Die Marokko-Krisen

Berlin hat sich auch im moralischen Selbstanspruch nicht grundsätzlich, dauerhaft und wesentlich von London unterschieden. Sofern überhaupt eine einheitliche, konstante 'Regierungsmoral' (als Selbsteinschätzung) wissenschaftlich-methodisch herausgearbeitet/festgestellt werden kann.
 
Die weitere Entwicklung hatte sowohl Bismarck wie auch noch von Bülow bis nach 1900 ebenfalls nicht elementar interessiert. Algerien, Tunesien, absehbar Marokko.
Bis März 1904, siehe GP 17, Nr. 5180-5210. Beginnt mit dem Brief des AA in Berlin an den dt. Gesandten in Tanger, von Mentzingen, 19. Juli 1901, wg. Pariser Aktivitäten, Nr. 5180:

[...] Über den Verlauf der Pariser Verhandlungen zwischen der französischen Regierung und dem marokkanischen Auswärtigen Minister ist hier nichts Näheres bekannt. Wir nehmen jedoch an, daß Frankreich den gegenwärtigen Augenblick als nicht ungeeignet für eine aktive marokkanische Politik ansieht. Während der letzten Wochen sind der Kaiserlichen Regierung von drei verschiedenen ganz getrennten Seiten wiederholte und dringende Anregungen zugegangen, welche übereinstimmend darauf hinauslaufen, daß die deutsche Regierung diesen Zeitpunkt, der für eine Verständigung mit Frankreich und Rußland bezüglich des westlichen Mittelmeerausgangs unvergleichlich geeignet sei, nicht unbenutzt vorübergehen lassen solle, da andernfalls Rußland und Frankreich sich ohne Deutschland mit England über Marokko verständigen würden. Die französische Regierung direkt hat nichts angeregt, die drei Stellen jedoch, von denen die Anregungen kamen — die letzte Anregung traf heute früh ein —, stehen mit der französischen Regierung in fester und regelmäßiger Verbindung.

Die deutsche Regierung sieht hierin keinen Anlaß, um aus ihrer bisherigen Zurückhaltung herauszutreten.
[...]
Auf der anderen Seite ist es für die deutsche Regierung ein Gebot der Ehrlichkeit, im voraus zu erklären, daß für sie ein Angriff Frankreichs auf Marokko an und für sich noch kein Grund zum Kriege gegen Frankreich sein würde. Die deutsche Regierung würde sich darauf beschränken, ihrem eignen Interesse entsprechend und in voller Unabhängigkeit die Kriegslage auszunutzen. Die deutsche Regierung glaubt, daß diese ihre freie Unabhängigkeit, deren praktische Folgen sich selbst von deutschem Standpunkt aus nicht im voraus fixieren lassen, eine Hauptgewähr dafür bietet, daß Frankreich nicht zum Kriege schreiten, sondern sich darauf beschränken wird, durch Einschüchterung möglichst weitgehende Konzessionen bezw. Abtretungen von Marokko zu erlangen. [...]​
 
Michael Gove, der damalige, 2014, konservative Bildungsminister, meinte wohl seinen Volk mehr Patriotismus verabreichen zu müssen, und deshalb mal eben die Schulbücher umschreiben zu lassen; was gerade noch verhindert wurde. Auch war er 2014 von der Schuld Deutschlands durchdrungen und meinte England habe damals gar keine andere Wahl gehabt als zu kämpfen, weil eine angebliche deutsche Hegemonie „unerträglich für Freiheit und Demokratie gewesen wäre“. Auch hier, wie bei Cameron, spielte seltsamerweise Belgien in der Argumentation überhaupt gar keine Rolle.

Um Englands heroische Heldentaten entsprechend zu würdigen bedarf es natürlich eines Schuldigen.

Komplexe und umfassende Analysen wie sie der Cambridger Historiker Christopher Clark vorgelegt hat, sind anscheinend nicht die Sache von Cameron und Gove.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das wenig ausgeprägte Interesse Berlins an Marokko v o r Marokko I, in Weitertradierung Bismarckscher Abstinenz von der europäischen Peripherie - auch und gerade von Nordafrika -, wurde in Große Politik Band 17 versteckt, im Kapitel Die Marokkofrage 1899-1904. Englische Hinwendung zu Frankreich recht unsichtbar ediert und von den beiden Marokko I-Bänden getrennt.

Es lässt sich nochmals im Kabel des dt. Botschafters in Paris, von Radolin, vom 30. März 1904 an Reichskanzler von Bülow sichtbar machen.

