Kriegerinnen unter den Wikingern

@El Quijote könnte eine/r der Moderatoren/innen die entsprechenden Beiträge zu Kriegerinnen/Walküren/Schildmaiden aus dem Faden über Frauen bei Wikingerfahrten hierher kopieren? Das macht es einfacher, beim Thema zu bleiben - dort im Faden sind wir abgeschweift zu Kriegerinnen/Walküren etc
Ich sehe keinen Grund, nicht gleich beide Threads ganz zusammen zu führen.
 
Es ist jedenfalls offensichtlich, dass bei den Walküren der isländischen Mythologie verschiedene weibliche Sagengestalten bis zur Unkenntlichkeit vermischt sind. Schwanenjungfrauen, Walküren, Nornen und irdische Schildmaiden können in der isländische Mythologie jederzeit die Rollen tauschen oder in Vorzeitsagas mit völkerwanderungszeitlichen Königinnen verschmelzen. Eine Reminiszenz an die Amazonen hat sicherlich auch eine Rolle gespielt.

Nicht uninteressant ist, dass die Walküren nicht in allen Sagen männliche Verhaltensweisen zeigen. Im Walkürenlied der Njals-Sage weben die Walküren an einem Webstuhl aus Leichenteilen. In anderen Zusammenhängen sind die Walküren einfach nur die Schankmaiden in Walhall und haben nicht nur jeden dämonischen Charakter verloren, sondern auch jeden Crossgender-Aspekt. Gleichzeitig kann aufgrund der gotländischen Runensteine vermutet werden,, dass die Idee von der Walküre die ein Trinkhorn reicht, sehr alt ist. Gleichzeitig muss beachtet werden, dass die Hornreicherinnen auf gotländischen Bildsteinen ganz eindeutig Frauenkleidung und keine Waffen tragen.
Diese möglicherweise mythologischen Figuren - sofern sie nicht überwiegend Erfindungen des 13. Jhs. sind - auseinander zu halten, ist gar nicht so einfach.

Wohl eher rustikales Wunschdenken des 19. Jhs. (Grimm, Meier, Golther) ist das vermischen von allerlei noch so entfernt "walkürigen" Gestalten wie Tunriderske, Totenreiterin, weissagende Schwanenfrauen, mihtigun wif (altengl. Zaubersprüche), Idisen (Merseburger Zauberspruch), Disen, Fylgien, Nornen/Parzen, "Todesengel" (nach Ibn Fadlan eine alte Vettel, so ganz und gar nicht a la Wagners Brünhild ;) ...) Frauenfiguren auf Bildsteinen, waelcyrge / vaelvyrean (altengl. Glosse) Valkyre usw usw zur Walküre, d.h. in allen diesen zu unterschiedlichen Zeiten in diversen, meist nicht sonderlich seriösen Quellen auftauchenden Bezeichnungen den Nachweis zu sehen, dass die festlandgerman. Heiden und die skandinavischen Heiden quasi dieselbe Religion hatten (Odin/Wotan, seine Saufhalle Walhall, "gefallener Helden hehre Schar" (Wagner), denen Wotans Töchter "traulich das Trinkhorn reichen", dazu bissel Freya, Loki, Donar, Midgardschlange und zünftig Ragnarök) - - - und das alles zusammen dürfte einfach nur Mumpitz sein.

- festlandgerman. myth. Frauenfiguren, Frühmittelalter
Über die "idisi" des Merseburger Zauberspruchs weiß man schlichtweg nichts. Göttinnen, Magierinnen, Dämoninnen, Hexen?
Wodan/Woden/Godan, Saxnot, Freya/Fryja, Donar/Thunaer sind nachgewiesene Götternamen, von Walküren und Walhall allerdings keine Spur. Wer "Phol" (Merseburger Zauberspruch) sein soll, bleibt wohl offen.
- altengl. Quellen
Glossare/Interlinearglossen und Zaubersprüche
vaelcyrge/vaelcyrean taucht einmal auf, wird als Hexe/Giftmischerin übersetzt (venefica, herbaria) sodann "hlude waeran he, mihtigun wif" (laut waren sie, die "mächtigen Frauen") und sie bringen ... (festhalten!) ... haegtessan gescot - das ist nichts anderes als Hexenschuß (ein Malheur, das ordentlich wehtut) sic!!! haegtessa ist nichts anderes als Hexe.
=> das genügt nüchtern betrachtet nicht, um heidnischen Altsachsen, Angelsachsen, Langobarden, Alemannen usw. zu unterstellen, ihnen seie Walhall mit Walküren geläufig gewesen. Wie sich diese ihren Wodan/Woden/Godan usw. vorstellten, evtl. verehrten usw., das wissen wir schlichtweg nicht. Wenn wir schon fast nichts von den hohen Göttern der heidnischen Festlandgermanen des Frühmittelalters wissen, umso weniger wissen wir von eventuellen "kleineren Gottheiten" wie Idisen, Disen usw.
=>=> nebenbei taugen diese spärlichen Namen/Begriffe nicht zum Nachweis, dass es kampferprobte Germaninnen und Wikingerinnen gegeben habe.

- Quellen zur heidnischen Religion und zu myth. Frauengestalten der Wikinger/Dani/Nordmanni/Ascomanni/Rus/Warjagi usw aus der Wikingerzeit
es gibt keine! Weder die angelsächsischen Chroniken, noch karolingische/ottonische oder andere aus der Zeit von Lindisfarne bis Vinlandfahrt sagen uns irgendwas konkretes darüber, was die Wikinger glaubten; ebenso hüllen sie sich bzgl. wikingischer Kämpferinnen in schweigen.

...und dann beginnt das mythologische Elend: die "Sagas" und Edda etc als Quellen - und diese stammen aus dem hohen Mittelalter, sind zeitlich gut 200 Jahre und mehr (je nach Saga) entfernt. Und sie sind nicht von vergleichenden Religionswissenschaftlern verfasst worden... ihr Aussagewert für die Glaubensvorstellungen der Wikinger dürfte eher gering bis sehr gering sein. Findige Köpfe wollen in der großen Menge dieser hoch- bis spätmittelalterlichen Texte die eine oder andere vermeintlich authentische ältere Schicht festmachen können - hm, mir Laien fällt es schwer, das restlos quellenlose Geschwafel (die Walküren seien ursprünglich Todesdämoninnen gewesen, die später verklärt und dann vermenschlicht wurden) ernst zu nehmen.
Fazit: Walhall und Walküren taugen prima für die Opernbühne, mehr aber auch nicht - jedenfalls dann nicht, wenn man wissen will, ob es Kriegerinnen bei den Nordleuten von Lindisfarne bis Vinlandfahrt gab und was diese (die Nordleute) glaubten.

