Romanisch-germanische Sprachgrenzen im frühen Mittelalter

Ich darf in dem Zusammenhang daran erinnern, dass limes sich eigentlich auf eine Grenzstraße / -schneide bezieht.
 
Im Prinzip ist die Sprachgrenze zur Zeit des Chlodio erreicht, wenn wir den Karten bei Nonn folgen.
Ich weiß nicht, welche Karte Du meinst, aber das widerspricht allem, was ich bei Ewig/Nonn und insbesondere bei Haubrichs gelesen habe:

"Die altfränkischen Ortsnamenrelikte helfen aber vor allem, die Germania submersa, das untergegangene altfränkische, oft wohl bilinguale Gebiet auf gallischem Boden räumlich nachzuzeichnen. So gelingt es etwa in Flandern, über die neuzeitliche, bei Boulogne auf die Nordsee treffende Sprachgrenze hinaus einen lang andauernden altfränkischen Sprachraum bis zur Mündung der Canche zu rekonstruieren und einen Mischraum festzustellen, der noch weiter südlich bis auf die Höhe von Arras und Hesdin, westlich fast bis an das Tal der Somme heranreichte, und zwar zu rekonstruieren aus den Ortsnamen auf -ingheim und -ingatūn, wobei letzterer Typus zu afrk. *tūn ‘Zaun, eingehegter Platz’ (vgl. engl. town) zu stellen ist und auch angelsächsische Bezüge aufweist.
[...]
Etwa im 9. Jahrhundert dürfte die germanisch-romanische Sprachgrenze den eher linearen Verlauf erreicht haben, den die Karte Nr. 5 skizziert – mit einer Ausnahme, die doch noch erwähnt werden soll: die sog. Moselromania, die von Koblenz über Trier mosel- und saaraufwärts bis östlich Metz reicht."​
https://www.google.de/url?sa=t&rct=.../18003/11815&usg=AOvVaw3_vsd6P3txjBahfnKeWZJj

Es wäre seltsam zwei nur zufällig ähnlich verlaufende Grenzen zu haben
Gibt es für diese zweite "Grenze" denn irgend einen greifbaren Hinweis?
 
Ah, Missverständnis. Ich habe mich wohl ungenau ausgedrückt. Der Bereich, bzw. Machtbereich erreichte in etwa die spätere Sprachgrenze.

Wie ich schrieb, ist es zwar auffällig, ein evt. Zusammenhang aber natürlich erst zu prüfen. Leider helfen geographische Namen kaum weiter, da Verwaltungsgrenzen Sprachgrenzen langfristig beeinflussen.
 
Leider helfen geographische Namen kaum weiter, da Verwaltungsgrenzen Sprachgrenzen langfristig beeinflussen.

Ortsnamen eignen sich sogar dazu, die Verschiebung von Sprachgrenzen zu datieren.
An der Saar unweit der Moselmündung haben wir einen Ortsnamen, der ursprünglich Tabernae gelautet haben muss:
Der Name hat nicht die deutsche Lautverschiebung Tabern-Zabern mitgemacht, dafür aber die romanische Entwicklung vom -b- zum -v- (gesprochen: -w-), wie in habere (ital. avere, franz. avoir) oder caballus (ital. cavallo, franz. cheval).
Insbesondere ist die romanische Betonung auf der zweiten Silbe geblieben. Das zeigt, dass die Eindeutschung nicht vor dem Hochmittelalter erfolgt sein kann. Im 11. Jahrhundert müssen die Einwohner also noch einen romanischen Dialekt gesprochen haben.

Zum Entlehnungszeitpunkt des Wortes wīla aus lat. villa lässt sich nur sagen, dass es zu den frühesten Entlehnungen gehören muss, bei denen lateinisches v- als deutsches w- erscheint:
lat. vallum - ahd. wal 'Wall'
lat. villa - ahd. wīla

Bei den späteren Entlehnungen ins Althochdeutsche wird das lateinische v- zu deutschem f-:
lat. viola - ahd. fīol 'Veilchen' (auch heute noch mit f- gesprochen, nicht wie "Weilchen")
lat. versus - ahd. fers 'Vers'

Dieser Wandel muss spätestens um 700 eingetreten sein, denn aus der Zeit 735/37 ist eine sehr interessante Schreibung für den heutigen Ort Delémont überliefert:
in figo Delomonze
Namenpaare an der Sprachgrenze

Hier sehen wir eine Zweisprachigkeit am Werk: Das lateinische vico (aus vicus) hat sich im Mund der romanischen Bevölkerung zu vigo gewandelt; dies wird von einem deutschsprachigen Schreiber als "figo" geschrieben.

