Scheiterte die "Ostpolitik" des HRR?

„Es war ein Völkermord, das lässt sich nicht leugnen; aber nachdem die Vernichtung vollendet war, ist er ein Segen geworden. Was hätten die Preußen [gemeint sind die Prußen] in der Geschichte leisten können? Die Überlegenheit über die Preußen war so groß, daß es ein Glück für diese wie für die Wenden war, wenn sie germanisiert wurden.“"
Völkermord – Wikipedia

Das lest sich nicht grade schön. Wir wissen nicht welche Kultur aus den heidnischen Preußen geworden wäre, wären sie nicht germanisiert worden.

Andererseits weiß ich noch wirklich nicht ob es ein Völkermord war. So ein alter Historiker ist nicht grade zuverlässig. Oder bin ich dem Orden zu zugeneigt? Die meisten Polen sehen ihn ja anscheinend als Feindbild.
 
https://www.heraldik-wiki.de/wiki/Deutscher_Orden_(Rezeption)

Hier steht alles was ich über den Orden wissen wollte mit Literatur.

Kurz gesagt, eine planmäßige Vernichtung der Preußen fand nicht statt, die Historiker haben nach dem 2. Weltkrieg das Bild des Ordens aufgewertet, aber ganz komplett im Volk angekommen ist es wohl immer noch nicht...

Hab ich jetzt rausgefunden indem ich "Deutscher Orden Völkermord" gegoogelt hab. Entweder hat ich Glück oder ich würde mehr von einigen Usern erwarten was Auskunft angeht, sorry ;)
 
Hab ich jetzt rausgefunden indem ich "Deutscher Orden Völkermord" gegoogelt hab. Entweder hat ich Glück oder ich würde mehr von einigen Usern erwarten was Auskunft angeht, sorry
Es ist schön, dass du da etwas beitragen konntest.

Ich weiß aber nicht so ganz, ob du verstanden hast, wie ein Forum funktioniert. Die Forenmitglieder sind nicht dazu da, Geschichtsstudenten "Auskunft" zu geben. Sie sind (allermeistens) keine Professoren oder HiWis, die Studenten unterrichten.
Wir tauschen uns hier aus, haben unterschiedliche Meinungen und diskutieren. Ich habe zwar mal angefangen, Geschichte zu studieren aber nie abgeschlossen. Ich mache jetzt etwas vollkommen anderes. Dieses Forum ist eine meiner Freizeitbeschäftigungen. Wenn ich durch diesen Austausch mein Wissen oder meinen Horizont erweitern kann, ist das eine Bereicherung für mich.
 
Das von Völkermord habe ich von hier – Zitat aus dem Spiegel aus dem Jahr 1993:

Es wäre übrigens schön gewesen, wenn du das nicht einfach unkritisch in den Raum geworfen, sondern dich vielleicht auch einmal etwas mit der zeitgenössischen Verwendung des Begriffs beschäfftigt hättest.

Heinrich von Treitschke lebte 1834-1896.
Dementsprechend hatte er keine Gelegenheit mehr sich mit den Massenverbrechen des 20. Jahrhunderts oder dem Völkermordbegriff und seinen Wandlungen seit Lemkin auseinander zu setzen.

Zur Verwendung des Begriffs im 19. Jahrhundert:


"Der Ausdruck Völkermord taucht zum ersten Mal bei dem deutschen Lyriker August Graf von Platen (1796–1835) in seinen „Polenliedern“ auf, und zwar in der 1831 entstandenen Ode Der künftige Held. Er wendet sich gegen die Auflösung des polnischen Staates, den Österreich, Preußen und Russland sich untereinander aufgeteilt haben, und wirbt mit anderen westdeutschen Demokraten, die beim „Hambacher Fest“ 1832 die polnische Nationalfahne neben der deutschen aufgezogen haben, für das Wiedererstehen des polnischen Staates. Im Besonderen geißelt er die Unterdrückungspolitik Russlands, indem er nach der Bestrafung der Dschingiskhane ruft, „Die nur des Mords noch pflegen, und nicht der Schlacht,/ Des Völkermords![15]“ Für den liberalen ostpreußischen Abgeordneten Carl Friedrich Wilhelm Jordan ist der Ausdruck in Bezug auf die Polen so geläufig, dass er ihn in der Frankfurter Paulskirche am 24. Juli 1848 bei der Diskussion der Polenfrage verwendet, und zwar steigert er ihn noch:


„Der letzte Act dieser Eroberung, die viel verschrieene Theilung Polens, war nicht, wie man sie genannt hat, ein Völkermord, sondern weiter nichts als die Proclamation eines bereits erfolgten Todes, nichts als die Bestattung einer längst in der Auflösung begriffenen Leiche, die nicht mehr geduldet werden durfte unter den Lebendigen.“ "

Völkermord – Wikipedia

Wenn der Zeitgenosse des 19. Jahrhunderts Treitschke also den Begriff "Völkermord" verwendete, musste er dabei nicht zwangsläufig den Versuch oder eine erfolgte physische Vernichtung einer bestimmten Gruppe im Auge haben, sondern der Begriff "Völkermord" konnte entsprechend den damaligen (eindutig nicht haltbaren) Volkstumsvorstellungen auch einfach die Assimilierung an eine andere Kultur meinen, wie die Rede vom "Völkermord" im Bezug auf Polen oben recht eindrucksvoll belegt.

Wäre vielleicht ganz sinnvoll gewesen das mal als klärende Ergänzung mit zu liefern. ;-)




Andererseits weiß ich noch wirklich nicht ob es ein Völkermord war. So ein alter Historiker ist nicht grade zuverlässig. Oder bin ich dem Orden zu zugeneigt? Die meisten Polen sehen ihn ja anscheinend als Feindbild.

Entsprechend obigem konnte in Treitschkes zeitgenössischem Umfeld bereits erzwungene Assimilation oder die Auflösung eines Staatswesens an und für sich als "Völkermord" ettikettiert werden und als erzwungen wird man wenigstens die Christianisierung betrachten können.