Das Runenkästchen von Auzon: der Runentext erwähnt Romulus und Remus, Kaiser Titus (wieso eigentlich den?) und lädt zu Spekulationen ein... wenn ich hier Franks Casket - Mythenwesen - Fylgja und Walküre (franks-casket.de) lese, dass 19.Jh. Golther als Beleg eingesetzt wird, dann hab´ ich davon schon die Nase voll...

(ja, war jetzt alles bissel provokant formuliert - ein wenig Würze schadet keiner Diskussion) :)
 
Ein kleinster gemeinsamer Nenner der germanischen Mythologie scheint die Kenntnis von Egil und und der Schwanenjungfrau Ölrun aus der Völund-Sage zu sein.
In der Schreibweise Aegeli ist der Name aus dem angelsächsischen Runenkästchen von Aouzon vermerkt. Dass die Knochenschnitzereien auch Szenen aus der Völund-Sage abbilden, ist ziemlich offensichtlich.
Die Namen Aigil und Ailrun sind in Runenschrift auf einer Gürtelschnalle des 6. Jahrhundert in Pforzen im Allgäu gefunden worden. Also hatten auch die Alamannen Kenntnis dieser Sagenfiguren. Ich wüsste jedenfalls keinen anderen Grund, warum sie beide Namen in die Schnalle geritzt haben.

Das Runenkästchen von Auzon: der Runentext erwähnt Romulus und Remus, Kaiser Titus (wieso eigentlich den?) und lädt zu Spekulationen ein...
Der römische Kaiser kommt auch in der isländischen Völund-Sage ebenfalls vor. Das ist nämlich Ölruns Vater! Kjaar von Valland, der Kaiser von Welschland, ist der Vater dieser Schwanenjungfrau. Es klingt vielleicht im ersten Moment vielleicht seltsam, aber Kaiser Titus könnte der Vater dieser Walküre sein. So würde ich jedenfalls die angelsächsische Version der Völund-Sage rekonstruieren.
Richard Wagner dreht sich für den Gedanken wahrscheinlich im Grabe um.:p

Laut Rudolf Simek (Götter und Kulte der Germanen) seien die Walküren zuerst männliche Totendämonen, die durch eine "Akzentverschiebung" am "Ende der Wikingerzeit" weiblich geworden seien und in der Folge in der hochmittelalterlichen Dichtung mit anderen weiblichen Fabelwesen wie Disen, Nornen, Fylgien und der Märchenfigur des Mädchenkönigs vermengt worden. (Ich muss aber leider zugeben, dass diese ganze Etymologie um den Genus-Wechsel und seine semantischen Folgen nicht ganz nachvollziehen kann.)
Ich habe noch mal nachgelesen und scheine Simek da falsch verstanden zu haben. Wenn Simek schreibt, die Walküren seien ursprünglich Todesdämonen gewesen, geht er nicht von einem Geschlechtswechsel aus, sondern nur das generische Maskulinum, was aber genau wie das spezifischen Maskulinum aussieht. Mit der Akzentverschiebung ist nur semantischer Bedeutungswandel gemeint und nicht der Wechsel des grammantischen Geschlechts. Jedenfalls geht Simek davon aus, dass die Walküren anfangs Todesdämonen bzw. besser Dämoninnen gewesen wären.
 
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Das Runenkästchen von Auzon: der Runentext erwähnt Romulus und Remus, Kaiser Titus (wieso eigentlich den?)

Wieso eigentlich Romulus und Remus? Und wieso eigentlich die Anbetung der Weisen?

Kaiser Titus ist hier eigentlich nicht dargestellt, sondern die Eroberung Jerusalems; Titus war damals noch nicht Kaiser.


Es klingt vielleicht im ersten Moment vielleicht seltsam, aber Kaiser Titus könnte der Vater dieser Walküre sein.
Und wie wäre die Verbindung?
 
Die Namen Aigil und Ailrun sind in Runenschrift auf einer Gürtelschnalle des 6. Jahrhundert in Pforzen im Allgäu gefunden worden. Also hatten auch die Alamannen Kenntnis dieser Sagenfiguren. Ich wüsste jedenfalls keinen anderen Grund, warum sie beide Namen in die Schnalle geritzt haben
[ernüchterndes Fazit] Als sicher kann nur gelten, dass die Pforzener Inschrift zwei voralthochdeutsche Personennamen in einem nicht näher zu erhellenden Kontext bietet.
zitiert aus Wolfgang Beck. Futhark 7 (2016) (diva-portal.org)
Es sieht nicht so aus, als erwähne die Runeninschrift Sagenfiguren. @Maglor der Text von Wolfgang Beck ist hochinteressant!
 
Wieso eigentlich Romulus und Remus? Und wieso eigentlich die Anbetung der Weisen?

Kaiser Titus ist hier eigentlich nicht dargestellt, sondern die Eroberung Jerusalems; Titus war damals noch nicht Kaiser.
@Sepiola das hatte ich dieser "Quelle" (der Link im Zitat) entnommen:
Das Runenkästchen von Auzon: der Runentext erwähnt Romulus und Remus, Kaiser Titus (wieso eigentlich den?) und lädt zu Spekulationen ein... wenn ich hier Franks Casket - Mythenwesen - Fylgja und Walküre (franks-casket.de) lese, dass 19.Jh. Golther als Beleg eingesetzt wird, dann hab´ ich davon schon die Nase voll...
und es hatte mich nicht eben überzeugt...

Überzeugender erscheint mir da doch der Beck Wolfgang Beck. Futhark 7 (2016) (diva-portal.org)
 
Es sieht nicht so aus, als erwähne die Runeninschrift Sagenfiguren. @Maglor der Text von Wolfgang Beck ist hochinteressant!
Klar ist, dass es bei der Deutung dieser Runenschriften ganz viele Unsicherheiten gibt.
Es sieht eher so aus, als sei ein Zusammenhang zwischen der Runeninschrift von Pforzen und der isländische Sage nicht sicher nachweisbar bzw. nur schwer zu beurteilten ist. So schreibt es jedenfalls Wolfgang Beck.

Wenn ich jetzt die Namensähnlichkeiten mit Figuren isländischen Mythologie ignoriere, so bleibt es doch dabei, dass Ailrun ein Frauenname ist. Entweder ist Ailrun eine heroische Kämpferin ist oder eine Frau die irgendwen verflucht oder "schädigt" und seien es nur die Hirsche. Das sind die üblichen Tätigkeiten einer Schildmaid, einer Hexe oder eben einer Walküre. Den gemeinsamen Kampf von Frau und Mann hält Wolfgang Beck für ein beliebtes Erzählmotiv der germanischen Heldensage, deren Ursprünge seiner Meinung nach nicht in den historischen Ereignissen liegen sondern in märchen- und mythenhaften Erzählungen, die in der Heldensage vermischt wird.

