Es wäre übrigens schön gewesen, wenn du das nicht einfach unkritisch in den Raum geworfen, sondern dich vielleicht auch einmal etwas mit der zeitgenössischen Verwendung des Begriffs beschäfftigt hättest.
Heinrich von Treitschke lebte 1834-1896.
Dementsprechend hatte er keine Gelegenheit mehr sich mit den Massenverbrechen des 20. Jahrhunderts oder dem Völkermordbegriff und seinen Wandlungen seit Lemkin auseinander zu setzen.
Zur Verwendung des Begriffs im 19. Jahrhundert:
"Der Ausdruck Völkermord taucht zum ersten Mal bei dem deutschen Lyriker August Graf von Platen (1796–1835) in seinen „Polenliedern“ auf, und zwar in der 1831 entstandenen Ode Der künftige Held. Er wendet sich gegen die Auflösung des polnischen Staates, den Österreich, Preußen und Russland sich untereinander aufgeteilt haben, und wirbt mit anderen westdeutschen Demokraten, die beim „Hambacher Fest“ 1832 die polnische Nationalfahne neben der deutschen aufgezogen haben, für das Wiedererstehen des polnischen Staates. Im Besonderen geißelt er die Unterdrückungspolitik Russlands, indem er nach der Bestrafung der Dschingiskhane ruft, „Die nur des Mords noch pflegen, und nicht der Schlacht,/ Des Völkermords![15]“ Für den liberalen ostpreußischen Abgeordneten Carl Friedrich Wilhelm Jordan ist der Ausdruck in Bezug auf die Polen so geläufig, dass er ihn in der Frankfurter Paulskirche am 24. Juli 1848 bei der Diskussion der Polenfrage verwendet, und zwar steigert er ihn noch:
„Der letzte Act dieser Eroberung, die viel verschrieene Theilung Polens, war nicht, wie man sie genannt hat, ein Völkermord, sondern weiter nichts als die Proclamation eines bereits erfolgten Todes, nichts als die Bestattung einer längst in der Auflösung begriffenen Leiche, die nicht mehr geduldet werden durfte unter den Lebendigen.“ "
Völkermord – Wikipedia
Wenn der Zeitgenosse des 19. Jahrhunderts Treitschke also den Begriff "Völkermord" verwendete, musste er dabei nicht zwangsläufig den Versuch oder eine erfolgte physische Vernichtung einer bestimmten Gruppe im Auge haben, sondern der Begriff "Völkermord" konnte entsprechend den damaligen (eindutig nicht haltbaren) Volkstumsvorstellungen auch einfach die Assimilierung an eine andere Kultur meinen, wie die Rede vom "Völkermord" im Bezug auf Polen oben recht eindrucksvoll belegt.
Wäre vielleicht ganz sinnvoll gewesen das mal als klärende Ergänzung mit zu liefern. ;-)
Entsprechend obigem konnte in Treitschkes zeitgenössischem Umfeld bereits erzwungene Assimilation oder die Auflösung eines Staatswesens an und für sich als "Völkermord" ettikettiert werden und als erzwungen wird man wenigstens die Christianisierung betrachten können.
Man wird es als fraglich erachten dürfen, ob es eine planvolle "Germanisierung" durch den Deutschen Orden gegeben hat.
Man wird in diesem Kontext insofern ein Zugeständnis an diese Sichtweise machen können, als dass der Orden im Prussenland, anders als in Livland die "Ansetzung" von Siedlern aus den Gebieten des HRR sehr begünstigt und gefördert hat.
Allerdings wird man sher hinterfragen dürfen, ob damals, wie sich das Tretischke evt. vorstellte jemals tatsächlich eine "Germanisierung" intendiert war, oder ob es einfach nur um den wirtschaftlichen Ausbau des Landes, die Urbarmachung neuer Gebiete etc. ging.