Paris, den 30. März 1904
Der spanische Botschafter, der gestern aus Madrid zurückgekehrt ist, kam heute sofort zu mir, um mir mitzuteilen, daß König Alfons ihm gegenüber vor wenigen Tagen in begeisterten Ausdrücken sich über
Seine Majestät den Kaiser, allerhöchstwelchen er über alles bewundere, und die Begegnung in Vigo ausgelassen und bemerkt habe, der Kaiser hätte ihm den freundschaftlichen Rat erteilt, nach Kräften bemüht zu sein, gute Beziehungen mit dem Nachbarstaat Frankreich zu unterhalten. Diese Äußerung unseres allergnädigsten Herrn hat Herr de Leon y astillo, wie er vertraulich hinzufügte, sich beeilt Herrn Delcasse, den er heute gesehen, mitzuteilen 1 , und habe dieser sich sichtlich erfreut gezeigt. Mein spanischer Kollege bemerkte weiter: Wegen Marokko hätte der Kaiser dem jungen König ebenfalls geraten, sich mit Frankreich zu verständigen. Er, Seine Majestät der Kaiser, wolle ihm gern, wo er könne, behilflich sein; Deutschland habe in Marokko keine anderen Interessen, als seinen Handel gewährleistet und gesichert zu sehen.
Radolin

Erneut zeigt sich, das KWII. beim Besuch in Spanien dem spanischen König die Verständigung mit der französischen Regierung empfohlen hat - eben auch wg. Marokko. Und das tat ja die spanische Regierung auch umgehend...man vereinbarte mit Paris u.a. perspektivisch die de-facto-Aufteilung Marokkos in Interessensphären beider Staaten (3.10.1904).

Sowohl Spanien und Frankreich kann man als damals etablierte/präetablierte Mächte an der Nordafrikanischen Küste bezeichnen.

Hatte der oben zitierte Brief des Berliner AA vom Juli 1901 an den dt. Gesandten in Tanger bereits belegt, dass Berlin im Rahmen seiner Freihand-Politik und seines wenig ausgeprägten Interesses an Marokko diverse informelle Signale aus dem Umfeld der Pariser Administration ignorierte, in Kontakt zu treten bzw. Gespräche mit der Pariser Administration zu führen wegen des Pariser Marokko-Engagements, so wird gleichfalls im Kabel von Radolins an von Bülow vom 30.3.1904 erkennbar, dass die französische Regierung nicht nur vom weiterhin geringen Interesse Berlins an Marokko informiert wurde, sondern ebenso über den 'kaiserlichen Rat' an den spanischen König, sich mit Paris und auch wg. Marokko zu verständigen. Und die Entscheider in Berlin waren davon informiert.
 
Interessant ist, so finde ich, die Tatsache, dass der deutsche Gesandte Alfred von Bülow, ein Bruder des Reichskanzlers, den englischen Gesandten Lord Acton mehr oder weniger reinen Wein über die deutschen Motive einschenkte.

Lord Acton berichtete unter dem Datum des 31.Dezember 1905 an seinem Chef Sir Edward Grey das Bülow ausgeführt hatte:
"Zweifellos sei das plötzliche Eingreifen Deutschlands nicht von dem Wunsche diktiert worden, die deutschen Interessen in jenem Gebiet zu schützen. Das Ziel sei ein höheres gewesen. Deutschland müsse sich in Notwehr aus der Isolierung befreien, von der es bedroht werde. Frankreich habe zuerst Russland, dann Italien und zuletzt England für sich gewonnen. Der Ring muss durchbrochen werden und die vorletzte Niederlage Russlands habe den günstigsten Augenblick geliefert. Der Kaiser habe mit Rücksicht auf die Bedenken des Fürsten Bülow einige Zeit gezögert, aber schließlich sei beschlossen worden, einen "lauten Platsch" zu machen.

Das Foreign Office wusste also um die deutschen Ängste.

Nur wenige Tage später, nämlich am 10.Januar 1906, informiert Sir Edward Grey den englischen Botschafter in Paris darüber, dass er nichts dagegen einzuwenden habe, [...] "wenn ein inoffizieller Gedankenaustausch zwischen unserer Admiralität sowie unserem Kriegsministerium und dem französischen Marine- und Militärattaché darüber stattfinde, was zweckmäßig zu geschehen hätte, falls die Länder in einem solchen Krieg verbündet wären. Ein gewisser Gedankenaustauch habe, wie er glaube (Cambon) ,schon stattgefunden und könnte, meinte er, fortgesetzt werden.

Die Konferenz von Algeciras begann erst am 16.Januar 1906, aber es wurden schon, wenn auch informell, militärische Gespräche geführt. Die Entente war wohl doch mehr als lediglich ein kolonialer Ausgleich. Immerhin war vereinbart sich gegenseitig diplomatisch zu unterstützen.

Frankreich hatte schon vor Beginn der Konferenz England auf jeden Fall an seiner Seite; gleiches galt für Spanien, das in einem Abkommen mit Frankreich seine Einflusssphäre in Marokko in trocknen Tüchern hatte. Von Italien war wohl kein Widerstand gegen Paris zu erwarten. Frankreich hatte als Ass im Ärmel noch die Anerkennung der italienischen Ansprüche auf Tripolis, die man auch wieder zurückziehen konnte. Das Recht lag zwar auf deutscher Seite und es handelte sich gemäß Lansdowne ja nur "um Barbaren". Die Konferenz stand also schon vor Beginn aus deutscher unter einen schlechten Stern.
 
Interessant ist, so finde ich, die Tatsache, dass der deutsche Gesandte Alfred von Bülow, ein Bruder des Reichskanzlers, den englischen Gesandten Lord Acton mehr oder weniger reinen Wein über die deutschen Motive einschenkte.