Die Pforzener Runeninschrift zeigt, dass das mythische Motiv der kämpfende oder wenigstens fluchenden Frau bereits im 6. Jahrhundert bekannt war. Der Konflikt zwischen den merowingischen Königinnen Brunichild († 613) und Fredegunde (†597) kann daher nicht als alleiniger Ursprung des Schildmaid- und Walküren-Motivs gelten. In Sagenfiguren wie Brünhild und Hervör sind beide Motive so stark vermischt, dass man sie nicht mehr auseinanderhalten kann.

Es klingt vielleicht im ersten Moment vielleicht seltsam, aber Kaiser Titus könnte der Vater dieser Walküre sein.
Und wie wäre die Verbindung?
Der Macher des Runenkästchens von Auzon scheint sowohl einen Titus als auch Aegili zu kennen. Ich vermute, dass beide Namen in einer nicht mehr genau nachvollziehbaren Beziehung zur isländischen Völund-Sage stehen.
In der Völund-Sage wird die Mutter Ölruns nicht genannt. Als ihr Vater gilt der Kaiser von Welschland (Kjaar von Valland), während der Vater von Hervör und Slagfedr König Hlödwer sein soll.
Wenn der Kjaar von Valland der Schwiegervater Egils ist, könnte doch Titus der Schwiegervater von Aegili. ... könnte natürlich auch ganz anders sein.

Alle drei Walküren fliegen in der Völund-Sage vom Süden nach Norden - anscheinend vom fränkisch-römischen Raum in den Ostseeraum zu den Finnen und Schweden.
Das Walküren fliegen können scheint ein ganz wichtiger Punkt in den Sagen zu sein.
Gestaltwandel und in der Luft herumfliegen und bestimmen, wer sterben muss. Hexen und Walküren machen anscheinend genau das gleiche.
 
(1) Es sieht eher so aus, als sei ein Zusammenhang zwischen der Runeninschrift von Pforzen und der isländische Sage nicht sicher nachweisbar bzw. nur schwer zu beurteilten ist. (2) So schreibt es jedenfalls Wolfgang Beck.
(1) ist deine Perspektive @Maglor
(2) mit Verlaub liest sich so:
Zusammenfassung
Die Annahme, die Runeninschrift von Pforzen sei ein Zeugnis der germanischen Heldendichtung/Heldensage ist von verschiedenen Prämissen abhängig. Zum einen muss mit dem Phänomen von Heldennamen in unterschiedlicher Lautgestalt gerechnet werden, zum anderen ist diese Annahme wesentlich abhängig von der kriegerischen Semantik des Verbs gasokun — schon der Ansatz einer alternativen möglichen Wortbedeutung wie ‚verfluchen‘ (Düwel 1997), ‚schelten, drohen‘ (Wagner 1999b), ‚beschwichtigen, bedrohen‘ (Schwab 1999), ‚verwerfen‘ (Seebold 1999) schwächt eine solche Annahme. Die Annahme ist weiterhin abhängig von der Lesung und Deutung der Runensequenz ltahu. Die Deutungen sehen hier entweder den Gegner des kämpfenden Paares mit dem Beinamen ‚Hirsch‘ (Marold 2004, 233) oder den Ort, wo der heroische Kampf stattgefunden haben soll: mit der Lesung e͡lahu[n] als lokaler Dativ ‚im Hirsch‘, wobei an die Halle Heorot aus dem altenglischen Beowulf zu denken wäre (Marold 2004, 233) oder mit der Lesung ltahu/[a]ltahu als lokaler Dativ ‚an der Ilz‘ oder ‚an der Alz‘ (vgl. Nedoma 1999, 107; 2004a, 354). Die Unsicherheiten bei der Lesung und Deutung sind nicht die einzigen Argumente gegen eine Kontextualisierung der Runeninschrift von Pforzen mit der germanischen Heldensage/Heldendichtung. Der textuelle und der mediale Status sprechen ebenso wie die grundlegenden Prinzipien der Genese von Heldendichtung gegen eine Verbuchung der Runeninschrift von Pforzen als Zeugnis der Heldensage. Nimmt man die sprachwissenschaftlichen, die runologischen und die archäologischen Vorbehalte hinzu, kommt man nicht umhin, diese Theorie als spekulativ zu bezeichnen. Als sicher kann nur gelten, dass die Pforzener Inschrift zwei voralthochdeutsche Personennamen in einem nicht näher zu erhellenden Kontext bietet
zitiert aus dem Aufsatz von Beck, Link siehe zwei Beiträge weiter vorn.
Tut mir leid, der Beck schreibt als Zusammenfassung nicht das, was du hineinliest.
 
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Der Konflikt zwischen den merowingischen Königinnen Brunichild († 613) und Fredegunde (†597) kann daher nicht als alleiniger Ursprung des Schildmaid- und Walküren-Motivs gelten.
Was ist denn das??
Frage: gibt es irgendwo eine Publikation, die Brunichild und Fredegunde als Vorbild für Walküren bezeichnet??? (als möglicherweise histor. Kern für das Nibelungenlied kommen die beiden vielleicht in Frage, aber sicher nicht für "Walküren" der nord. Sagas)
 
Nicht nur das: Er weiß auch, dass Titus die Juden bekämpft und aus Jerusalem vertrieben hat.
Im Neuen Testament wird das Ereignis nicht beschrieben, in den christlichen Legenden allerdings schon.
Im Mittelalter gab es eine fromme (und antijudaistische Legende) um die Zerstörung Jerusalems durch Titus, verbunden mit der Legende vom Schweißtuch der Veronika. Nachdem Titus durch ein Wunder von der Gesichtspest geheilt wurde, beschließt er den Tod Christi an den Juden zu rächen und zerstört deswegen Jerusalem. So weit diese Legende. Spätere Version unterscheiden sich teilweise.
Die ältesten erhaltenen Handschriften in Westeuropa der Vindicta Salvatoris stammen aus der Karolingerzeit.

Ich halte es für wahrscheinlich, dass derjenige, der das Kästchen gemacht hat, auch diese Titus-Legende gekannt hat. Latein konnte er immerhin. Eine Kenntnis der populären Heiligenlegende scheint mir jedenfalls wahrscheinlicher als tiefere Kenntnis römischer Geschichte.
Welchen Grund gäbe es, hier eine Beziehung zur isländischen Völund-Sage zu vermuten?
Der einzige Grund ist, dass das Namen und Abbildungen von Titus und Aigil auf gleichen Runenkästchen abgebildet sind. Der Macher der Runenkästchen wird sich schon etwas dabei gedacht, warum er Titus und Aegil auf dem gleichen Kunstwerk anbringt.
Die These, dass der auf dem Runenkästchen abgebildete Bogenschütze Aigil nichts mit dem Bogenschützen Egil aus der isländischen Lieder-Edda zu tun haben soll, halte ich für ein wenig gewagt. Das wäre zu viel des Zufalls.

