs Bemühungen so lange links liegen lassen, wie es expansionstechnisch außerhalb Europas noch weiter ging, aber kaum, wenn es das mal nicht mehr ging.
Der Rückversicherungsvertrag war für Russland so lange recht attraktiv, wie man meinte im Fernen Osten noch Zugewinne erzielen zu können und dafür einen freien Rücken in Europa brauchte.
Was wäre der Rückversicherungsvertrag aber für Russland noch wert gewesen, (so man ihn bis dahin verlängert hätte) nachdem durch das Auftreten Japans weitere russische Expansion in Richtung Mandschurei und Korea unterbunden worden wäre?
Ich würde meinen in dem Moment, in dem in Ostasien der Weg versperrt war und russische Machtpolitik nun wieder in Osteuropa und im Schwarzmeerraum stattfinden musste, wäre der Wert eines hypothetisch verlängerten Rückversicherungsvertrags drastisch gefallen und Frankreich musste gezwungenermaßen attraktiv werden.

Ist natürlich alles etwas spekulativ, und lässt sich in der Form nicht beweisen. Aber es ist, meine ich, nicht so ganz abwegig.


Wie ich das sehe, war das Funktionieren von Bismarcks Außenpolitik massiv daran gebunden, dass sich Großbritannien und Russland weitgehend außerhalb der zentraleuropäischen Region und tendenziell mit entgegengesetzten Interessen bewegten.
War dies nicht mehr der Fall, musste sich durch ein allzu bedrängtes und daher konzessionsbereites Frankreich eine recht gefährliche Melange ergeben.
Ob und wie Russland und GB aber außerhalb Europas opperierten, das lag nicht in der Hand der Wilhelmstraße.

Die weitergenede Spekulation würde meinerseits dahin gehen, dass wenn Bismarck auf das Bündnis mit Österreich verzichtet und an dem mit Italien festgehalten hätte, das Frankreich die Möglichkeit gegeben hätte, sich durch Anlehnung an Österreich-Ungarn selbst abzusichern.
Wäre das erfolgt, hätte sich dadurch zum einen der Russisch-Französische Gegensatz verschärft, ein gutes Verhältnis zu Deutschland wäre für Russland nochmal wichtiger geworden und Frankreich wiederrum wäre durch die gewonnene außenpolitische Sicherheit möglicherweise Großbritannien gegenüber weit weniger konziliant gestimmt gewesen.
Das ist natürlich nicht mehr, als eine spieltheoretische Erwägung. Aber ich halte es für nicht ganz abwegig, dass man längerfristig damit sicherheitspolitisch besser gefahren wäre.

Bismarck war sich, vollkommen zu Recht, darüber bewusst, dass durch die Annektion von Elsass und Lothringen mit Frankreich Gegnerschaft dauerhaft zu rechnen war. Auf dem europäischen Schachbrett war also eine ganze Anzahl der diplomatischen Felder von vornherein verbaut. Das war die schwere außenpolitische Hypothek des deutsch-französischen Krieges.

Bismarck musste sich also Gedanken dahingehend machen, wie er Deutschland vor französischen Revanchegelüsten am besten schützt. Und dies ist ihm mit seiner Diplomatie, trotz immer schwerer werdenden Rahmenbedingungen, letzten Endes auch gelungen. Erst seine Nachfolger haben Frankreich es ermöglicht, sich in eine vorteilhafte Position zu bewegen.

Russland hatte und hätte 1890 eine vertragliche Beziehung mit dem Deutschen Reich dem Vorzug gegeben. Problematisch war sicherlich, dass die Öffentlichkeit in beiden Ländern von diesem Bündnis nicht wirklich begeistert war. Für Russland war die Situation zum fraglichen Zeitpunkt des Rückversicherungsvertrages nun auch nicht gerade leicht. Die ganze schwere Krise in Bulgarien hat in England und Österreich für Empörung gesorgt, dies beiden Länder schieden für Russland las zuverlässiger außenpolitische Partner aus. Es blieben Deutschland und Frankreich und eine Monarchie kam als Partner eindeutig eher in Frage als die verhasste Republik.
 