Ein kleine Ergänzung: Bülow und Acton waren in Bern als Diplomaten tätig.

Hervorragender Beitrag Turgot, man sieht auf diplomatischem Parkett wird mit harten Bandagen gespielt.

Da gibt es ein passendes Zitat von Sir Edward Grey:

"Der Schmutz der auswärtigen Politik ist tiefer als jeder andere, in dem ich bisher gesteckt habe."
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Eine immer noch vereinfachte Version der Hintergründe und Gründe der Marokkokrise I. aus eigener Sicht, Recherche, einschlägigen Quellen zusammen gestellt usw.


1. Faden zu Marokko I, London:

  • am 30.1.1902 hatten die japanische und britische Regierung die vor allem gegen die russische Expansion in Ostasien gerichtete Allianz abgeschlossen
  • die britische Regierung wollte sich andererseits nicht in einen absehbaren, von der japanischen Administration mit Moskau ausgelösten Krieg hinein ziehen lassen
  • entsprechender Artikel im Vertrag regelt die Nichtbeistandspflicht London bei einen reinen japan.-russ. Krieg
  • Im Ziellauf auf den Vertragsabschluss mit Japan begann die britische Regierung ab Mitte Januar 1902 gezielt das Verhältnis zum einzigen russischen Allianzpartner Frankreich durch Verhandlungsangebote zu diversen Kolonialstreitpunkten vorsorglich zu entspannen, um mögliche, gravierendere Spannungen mit Paris nach Bekanntwerden des Abschlusses der britisch-japanischen, antirussischen Allianz möglichst zu vermeiden.
  • von Pariser Seite wurde bei den Sondierungsgesprächen die Marokko-Frage ins Spiel um die Verhandlungspunkte gebracht
  • tatsächlich schleppten sich die vertraulichen Sondierungs- und Vorgespräche sowie die Verhandlungen zwischen Paris und London mit zunächst wenig Erfolg durch die beiden nächsten Jahre
  • diverse vertrauliche Infos dazu samt gewissen Spekulationen gab es genug, die Berliner Administration erfuhr davon erstmals von Botschafter Metternich in London mit Datum 30.1.1901

2. Faden zu Marokko I, Madrid:
  • die Madrider Administration hatte im Einverständnis mit König Alfons XIII. ab Frühjahr 1902 Gespräche mit der Pariser Administration gestartet, wohl mit den beiden Hauptpunkten der Verbesserung des ambivalenten, spannungsreichen Verhältnis und der Verständigung zu beider Ansprüche auf Marokko.
  • Auch diese Verhandlungen schleppten sich dahin, und
  • wurden der Berliner Administration ab dem Spätsommer 1903 bekannt
  • es kam aber anscheinend, abweichend von gelegentlichen Behauptungen in der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur, zu keinem endgültigen, formalen Abschluss bis zum französisch-britischen Kolonialausgleich vom April 1904

3. Faden zu Marokko I, Paris:
  • das Pariser Engagement, die Pariser Absichten/Wünsche/Ambitionen zu Marokko waren eine recht stabile Konstante der Pariser Außenpolitik.
  • Die Berliner Akteure waren darüber natürlich informiert
  • In den Gesprächen zwischen Madrid und Paris seit Frühling 1902 ging es ausdrücklich um die marokkanische Frage, während die Sondierungen/Vorgespräche von Seiten Londons seit Mitte Januar diesen Punkt zunächst offenbar nur u.a. oder am Rande und auf Wunsch von Paris einbezogen
  • die Gespräche mit den Madrider Regierungsvertretern schienen für die Pariser Regierung wohl konkretere und erfolgversprechendere Aussichten zum Thema Marokko zu haben
  • die Verhandlungen Madrid-Paris scheinen im Herbst 1903 eingestellt worden zu sein; man hatte andererseits offenbar schon weitreichende Zielvorstellungen erarbeitet, die aufgrund der guten spanisch-deutschen Beziehungen von mehreren Seiten in Umrissen und vertraulich Berliner Vertretern mitgeteilt worden waren
  • Viele Pariser Akteure der hohen Politik erkannten im Verhalten der wichtigsten Berliner Entscheider (mindestens KWII. + Reichskanzler von Bülow) zur Marokkofrage zutreffend eine offenkundige Zurückhaltung...so dass die scheinbare, verspätete Berliner Kehrwende wg. Marokko im Jahre 1905 irritierend bis vorsätzlich wirkte.
4. Faden zu Marokko I, Berlin:
  • egal, welche Nachrichten von den Verhandlungen Madrid-Paris und London-Paris u.a. zu Marokko vor dem Bekanntwerden des britisch-französischen Kolonialausgleichs (Marokko + Ägpten) im April 1904 die Berliner Akteure erreichten, sowohl
  • Reichskanzler Bülow wie
  • KWII. und anfangs (z.B. 1901)
  • das Berliner Außenministerium
  • lehnten ein Eingreifen zugunsten Marokkos bei einem kriegerischen Engagement von Paris gegen Marokko ab, lehnten Kompensationsideen/Kompensationsforderungen usw. gegenüber Madrid und Paris oder London ab (KWII., Reichskanzler von Bülow)
  • offenkundig wollte man ostentativ und im Rahmen der Freihand-Weltpolitik kein größeres Interesse an Marokko gegenüber Paris/Madrid signalisieren
  • auch mit der Absicht, das Verhältnis zu Paris ruhig zu halten sowie offenkundig mit der Nebenabsicht, dass sich wesentliche Pariser politische, wirtschaftliche und militärische Kräfte bei einem großen oder gar kriegerischen Engagement in Marokko dort konzentriere oder gar verzettle bzw. binde
  • zugleich war Berlin Akteur mit (überdehntem) globalem Engagement, und beispielsweise die gewalttätige wie grausame und kostspielige Niederschlagung des Herero-Aufstandes seit Anfang 1904 sorgte in Berlin offenbar für eine zusätzliche Zurückhaltung gegenüber neuen außenpolitischen Abenteuern (man saß ein bisschen im Glashaus)
5. Nach April 1904, das verzogene Geflecht hin zu Marokko I. entsteht:
  • Das Bekanntwerden des Kolonialausgleiches Frankreich-UK im April 1904 verursachte in Berlin bei den Entscheidern mehrheitlich noch keine Aggressionen oder schockierende Überraschungen
  • Umgehend wollte Berlin ab Mai 1904 nun mit London ebenfalls ein Abkommen zu strittigen Fragen abschließen
  • die Gespräche verliefen aber nicht erfolgreich, da Berlin einerseits keine koloniale Verhandlungsmasse oder große, aktuelle strittige und klärbare Themen zu bieten hatte
  • andererseits Berlin mit der weiter voranschreitenden, militärisch wenig plausiblen und ebenso wenig erklärten maritimen Aufrüstung - die Berlin auch nicht zur Disposition stellte - in London einiges Kopfzerbrechen und Rätselraten wie dann auch gewisse Ängste ausgelöst hatte, die man in Berlin geradezu als lachhaft einschätzte.
  • Die Gespräche mit London versanden im Frühsommer 1904 schnell und die Idee der Berliner Freihand-Weltpolitik erhält einen Dämpfer (erste Einkreisungsvorstellungen)