Mir ist bekannt, dass Egil und Alrun im frühen Mittelalter in Süddeutschland durchaus häufige Vornamen waren. Bekannte Beispiel aus der Karolingerzeit sind Abt Eigil von Fulda und die Selige Alruna von Cham.
Es wird noch etliche andere Personen jenen Namens gegeben haben. So wäre es denkbar, dass es sich bei Aigil und Ailrun der Pforzener Runenschnalle um ganz andere Heroen handeln könnte als in der isländischen Lieder-Edda oder auch dem Runenkästchen von Auzon. Wolfgang Beck hat die Unterschiede zwischen den drei Egils sehr gut herausgearbeitet.

Etwas zugespitzter Vergleich: Wenn es jetzt dreimal ein Heroenpaar gleichen oder ähnlichen Namens geben würde, wäre das ein phantastischer Zufall. Siegfried und Brunhild haben bestimmt auch nichts mit Sigurd und Brynhild zu tun. Wenn man jetzt feststellt, dass es keinen etymologischen Verschiebungsweg von -fried zu -urd gibt und deswegen muss man die Identiät von Sigurd und Siegfried anzweifeln. Noch mehr verzweifeln muss man daran, dass in der isländischen Dichtung Sigurds Lieblingswalküre manchmal auch Swafa oder Sigrdrifa heißt. Naja, wenn Aigil, Egil und Aegil nichts miteinander zu tun haben, ist das wahrscheinlich so. ;-)
Ich halte es jedenfalls für offensichtlich, dass die mutmaßliche Dichter germanischer Heldensage auch beim Buchstabieren der Namen viel mehr künstlerische Freiheit hatten, als es die Gesetze der Lautverschiebung zulassen. Die Helden und Heldinnen können jederzeit umbenannt werden oder auch die Rollen tauschen.

Problematisch erscheint mir aber, dass Wolfgang Beck von vornherein die kämpfenden und mordenen Frauen komplett in die Märchenwelt verlegt und diese seiner Meinung nach nichts mit historischen Ereignissen zu tun haben können. Die kämpfende und mordende Frau ist laut Beck nur eine mythische Zutat zur Heldensage.
Wolfgang Beck schrieb:
In all diesen Fällen handelt es sich um weibliche Gestalten, die aus dem Bereich des Mythos stammen, um Riesinnen, Walküren, Schwanenmädchen und Schildmädchen. Mit anderen Worten: Es handelt sich bei dem in der Pforzener Inschrift über lieferten Erzählmotiv um eine Konstellation, die im Rahmen der auf historischen Ereignissen beruhenden Sagenbildung nicht als etwas Ursprüngliches, sondern allenfalls als etwas nach träglich Hinzugekommenes zu kategorisieren wäre. Im Kontext der Helden sage sind märchenhafte oder mythische Motive sekundär (wie der Egill-Komplex im Rahmen der Vǫlundr-Sage), als Schema können sie die Sagenbildung wohl beeinflussen, sie können aber nicht die Sage selbst sein.
Er sieht kriegerische und mordende Frauen als reines Märchenmotiv. Damit ignoriert er Mordtätigkeit merowingischer Königinnen ebenso wie das Vorkommen von Militaria in alamannischen Frauengräbern.
 
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Er sieht kriegerische und mordende Frauen als reines Märchenmotiv. Damit ignoriert er Mordtätigkeit merowingischer Königinnen ebenso wie das Vorkommen von Militaria in alamannischen Frauengräbern.
Haben Merowingerköniginnen wie Westgotin Brunichild, Fränkin Fredegunde, Angelsächsin Balthildis jemals selbst "Hand angelegt" (Giftbecher gereicht, per Dolch oder Schwert gemessert, mit der Franziska (Axt) gemeuchelt) oder ließen die das als Auftraggeberinnen erledigen?

Nebenbei: wenn Beck kämpfende (und mordende) Frauen für den fraglichen Zeitraum (Frühmittelalter) für Märchengestalten hält, sagt das irgendwas über seine sprachwiss., runenkundl. usw. Expertise bzgl. der Pforzener Inschrift?
 
Wenn es Frauengräber in kriegerischer Ausstattung gab, dann beweist das nur eines: es gab Frauen mit kriegerischer Ausstattung.
Es konnte die Tochter eines angesehenen Häuptling sein, deren Legitimation in der Nachfolge durch kriegerische Attribute unterstrichen wurde.
Damit ist sie aber keine Kriegerin.
Fabel und soziale Wirklichkeit sind etwas ganz anderes.
 
Es gibt ein anderes Problem: Selection bias. Jeder Versuch mit Modebegriffen an die wissenschaftliche Interpretation realer Befunde heran zu gehen, sagt mehr über die zeitgebundene Intention des Betrachters als über den betrachteten Gegenstand aus.
Erkennbarer Unfug bleibt erkennbarer Unfug.

Etwas anderes wäre der Befund verheilter knöcherner Verletzungen, an einem sicher weiblichen Skelett, die auf kriegerischen Kampf hindeuten, also auf Kampf zwischen Bewaffneten, nicht etwa auf eine überlebte Plünderung.
Beispiel: knöchern verheilte Pfeilschussverletzung, oder knöchern verheilte Schnittverletzung des rechten proximalen Unterarms (Parierverletzungen Unbewaffneter findet man eher am linken Unterarm).
Oder: an einem weiblichen Skelett der Nachweis von appositionellem Knochenwachstum an Stellen die auf kriegerisches Training hinweisen.

Degenerative Veränderungen von Knochen durch Arbeiten am Webstuhl, wie sie an den Fußgelenken auftreten, sprächen für eine viel eher weibliche Sozialisation.

Ansonsten gilt: selbst Helm, Schwert und Panzer, bei einer gesichert weiblichen Bestattung, wären zunächst einmal nur Deko.
 
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Haben Merowingerköniginnen wie Westgotin Brunichild, Fränkin Fredegunde, Angelsächsin Balthildis jemals selbst "Hand angelegt" (Giftbecher gereicht, per Dolch oder Schwert gemessert, mit der Franziska (Axt) gemeuchelt) oder ließen die das als Auftraggeberinnen erledigen?
Fredegunde als Möderin:
Zumindest laut Gregor von Tours soll Fredegunde ihre Tochter ihre Tochter Ridgunth mit einem Kistendeckel erwürgt haben.

Der Truhendeckel als Mordwerkzeug taucht auch in der Völund-Saga auf. Völund gelingt es jedoch sogar die Köpfe der Söhne Nidungs mit dem Truhendeckel abzuhacken. Auf der als Völund gedeuteten Abbildung auf dem Runenkästchen von Auzon ist auch noch der kopflose Körper des Kindes erkennbar.
(Nochmals zur Klärung der mythologischen Verwandtschaftsverhältnis in der Lieder-Edda: Völund ist der Bruder von Egil und der Strohwitwer der Walküre Hervör und der Schwager der Walküre Ölrun. Hervör ist die Tochter des Frankenkönig Hlödver.)