Bismarck war sich, vollkommen zu Recht, darüber bewusst, dass durch die Annektion von Elsass und Lothringen mit Frankreich Gegnerschaft dauerhaft zu rechnen war. Auf dem europäischen Schachbrett war also eine ganze Anzahl der diplomatischen Felder von vornherein verbaut. Das war die schwere außenpolitische Hypothek des deutsch-französischen Krieges.

Stellt sich an der Stelle die Frage, ob, selbst wenn Elass und Lothringen nicht annektiert worden wären, ein Arrangement mit Frankreich hätte finden lassen. Das halte ich für Fraglich.
Napoléon III. war seinerzeit bereit einen mehr oder minder geeinten norddeutschen Raum bis zur Mainlinie zu akzeptieren und dass den auch, mit dem Hintergedanken dafür Luxemburg als Kompensation abgreifen zu können.

Wo steht denn geschrieben, dass man in Frankreich, wären Elasss und die nämlichen Teile Lothringens nicht annektiert worden, sich zu einem Arrangement mit einem mehr oder minder geeinten kleindeutschen Reich, sich zu arrangieren?

Ist ja nicht so, als hätte es anno 1840 die Rheinkrise nicht gehabt und als wären nicht noch 1918 einige französische Phantasien ventiliert worden, die auf die Abtrennung des Rheinlands vom deutschen Staatsgebiet in welcher Form auch immer oder weitergehend auf die Revision der Reichseinheit abziehlten.
Das waren sicherlich sicherheitspolitisch geschuldete Überlegungen am Ende des Weltkrieges, die sich weder realisieren, noch alleine den Verbündeten vermitteln ließen, zeigt mMn aber doch, dass in Frankreich Vorstellungen à la Rheingrenze/"natürliche Grenzen" auch lange über 1840 hinaus nie ganz verschwunden sind, teilweise populär waren.

Die Annexion insofern als Kardinalfehler zu betrachten, der alleine dafür verantwortlich war außenpolitische Optionen zu verbauen, geht mir insofern zu weit, dafür müsste man in irgendeiner Form beweisen können, dass man in Frankreich bereit gewesen wäre auch den Annschluss der 4 süddeutschen Staaten an den norddeutschen Raum längerfristig zu akzeptieren.

Bismarck musste sich also Gedanken dahingehend machen, wie er Deutschland vor französischen Revanchegelüsten am besten schützt. Und dies ist ihm mit seiner Diplomatie, trotz immer schwerer werdenden Rahmenbedingungen, letzten Endes auch gelungen.

Mir ist schon klar, was Bismarck beabsichtigte. Und ich will auch gar nicht bestreiten, dass er das zeit seiner Amtsführung auch ganz geschickt hinbekam.

Erst seine Nachfolger haben Frankreich es ermöglicht, sich in eine vorteilhafte Position zu bewegen.
Das möchte ich bestreiten. Die Politik von Bismarcks Nachfolgern war sicherlich nicht besonders klug, aber wie ich dass sehe, hätte diese ohne die anglo-japanische Allianz und die russische Niederlage von 1904/1905 nicht unbedingt in das außenpolitische Desaster münden müssen, in dem man dann schlussendlich in der Dekade vor dem Weltkrieg angekommen war.
Hätte sich für Russland der Weg im fernen Osten seine Stellung weiter auszubauen nicht durch die militärische Niederlage gegen Japan verbaut und wären dadurch nicht Prestige, Staatsfinanzen und innere Stabilität des Staates so offenkundig angeschlagen gewesen, dass man der Meinung war, jedenfalls vorläufig seine Rivalität mit Großbritannien begraben zu müssen, wären die Dinge möglicherweise vollkommen anders abgelaufen.

Das wiederrum ist etwas, dass Bismarcks Nachfolger 1890 weder absehen, noch mittelfristig beeinflussen konnten.

Insofern kommt es mir ein bisschen zu eurozentrisch daher dem Rückversicherungsvertrag an und für sich einen derartigen Wer beizumessen.
So lange Russland neben dem Balkan noch ein anderes potentielles Expansionsfeld hatte für das ihm der Rückversicherungsvertrag den Rücken freihielt, weil er eine Garantie darstellte, dass Deutschland ihm nicht auf Wiener Betreiben hin in den Rücken fallen würde, wenn man außereuropäisch expandierte, hatte dieser Vertrag sicher einen gewissen praktischen Wert.
In dem Moment aber, wo Asien als Expansionsfeld für Russland weitgehend entfiel und nur noch der Balkan und das Osmanische Reich blieben, welchen praktischen Wert hätte dieser Vertrag denn da noch gehabt?