  • ab dem Spätsommer 1904 zeichnet sich ab, dass die russ. Streitkräfte im seit Februar laufenden Krieg mit dem 'Emporkömmling' Japan allmählich in die Defensive geraten, der Emporkömmling und Feind eben nicht triumphierend besiegt werden kann.
  • doch Berlin hatte offensiv, auch materiell, die russische Regierung im Krieg gegen den scheinbaren England-Freund Japan unterstützt
  • zum Herbst 1904 hin suchte der Sultan von Marokko offensiv Berliner Unterstützung gegenüber Frankreich
  • zum Winter hin entsteht in UK die sogenannten Navy Scare, die Massen-Angst, die aufgerüstete kaiserliche Marine könne die britischen Inseln angreifen

  • die russ. Regierung, obwohl seit Ende 1904/Anfang 1905 militärisch im japanisch-russ. Krieg nun ganz offenkundig in Bedrängnis, reagiert auf Berliner Sondierungen zu einem bilateralen Abkommen, im Fahrwasser der doch ostentativen Berliner Unterstützung Moskaus im Krieg gegen Japan, zurückhaltend, dilatorisch.
  • Das ist der Zeitpunkt, in dem die Berliner Einkreisungsängste aufgrund der misslungenen Anbahnung von Verträgen, Abkommen mit London und Moskau konkret/konkreter werden
  • ebenso scheint den Akteuren, wie von Bülow, die freihändige, reichsdeutsche Weltpolitik gescheitert zu sein
  • das Prestige des Kaiserreiches ist dabei in Augen der bedeutsamsten Akteure, aber auch einer gewissen einflussreichen 'Öffentlichkeit' gefährdet, in Gefahr
  • und das ist der Zeitpunkt, ab dem man sich nun wieder dem schwächsten Glied der drei Großmächte UK, Russland und Frankreich, also Paris, zu wendet. Speziell die inzwischen weiter ge- und hochgekochte Marokko-Frage mit Paris wird 1905 verspätet zum (Prestige-)Brennpunkt, nicht zuletzt wg. der öffentlichkeitswirksamen Hinwendung des marokkanische Sultans zum Kaiserreich wg. Hilfestellung gegenüber dem französischen Hegemonialkurs.
 
Nur wenige Tage später, nämlich am 10.Januar 1906, informiert Sir Edward Grey den englischen Botschafter in Paris darüber, dass er nichts dagegen einzuwenden habe, [...] "wenn ein inoffizieller Gedankenaustausch zwischen unserer Admiralität sowie unserem Kriegsministerium und dem französischen Marine- und Militärattaché darüber stattfinde, was zweckmäßig zu geschehen hätte, falls die Länder in einem solchen Krieg verbündet wären. Ein gewisser Gedankenaustauch habe, wie er glaube (Cambon) ,schon stattgefunden und könnte, meinte er, fortgesetzt werden.