Der lateinische Name Vitelliacum (Wittlich, 50 km von Tawern entfernt) muss also schon vor dieser Zeit eingedeutscht worden sein – in Valeriacum (Fellerich) in unmittelbarer Nachbarschaft von Tawern sprach man dagegen noch länger romanisch.
 
An der Saar unweit der Moselmündung haben wir einen Ortsnamen, der ursprünglich Tabernae gelautet haben muss:

Off Topic, aber ganz lustig dazu: Der Nachbarort von Tawern ("französisch" ausgesprochen, also auf der zweiten Silbe betont -> Taverne) heißt Wawern (auf der ersten Silbe betont, vermutlich mit keltischer Etymologie)
 
Zum Entlehnungszeitpunkt des Wortes wīla aus lat. villa lässt sich nur sagen, dass es zu den frühesten Entlehnungen gehören muss, bei denen lateinisches v- als deutsches w- erscheint:
lat. vallum - ahd. wal 'Wall'
lat. villa - ahd. wīla

Das erscheint ja auch sinnvoll, dass man bei fremdsprachlichen Lehnwörtern die dann auch nach den Regeln der eigenen Sprache schreibt.

Bei den späteren Entlehnungen ins Althochdeutsche wird das lateinische v- zu deutschem f-:
lat. viola - ahd. fīol 'Veilchen' (auch heute noch mit f- gesprochen, nicht wie "Weilchen")
lat. versus - ahd. fers 'Vers'

Das wiederum erscheint mir merkwürdig, auch wenn die Beispiele zeigen, dass es so war. Die romanischen/lateinischen Muttersprachler werden wohl diese Wörter mit v (also unserem deutschen W-Laut) ausgesprochen haben. Zumindest war es im Lateinischen so und auch in den modernen romanischen Sprachen. Gibt es einen Grund, warum diese Lehnwörter dann im Deutschen dann mit einem anderen Laut wiedergegeben werden?
 
Gibt es einen Grund, warum diese Lehnwörter dann im Deutschen dann mit einem anderen Laut wiedergegeben werden?

Ja, natürlich, ich hatte es Dir sogar schon einmal erklärt: Das althochdeutsche bilabiale w war noch ein anderer Laut als das neuhochdeutsche labiodentale w. (Im Romanischen hat dieselbe Entwicklung stattgefunden, nur schon deutlich früher.)

Nicht ganz - die romanische Aussprache des v hat sich von einem bilabialen w (ähnlich dem englischen w) zu einem labiodentalen w (ähnlich dem heutigen deutschen w) gewandel.
Das althochdeutsche w war aber noch bilabial. Deutschsprachige ersetzten daher das labiodentale w (das es im Althochdeutschen nicht gab) durch den labiodentalen Reibelaut, der ihnen vertraut war, nämlich das f.
 
Ortsnamen eignen sich sogar dazu, die Verschiebung von Sprachgrenzen zu datieren.

Ein Fehlschluss, der zufällig oft stimmt. Gegenbeispiel ist z.B. der Mix aus nieder- und hochdeutschen Lautungen in Westfalen seit altsächsisch/althochdeutscher Zeit. Ein Ortsname kann sich zudem in verschiedenen Sprachen unterschiedlich entwickeln. Wenn München 2123 von Italienern besiedelt wird, wird auch 3123 noch die Aussage falsch sein, dass die Erwähnung Münchens als Monaco im Jahr 1923 zeigt, dass die Stadt schon damals italienisch dominiert wurde. Und zwar auch dann, wenn der Name sich aufgrund von Sprachwandel ändert. (Das Beispiel wurde mir, mit anderen Jahreszahlen hier im Forum mal vorgehalten.)

Dem Satz, dass Ortsnamen sich dazu eignen, wenn es keine besonderen Umstände gibt, würde ich aber zustimmen. Aber bezüglich des fraglichen Abschnitts der Sprachgrenze sind ja im Thread mehrere Besonderheiten genannt worden, deren Auswirkungen erst mal beurteilt werden wollen.

