Theodor Wolff notiert im
Das Vorspiel (1924) zum Vorlauf der Marokkokrise und Berlin (in Kapitel IV) u.a. historisch recht zutreffend und die bereits weiter oben formulierten Überlegungen etwa bestätigend:
Nachdem so im Jahre 1901 das marokkanische Projekt am Widerstande Englands gescheitert war, hatte Delcassé, wenn er seine Hoffnungen nicht ganz begraben wollte, nur die Möglichkeit, einen von zwei Wegen zu gehen. Entweder mußte er versuchen, England für seine Politik zu gewinnen, oder er mußte dem englischen Einfluß einen anderen, gleich mächtigen gegenüberstellen. In den »Beiträgen zur Zeitgeschichte«, im »Berliner Tageblatt« vom 6. Dezember 1905, in denen die Entwickelung der Marokko-Affäre dargestellt wurde, habe ich gesagt, Delcassé habe direkte Schritte in Berlin, um sich den Beistand Deutschlands zu sichern, nicht unternommen. Aber der spanische Botschafter in Paris, Marquis del Muni, ein intimer Freund Delcassés, habe sich bemüht, das Terrain zu erforschen, und der deutschen Diplomatie vergebliche Zeichen gemacht. [...]
Bis März 1904, siehe GP 17, Nr. 5180-5210. Beginnt mit dem Brief des AA in Berlin an den dt. Gesandten in Tanger, von Mentzingen, 19. Juli 1901, wg. Pariser Aktivitäten, Nr. 5180:
[...] Über den Verlauf der Pariser Verhandlungen zwischen der französischen Regierung und dem marokkanischen Auswärtigen Minister ist hier nichts Näheres bekannt. Wir nehmen jedoch an, daß Frankreich den gegenwärtigen Augenblick als nicht ungeeignet für eine aktive marokkanische Politik ansieht. Während der letzten Wochen sind der Kaiserlichen Regierung von drei verschiedenen ganz getrennten Seiten wiederholte und dringende Anregungen zugegangen, welche übereinstimmend darauf hinauslaufen, daß die deutsche Regierung diesen Zeitpunkt, der für eine Verständigung mit Frankreich und Rußland bezüglich des westlichen Mittelmeerausgangs unvergleichlich geeignet sei, nicht unbenutzt vorübergehen lassen solle, da andernfalls Rußland und Frankreich sich ohne Deutschland mit England über Marokko verständigen würden. Die französische Regierung direkt hat nichts angeregt, die drei Stellen jedoch, von denen die Anregungen kamen — die letzte Anregung traf heute früh ein —, stehen mit der französischen Regierung in fester und regelmäßiger Verbindung.
Es schien, indem man den Franzosen, nach den kaiserlichen Blumen, einen geschäftlichen Vorteil bot, wenigstens nicht ganz unmöglich, die marokkanische Frage zu regeln und bei dieser Gelegenheit andere kolonialpolitische Wünsche Deutschlands der Verwirklichung näherzubringen. Der erste Sekretär bei der deutschen Botschaft in Paris, Graf Unico Groeben, war ein eifriger Anhänger dieser Ideen.
Der Botschafter Fürst Münster, der nun mehr als achtzig Jahre alt war, sah nicht mehr scharf genug, um neue, noch ungelichtete Wege zu erkennen. Aber die eigentlichen Hindernisse lagen in Berlin.
Das Auswärtige Amt hatte in der Marokkofrage kein klares Programm, oder eigentlich mehrere, sauber auf Aktenbogen hingesetzte Programme, und da man nicht wußte, was man wollte, wich man am liebsten jedem Entschlusse aus.
Bis März 1904, siehe GP 17, Nr. 5180-5210. Beginnt mit dem Brief des AA in Berlin an den dt. Gesandten in Tanger, von Mentzingen, 19. Juli 1901, wg. Pariser Aktivitäten, Nr. 5180:
[...] Die deutsche Regierung sieht hierin keinen Anlaß, um aus ihrer bisherigen Zurückhaltung herauszutreten. [...]
Bismarck hatte, teils um die republikanischen Regierungen zu stärken, und teils, um die französische Unternehmungslust abzulenken, Frankreich bei der Festsetzung in Tunis und bei seinen anderen Kolonialeroberungen unterstützt. Auch der Gedanke, daß Frankreich sich Marokko aneignen könnte, war ihm keineswegs unangenehm. »Der Reichskanzler«, notierte Hohenlohe am 22. Februar 1880, »sprach auch über meinen Bericht über die französischen Pläne auf Marokko und meinte, wir könnten uns nur freuen, wenn sich Frankreich Marokko aneigne. Es habe dann viel zu tun, und wir könnten ihm die Vergrößerung des Gebietes in Afrika als Ersatz für Elsaß-Lothringen gönnen.«
Das war wohl auch eine weiteres Motiv zumindest bei KWII. - in Bismarckscher Tradition, wie bereits weiter oben notiert - für dessen Zurückhaltung gegenüber Paris in der Marokko-Frage. Belegen lässt sich dies wiederum mit entsprechenden Anmerkungen KWII.s in GP 17, Nr. 5180-5210.
Seit dem Sturze Bismarcks wurde im Auswärtigen Amt mit Vorliebe versichert, man interessiere sich für Marokko nicht. [...]
Dazu kam, daß man sich zwar nicht mit England vereinigen, sich aber auch nicht mit England veruneinigen wollte und in dem Irrtum lebte, nach Ablehnung der englischen Bündnisvorschläge werde alles so bleiben wie bisher. Dazu kam schließlich, daß Herr von Holstein in seinem ganzen Fühlen und Denken antifranzösisch und zu einem sachlichen Eingehen auf die französischen Probleme gar nicht imstande war. Graf Groeben, der nach Berlin fuhr, um dort eine Verständigung mit der französisch-spanischen Gruppe zu empfehlen, wurde kaum angehört.[...]
Man vermied es, mit Frankreich über Marokko zu reden, ganz wie man die Aufforderung Landsdownes, sich mit der englischen Regierung über Marokko auszusprechen, unbeachtet ließ. Infolgedessen fanden sich die beiden anderen zusammen, die man in Berlin für unversöhnbare, durch ein unüberwindbares Fatum getrennte Gegner hielt. Als Delcassé und Landsdowne im Juli 1903 ihre Verhandlungen in London begannen, wurde Marokko das wertvolle Austauschobjekt. Der Stein, den die Berliner Bauleute weggeworfen hatten, wurde zum Eckstein der »Entente cordiale«. [...]