Noch ein paar Tage später begannen nun auch militärische, ebenfalls informell, zwischen den englischen Militärattaché Oberstleutnant Barnadistan, im Auftrage der Regierung, und den belgischen Chef des Generalstabes Ducarne.

Besprochen wurde beispielsweise über die Art und Weise wie die Engländer den Belgiern für den Fall "eines deutschen Angriffs" helfen könnten, setzte Ducarne Barnardistan ausführlich die belgischen Mobilmachungsmaßnahmen auseinander. Es ging auch wesentlich darum, wo und vor allem wie schnell englische Truppen auf den möglichen Kriegsschauplatz erscheinen könnten.
 
ie Konferenz stand also schon vor Beginn aus deutscher unter einen schlechten Stern.

Die US Amerikanischen Vertreter für Algeciras hatten die Weisung sich für die offene Tür einzusetzen und ganz wichtig, alles zu unterlassen, die englische-französische Entente zu schwächen.

In der umstrittenen Frage der Polizeikräfte hatte es vor Beginn der Konferenz auch schon eine entsprechende Absprache zwischen Frankreich , Russland und England gegeben, so das sichergestellt war, wenn es hier nicht zur Einigung käme, dass das Odium der Ablehnung nicht auf Frankreich, sondern auf Deutschland fallen würde. Der russische Gesandte Bacheracht würde vorschlagen, das die Aufgabe der Polizeiorganisation Frankreich anvertraut werde, da Frankreich über entsprechende Offiziere in seinen Garnisionen verfüge und in erster Linie interessiert sei und alles nötige Material für seine Truppe zur Verfügung habe. Auch Spaniens Empfindlichkeiten, Spanien verfüge auch geeignete Offizieren, müssten berücksichtigt werden, so dass das Mandat an Frankreich und Spanien gelten solle, etwas für ein Jahr oder auch weniger.
 
Vor der Konferenz fanden in Paris Verhandlungen zwischen den deutschen Diplomaten Rosen und der französischen Regierung statt. Hier war u.a. auch die Frage der Polizei ein hervorragendes Thema. Rosen schaffte es Rouvier die Zusage abzuringen, nicht das Mandat für die Polizei für das ganze Marokko zu beanspruchen, sondern sich mit dem für Westmarokko, hier war die Grenze zu Algerien, zufrieden zu sein und nicht auf der Konferenz in Algeciras das Mandat für ganz Marokko zu beantragen.

Rouvier war allerdings nichts willens diese Zusage schriftlich zu fixieren. (Nachzulesen in den Erinnerungen von Friedrich Rosen).

Sir Frank Lascelles, englischer Botschafter in Berlin, berichtet unter dem Datum des 11.Januar 1906 über ein Gespräch mit Reichskanzler Bülow.
"Es gebe nur eine Frage, von der Seine Durchlaucht glaube, dass sie Schwierigkeiten bieten werde. Während der Verhandlungen in Paris sei vereinbart worden, dass die Polizei an der algerischen Grenze Frankreich anvertraut werde. Herr Rouviert habe zugegeben, dass dies ein beträchtliches Zugeständnis darstelle, für das er dankbar sei. Dr.Rosen habe als Gegenleistung für dieses Zugeständnis eine Zusicherung erbeten, das Frankreich auf der Konferenz keinen Anspruch auf den Polizeidienst im übrigen Marokko erheben werde. Herr Rouvier hatte es abgelehnt eine schriftliche Zusicherung zu geben, da dies seine Stellung gegenüber der französischen Kammer geschädigt hätte, aber er habe mündlich das Versprechen gegeben, dass die französischen Vertreter keinen solchen Anspruch vorbringen würden."

Nachzulesen in den Britischen Dokumenten Band 3.

Auf der Konferenz von Algeciras wurde dann beschlossen, das Frankreich mit Spanien das Polizeimandat für ganz Marokko erhält.
 
Welcher verbreiterter und unaufgeregter Allgemeinplatz die mit dem Kolonialvertrag vom April des Jahres zwischen UK und Frankreich zu erwartende Pariser Besitzergreifung Marokkos im Kaiserreich selbst noch Ende 1904 darstellte, illustriert die sonntägliche 'Politische Wochenschau' vom 13. November 1904 auf der Titelseite des Berliner Tageblattes, einem der damals führenden und auflagenstärksten Presse-Leitmedien, freisinnig-liberal, wohlwollend imperial, weniger Kolonial eingestellt.

[...], daß die französischen Republikaner von heute, ohne sich auf das Bündnis mit Rußland zu verlassen,
eine intime Annäherung an England erstreben, deren erste Etappe sie in dem Kolonialvertrage erblicken, durch den Frankreich unter anderem von England die unbestrittene Anwartschaft auf den Besitz Marokkos erlangt hat.
[...]​

Gerade für Einsteiger oder Anfänger im Thema sind zeitgenössische, massenmedial von damals bekannten/anerkannten Leitmedien veröffentliche Berichte/Wahrnehmungen/Kommentare eine Möglichkeit,
einschlägige Rückschaufehler zu umgehen und eine differenziertere Chronologie, Kenntnis und weniger teleologische Auswahlfehler zu erreichen .
 