Man wird es als fraglich erachten dürfen, ob es eine planvolle "Germanisierung" durch den Deutschen Orden gegeben hat.

Man wird in diesem Kontext insofern ein Zugeständnis an diese Sichtweise machen können, als dass der Orden im Prussenland, anders als in Livland die "Ansetzung" von Siedlern aus den Gebieten des HRR sehr begünstigt und gefördert hat.

Allerdings wird man sher hinterfragen dürfen, ob damals, wie sich das Tretischke evt. vorstellte jemals tatsächlich eine "Germanisierung" intendiert war, oder ob es einfach nur um den wirtschaftlichen Ausbau des Landes, die Urbarmachung neuer Gebiete etc. ging.

Solche Maßnahmen waren ja, wenn man etwa an die Böhmisch-Mährischen Randregionen oder etwa Siebenbürgen denkt für das Hochmittelalter durchaus nicht untypisch und hatten in diesen Fällen mit dem Wunsch nach ethnischer Umformung nichts zu tun.

Ich bin nun bei weitem kein Experte hinsichtlich des Deutschordensstaates, aber dass der Orden abgesehen vom Aspekt der Religion irgendwelche Formen kultureller Zwangsassimilierung gegenüber den Prußen betrieben hätte, wäre mir neu.
Die prußische Sprache etwa ist noch aus Schriftzeugnissen aus dem 16. Jahrhundert überliefert, also aus einer Zeit, in der der Ordensstaat bereits aufgehört hatte zu existieren:

Altpreußische Sprache – Wikipedia

Durch den Letzten Hochmeister Albrecht v. Brandenburg-Ansbach, der den südlichen Teil des Ordensstaats in das Hzm. Preußen umwandelte und es der polnischen Lehenshoheit unterstellte und die unter seiner Ägide entstandenen lutherischen Katechismen in altprussischer Spache wissen wir jedenfalls, dass im 16. Jahrhundert das Altprussische offenbar noch so geläufig war, dass man es für notwendig hielt als wichtig empfundene Texte in diese Sprache zu übersetzen um damit die entsprechende Bevölkerung zu erreichen.
Auch spricht das etwas gegen aktive Assimilationsbemühungen auf sprachlicher Ebene, denn die hätten eigentlich vorausgesetzt für die deutsche Sprache ein Monopol auf alles Wissenswerte zu schaffen, um ihr erlernen attraktiver zu machen.
Dann hätten sich solche Übersetzungen allerdings verbeten.

Wahrscheinlicher ist, dass sich das Altprußische vor allen Dingen deswegen verlor, weil sich das Deutsche, im Besonderen das Niderdeutsche und auch die in Masuren gesprochene Mundart des Polnischen als Verkehrssprache für größere Räume eignete, die Fähigkeit sich in diesen Sprachen zu verständigen damit einfach mehr Möglichkeiten eröffnete und möglicherweise auch aus Prestigegründen heraus.
Ähnlich wird es sich vermutlich auch mit den regionalen Rechtsgepflogenheiten verhalten.

Allerdings ist Treitschke (er veröffentlichte zu den Verhältnissen in Preußen immerhin bereits in den 1860er und 1870er Jahren) hierbei zuzugestehen, dass er in diesen Dingen auch nur auf den Forschungsstand seiner Zeit zurückgreifen konnte.
Das bedeutet über Erkenntnisse einer wirklich entwickelten Archäologie (Materielle Kultur), ausdifferenzierter sozialgeschichtlicher oder neuerer religionswissenschaftlicher Art , verfügte er dabei nicht und auf welchem Stand die linguististik unddie sprachgeschichtliche Erforschung des Altprussischen damals waren, ist mir nicht bekannt, aber sehr gut möglich, dass der damalige Stand noch ein gutes Stück hinter dem heutigen zurücklag.
Die antropologisch/ethnologischen Vorstellungen dieser Zeit muss man ebenfalls als deutlich überholt betrachten.

Insofern ist Treitschke sicherlich zuzugestehen, dass er die Dinge entsprechend dem Wissensstand, den er haben konnte und hinsichtlich seiner persönlichen Vorstellungen interpretierte.

Methodisch fragwürdig ist dann eher, dass @Dion das einfach mal in unkritischer Weise übernimmt, weil das gerade in seine persönliche Stoßrichtung passt und dann (wie häufig) versucht mit einem Namen, in diesem Fall dem von Treitschke ad verecundiam zu argumentieren, ohne sich damit tatsächlich auseinander zu setzen.

Kurz gesagt, eine planmäßige Vernichtung der Preußen fand nicht statt

Nein, die fand nicht statt, hat allerdings auch Treitschke, wenn man ihm zuerkennt, dass er die heute gängige Definition eines "Völkermords" nicht kennen konnte und die Verwendung des Begriffs im 19. Jahrhundert mitunter ganz anderes insinuierte, auch nicht behauptet.
 
Es wäre übrigens schön gewesen, wenn du das nicht einfach unkritisch in den Raum geworfen, sondern dich vielleicht auch einmal etwas mit der zeitgenössischen Verwendung des Begriffs beschäfftigt hättest.

Heinrich von Treitschke lebte 1834-1896.
Dementsprechend hatte er keine Gelegenheit mehr sich mit den Massenverbrechen des 20. Jahrhunderts oder dem Völkermordbegriff und seinen Wandlungen seit Lemkin auseinander zu setzen.