Solche Maßnahmen waren ja, wenn man etwa an die Böhmisch-Mährischen Randregionen oder etwa Siebenbürgen denkt für das Hochmittelalter durchaus nicht untypisch und hatten in diesen Fällen mit dem Wunsch nach ethnischer Umformung nichts zu tun.
Ich bin nun bei weitem kein Experte hinsichtlich des Deutschordensstaates, aber dass der Orden abgesehen vom Aspekt der Religion irgendwelche Formen kultureller Zwangsassimilierung gegenüber den Prußen betrieben hätte, wäre mir neu.
Die prußische Sprache etwa ist noch aus Schriftzeugnissen aus dem 16. Jahrhundert überliefert, also aus einer Zeit, in der der Ordensstaat bereits aufgehört hatte zu existieren:
Altpreußische Sprache – Wikipedia
Durch den Letzten Hochmeister Albrecht v. Brandenburg-Ansbach, der den südlichen Teil des Ordensstaats in das Hzm. Preußen umwandelte und es der polnischen Lehenshoheit unterstellte und die unter seiner Ägide entstandenen lutherischen Katechismen in altprussischer Spache wissen wir jedenfalls, dass im 16. Jahrhundert das Altprussische offenbar noch so geläufig war, dass man es für notwendig hielt als wichtig empfundene Texte in diese Sprache zu übersetzen um damit die entsprechende Bevölkerung zu erreichen.
Auch spricht das etwas gegen aktive Assimilationsbemühungen auf sprachlicher Ebene, denn die hätten eigentlich vorausgesetzt für die deutsche Sprache ein Monopol auf alles Wissenswerte zu schaffen, um ihr erlernen attraktiver zu machen.
Dann hätten sich solche Übersetzungen allerdings verbeten.
Wahrscheinlicher ist, dass sich das Altprußische vor allen Dingen deswegen verlor, weil sich das Deutsche, im Besonderen das Niderdeutsche und auch die in Masuren gesprochene Mundart des Polnischen als Verkehrssprache für größere Räume eignete, die Fähigkeit sich in diesen Sprachen zu verständigen damit einfach mehr Möglichkeiten eröffnete und möglicherweise auch aus Prestigegründen heraus.
Ähnlich wird es sich vermutlich auch mit den regionalen Rechtsgepflogenheiten verhalten.
Allerdings ist Treitschke (er veröffentlichte zu den Verhältnissen in Preußen immerhin bereits in den 1860er und 1870er Jahren) hierbei zuzugestehen, dass er in diesen Dingen auch nur auf den Forschungsstand seiner Zeit zurückgreifen konnte.
Das bedeutet über Erkenntnisse einer wirklich entwickelten Archäologie (Materielle Kultur), ausdifferenzierter sozialgeschichtlicher oder neuerer religionswissenschaftlicher Art , verfügte er dabei nicht und auf welchem Stand die linguististik unddie sprachgeschichtliche Erforschung des Altprussischen damals waren, ist mir nicht bekannt, aber sehr gut möglich, dass der damalige Stand noch ein gutes Stück hinter dem heutigen zurücklag.
Die antropologisch/ethnologischen Vorstellungen dieser Zeit muss man ebenfalls als deutlich überholt betrachten.
Insofern ist Treitschke sicherlich zuzugestehen, dass er die Dinge entsprechend dem Wissensstand, den er haben konnte und hinsichtlich seiner persönlichen Vorstellungen interpretierte.
Methodisch fragwürdig ist dann eher, dass
@Dion das einfach mal in unkritischer Weise übernimmt, weil das gerade in seine persönliche Stoßrichtung passt und dann (wie häufig) versucht mit einem Namen, in diesem Fall dem von Treitschke ad verecundiam zu argumentieren, ohne sich damit tatsächlich auseinander zu setzen.
Nein, die fand nicht statt, hat allerdings auch Treitschke, wenn man ihm zuerkennt, dass er die heute gängige Definition eines "Völkermords" nicht kennen konnte und die Verwendung des Begriffs im 19. Jahrhundert mitunter ganz anderes insinuierte, auch nicht behauptet.