Zuletzt bearbeitet:
Wie unter diesen Voraussetzungen nicht anders zu erwarten, kam es dann auch zum Streit über die Frage des Polizeimandats.

Visconti Venosta fühlte sich in seiner Lage als Vertreter Italiens und Mtiglied des Dreibundes in einer unbehaglichen Situation.
Nicolson, der englische Vertreter auf der Konferenz, erfuhr vom amerikanischen Vertreter, das die Deutschen es nicht akzeptieren würden, das die Franzosen und Spanier alleine das Polizeimandat erhielten. Aber Deutschland sei bereit in den Fragen der Bank- und Finanzfrage Zugeständnisse zu machen, wenn Frankreich in der Polizeifrage entgegenkäme.

Der französische Vertreter meinte, er würde die Sache in Erwägung ziehen, aber die Deutschen müssten sich bestimmter und präziser äußern und Frankreich habe so viele Gründe deutschen Versprechungen zu misstrauen.

Hatte Rouvier nicht auch ein mündliches Versprechen gegeben, welches geeignet war die Konferenz zu einem Erfolg zu verhelfen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Kurzer Einschub:

Das deutsche Auswärtige Amt trug schon dafür Sorge, daß beispielsweise die Auslassungen vom Kanzler zur Marokkokrise ein positives Feedback in der Presse gefunden haben.
Ob das für Einsteiger dann tatsächlich die optimale Literatur zum Thema ist? Und ob Einsteiger über einen entsprechenden Überblick über die Presselandschaft des Kaiserreichs verfügen, darf ebenfalls bezweifelt werden.
Mehr sage ich zu diesem Thema nicht.
 
Zurück zur Marokkokrise:

Der französische Vertreter machte sich nun Sorgen, welche Garantien Frankreich dann hätte, wenn Deutschland selbst Zugeständnisse mache, es nicht den Sultan veranlassen werde seine Zustimmung zu verweigern.

Deshalb sei es wichtig, zuerst die Finanzfrage auf der Konferenz zu besprechen und dann die Polizeifrage.

Nicolson informierte Sir Edward Grey am 25.Januar1906 darüber, dass die deutsche Regierung der amerikanischen mehrere Vorschläge unterbreit hätte. Mit der Diskretion war es nicht weit her.

  • Mehrere Mächte organisierten in getrennten Bezirken, jede mit einem Hafen am Atlantik.
  • Eine kleine Macht wird mit gesamter Polizeiorganisation betraut; vorzugsweise die Schweiz aber nicht Belgien, da dieses zu sehr mit Frankreich sympathisiere.
  • Sultan organisiert Polizei mit Hilfe freiwilliger Offiziere. Die letzteren seien von dreien der kleineren Mächte zu wählen.
Der erste Vorschlag kam für die USA nicht in Frage, da es einen deutschen Hafen bedeutet und würde England und Frankreich sicher nicht gefallen.

Der französische Vertreter hätte von einen vierten Vorschlag gehört, nämlich die Übertragung des Polizeimandats an Frankreich, Spanien und einer weiteren Macht. Nicolson zweifelt, das dieser Vorschlang autorisiert wäre. Die anderen drei kämen nach Nicolsons Meinung für Frankreich nicht in Betracht.

Am 25. hatten sich auch Rosen und der französische Vertreter, auf Vorschlag Rosens getroffen.
Im Verlauf des Gespräches merkte Rosen an, er habe in Paris Herrn Rouvier so verstanden, dass der französische Vertreter nicht um ein Generalmandat für die Polizei ersuchen werde. Der französischer Vertreter korrigierte Rosen, in dem er ausführte, dass er in diesem Punkt völlig freie Hand hätte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Da das Interesse nicht groß bzw. nicht vorhanden ist, will ich kurz und rasch zum Ende kommen.

Am Ende stand Frankreich als "Sieger" da, das es seine Position unnachgiebig und unflexibel bezüglich des Polizeimandats durchgesetzt hatte.
Das war möglich geworden durch die unbedingte Unterstützung Englands. Spanien hatte sein Stück vom Kuchen bekommen und war nunmehr gegenüber Paris und London loyal. Für die USA war es sehr wichtig. England und Frankreich nicht zu schwächen. Italien hatte seinen von Paris bewilligten Anspruch auf Tripolis im Hinterkopf. Was die Marokkaner wollten interessierte vielleicht Berlin; sonst niemanden.

Obwohl das Deutsche Reich formal im Recht war, die Konvention von Madrid interessiert nicht groß, sondern Priorität hatten eben die Vereinbarungen aus dem Jahre 1904 zwischen Frankreich und England, damit eben auch Paris seinen Anteil an der Entente Cordiale einstreichen kann, hatte es eine herbe diplomatische Niederlage erlitten. Deutschland war isoliert.
 