Zur Verwendung des Begriffs im 19. Jahrhundert:


"Der Ausdruck Völkermord taucht zum ersten Mal bei dem deutschen Lyriker August Graf von Platen (1796–1835) in seinen „Polenliedern“ auf, und zwar in der 1831 entstandenen Ode Der künftige Held. Er wendet sich gegen die Auflösung des polnischen Staates, den Österreich, Preußen und Russland sich untereinander aufgeteilt haben, und wirbt mit anderen westdeutschen Demokraten, die beim „Hambacher Fest“ 1832 die polnische Nationalfahne neben der deutschen aufgezogen haben, für das Wiedererstehen des polnischen Staates. Im Besonderen geißelt er die Unterdrückungspolitik Russlands, indem er nach der Bestrafung der Dschingiskhane ruft, „Die nur des Mords noch pflegen, und nicht der Schlacht,/ Des Völkermords![15]“ Für den liberalen ostpreußischen Abgeordneten Carl Friedrich Wilhelm Jordan ist der Ausdruck in Bezug auf die Polen so geläufig, dass er ihn in der Frankfurter Paulskirche am 24. Juli 1848 bei der Diskussion der Polenfrage verwendet, und zwar steigert er ihn noch:


„Der letzte Act dieser Eroberung, die viel verschrieene Theilung Polens, war nicht, wie man sie genannt hat, ein Völkermord, sondern weiter nichts als die Proclamation eines bereits erfolgten Todes, nichts als die Bestattung einer längst in der Auflösung begriffenen Leiche, die nicht mehr geduldet werden durfte unter den Lebendigen.“ "

Völkermord – Wikipedia

Wenn der Zeitgenosse des 19. Jahrhunderts Treitschke also den Begriff "Völkermord" verwendete, musste er dabei nicht zwangsläufig den Versuch oder eine erfolgte physische Vernichtung einer bestimmten Gruppe im Auge haben, sondern der Begriff "Völkermord" konnte entsprechend den damaligen (eindutig nicht haltbaren) Volkstumsvorstellungen auch einfach die Assimilierung an eine andere Kultur meinen, wie die Rede vom "Völkermord" im Bezug auf Polen oben recht eindrucksvoll belegt.

Wäre vielleicht ganz sinnvoll gewesen das mal als klärende Ergänzung mit zu liefern. ;-)






Entsprechend obigem konnte in Treitschkes zeitgenössischem Umfeld bereits erzwungene Assimilation oder die Auflösung eines Staatswesens an und für sich als "Völkermord" ettikettiert werden und als erzwungen wird man wenigstens die Christianisierung betrachten können.

Man wird es als fraglich erachten dürfen, ob es eine planvolle "Germanisierung" durch den Deutschen Orden gegeben hat.

Man wird in diesem Kontext insofern ein Zugeständnis an diese Sichtweise machen können, als dass der Orden im Prussenland, anders als in Livland die "Ansetzung" von Siedlern aus den Gebieten des HRR sehr begünstigt und gefördert hat.

Allerdings wird man sher hinterfragen dürfen, ob damals, wie sich das Tretischke evt. vorstellte jemals tatsächlich eine "Germanisierung" intendiert war, oder ob es einfach nur um den wirtschaftlichen Ausbau des Landes, die Urbarmachung neuer Gebiete etc. ging.

Solche Maßnahmen waren ja, wenn man etwa an die Böhmisch-Mährischen Randregionen oder etwa Siebenbürgen denkt für das Hochmittelalter durchaus nicht untypisch und hatten in diesen Fällen mit dem Wunsch nach ethnischer Umformung nichts zu tun.

Ich bin nun bei weitem kein Experte hinsichtlich des Deutschordensstaates, aber dass der Orden abgesehen vom Aspekt der Religion irgendwelche Formen kultureller Zwangsassimilierung gegenüber den Prußen betrieben hätte, wäre mir neu.
Die prußische Sprache etwa ist noch aus Schriftzeugnissen aus dem 16. Jahrhundert überliefert, also aus einer Zeit, in der der Ordensstaat bereits aufgehört hatte zu existieren:

Altpreußische Sprache – Wikipedia

Durch den Letzten Hochmeister Albrecht v. Brandenburg-Ansbach, der den südlichen Teil des Ordensstaats in das Hzm. Preußen umwandelte und es der polnischen Lehenshoheit unterstellte und die unter seiner Ägide entstandenen lutherischen Katechismen in altprussischer Spache wissen wir jedenfalls, dass im 16. Jahrhundert das Altprussische offenbar noch so geläufig war, dass man es für notwendig hielt als wichtig empfundene Texte in diese Sprache zu übersetzen um damit die entsprechende Bevölkerung zu erreichen.
Auch spricht das etwas gegen aktive Assimilationsbemühungen auf sprachlicher Ebene, denn die hätten eigentlich vorausgesetzt für die deutsche Sprache ein Monopol auf alles Wissenswerte zu schaffen, um ihr erlernen attraktiver zu machen.
Dann hätten sich solche Übersetzungen allerdings verbeten.

Wahrscheinlicher ist, dass sich das Altprußische vor allen Dingen deswegen verlor, weil sich das Deutsche, im Besonderen das Niderdeutsche und auch die in Masuren gesprochene Mundart des Polnischen als Verkehrssprache für größere Räume eignete, die Fähigkeit sich in diesen Sprachen zu verständigen damit einfach mehr Möglichkeiten eröffnete und möglicherweise auch aus Prestigegründen heraus.
Ähnlich wird es sich vermutlich auch mit den regionalen Rechtsgepflogenheiten verhalten.

Allerdings ist Treitschke (er veröffentlichte zu den Verhältnissen in Preußen immerhin bereits in den 1860er und 1870er Jahren) hierbei zuzugestehen, dass er in diesen Dingen auch nur auf den Forschungsstand seiner Zeit zurückgreifen konnte.
Das bedeutet über Erkenntnisse einer wirklich entwickelten Archäologie (Materielle Kultur), ausdifferenzierter sozialgeschichtlicher oder neuerer religionswissenschaftlicher Art , verfügte er dabei nicht und auf welchem Stand die linguististik unddie sprachgeschichtliche Erforschung des Altprussischen damals waren, ist mir nicht bekannt, aber sehr gut möglich, dass der damalige Stand noch ein gutes Stück hinter dem heutigen zurücklag.
Die antropologisch/ethnologischen Vorstellungen dieser Zeit muss man ebenfalls als deutlich überholt betrachten.

Insofern ist Treitschke sicherlich zuzugestehen, dass er die Dinge entsprechend dem Wissensstand, den er haben konnte und hinsichtlich seiner persönlichen Vorstellungen interpretierte.