(Und auch bezüglich des angesprochenen Machtbereichs schrieb ich nur, und zwar ausdrücklich, dass es eine zu überprüfende Auffälligkeit ist.)
 
Off Topic, aber ganz lustig dazu: Der Nachbarort von Tawern ("französisch" ausgesprochen, also auf der zweiten Silbe betont -> Taverne) heißt Wawern (auf der ersten Silbe betont, vermutlich mit keltischer Etymologie)

Ortsnamen mit keltischem (gallo-romanischem) Hintergrund gibt es wie Sand am Meer. Sehr oft haben wir gallische Ortsnamen in oberflächlich latinisierter Form, häufig mit Namenbestandteilen wie *-(i)akon, *-magos, *-dunon etc.; die latinisierten Formen sind dann jeweils (i)acum, -magus, -dunum. Beispiele: Mogontiacum (Mainz), Antunnacum (Andernach), Rigomagus (Remagen), Noviomagus (Neumagen/Nijmegen), Virodunum (Verdun), Tarodunum (Zarten).

Dann gibt es Mischformen, so lassen sich aus römischen Personennamen wie Iulius, Vitellius, Aurelius pseudo-gallische Ortsnamen bilden: Iuliacum (Jülich), Viteliacum (Wittlich), Aureliacum (Orly)

Rein lateinische Namen sind gefühlt sogar in der Minderzahl; es gibt sie natürlich auch: Aquae (Aachen), Colonia (Köln), Divitium (Deutz), Confluentes (Koblenz) oder die erwähnten Tabernae-Orte.
In der Trierer Gegend haben sich sogar noch zwei Ortsnamen nach römischen Zahlen erhalten: Quint liegt fünf Leugen von Trier entfernt, Detzem zehn Leugen.
 
Ein Ortsname kann sich zudem in verschiedenen Sprachen unterschiedlich entwickeln.
Das hängt weniger von der Sprache ab als von der Entfernung. Ortsnamen ändern sich lokal, aber in weit entfernten Orten werden diese Änderungen nicht mitgemacht. So erinnert die deutsche Bezeichnung Mailand mehr an das einstige Mediolanum als das italienische Milano. Das gleiche gilt für Florenz (ursprünglicher Name Florentia), italienisch Firenze. Und Italiener sagen zu Köln immer noch Colonia (zu Zeit der Römer: Colonia Agrippina), zu Augsburg Augusta (Augusta Vindelicum) und zu Aachen Aquisgrana (Aquæ Granni oder Aquisgranum).
 
Das hängt weniger von der Sprache ab als von der Entfernung. (...)So erinnert die deutsche Bezeichnung Mailand mehr an das einstige Mediolanum als das italienische Milano.
verstehe ich nicht (nebenbei: gilt das auch für Grenzstädte, so Görlitz oder Swinemünde?) - und was ist an "Mediolanum" klanglich/sprachlich näher an "Mailand" als "Milano"??
medioLANum - mILANo - maILANd (das zeigt nichts sprachwissenschaftliches, sondern nur die direkte klangliche Ähnlichkeit)
 
Methodisch wären hier Metropolen mit Strahlkraft über das Hinterland hinaus und kleinere, unbekanntere Orte zu trennen.
 
Metropolen mit Strahlkraft über das Hinterland hinaus
https://de.wikipedia.org/wiki/München#Etymologie und daraus:
erstmals erwähnt wird der Name als forum apud Munichen im Augsburger Schied vom 14. Juni 1158 von Kaiser Friedrich I.[15][16] Munichen ist der Dativ Plural von althochdeutsch munih bzw. mittelhochdeutsch mün(e)ch, dem Vorläufer von neuhochdeutsch Mönch. (...)
Der mittellateinische Name der Stadt ist Monacum, Adjektiv monacensis; auch Monachia bzw. Monachium sind bezeugt.[20]
München hat in anderen Sprachen unterschiedliche Bezeichnungen: So heißt die Stadt auf Französisch und Englisch Munich(in jeweils verschiedener Aussprache), auf Spanisch Múnich, auf Portugiesisch Munique, im Italienischen Monaco (di Baviera) („di Baviera“ zur Unterscheidung von Monaco im gleichnamigen Fürstentum), im Tschechischen Mnichov und im Polnischen Monachium.[A 2]
aber was hilft uns das jetzt???
 
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