Dieses Wort "gasokun" auf der Runenschnalle von Pforzen bedeutet "schädigen", "verfluchen" oder " kämpfen". Was auch Ailrun genau getan haben soll, ist natürlich unklar. Die Details fehlen.
Detailreich sind hingegen die Vorwürfe Gregors gegen Fredegunde. Nach Gregors Meinung ist sei eine "Feindin Gottes und der Menschen". Fredegunde tötet nach Gregors Darstellung auch aus Lust oder Wahnsinn, was auch auf ihren Mann zutrifft. Ihr Mann Chilperich ist nach Gregors Darstellung eine Art "Nero oder Herodes" der Merowingerzeit.

Hexen als Auftragsmörderinnen:
Interessanterweise legen die männlichen Feinde der Fredegunde auch nicht selbst Hand an, sondern beauftragen gelegentlich Frauen mit Morden. Diese Handlung befindet sich allerdings in einer doppelten Fiktion. Gregor unterstellt Fredegunde, würde einen Hexenwahn instrumentalisieren, um anschließend Unschuldige zu Tode zu foltern.
Fredegunde unterstellt der galloromanische Heerführer Mummolus, habe Hexen mit der Ermordung ihres Sohnes Theuderich beauftragt. Zum Nachweis lässt Fredegunde einige Frauen aus Paris foltern, bis sie gestehen im Auftrag des Mummolus das Kind ermordet zu haben. Anschließend wird auch Mummolus zu Tode gefoltert.
Die gleiche Methode unterstellt Gregor nochmal bei der Ausschaltunng ihres Stiefsohns Chlodwig/Chlodewich. Chlodwig heiratet die Tochter einer Sklavin, was in dieser Königsfamilie bekanntlich öfters vorkommt. Fredegunde beschuldigt nun Chlodwig, habe seine Schwiegermutter damit beauftragt einen Sohn Fredegundes durch Hexerei zu ermorden. Wieder lässt Fredegunde die mutmaßliche Hexe und den dynastischen Konkurrenten Chlodwig zu Tode foltern.

Wechselwirkung zwischen Gregor von Tours und germanischer Heldensage?
Ich halte die Erzählung über Fredegunde durch Gregor nicht für germanische Heldensage. Die Preisfrage ist jetzt, ob Gregor von Tours die Motive von germanischen Heldensagen in seine Erzählung der bösen Königin einfügt oder ob sich die Dichter der germanischen Heldensagen ihre Motive ursprünglich direkt oder indirekt bei Gregor von Tours entlehnt haben. (Eine weitere Möglichkeit wäre natürlich, dass die Ähnlichkeiten der Erzählungen reiner Zufall sind.)
Leicht aufzuklären ist diese Frage nicht. Gregor von Tours schreibt bereits im 6. Jahrhundert als Zeitgenosse Fredegundes. Die Runenschnalle von Pforzen als mutmaßliches Zeugnis einer kämpfenden oder fluchenden Ailrun stammt aus der gleichen Epoche, ist also zeitgenössisch.

Gegendarstellung zu Fredegunde:
Der Autor oder die Autorin von Liber Historiae Francorum malt sich ganz im Gegensatz zu Gregor Fredegunde nicht böse Königin, sondern schildert sie als geschickte Heerführerin. (hier zu auch der Thread Königin Fredegunde als Heerführerin). Auch die positive Version Fredegundes kann leicht als heroische Kämpferin verstanden werden.

Es gibt ein anderes Problem: Selection bias. Jeder Versuch mit Modebegriffen an die wissenschaftliche Interpretation realer Befunde heran zu gehen, sagt mehr über die zeitgebundene Intention zum des Betrachters als über den betrachteten Gegenstand aus.
Erkennbarer Unfug bleibt erkennbarer Unfug.
Diese Umbeutung der biologischen Frau und ihrer Rollen beginnt aber schon in der tiefsten Merowingerzeit und in der Wikingerzeit. Wenn zum Beispiel Gregor von Tours die Herrschaft der Fredegundes zur Schreckenherrschaft stilisiert, ist das eine zeitgenössische Deutung, die sicherlich auch Unfug enthält.
Ebenfalls musrs man die Bestattungen von Frauen als symbolische Handlungen sehen. Wenn die frühmittelalterliche Trauergemeinde beschließt eine biologische Frau mit Waffen oder mit Männerkleidung zu bestatten, so ist das erstmal eine symbolische Handlung, die auch damals irgendwas bedeutet hat und zwar nach der damaligen Mode. Die verstorbene Frau erhält durch die Waffenbeigabe ihre Bedeutung, die sie vielleicht zu Lebzeiten hatte - vielleicht aber auch nicht. Man kann heute darüber nachdenken, was mit der Symbolik damals gemeint war. Wollte die frühmittelalterlichen Trauergemeinde (in seltenen Einzelfällen) jene biologische Frauen als Transmänner, als Kriegerinnen, Herrscherinnen oder als Walküren ausstatten? Wenn man über diese Symbolik der biologische Frau mit Waffen teifergehende Überlegungen anstrebt, wird man auch moderne Fachbegriffe wie Cross-Dressing, Cross-Gender und Trans-Gender zurückgreifen müssen und entsprechende Unterscheidungen vornehmen.

Diese Unterscheidung müssen auch bei der Interpretation der Mythologie beachtet werden. Walküren treten in einigen Sagen mit Waffen in Männerkleidung auf, in anderen nicht. Mal ist Hervör eine Schildmaid, ein Mädchen, das wie die Jungs mit Waffen umgeht (Crossgender), mal eine Frau, die längere Zeit als Mann (Trannsgender) lebt und in einer anderen Geschichte eine völlig wehrlose Walküre, die sich einfach von Völund gefangen nehmen lässt. Die Beschreibung der Walküren und Schildmaiden in der Mythologie ist bezüglich der Geschlechterollen uneinheitlich.

Degenerative Veränderungen von Knochen durch Arbeiten am Webstuhl, wie sie an den Fußgelenken auftreten, sprächen für eine viel eher weibliche Sozialisation.
Weberei als weibisches Handwerk der Walküren:
Der Webstuhl hat eine ganz eigenwillige Symbolik. Im Walkürenlied der isländischen Njalssage sind die Walküren noch furchterregende Todesdämonen keine Schildmaiden, die Genderrollen völlig durchbrechen, sondern Weberinnen. Diese Walküren haben jedoch einen Webstuhl aus Leichenteilen und Waffen. An diesem Webstuhl bestimmen die Walküren das Schicksal der Männer, welcher Mann wann und wie sterben muss.

Gleichzeitigkeit der Mode der Webschwerter, der Könginnenherrschaft und der Runenschnallle von Pforzen im 6. Jahrhundert:
Aus der Merowingerzeit sind eiserne Webschwerter aus hochrangigen Frauengräbern bekannt. Bei einzelnen Webschwertern handelt es sich um umgebaute Schwerter (Spathae). Eine hochrangige Frau der Merowingerzeit wird also mit dem Schwert am Webstuhl gearbeitet haben und dabei gleichzeitig ihre Gewaltherrschaft präsentiert haben.