Methodisch fragwürdig ist dann eher, dass @Dion das einfach mal in unkritischer Weise übernimmt, weil das gerade in seine persönliche Stoßrichtung passt und dann (wie häufig) versucht mit einem Namen, in diesem Fall dem von Treitschke ad verecundiam zu argumentieren, ohne sich damit tatsächlich auseinander zu setzen.



Nein, die fand nicht statt, hat allerdings auch Treitschke, wenn man ihm zuerkennt, dass er die heute gängige Definition eines "Völkermords" nicht kennen konnte und die Verwendung des Begriffs im 19. Jahrhundert mitunter ganz anderes insinuierte, auch nicht behauptet.

Interessant, aber auch ein bisschen zu lang. Zu bemerken wäre noch, dass die polnischen Historiker anscheinend einen "echten" Völkermord meinten, sich aber auf Treitschke bezogen. Immerhin wurde das so von vielen verstanden. Ich kann mich zum Beispiel daran erinnern, dass in nem Film über den preußischen Rebellen Herkus Mantas, dem "vernichteten" Volk gedacht wurde. Das ist schon ziemlich Anti-Deutsch, oder?
 
. Zu bemerken wäre noch, dass die polnischen Historiker anscheinend einen "echten" Völkermord meinten, sich aber auf Treitschke bezogen.

Und darf man auch fragen, wer sich im Speziellen hinter diesem anonymen "die" verbirgt?

Natürlich liefern drastische Formulierungen, die im Laufe der Zeit ihre Bedeutung (mindestens teilweise) verändert haben, Akteuren mit einer bestimmten Agenda häufig eine entsprechende Projektionsfläche, weil sich darauf vor einem fachfremden Publikum sehr einfach behaupten lässt, andere vorangegangene Akteure hätten schon etwas gefordert oder etwas betrieben, das in der Tradition näherer Vergangenheit oder im Rahmen eines politischen Ziels liegt, auch wenn die Quelle, wenn man sich näher damit beschäftigt möglicherweise etwas vollkommen anderes insinuiert.

Ich kann mich zum Beispiel daran erinnern, dass in nem Film über den preußischen Rebellen Herkus Mantas, dem "vernichteten" Volk gedacht wurde. Das ist schon ziemlich Anti-Deutsch, oder?

Sofern wir gerade über den gleichen Film reden, reden wir über eine sowjetische Spielfilm-Produktion aus der Breschnew-Ära (jedenfalls ist mir kein anderer Film des Titels "Herkus Mantas" geläufig, ich bitte um Aufklärung falls ein anderer gemeint sein sollte).

Da sollte klar sein, dass gerade 25 Jahre nach dem 2. Weltkrieg in Sachen Sinnstiftung, Deutung, Erklärungsbedürfnis und Rechtfertigung eigenen Handelns noch ganz andere Erfahrungen und Orientierungspunkte eine Rolle spielten, als in der unmittelbaren Rezension Treitschkes aus seiner Zeit heraus.
 
Man wird es als fraglich erachten dürfen, ob es eine planvolle "Germanisierung" durch den Deutschen Orden gegeben hat.
Selten so einen Schmarrn gelesen, zumal ich schon am 23.12.2022 darüber einen Abschnitt aus Treitschkes-Schrift zitiert hatte:
Schon zu Anfang des vierzehnten Jahrhunderts herrschte die Sprache des Eroberers, dem Deutschen war verboten, mit seinem Gesinde Preußisch zu reden.
Dieses Verbot war natürlich ohne Absicht verfügt worden – o heilige Einfalt.

Treitschke war ein Bewunderer des Deutschen Ordens, und was er da schreibt, dann aus dieser Bewunderung heraus. Deshalb sind seine diesbezüglichen Worte kaum zu hinterfragen – das wäre anders, hätte den obigen Satz z.B. ein polnischer Historiker geschrieben, der kritisch gegenüber den Deutschen eigestellt gewesen wäre.

Aber wenn es darum geht, etwas zu relativieren, dann ist @Shinigami als einer der ersten zur Stelle.
 
Selten so einen Schmarrn gelesen, zumal ich schon am 23.12.2022 darüber einen Abschnitt aus Treitschkes-Schrift zitiert hatte:
[...]

Und natürlich ist dir aufgefallen, dass das hier im Faden verlinkte Digitalisat der Einlassungen Treitschkes über keinen Anmerkungsapparat verfügt, weswegen völlig schleierhaft ist, woher Treitschke diese Weisheit haben will und wo man sie nachlesen kann?

Bevor man in theatralischer Weise die sancta simplicitas bemüht, sollte man sich gegebenenfalls mal mit dem Material beschäftigen mit dem man hantiert.

Treitschke war ein Bewunderer des Deutschen Ordens

Ich habe eher den Eindruck, dass er insgesamt eine eher zwiespältige Einstellung zum Orden hatte, da er ihn einerseits als Träger Deutscher Kultur interpretierte (inwiefern diese Interpretation haltbar ist, wäre eine andere Frage), auf der anderen Seite aber dessen Einbettung in den katholischen und christlich-universalistischen Kontext nicht unbedingt schätzte.

und was er da schreibt, dann aus dieser Bewunderung heraus. Deshalb sind seine diesbezüglichen Worte kaum zu hinterfragen



So so, wenn jemand aus Bewunderung heraus schreibt, ist das eine Begründung das nicht näher zu hinterfragen.
Ich werde mir historische Analogien zu dieser Behauptung jetzt sparen, sie mag für sich selbst stehen.

das wäre anders, hätte den obigen Satz z.B. ein polnischer Historiker geschrieben, der kritisch gegenüber den Deutschen eigestellt gewesen wäre.

Daran wäre überhaupt nichts anders.
Ein polnischer Historiker wäre genau so wie Treitschke in der Pflicht gewesen Belege zu liefern und genau so wären seine Worte an ihrer zeittypischen Bedeutung und deren Interpretationsmöglichkeiten zu messen gewesen.

Aber wenn es darum geht, etwas zu relativieren, dann ist @Shinigami als einer der ersten zur Stelle.