  • Im Ziellauf auf den Vertragsabschluss mit Japan begann die britische Regierung ab Mitte Januar 1902 gezielt das Verhältnis zum einzigen russischen Allianzpartner Frankreich durch Verhandlungsangebote zu diversen Kolonialstreitpunkten vorsorglich zu entspannen, um mögliche, gravierendere Spannungen mit Paris nach Bekanntwerden des Abschlusses der britisch-japanischen, antirussischen Allianz möglichst zu vermeiden.
  • von Pariser Seite wurde bei den Sondierungsgesprächen die Marokko-Frage ins Spiel um die Verhandlungspunkte gebracht

Diesen Kontext/Grund für den Kolonialausgleich zwischen London und Paris vom 8. April 1904 hat auch der außenpolitisch geübte u. erfahrende Chefredakteur Arthur Levysohn in seiner sonntäglichen, die Titelseite einnehmenden Politischen Wochenschau des Berliner Tageblattes vom 10. April angesprochen, in welcher der Kolonialausgleich ausführlicher behandelt und eingebettet wird.

[...]
Die Sympathien für das Land der aufgehenden Sonne sind an der Themse fühlbar kühler geworden. Und die mehr oder weniger schlecht erfundenen Siegesdepeschen in der britischen Presse haben einer mehr nüchternen Beurteilung der Vorgänge im Fernen Osten Platz gemacht. Es ist nicht unmöglich, daß diese Erscheinung den Marquis Lansdowne und seine Freunde den oben besprochenen Vorschlägen Delcassés geneigter gemacht hat, als dies unter anderen Umständen vielleicht der Fall gewesen wäre. Jedenfalls hat man damit erreicht, das Frankreich der Verpflichtung überhoben erscheint, dem verbündeten Rußland Heeresfolge zu leisten, wodurch auch England von der Notwendigkeit befreit wäre, die Konsequenzen aus seinem Bündnisvertrage mit Japan zu ziehen. [...]​
 
Theodor Wolff notiert im Das Vorspiel (1924) zum Vorlauf der Marokkokrise und Berlin (in Kapitel IV) u.a. historisch recht zutreffend und die bereits weiter oben formulierten Überlegungen etwa bestätigend:

Nachdem so im Jahre 1901 das marokkanische Projekt am Widerstande Englands gescheitert war, hatte Delcassé, wenn er seine Hoffnungen nicht ganz begraben wollte, nur die Möglichkeit, einen von zwei Wegen zu gehen. Entweder mußte er versuchen, England für seine Politik zu gewinnen, oder er mußte dem englischen Einfluß einen anderen, gleich mächtigen gegenüberstellen. In den »Beiträgen zur Zeitgeschichte«, im »Berliner Tageblatt« vom 6. Dezember 1905, in denen die Entwickelung der Marokko-Affäre dargestellt wurde, habe ich gesagt, Delcassé habe direkte Schritte in Berlin, um sich den Beistand Deutschlands zu sichern, nicht unternommen. Aber der spanische Botschafter in Paris, Marquis del Muni, ein intimer Freund Delcassés, habe sich bemüht, das Terrain zu erforschen, und der deutschen Diplomatie vergebliche Zeichen gemacht. [...]
Bis März 1904, siehe GP 17, Nr. 5180-5210. Beginnt mit dem Brief des AA in Berlin an den dt. Gesandten in Tanger, von Mentzingen, 19. Juli 1901, wg. Pariser Aktivitäten, Nr. 5180:

[...] Über den Verlauf der Pariser Verhandlungen zwischen der französischen Regierung und dem marokkanischen Auswärtigen Minister ist hier nichts Näheres bekannt. Wir nehmen jedoch an, daß Frankreich den gegenwärtigen Augenblick als nicht ungeeignet für eine aktive marokkanische Politik ansieht. Während der letzten Wochen sind der Kaiserlichen Regierung von drei verschiedenen ganz getrennten Seiten wiederholte und dringende Anregungen zugegangen, welche übereinstimmend darauf hinauslaufen, daß die deutsche Regierung diesen Zeitpunkt, der für eine Verständigung mit Frankreich und Rußland bezüglich des westlichen Mittelmeerausgangs unvergleichlich geeignet sei, nicht unbenutzt vorübergehen lassen solle, da andernfalls Rußland und Frankreich sich ohne Deutschland mit England über Marokko verständigen würden. Die französische Regierung direkt hat nichts angeregt, die drei Stellen jedoch, von denen die Anregungen kamen — die letzte Anregung traf heute früh ein —, stehen mit der französischen Regierung in fester und regelmäßiger Verbindung.


Es schien, indem man den Franzosen, nach den kaiserlichen Blumen, einen geschäftlichen Vorteil bot, wenigstens nicht ganz unmöglich, die marokkanische Frage zu regeln und bei dieser Gelegenheit andere kolonialpolitische Wünsche Deutschlands der Verwirklichung näherzubringen. Der erste Sekretär bei der deutschen Botschaft in Paris, Graf Unico Groeben, war ein eifriger Anhänger dieser Ideen.

Der Botschafter Fürst Münster, der nun mehr als achtzig Jahre alt war, sah nicht mehr scharf genug, um neue, noch ungelichtete Wege zu erkennen. Aber die eigentlichen Hindernisse lagen in Berlin.

Das Auswärtige Amt hatte in der Marokkofrage kein klares Programm, oder eigentlich mehrere, sauber auf Aktenbogen hingesetzte Programme, und da man nicht wußte, was man wollte, wich man am liebsten jedem Entschlusse aus.