Vielleicht haben Fredegunde und Brunichildis tatsächlich mit dem Schwert am Webstuhl gearbeitet, während sie überlegt haben, welcher merowingische Prinz als nächstes sterben muss. Unwahrscheinlich scheint mir der Gedanke nicht, da die Mode der eisernen Webschwerter tatsächlich ins 6. Jahrhundert fällt.
Und zur gleichen Zeit trug ein alamannischer Krieger wahrscheinlich die Runenschnalle von Pforzen mit ihrer kryptischen Inschrift auf der Vorderseite. Wurden kämpfende Frauen zu jener Zeit tatsächlich nur als Märchenfiguren verstanden?

Walküren der nordischen Dichtung kommen aus dem Süden:
Die nordischen Dichter benennen die "südliche" Herkunft der Schildmaiden und Walkküren auf vielfältige Weise. Hervör ist in Völund-Sage eine Tochter des Frankenkönigs, Ölrun eine Tochter des welschen Kaisers. In einer anderen Sage ist die Schildmaid Hervör eine Gotin. Sigurd findet die schlafende Walküre Sigrdrifa (Brynhild) im schwäbischen Seegard. Der Name der Walküre Swafa bedeutet die Schwäbin.
 
Zuletzt bearbeitet:
@Maglor wenn ich es richtig verstehe, vermischst du Detsails der tendenziösen Frankengeschichte (Gregor von Tours, 2. Hälfte 6. Jh.) mit der Liederedda (Snorri, codex regius um 1270), also schriftliche Überlieferungen, zwischen denen eine große räumliche und eine größere zeitliche Distanz bestehen. Von der zweiten Hälfte des 6. Jhs. bis zur zweiten Hälfte des 13. Jhs. ... das ist eine zeitliche Distanz von siebenhundert (700) Jahren
Saperlot, dagegen ist der 7.Juli 1868 ja Peanuts:
Ihr Wortführer spie den braunen Saft seines Kautabaks in die Stube, zog seine Hose empor und redete mit wildbewegter Stimme von »hunnert Jahren« und »noch veelen hunnert Jahren« … Der Senator stellte ihnen eine beträchtliche Lohnerhöhung für diese Woche in Aussicht und entließ sie.
Buddenbrooks, die 100 Jahr Feier ;):D
...an dieser Stelle hat der gewiefte Anwalt im amerikan. Gerichtsfilm sein effektvolles "keine weiteren Fragen";)

noch zwei weitere Fragen:
1. du weißt und kannst nachweisen, was "gasokun" (sofern diese Lesart der Runeninschrift korrekt ist) bedeutet?
2. du verfügst über einen sicheren Nachweis darüber, dass den Merowingern/Franken des 6. Jhs. die Vorstellung von Walküren bekannt war?
 
@Maglor wenn ich es richtig verstehe, vermischst du Detsails der tendenziösen Frankengeschichte (Gregor von Tours, 2. Hälfte 6. Jh.) mit der Liederedda (Snorri, codex regius um 1270), also schriftliche Überlieferungen, zwischen denen eine große räumliche und eine größere zeitliche Distanz bestehen.
Nein, ich vermische nicht Details dieser tendenziösen Frankengeschichte mit der Lieder-Edda. Diese Vermischung wurde bereits im Mittelalter in den Heldensagen vollzogen. Es steht doch so in der Lieder-Edda. Die nordischen Skalden des 13. Jahrhundert befassten sich unter anderem auch mit den Merowingern und ihren Frauen. Natürlich gibt es auch Unterschiede. Den mörderischen Truhendeckel nutzt bei Gregor Fredegunde und im Völund-Lied der gefangene Schmied. Eine (oder drei) Königstöchter namens Hervör gibt es nur in der Edda und nicht bei Gregor.
Gerade die Tendenzösität bei Gregor von Tours macht seine Frankengeschichte für die Unterhaltungsliteratur so interessant. Weil seine brutalen Räuberpistolen über die Merowinger und ihre Königinnen so unterhaltsam sind, werden sie auch Sängern der Heldendichtung gefallen haben. Dazu noch ein paar Elemente aus der griechischen Daedalus-Sage fertig ist die Völund-Sage.

Wenn ich die Verbindung von Völund und Daedalus betrachte, kommt mir das das Nebeneinander von Völund und Egil mit Titus, Romulus, Remus und Weisen aus dem Morgenland auf dem Runenkästchen von Auzon gar nicht seltsam vor.

Die germanischen Dichter haben ihre Sagen nicht frei erfunden, sondern haben sich bei bekannten Stoffen bedient. Auf zeitliche und räumliche Distanz haben sie dabei keine Rücksicht genommen.

1. du weißt und kannst nachweisen, was "gasokun" (sofern diese Lesart der Runeninschrift korrekt ist) bedeutet?
Folgt man Wolfgang Beck ist die Lesart "gasokun" unumstritten. Auch über die etymologische Herleitung von gotisch sakan bzw. althochdeutsch sahhan usw. sind die Wissenschaftler einer Meinung.
Ein Deutungsproblem besteht nur auf semantischer Ebene. Deswegen ist unklar, ob Ailrun mit oder gegen Aigil gestritten, gescholten, geschädigt, geflucht usw. hat.
All diesen Lesarten gemein ist, dass Ailrun etwas gemacht haben soll, was nicht gerade damenhaft ist.;) Man kann sich daher fragen, ob mit dieser Ailrun eine Hexe, eine Schildmaid oder eine Jägerin gemeint sein könnte. Ganz normal und rollenkonform, ist eine Frau, die "gasokun" macht, jedenfalls nicht.
Wolfgag Becks Hinweis, dass die Ölrun im Völund-Lied nichts der gleichen tut, ist richtig.

2. du verfügst über einen sicheren Nachweis darüber, dass den Merowingern/Franken des 6. Jhs. die Vorstellung von Walküren bekannt war?
Das soll wohl Scherzfrage sein?
Es gibt nicht mal eindeutige Hinweise darauf, was die Vorstellung von Walküren in der nordischen Dichtung sein soll. Von der Schicksalweberin, der Todesdämonin, der Schwanenjungfrau, der Schildmaid, der Königstöchter und Braut bis zur Schankmaid in Walhall ist in der nordischen Dichtung alles dabei und firmiert unter dem Namen Walküre. Welche "Vorstellung von Walküren" ist jetzt die Richtige? Es gibt jedenfalls keine Möglichkeit das herauszufinden. Offensichtlich ist jedoch, dass einige dieser Sagenfiguren widersprüchliche Eigenschaften in sich vereinen. Hervör und Ölrun sind im Völundslied gleichzeitig Königstöchter und ornitomorphe Fabelwesen - das war aber kein Problem für die Skalden.