Soso, wenn man darauf hinweist, dass eine Begrifflichkeit zeitgebunden auch anders verstanden werden kann, ist das Relativierung.
Und wenn man auf faktisch physisch vorhandene Zeugnisse des Altprussischen und die überlieferte Politik Albrechts von Brandenburg-Ansbach hinweist, ist das natürlich wesentlich weniger Wert als eine nicht näher belegte Behauptung Treitschkes, denn dieser war ja ein Bewunderer des Odens und deswegen dürfen seine Einlassungen nicht bezweifelt werden und wenn dem materielle Zeugnisse entgegenstehen sind diese gefälligst zu ignorieren.

Vielleicht solltest du dir überlegen, was du uns hier aufbinden möchtest?

Im Übrigen, (falls dir das noch nicht aufgefallen sein sollte), selbst wenn ein solches Verbot existiert hätte, würde daraus keine Germanisierungspolitik gegenüber den prussischen Bevölkerungsteilen abzuleiten sein, sondern lediglich ein Verbot an die deutschsprachigen Bevölkerungsteile sich an die Sprache der Prussen zu assimilieren.

War das Verbot Stadt- oder Landrecht?

Das wird er dir nicht sagen können, denn dazu müsst er ja wissen, wo konkret Treitschke diese Information bezogen hat.
 
Das wird er dir nicht sagen können, denn dazu müsst er ja wissen, wo konkret Treitschke diese Information bezogen hat.

Hab's inzwischen gefunden, es handelt sich um die angebliche Landesordnung Siegfrieds von Feuchtwangen:

"2. Item/ Wer Preussisch Hausgesinde hette/ der sollte sie darzu halten/ alle Feyertage fleissig im die Kirche zu gehen/ vnd solte nicht viel Preussisch mit ihnen reden/ sondern so viel immer möglichl sie zu der Deutschen Sprache gewehnen."
Die Landesordnung von 1310 des Siegfried von Feuchtwangen

Mein Verdacht hat sich dann auch gleich bestätigt:

"Der Erlaß einer Landesordnung für Preußen (1309) wird ihm jedenfalls zu Unrecht zugeschrieben – es handelt sich um eine frühneuzeitliche Fälschung."
Deutsche Biographie - Siegfried von Feuchtwangen
 
Hab's inzwischen gefunden, es handelt sich um die angebliche Landesordnung Siegfrieds von Feuchtwangen:

"2. Item/ Wer Preussisch Hausgesinde hette/ der sollte sie darzu halten/ alle Feyertage fleissig im die Kirche zu gehen/ vnd solte nicht viel Preussisch mit ihnen reden/ sondern so viel immer möglichl sie zu der Deutschen Sprache gewehnen."
Die Landesordnung von 1310 des Siegfried von Feuchtwangen

Mein Verdacht hat sich dann auch gleich bestätigt:

"Der Erlaß einer Landesordnung für Preußen (1309) wird ihm jedenfalls zu Unrecht zugeschrieben – es handelt sich um eine frühneuzeitliche Fälschung."
Deutsche Biographie - Siegfried von Feuchtwangen

Danke für die engagierte und schnelle Recherche :)
 
Wenn du dazu etwas wissen willst, musst du mit der Ausgangslage beginnen. Was bedeutet, dass du, weil moderne Werke nicht richtig darauf eingehen, du auch ältere Bücher zur Hand nehmen musst. Und die musst du in die heutige Zeit übersetzen. Denn da gibt es viel Begriffliches (z.B. 'Mark') und Paradigmatisches (z.B. Ethnogenese), was wir heute ganz anders sehen. Was eine Mark war, ist zudem zeitlich und regional verschieden, was heute von einigen nicht berücksichtigt wird. Eine zur Erschließung von einem Forst abgetrennte Mark (Markloh samt Ableitungen davon sollen bis zu den kommunalen Neugliederungen der häufigste Flurname in Norddeutschland gewesen sein) Ist etwas vollkommen anderes als die Bretonische Mark Rolands, die wieder anders ist, als die über hundert Jahre jüngere "Sorbenmark" des Poppo (Thüringen). Und das Denken in Nationen und Staatsgebieten führt auch oft in die Irre, was ja schon gesagt wurde.

Deshalb kann da auch nicht einfach ein Text empfohlen oder das Bild einfach skizziert werden, zumal vieles im Fluss ist.

Bis zum Ende Otto II. gab es durchaus eine 'erfolgreiche Ostpolitik' im Sinne des 19. Jahrhunderts, um wenigstens das alte Bild zu skizzieren. Dann folgte der 'Große Slawenaufstand', bei dem die Kontrolle verloren ging (und wonach tatsächlich nicht mehr von einer Generationen übergreifenden Ostpolitik gesprochen werden kann*). Die Anerkennung von Böhmen, Polen und Ungarn als Königreiche galt als Tiefpunkt (und Kroatien und Serbien wurden als irrelevant ignoriert). Danach musste bis zum 'Großen Slawenkreuzzug' die Herrschaft über die Elbslawen mühsam wiederhergestellt werden, während auch Pommern in das Blickfeld geriet. Später dann Preußen. Romzüge wurden gerne für Aufstände genutzt. Die Kontroverse zwischen preussisch-protestantischer und süddeutsch-katholischer Geschichtswissenschaft zu dem Thema, ob eine Konzentration auf ein Ziel besser gewesen wäre, setze ich zumindest als 'schon mal gehört' voraus. Unnötig zu sagen, dass dieser Streit ein moderner war, der den Hintergrund der Zeit nicht berücksichtigte.

