Romanisch-germanische Sprachgrenzen im frühen Mittelalter

Es gibt ein Dorf am schönen Zürichsee und das heißt Meilen. Es soll ebenfalls auf ein Mediolanum zurückgehen.
In ortsnamen.ch steht: Die Lautgruppe -di- in Mediolanum entwickelt sich bereits im Vulgärlateinischen zu -jj- (Rohlfs I, §220).
Rohlfs ist zumindest eine Koryphäe, was die Sprachgeschichte anbelangt.

Mich irritiert jedoch die Bemerkung in der italienischen Wiki zu Milano, nämlich dass Milan, wie es im lokalen Dialekt genannt wird, über ein Miran entstanden sei.
Im Varon Milanes - Wikipedia aus dem 16. Jh. steht, dass manche Leute Miran sagen.
1884 schrieb Carlo Salvioni in "Fonetica del dialetto moderno della città di Milano: saggio linguistico", dass man das Miran in der Stadt nicht mehr höre.
Wenn im Milaneser Dialekt der Rhotazismus häufiger vorkommt, könnte dies der Grund sein. Lambdazismus und Rhotazismus kommen in mehreren Sprachen häufiger vor. Lambdazimus: meist /n/ wird zu /l/; Rhotazismus: meist /l/ wird zu /r/ (Zungenspitzen-R). Das /r/ muss nicht zwingend vor dem /l/ dagewesen sein - dagegen spricht ja auch die Etymologie des Namens - sondern kann parallel mit diesem existiert haben, als Variante - z.B. als Soziolekt - aber wieder verschwunden sein.
 
Im Varon Milanes - Wikipedia aus dem 16. Jh. steht, dass manche Leute Miran sagen.
1884 schrieb Carlo Salvioni in "Fonetica del dialetto moderno della città di Milano: saggio linguistico", dass man das Miran in der Stadt nicht mehr höre.

Ich habe die Stelle mal kopiert, der Lexikonartikel im Varon Milanes über das L:

l, A l'è comè anc l's, pù gajarda ona veulta del' otra, e parsciò quand a l'è dolza ch' a la se proferis con la vochà strecia, e la scrivem sempia com em dij al a, inscì, pel, ciel; ma com ala sarà con la vochà largha, che ala se parnonzia gajarda, allora la scrivem dobbia, come pell, la pell di animalij, bell, call, i call di pee, e quest vartiment sarvirà anch al s. A la se scambia sta veulta in r, comè merin; anc quaichun disen Miran, se ben a l' è pù da masse, che nun disem Milan.​
 
Denkbar wäre, dass die deutsche Form Mailand nicht auf die keltisch-lateinische Form Medio, sondern bereits auf das italienische Mi zurückgeht, Stichwort frühneuhochdeutsche Diphtongierung, in der aus î (z.B. lîp) ei (Leib) wird.
Das klingt sehr überzeugend und folglich wäre die deutsche Form Mailand erst ab dem Hochmittelalter entstanden (samt volksetymologischem -d)
 
Danke, ich muss aber selber Wasser in den Wein schütten. Aus zwei Gründen:
1.) ich habe nicht ganz sauber argumentiert
2.) wir haben -ai- nicht -ei-.

Zu 2.) Keine Ahnung, ob das eine Rolle spielt.
Zu 1.) Die unsaubere Argumentation ist eigentlich nicht so schlimm, man muss im Grunde genommen die lateinische Flektionsendung, die abgeknappst wird, mit dem italienischen Flektionssuffix austauschen, dann passt es wieder. Oder?
 
Nun ist die Frage von das Medio zu Mi wurde. Eigentlich ist im Italienischen ja die Form Mezzo zu erwarten (hätte die Stadt in der Toskana gelegen und nicht in Transpadanien, dann hieße sie heute vermutlich *Mezzolano anstatt Milano.

Anscheinend war von Anfang an klar, dass Medio nicht im Sinne von Mezzo benannt, ein Wort anderer Herkunft war.
Interessant ist dabei die Auflistung der italienischen Wiki https://it.wikipedia.org/wiki/Mediolanum_(toponimo)
mit verschiedensten Mediolanums. Viele der im heutigen Frankreich gelegenen (ebenfalls gallischen) Städte haben eine Zwischenform Meiolanum oder Meillan oder ähnlich.
 
Dünkirchen (Dunkerque) könnte man noch nennen. Die Stadt lag einst im niederfränkischen Sprachgebiet, heute im französischen Sprachgebiet:

Mittlerweile dürfte wohl aufgrund des Films Dunkirk eher der englische Name in Deutschland geläufige sein.

Ja, natürlich, ich hatte es Dir sogar schon einmal erklärt: Das althochdeutsche bilabiale w war noch ein anderer Laut als das neuhochdeutsche labiodentale w. (Im Romanischen hat dieselbe Entwicklung stattgefunden, nur schon deutlich früher.)

Ich habe sogar noch in Erinnerung gehabt, dass das schon irgendwann in einem Thread thematisiert wurde. Ich konnte aber den alten Thread nicht mehr wiederfinden. Danke für den Hinweis.
 
Anscheinend war von Anfang an klar, dass Medio nicht im Sinne von Mezzo benannt, ein Wort anderer Herkunft war.
Selbst wenn dem so war - da unterstellst du allerdings den Sprechern der Spätantike etymologische Kenntnisse - würden ja trotzdem dieselben Regeln greifen, wie bei einem original lateinischen Wort.
 
Selbst wenn dem so war - da unterstellst du allerdings den Sprechern der Spätantike etymologische Kenntnisse - würden ja trotzdem dieselben Regeln greifen, wie bei einem original lateinischen Wort.

Eher unterstelle ich einen noch vorhandenen nicht unbedeutenden gallischen Bevölkerungsanteil, durch den sich der Name ähnlich wie im westlichen Gallien (s.o.) entwickelte.
 
Wenn im Milaneser Dialekt der Rhotazismus häufiger vorkommt, könnte dies der Grund sein.
Ist bzw. war definitiv der Grund:

Nella variante milanese della lingua lombarda, la -l- intervocalica era comunemente sostituita da -r-, mentre nel dialetto moderno questa caratteristica tende a scomparire.

In der Mailänder Variante der lombardischen Sprache wurde das intervokalische -l- häufig durch -r- ersetzt, während dieses Merkmal im modernen Dialekt tendenziell verschwindet.

Rotacismo - Wikipedia

Entschuldigung für den unausgereiften Zwischenruf.
 
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