Mythologische Vorstellungen der Franken sind ausgesprochen lückenhaft überliefert. Lediglich der Name der später auf Island als Walküre beschriebenen Brunhild, taucht schon bei Gregor von Tours auf.
Etwas üppiger ist jedoch die Überlieferung der Langobarden.

Rituelles Cross-Dressing und Amazonen bei Paulus Diaconus und Saxo Grammaticus:
Paulus Diaconus hat seine Langobardengeschichte im 8. Jahrhundert aufgeschrieben. Es gibt gleich zwei Sagen aus dem 1. Buch, die für das Thema hier besonders relevant sind. Geschildert werden hier sicherlich keine historischen Ereignisse der Völkerwnderungszeit, aber sehr wohl aber Sagen der Langobarden.

Gambara, die Mutter der Könige Ibor und Aione, überlistet den Gott Godan, indem sie die Frauen der Winniler mit falschen Bärten aus Frauenhaar als Krieger verkleidet. Im Grunde handelt es sich um rituelles Cross-Dressing. Die Frauen der Winniler formen aus ihrem Haupthaar Bärte. Daraufhin schenkt der Gott Godan den Winnilern den Sieg im Kampf gegen die Vandalen. Aufgrunddessen sollen die Winniler schließlich den Namen Langobarden bekommen haben. Diese Sage spielt laut Paulus Diaconus in Skandinavien.
Der Däne Saxo Grammaticus kennt diese Sage und nennt auch Paulus Diacouns auch als Quelle. Saxo gelingt es zu Beginn des 13. Jahrhundert spielend leichte Zitate aus der Langobardengeschichte des 8. Jahrhundert mit dänischen Sagen zu vermischen.

In einer weiteren Sage berichtet Paulus Diaconus vom Kampf des Langobarden Lammissio mit der Anführerin der Amazonen [sic!] in einem namenlosen Fluss in Germanien.
Amazonen [sic!] kommen auch in der Dänengeschichte von Saxo Grammaticus vor. Die berühmteste dieser skandinavischen Amazonen ist Lathgertha. Saxo kannt offensichtlich die Langobardengeschichte des Paulus Diaconus und hielt es vielleicht genau deswegen vielleicht für schlüssig, dass in einer sagenhaften Frühgeschichte Skandinaviens Amazonen vorkommen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die nordischen Skalden des 13. Jahrhundert befassten sich unter anderem auch mit den Merowingern und ihren Frauen.
...ist bzw war das wirklich so?
Fredegunde taucht im codex regius nicht auf (dabei war sie die Gegenspielerin von Brunichild)
Balthild taucht im codex regius nicht auf (dabei hatte die einige Bischöfe killen lassen) und das trotz ihres sehr kriegerischen Namens
Brunichild - Namensähnlichkeit mit Brynhild, allerdings das Ende der westgotischen Merowingerin (bei Gregor) ist alles andere als glanzvoll oder gar heroisch und scheidet als quasi "Walkürenvorbild" aus.
Radegunde taucht im codex regius nicht auf.
- damit hätten wir alle relevanten überlieferten Merowingerköniginnen aufgezählt und finden sie nicht bei den Skalden bzw in der Edda.
Die Könige der Merowinger (allen voran Chlodwig) samt ihrer robust-rustikalen Missetaten untereinander tauchen im codex regius nicht auf. Dass der skaldische Held Sigurd vom flugs abgemesserten merowingischen Sigibert (verheiratet mit Brunichild) inspiriert sein könnte, erscheint eher unwahrscheinlich.
Die Kriegszüge, Eroberungen, Reichsteilungen usw. der Merowinger: nichts davon taucht im codex regius auf.
Zuletzt bleibt auch die Frage: woher hätten die Skalden des 13. Jhs. (und später) im Norden Kenntnisse über die 700 Jahre "entfernten" Merowinger haben sollen? Gregor von Tours etc war nun nicht gerade die Schullektüre der Nordmänner ;)

Die Merowinger als überlieferte und gen Norden gewanderte literarische Stoffe scheiden aus. Aber die Stoffe und Motive der mittelalterlichen Epik sind, wie auch Snorri selber schreibt ("Männer aus dem Süden brachten die Geschichten" oder so ähnlich), gen Norden gewandert: der Nibelungenliedstoff mit seinen Protagonisten wie Hunnenkönig Attila (=> Atli) usw. Ob und welche historischen Ereignisse in diesem mittelalterlichen Stoff verarbeitet sind, ist eine andere Diskussion, welche die Skalden nicht direkt betrifft; auf jeden Fall findet sich in diesem Stoff- und Motivkreis mancher Nachhall der Völkerwanderungszeit (Untergang der Burgunder, Etzel (Attila, evtl auch Aetius), merkwürdigerweise Theoderich (Dietrich von Bern) sowie sagenhafte Figuren, für welche sich keine histor. Vorbilder ermitteln lassen: Kriemhild*), Brünhild**), Siegfried***) u.a.) aber auch zeitgenössisches der Entstehungszeit (Ende 12. Jh.) - das alles ist ja ausführlich genug in der Sekundärliteratur zur mittelalterlichen Epik nachzulesen. Erstaunlich dabei: die gen Norden, zu den Skalden gewanderten Stoffe/Motive, verzichten gänzlich auf jede Kreuzzugsmotive - diesen Teil der mittelalterlichen Epik haben die Skalden nicht verarbeitet/umgedichtet.

Inwiefern ein paar ganz wenige irgendwie heidnisch anmutende Einsprengsel (die merewib / Schwanenfrauen des Nibelunglieds, Riesen, Drachen, "Zaubertränke" wie das Drachenblut) Rückschlüsse auf heidnische Vorstellungen zulassen, bleibt wohl offen - da weiß man zu wenig.

Die Aneignung / Verarbeitung / Umdichtung-Variation dieser mittelalterlichen Stoffe (die ältesten Quellen - Erwähnungen - reichen ins späte 10. Jh. und sind nicht aus Skandinavien) fügt dann die beliebten (erdichteten) "heidnischen" Ausschmückungen mit Göttern, Nornen, Walküren usw. hinzu. => ganz offensichtlich haben diese skaldischen Erfindungen (Walküren & Co.) nichts mit den Merowingern, mit der Völkerwanderungszeit etc zu tun.