Ein paar Aspekte dazu, was daran alles nicht stimmt:

Wie war es etwa mit dem 'Tiefpunkt'? Wurde da Macht aus der Hand gegeben oder der Vorrang des Kaisers über andere christliche Herrscher aktualisiert? Konnten die Elbslawen nicht unterworfen werden oder waren sie eine ideale Pufferzone zwischen christlichen Reichen ohne Aussicht auf einen Sieg über eines dieser Reiche? Und gingen nicht später die Initiativen eher von den Fürsten aus, die ihre Territorien vergrößerten? Schließlich bleibt festzustellen, dass die Fürsten der Abodriten sich durch Lehnseid einfügten, ihr Staat immer noch besteht. Auch die Herrscher der Pommern und Heveller gliederten sich ein. Es sind weitgehend Einzelereignisse, die schon deshalb unterschiedlichster Politik folgten. Nach Otto II. änderten sich die politischen Umstände immer wieder, teils in rascher Folge, während unter seinem Großvater und Vater ähnliche Verhältnisse eine ähnliche Politik bedingten. So etwas kann auch an Kontinuität und Diskontinuität von Führungspersonal gesehen werden.

*Auch in einer Demokratie gibt es keine solche Politik 'des Staates'. Schon gar nicht generationsübergreifend. Aber es ist nun einmal der Sprachgebrauch für die Politik einer Regierung von der Politik des Staats, des Bunds oder eben des Reichs zu sprechen. Es weiß auch jeder, dass mit der Politik Russlands Putins Politik gemeint ist und mit der Politik des Reichs diejenige des aktuellen Kaisers.
 
Das ist interessant. Wie gelang es ihm denn sich mit Otto III. gut zu stellen? Er hatte ja ein Heer des Hrr geschlagen...wurde die Erinnerung daran wirklich so schnell getilgt?

Ich glaube, Du denkst immer noch viel zu sehr in modernen Kategorien, in Staaten, Nationen, "Pufferzonen" und dergleichen. Eigentlich hat @Shinigami Dir das schon zu erklären versucht:

1. Müsstest du vom Gedanken weg kommen, dass "das HRR" ein planmäßig handelnder Akteur gewesen sei.

Im Kern handelt es sich um Vereinbarungen zwischen einzelnen Königen/Kaisern und ihren jeweiligen böhmischen, polnischen und ungarischen Pendants auf persönlicher, häufig nicht institutioneller Ebene, von denen durchaus auch die Römisch-Deutschen Herrscher profitierten, denn die konnten je nach reichsinterner politischer Gemengelage Verbündete im Osten, die die mächtigeren Adelsgeschlächter in Bayern und Sachsen ein wenig in Schach halten konnten durchaus gebrauchen.

Oder, um Johannes Fried zu zitieren:
Keine "institutionellen Flächenstaaten" kämpfen um die Jahrtausendwende mt unterschiedlicher Durchsetzungskraft gegeneinander, sondern "personale" Gruppierungen; die künftigen "Staaten" sind erst die späteren Folgen dieser frühen Adelskämpfe.

Oder Christian Igelbrink*:

Trotz all dieser Bemerkungen sollte man dennoch den polnischen Herrschaftsverband nicht mit einem Staat vergleichen. Denn immerhin sind es primär die Akteure selbst und ihr Prestige, ihre Verdienste sowie ihr Ansehen bei den Standesgenossen und weniger vorgefundene administrative Strukturen oder die Einbindung von Herrschaftsträgern in bestimmte Ämter, die die Umsetzung politischer Prinzipien im Mittelalter ermöglichen. Ein abschließender Blick auf die Herrschaftszeit Bolesławs Chrobry mag diesen letzten Gedanken illustrieren: Obgleich Polen als konsolidierter Fürstenstaat da steht, sind es immer noch die persönlichen Beziehungen des Piasten zu den ottonischen Königen, die das diplomatische Klima zwischen dem Reich und Polen bestimmen: Während Bolesław nämlich noch mit Otto III. in Gnesen im Jahr 1000 ein Freundschaftsbündnis eingeht, befehdet er sich nur zwei Jahre später mit Heinrich II. in den so genannten 'Polenkriegen', jedoch nicht, weil es um Interessen nationaler Vorherrschaft geht, sondern weil Bolesław Heinrich persönlich dafür verantwortlich macht, dass er beim Reichstag von Merseburg überfallen wurde und dabei beinahe getötet worden wäre.

*Freundschaft, Herrschaft, Fehde - Die Beziehungen Miszkos I. von Polen zu den ottonischen Königen und den Großen des Reiches, Baden-Baden 2017
 
Zuletzt bearbeitet:
Es ging um Ausgleich, nicht darum, sich zu wehren. Es ging um Ansehen und ein Reich war bis weit ins 11. Jahrhundert das Reich eines Herrschers, also die Summe seiner Beziehungen und Machtmittel.

Ottp der Große hat so gesehen tatsächlich über die westliche Christenheit geherrscht. Teils, weil er Familienältester versippter Herrscherfamilien war, teils weil dies durch Lehnseid, Tribute oder andere Formen anerkannt war. In diesem Sinne kann auch von Pufferzonen geschrieben werden. Es gab ja oft sowieso keine klaren Grenzen der Machtbereiche. Und werden Landschaften genannt ist meist nicht an Naturräume oder moderne Verwaltungsbezirke zu denken, auch wenn es oft so vereinfacht wird. Das Wort Lebenswelten kommt der Vorstellung vielleicht eher nahe. Darum ist auch Pufferzone nicht ganz richtig. Einige mittelalterliche Karten geben so eine Vorstellung wieder.

Es ging bei solchen Sachen wie dem Vorfall in Merseburg um das Heil, darum, kein Opfer zu sein. Ein veralteter Begriff von Ehre, der in Russland noch gang und gebe ist und auch hier bei Manchem wieder Einzug gehalten hat.

Der römische König musste seine Position aktualisieren, auch wenn er noch kein Kaiser war, um seine Position zu erfüllen, sich gleichsam die Würde zu verdienen.