Bis März 1904, siehe GP 17, Nr. 5180-5210. Beginnt mit dem Brief des AA in Berlin an den dt. Gesandten in Tanger, von Mentzingen, 19. Juli 1901, wg. Pariser Aktivitäten, Nr. 5180:
[...] Die deutsche Regierung sieht hierin keinen Anlaß, um aus ihrer bisherigen Zurückhaltung herauszutreten. [...]


Bismarck hatte, teils um die republikanischen Regierungen zu stärken, und teils, um die französische Unternehmungslust abzulenken, Frankreich bei der Festsetzung in Tunis und bei seinen anderen Kolonialeroberungen unterstützt. Auch der Gedanke, daß Frankreich sich Marokko aneignen könnte, war ihm keineswegs unangenehm. »Der Reichskanzler«, notierte Hohenlohe am 22. Februar 1880, »sprach auch über meinen Bericht über die französischen Pläne auf Marokko und meinte, wir könnten uns nur freuen, wenn sich Frankreich Marokko aneigne. Es habe dann viel zu tun, und wir könnten ihm die Vergrößerung des Gebietes in Afrika als Ersatz für Elsaß-Lothringen gönnen.«
Das war wohl auch eine weiteres Motiv zumindest bei KWII. - in Bismarckscher Tradition, wie bereits weiter oben notiert - für dessen Zurückhaltung gegenüber Paris in der Marokko-Frage. Belegen lässt sich dies wiederum mit entsprechenden Anmerkungen KWII.s in GP 17, Nr. 5180-5210.

Seit dem Sturze Bismarcks wurde im Auswärtigen Amt mit Vorliebe versichert, man interessiere sich für Marokko nicht. [...]
Dazu kam, daß man sich zwar nicht mit England vereinigen, sich aber auch nicht mit England veruneinigen wollte und in dem Irrtum lebte, nach Ablehnung der englischen Bündnisvorschläge werde alles so bleiben wie bisher. Dazu kam schließlich, daß Herr von Holstein in seinem ganzen Fühlen und Denken antifranzösisch und zu einem sachlichen Eingehen auf die französischen Probleme gar nicht imstande war. Graf Groeben, der nach Berlin fuhr, um dort eine Verständigung mit der französisch-spanischen Gruppe zu empfehlen, wurde kaum angehört.[...]​

Man vermied es, mit Frankreich über Marokko zu reden, ganz wie man die Aufforderung Landsdownes, sich mit der englischen Regierung über Marokko auszusprechen, unbeachtet ließ. Infolgedessen fanden sich die beiden anderen zusammen, die man in Berlin für unversöhnbare, durch ein unüberwindbares Fatum getrennte Gegner hielt. Als Delcassé und Landsdowne im Juli 1903 ihre Verhandlungen in London begannen, wurde Marokko das wertvolle Austauschobjekt. Der Stein, den die Berliner Bauleute weggeworfen hatten, wurde zum Eckstein der »Entente cordiale«. [...]​
 
Gerade für Einsteiger oder Anfänger im Thema sind zeitgenössische, massenmedial von damals bekannten/anerkannten Leitmedien veröffentliche Berichte/Wahrnehmungen/Kommentare eine Möglichkeit,
einschlägige Rückschaufehler zu umgehen und eine differenziertere Chronologie, Kenntnis und weniger teleologische Auswahlfehler zu erreichen .

Vorsicht, genau dieser Ansatz kann auch dazu führen, dass man sich mit falschen und überholten Auffassungen beschäftigt. Zumal eine derartige Auswahl immer den Nachteil hat, selektiv zu sein.
 
Der ständige Unterstaatssekretär Sir Thomas Sanderson hatte auch seine Meinung zum Thema Marokko. Die Engländer haben sich die Zustimmung der Deutschen zum Khedivaldekret eingeholt. Sanderson wörtlich:

"Herr Delcassé hingegen ignorierte Deutschland vollkommen, als er in Marokko vorzugehen begann. Das Verhalten Frankreichs und seine Forderungen waren zweifellos stark übertrieben und wurden entstellt wiedergegeben. Aber außerdem besteht kein Zweifel, dass Herr Delcassé unentwegt eine Reihe von Manövern betrieb, um Deutschland zu isolieren und sein Bündnisse zu schwächen. Die deutsche Regierung und das deutsche Volk sind äußerst empfindlich, wenn sie bei der Erörterung wichtiger Fragen ignoriert oder vernachlässigt werden, und es ist nicht überraschend, daß sie bei diesem Anlass sehr aufgebracht waren und beschlossen Frankreich eine schwere Demütigung zuzufügen. Daß sie auch den Wunsch hatten, uns von Frankreich zu trennen, den Übergang des Abkommens in ein Bündnis zu verhindern und an der etwaigen Entwicklung Marokkos jeden Anteil zu erlangen, den sie erlangen konnten, ist ohne Zweifel ebenfalls richtig. Die dabei angewandten Methoden waren für die deutsche Politik charakteristisch und schlugen wie bei anderen Gelegenheiten fehl."

BD, Band 3, S. 688
 
Zurück
Oben