Folgt man Wolfgang Beck ist die Lesart "gasokun" unumstritten. Auch über die etymologische Herleitung von gotisch sakan bzw. althochdeutsch sahhan usw. sind die Wissenschaftler einer Meinung.
Ein Deutungsproblem besteht nur auf semantischer Ebene. Deswegen ist unklar, ob Ailrun mit oder gegen Aigil gestritten, gescholten, geschädigt, geflucht usw. hat.
ok, zum Vergleich die Zusammenfassung von Beck:
Zusammenfassung
Die Annahme, die Runeninschrift von Pforzen sei ein Zeugnis der germanischen Heldendichtung/Heldensage ist von verschiedenen Prämissen abhängig. Zum einen muss mit dem Phänomen von Heldennamen in unterschiedlicher Lautgestalt gerechnet werden, zum anderen ist diese Annahme wesentlich abhängig von der kriegerischen Semantik des Verbs gasokun — schon der Ansatz einer alternativen möglichen Wortbedeutung wie ‚verfluchen‘ (Düwel 1997), ‚schelten, drohen‘ (Wagner 1999b), ‚beschwichtigen, bedrohen‘ (Schwab 1999), ‚verwerfen‘ (Seebold 1999) schwächt eine solche Annahme. Die Annahme ist weiterhin abhängig von der Lesung und Deutung der Runensequenz ltahu. Die Deutungen sehen hier entweder den Gegner des kämpfenden Paares mit dem Beinamen ‚Hirsch‘ (Marold 2004, 233) oder den Ort, wo der heroische Kampf stattgefunden haben soll: mit der Lesung e͡lahu[n] als lokaler Dativ ‚im Hirsch‘, wobei an die Halle Heorot aus dem altenglischen Beowulf zu denken wäre (Marold 2004, 233) oder mit der Lesung ltahu/[a]ltahu als lokaler Dativ ‚an der Ilz‘ oder ‚an der Alz‘ (vgl. Nedoma 1999, 107; 2004a, 354). Die Unsicherheiten bei der Lesung und Deutung sind nicht die einzigen Argumente gegen eine Kontextualisierung der Runeninschrift von Pforzen mit der germanischen Heldensage/Heldendichtung. Der textuelle und der mediale Status sprechen ebenso wie die grundlegenden Prinzipien der Genese von Heldendichtung gegen eine Verbuchung der Runeninschrift von Pforzen als Zeugnis der Heldensage. Nimmt man die sprachwissenschaftlichen, die runologischen und die archäologischen Vorbehalte hinzu, kommt man nicht umhin, diese Theorie als spekulativ zu bezeichnen. Als sicher kann nur gelten, dass die Pforzener Inschrift zwei voralthochdeutsche Personennamen in einem nicht näher zu erhellenden Kontext bietet.
das steht bei Beck. Wörtlich. Wolfgang Beck. Futhark 7 (2016) (diva-portal.org)
und dort findet man zu "gasokun", was ausführlich diskutiert wird, folgendes:
Zum einen weist das Verb gasokun (zu got. sakan, ahd. sahhan, ga-sahhan, as. sakan, ae. sacan, afries. seca < urgerm. *sakana-) eine polyvalente Semantik auf, die in den Einzeldeutungen jeweils unterschiedlich akzentuiert wurde: Bedeutungsangaben reichen von ‚verfluchen‘ (Düwel 1997, 289), ‚schelten, drohen‘ (Wagner 1999b, 94 f.), ‚beschwichtigen, bedrohen‘ (Schwab 1999, 78), ‚verwerfen‘ (Seebold 1999, 88 f.) bis hin zu ‚kämpfen, streiten‘ (Nedoma 1999, 106; Eichner 1999, 112; Grønvik 2003, 180 f.; Marold 2004, 224 f.; Nedoma 2004a, 360 f.).
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Es gibt nicht mal eindeutige Hinweise darauf, was die Vorstellung von Walküren in der nordischen Dichtung sein soll. Von der Schicksalweberin, der Todesdämonin, der Schwanenjungfrau, der Schildmaid, der Königstöchter und Braut bis zur Schankmaid in Walhall ist in der nordischen Dichtung alles dabei und firmiert unter dem Namen Walküre. Welche "Vorstellung von Walküren" ist jetzt die Richtige? Es gibt jedenfalls keine Möglichkeit das herauszufinden.
da sind wir uns einig! :)
ich ergänze noch: zudem wissen wir nicht, ob die per Boot sowie mit Axt und Schwert marodierenden Nordleute ("Wikinger") an die im 13. Jh. erfundenen Fabelwesen wie Walküren und Nornen glaubten.
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(1) Mythologische Vorstellungen der Franken sind ausgesprochen lückenhaft überliefert. (2)Lediglich der Name der später auf Island als Walküre beschriebenen Brunhild, taucht schon bei Gregor von Tours auf.
(1) das ist richtig, und das wenige, was sich finden lässt, ist kurios und krude: ein die Königsmutter bespringendes Seeungeheuer "Quinotaurus" :D:D:D irgendwelche (romanischen? fränkischen? beides?) Untertanen bei Trier opfern der Jagdgöttin Diana, Merowingerkönige betreiben Vielweiberei, lassen sich auf Stierkarren umherfahren - das war´s schon und das hat mit den populären Wotan-Freia-Vorstellungen eigentlich nichts zu tun
(2) die Gleichsetzung Brunichildis-Brünhilde-Brynhildr bleibt spekulativ

...aber was sollen jetzt die Langobarden hier? Und was ist an der amüsanten (genau so - amüsant - erzählt Paulus Diaconus davon) Legende mit den Bärten "rituelle"???? (wer denkt da nicht an Brian und die Steinigung, "kann es sein, dass Weibsvolk anwesend ist?") -- Spaß beiseite: ich verstehe nicht, warum du das als "rituell" bezeichnest.
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*) Kriemhild als die Nebenfrau Ildico Attilas Ildico – Wikipedia die dann im Norden Gudrun heißt...
**)
Immer wieder wird spekulativ Brunichild als Vorbild der Brünhild im Nibelungenlied erwogen.
Brunichild – Wikipedia
***) Siegfried - Sigurd : dieser "Superheld" dürfte insgesamt sagenhaft sein
 
Zuletzt bearbeitet:
In einer weiteren Sage berichtet Paulus Diaconus vom Kampf des Langobarden Lammissio mit der Anführerin der Amazonen [sic!] in einem namenlosen Fluss in Germanien.
Amazonen [sic!] kommen auch in der Dänengeschichte von Saxo Grammaticus vor. Die berühmteste dieser skandinavischen Amazonen ist Lathgertha. Saxo kannt offensichtlich die Langobardengeschichte des Paulus Diaconus und hielt es vielleicht genau deswegen vielleicht für schlüssig, dass in einer sagenhaften Frühgeschichte Skandinaviens Amazonen vorkommen.
...och wenn es um Amazonen geht, die wurden auch den Goten angedichtet:
Für die Gegenwart und Zukunft nannte Orosius die drei wildesten skythischen Völker seiner Zeit: ihre Namen seien Alanen, Hunnen und Goten. Kein Wunder, dass man auch bald die Amazonen, die stets mit den Skythen vergesellschaftet wurden, in den Gotinnen wiederfand und ihnen schließlich die Errichtung einer mythischen Weiberherrschaft in der Vorgeschichte des Volkes zuschrieb.
Herwig Wolfram, die Goten S.39 (und dort finden sich in den Anmerkungen auch die zugehörigen Quellenangaben.

Also das Amazonenmotiv besagt eher gar nichts.
 
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