Boleslaw hatte nun Positionen, u.a. Meißen besetzt, um sie als Lehen zu erhalten. Heinrich gab ihm nur einen Teil, weil er auch anderen verpflichtet war und vielleicht auch die Macht Boleslw Chrobrys nicht zu stark werden lassen wollte. (Merseburg, 25. Juli) (Die Besetzung drückt das Gefühl von Rechtmäßigkeit aus, nicht das Schaffen von Tatsachen, was dem König obliegt.) Kein singuläres Problem im Mittelalter. Der versuchte Überfall auf Boleslaw Chrobry mag von enttäuschten Mitbewerbern ausgegangen sein. Was die Quellen dazu sagen, müsste ich nachschlagen, aber allgemein gilt die Frage als ungeklärt. Jedenfalls benahm er sich in dem ihm nicht übergebenen Lehen, wie jemand, der eine Fehde führt und machte sogar Gefangene. Damit war aber die Entscheidungsgewalt und formale Oberhoheit Heinrichs in Frage gestellt, obwohl sie doch eigentlich aktualisiert und bestätigt werden sollte.

Die Böhmen setzten ihren Herzog, ebenfalls Boleslaw ab und ersetzten ihn mit einem Stiefbruder Boleslaw Chrobrys, mit dem er aber verfeindet war. Dieser Wladiwoj huldigte Heinrich II. im November in Regensburg und wurde mit Böhmen belehnt, während der abgesetzte Boleslaw zu Boleslaw Chrobry floh. Ein weiterer Ansehens und Machtverlust des Polenkönigs. Nach anderer Ansicht wollte Boleslaw Chrobry die Böhmen auf seiner Seite, nur das sein Stiefbruder nicht mitspielte. Boleslaw Chrobry übernahm 1004 selbst das Herzogtum Böhmen.

Bis dahin ist es noch recht einfach in die Begriffe des 19. Jahrhunderts zu pressen. Nur bei der Betrachtung der Elbslawen kommt es meist zu Widersprüchen. Aber Boleslaw Chrobry schuf sich weitere Verbündete im Reich Heinrichs II.*: Durch die Hochzeit seiner Tochter Regelindis mit Hermann von Meißen, Sohn Ekkehards von Meißens und einer Tochter Hermann Billungs, verbündete er sich mit den Ekkehardinern und Billungern. Heinrich von Schweinfurt, Markgraf im Nordgau waren von Heinrich für seine Unterstützung Zusagen gemacht worden, die dann nicht eingehalten wurden und im Bund mit Chrobry sah er eine Chance für eine erfolgreiche Fehde. Und auch Brun von Augsburg, Bruder Heinrich II. gehörte zu dieser Opposition. Sein Schwager Sven Gabelbart von Dänemark stand natürlich auch auf seiner Seite. Allerdings zog er es 1003 vor eine Invasion Englands in Angriff zu nehmen.

Da kämpften nicht Polen, Böhmen und Deutschland miteinander, da focht ein Herrscher mit unzufriedenen oder beleidigten Familienmitgliedern, Vasallen und Adelssippen um Position, Rang, Ehre und Stellung im Reich. U.a. durch die Ränkespiele zur Zeit seiner Vorgänger konnte Heinrich nicht alle Erwartungen erfüllen.

1941 bei Holtzmann, Geschichte der sächsischen Kaiserzeit, S. 402 hört sich das so an:
- "..., da die polnischen Dinge inzwischen zu offenem Krieg, ja sogar zu einem innerdeutschen Aufstand führten."
- "... [Boleslaw Chrobry] dachte daran, sich von der deutschen Oberhoheit völlig zu lösen und eine große slawische Erhebung gegen das deutsche Reich in die Wege zu leiten."
- "Es war der erste Versuch zur Errichtung eines panslawistischen Reiches, der hier gemacht wurde, ..."

Er wollte sich vielleicht aus der Oberhoheit Heinrichs lösen, aber solch nationalistisches Denken wäre ihm fremd gewesen. Vielleicht macht der rassistische Anklang der Zitate das noch deutlicher.

Zwischen Heinrich und Boleslaw kam es nur zeitweise zum Ausgleich. Im Prinzip musste Boleslaw Böhmen aufgeben und die zumindest teilweise erst zu erwerbende Lausitz wurde ihm als Lehen gegeben. Wie eben solche Konflikte im Mittelalter gelöst wurden, wenn beide Seiten kein Sieg gelang und beide Seiten einander brauchten. Durch den Überfall am Versammlungsort - Heinrich II. hatte die Sicherheit Boleslaw Chrobrys garantiert - und die sofortigen Fehdemaßnahmen** mag tatsächlich eine Feindschaft entstanden sein.

Und das führte dann dazu, dass ein Feldzug mit Einigung und Ausgleich nicht ausreichte. Dazu musste sich Boleslaw Chrobry zumindest mit einem Teil seiner Lehen erneut belehnen lassen, was ihn sicher nicht freundlicher stimmte. Er nutzte den Tod Heinrichs II., um zu erwirken, von einem Gesandten des Papsts gekrönt zu werden. Die Tradition zur in den Schriftquellen nur angedeuteten Krönung von Gnesen muss deshalb nicht falsch sein***. Eine Krönung auf Anweisung des Papstes statt nur von Kaisers Gnaden stärkte seine Position ungemein durch eine Prestigesteigerung.

Heinrich schaltete die anderen Opponenten nach und nach aus. Aus der Markgrafschaft Nordgau des Schweinfurters wurde das Bistum Bamberg geschnitten, der begnadigte Graf bekam einen angemessenen Teil seines Besitzes zurück. Brun von Augsburg wurde Kanzler und bekleidete damit eine seinem prinzlichen Rang entsprechende Würde. Da sein Allod im Grenzgebiet lag, betätigte Hermann von Meißen sich eher als Vermittler, bevor er sich im Zuge einer Fehde gegen seinen Onkels Gunzelin, Markgraf von Meißen auf die Seite Heinrichs stellte und 1009 Markgraf von Meißen wurde. Auch der Billunger Bernhard I. von / in Sachsen blieb Heinrich II. treu. Sein Herzogtum hing stark vom sächsischen Adel ab und Heinrich hatte den Sachsen ihr Recht garantiert. Dazu förderte Heinrich Boleslaw Chrobrys Einmischungen in Kiew durch Truppenzusagen.

Ein weiterer Schachzug war die Vermählung Mieszkos, des Sohnes Boleslaws, mit einer Enkelin Otto II., wodurch sein Sohn später Verwandter der Salier war.