Der Rückversicherungsvertrag selbst, garantierte ein gewisses Maß an Sicherheit im Falle eines unprovozierten Angriffs seitens Österreich-Ungarn auf Russland und seine Interessensphäre, aber er bot doch keine Plattform und keine Sicherheiten zur Abdeckung einer offensichtlich gegen Österreichs Interessen gerichteten Machtpolitik im möglicherweise agressiven Stil.
Wollte Russland seine Machtstellung in der Welt als weiter ausbauen, wäre der Rückversicherungsvertrag, nachdem an der asiatischen Peripherie vorläufig nichts mehr ging, offensichtlich zu wenig gewesen, um das abzudecken.

Russland hatte und hätte 1890 eine vertragliche Beziehung mit dem Deutschen Reich dem Vorzug gegeben. Problematisch war sicherlich, dass die Öffentlichkeit in beiden Ländern von diesem Bündnis nicht wirklich begeistert war. Für Russland war die Situation zum fraglichen Zeitpunkt des Rückversicherungsvertrages nun auch nicht gerade leicht. Die ganze schwere Krise in Bulgarien hat in England und Österreich für Empörung gesorgt, dies beiden Länder schieden für Russland las zuverlässiger außenpolitische Partner aus. Es blieben Deutschland und Frankreich und eine Monarchie kam als Partner eindeutig eher in Frage als die verhasste Republik.

Aber genau da sehe ich das Problem.
Der Rückversicherungsvertrag schützte de facto die russischen Interessen im Ostbalkan limitierte aber auch darüberhinausgehende Aktivitäten.

[QUOTE"Rückversicherungsvertrag"]
Art.I.Für den Fall, daß eine der hohen vertragschließenden Parteien sich mit einer dritten Großmacht im Kriege befinden sollte, wird die andere eine wohlwollende Neutralität bewahren und ihre Sorge darauf richten, den Streit örtlich zu begrenzen. Die Bestimmung soll auf einen Krieg gegen Österreich oder Frankreich keine Anwendung finden, falls dieser Krieg durch einen Angriff einer der hohen vertragschließenden Parteien gegen eine dieser beiden Mächte hervorgerufen ist.[/QUOTE]

Der Artikel war für Russland sicherlich zweckdienlich, so lange es seinen Einfluss am Balkan nicht über die ihm in Artikel II. zugeschriebene Einflussphäre im Ostbalkan hinaus auszudehnen gedachte.
So lange Russland nur diesen Raum machtpolitisch zu halten gedachte und seine expanisiven Energien eher auf den fernen Osten richtete, war das für Russland sicherlich für den Moment genug auf Deutschland orientiert zu bleiben und die Option einer Bindung an Frankreich zu verwerfen.

Welchen Spielraum garantierte der Vertrag dem Zarenreich aber für eine aktive Machtpolitik im Westbalkan, zumal in Terrirorien, die ja zeitgenössisch eher als österreichische Einflussphäre zu betrachten waren?
Ich würde meinen, da hätte die Gefahr bestanden, dass man das man das als einen Angriff auf die dezidierten Interessen Österreichs hätte interpretieren und demgemäß handeln können.

Immerhin, der Artikel spricht von "Angriff" "gegen eine dieser Beiden Mächte", nicht etwa von "Agressiven Kriegshandlungen" "gegen die territoriale Integrität eines der beiden Staatswesen" oder der gleichen.

Ich sehe da einiges an Spielraum und sehr viel dünnes Eis.

Deswegen halte ich es für sehr fraglich, ob ein fiktiv weiterbestehender Rückversicherungsvertrag, nachdem Russland sein fernöstliches Spielfeld aufgeben musste und sich auch des Drucks der Öffentlichkeit wegen eine konziliante Haltung hinsichtlich des Westbalkans kaum noch leisten konnte, darüber hinaus, besonders gute Chancen auf Beatand gehabt hätte.
 
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