Im Islam gibt es das Konzept von "Buchreligionen", also Religionen, die der Islam als nicht ganz so weit entwickelt ansieht, die aber zu seinen Vorläufern gehören (Judentum und Christentum) bzw. eine lange schriftliche Tradition haben (Hinduismus in Indien, Zoroastrier). Anhänger dieser Religionen wurden oft mit einer Sondersteuer (
Dschizya) in islamischen Staaten belegt, konnten aber ihre Religion weiterhin praktizieren. Bei Juden im mittelalterlichen, christlichen Europa ist dies mit dem Judenregal vergleichbar.
Genau diese Vergleichbarkeit führt allerdings immer wieder an der Stelle zum Problem, an dem über diese vergleichbaren Phänomene vollkommen unterschiedliche Werturteile gefällt werden (jedenfalls meinem Empfinden nach).
Ich kann das an dieser Stelle nicht empirisch belegen, habe aber den Eindruck, dass es im Populären Diskurs eine Tendenz gibt die muslimische Praxis als Musterbeispiel für Toleranz aufzufassen, gleichzeitig aber das Judenregal und die damit verbundenen Praktiken als einen Akt der Diskriminierung zu verstehen.
Und das ist etwas, das für mich nicht zusammen geht.
Entweder möchte man eine Politik, die darauf hinausläuft Religionspraktiken, die von denen der herrschenden Eliten abweichen de facto gegen Schutzgeldzahlungen zu tolerieren, als toleranten Ansatz verstehen oder nicht.
Aber hier müsste man sich schon entscheiden.
Ich für meinen Teil tendiere dazu das mehr als wirtschaftlichen und herschaftstechnischen Opportunismus zu verstehen, als als Toleranz, zumal die Legalisierung der entsprechenden religiösen Praktiken ja durchaus nicht Befreiung von sozialer Diskriminierung und Stigmatisierung bedeutete.
Ein anderes Problem, was ich hier sehe ist, dass man, wenn man sich auf diese Argumentationsfigur stützt alles an der Politik der Herrschenden und deren theoretischen Wünschen festmacht, die faktischen Verhältnisse in der Bevölkerung allerdings herzlich wenig berücksichtigt.
Ansonsten sind Vertreibungen von "Ungläubigen" und "Zwangsbekehrungen" im christlichen Europa belegbar, Beispiel Spanien ab 1492. Gibt es vergleichbare Vorgänge von Deportationen und erzwungenen Bekehrungen in der Geschichte islamischer Staaten?
Das wäre eine von zwei Fragen. Die zweite Frage wäre diejenige, ob sich der Umstand im Bezug auf Europa verallgemeinern lässt.
Neben Spanien ließe sich ja z.B. auch die Vertreibung der jüdischen Bevölkerung Englands als Beispiel auffassen, wenn ich das richtig im Kpf habe.
Die Frage wäre aber, ist das "das christliche Europa"?
Dezidiert von Seiten der Machthaber angeordnete Vertreibungsmaßnahmen (ohne dabei das Vorkommen spontaner aus der Bevölkerung oder Teilen davon entstandener Pogrome in Frage zu stellen) wären mir für das Heilige Römische Reich, für Polen-Litauen, Skandinavien und Ungarn nicht bekannt.
Die
Mamlucken als Militärsklaven schafften es eine Dynastie von Sultanen in Ägypten zu etablieren. Man kann sie als Zeichen von "Toleranz" gegenüber Sklaven im Islam ansehen. Sie schafften es eine eigene Herrschaftselite zu bilden. Ein vergleichbares Beispiel dazu im christlichen Europa fällt mir nicht ein.
Inwiefern kann man in dem Moment in dem den Mamlucken der Aufschwung zu einer eigenen Herrschaft gelang noch von "Sklaven" reden?
Ich denke letztendlich ist das Mamlucken-Sultanat vor allem das Ergebnis dessen, dass sich die militärischen Anführer in einer Randprovinz selbstständig machten und eine Art "Gegen-Machtzentrum" bildeten.
Den Umstand, dass es den Machthabern in der Zentrale nicht gelang das zu unterbinden würde ich nicht als besonderes Maß von Toleranz auffassen, sondern als Konsequenz der Tatsache, dass sie keine effektiven Mittel dagegen hatten.