Trotz allem verlor er nicht den Kopf und war erfolgreich. Boleslaw Chrobry erhielt nicht mehr von ihm, als er ihm schon in Merseburg gegeben hatte.

Konrad II. wusste dann auch eine Annäherung zu Knut dem Großen zu erreichen und Mieszko I. von Polen dazu zu bringen, seine Oberhoheit als Lehnsherr anzuerkennen, die Königswürde sowie die Lausitz und (das bisher unterschlagene) Milzener Land aufzugeben. In Merseburg 1033, wo diese Episode 31 Jahre zuvor begonnen hatte. Abgesehen von zwei Jahren auf einem Höhepunkt des Investiturstreits dauerte es über 250 Jahre bis zum nächsten polnischen König.

Das ist eine Kurzform. Aber schon da wird deutlich, dass es kein Spiel Deutschland gegen Polen, sondern ein Spiel Kaiser gegen seinen mächtigsten Vasallen war. Es ging dabei auch bei Weitem nicht nur um die Feldzüge. Es geht um Personen und Beziehungen. Und da gibt es viel mehr als in einen Forenbeitrag passt.

*Wie gesagt, noch kein Staat im philosophischen Sinn, sondern ein primitiver Staat im ethnologischen Sprachgebrauch.
** Fürsten und Könige redeten eigentlich erst, auch wenn es damals keine Pflicht war. Als Lehnsmann war Boleslaw Chrobry dazu eigentlich verpflichtet. Und das war eben auch eine persönliche Missachtung Heinrichs.
*** Eigentlich bin ich da skeptischer. Aber es zeigt, dass es hier nicht einfach um Feldzüge und Machtpolitik ging. Zudem kann es durchaus sein, dass keine Seite die Erinnerung an den Gnesener Vorgang korrekt weitergeben wollte.
 
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Unterschiedlich.

Bedenke auch, dass das vor dem Universalienstreit war.

Dinge wie das angebliche Verschleudern von Reichsgut und die Vergabe von Lehen an ausländische Herrscher wurden schlicht und einfach anders gesehen.

Rudolf I. handelt dann 'rationaler', Aber immer noch muss er sich als würdig erweisen und geht für den nicht zustande gekommenen Romzug auf Karl von Anjou zu, verzichtet quasi auf die Provence und eine stärkere Stellung in Burgund und provoziert damit schlussendlich nur den Königsmord an Albrecht I. durch Johann Parricida, weil der nicht angemessen ausgestattet werden kann. Aber das ist schon eine ganz andere Zeit.

'Gebietszugewinne' gab es nicht, weil das nicht so betrachtet wurde, auch wenn die Begriffe heute so übersetzt werden. Entscheidend war nicht die Herrschaft über das Gebiet, das sowieso verlehnt worden wäre. Entscheidend war die Oberhoheit. Sogar Machtpolitisch. Nutzbar waren Gastungsrecht, Heerfolge und die unregelmäßigen Geschenke von Vasallen, bzw. der regelmäßige Tribut slawischer Stämme. Im Gegensatz zur Ansicht des 19. Jahrhunderts brachte es auch mehr, z.B. von den Liutizen Tribut und Heeresfolge zu fordern als die entsprechenden Gegenden zu verlehnen.*

Auch die Betrachtung von Schlachten ist heute durch den Militarismus des 19. Jahrhunderts geprägt. Ausführlich bräuchte es dazu einen anderen Thread. Nehmen wir die große Niederlage beim Kap Colonna als Beispiel. Strafe Gottes für den Übermut, nachdem der Sieg schon errungen war. Doch Otto II. nahm es an, hielt sich an die Kirche, scharrte die Seinen um sich und bereitete den neuen Feldzug schon betont gründlich vor. Nur starb er dann zur Unzeit an falscher Medikation. Es kam auf den Umgang mit so etwas an. Die Herrscher waren im Allgemeinen stark genug, Kämpfe zu erneuern. Und auch die Sachsen konnten sich gegen den 'Slawenaufstand' erstmal selbst erfolgreich wehren. Doch der frühe Tod des Herrschers und die lange unklare Regentschaft waren dann die Katastrophe. Das militaristisch-nationalistisch-frauenfeindliche 19. Jahrhundert sah das natürlich anders. Und wer Mecklenburg und die angrenzenden Gebiete als von Deutschen verwaltetes, erobertes Gebiet betrachtete, verstand eben nicht, dass der Stammesbund der Abodriten, bzw. dessen Anführer versuchten, bessere Bedingungen und eine bessere Stellung auszuhandeln und die Position zwischen Dänemark, Pommern, Polen und dem Reich dafür ausnutzten. (Ja, ich blende da z.B. religiöse Fragen aus, einfach um zu illustrieren, wie weit das von den populäreren Erklärungsmustern entfernt ist.) Ein überlebender, in Italien erfolgreicher Otto II. hätte vielleicht gegen den Übertritt der Fürsten zum Christentum den Abodritenfürsten die Belehnung mit Fürstentümern gewährt. Weniger Einnahmen gegen eine sichere, langfristige Bindung. Und mehr Glanz für die Hoftage. Ja, hätte, wäre, könnte. Aber auch das ist nur als Illustration gemeint.

*Früher und von polnischen Nationalisten wird dargestellt, Boleslaw Chrobry habe über die Elbslawischen Stämme außer die Abodriten und die westlichen Sorben geherrscht. Es ging aber nur um Besitz im Südosten des Raums, der eine Reihe von Burgen, Güter und einige Personengruppen sowie den Schutz über die Kirche umfasste. Damit verbunden änderte sich der Fluss der Tribute. Durch die Auseinandersetzung intensivierte sich hier die Herrschaft und es entstanden 'richtige' auf das Gebiet und deren Bewohner bezogene Lehen, die dann das 19. Jahrhundert schon für das 10. Jahrhundert dort annahm.

P.S.: Eigentlich hätte ich noch mehr Anführungszeichen verwenden müssen.
 
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