Religion und Wissenschaft

ich beziehe mich damit vor allem auf die Naturwissenschaften
Mit diesem Bezug leuchten mir die "paar Jahrhunderte" ein.

Fasst man den Wissenschaftsbegriff etwas weiter, könnte man noch einige Jahrhunderte hinzuaddieren, z.B. wegen der Mathematik (der beliebte Fibonacci lebte und schrieb im Hochmittelalter) - Mathematik und Logik als Grundlagen (ohne diese kommt kein Naturwissenschaftler aus) reichen dann sicher bis in die Antike zurück (?!)
 
Mathematik ist keine Naturwissenschaft, kommt ohne Experimente aus, und macht keine Aussagen über die reale Welt. Ist damit kein gutes Beispiel, wenn es um unser heutiges Wissenschaftsverständnis geht, oder die Interaktion von Wissenschaft und Gesellschaft. Logik (die einzige Grundlage der Mathematik, aber nicht der Wissenschaft) ist sicher älter.
 
Mathematik ist keine Naturwissenschaft
Es gibt viele Wissenschaften, die keine Naturwissenschaften sind. Ich fürchte, wir verzetteln uns, wenn wir den Wissenschaftsbegriff auf Naturwissenschaft einengen oder letztere bevorzugen.

Interessant war ein Streitgespräch zwischen einem Kleriker (Jesuit?) und dem Mathematiker/Logiker/Philosophen Bertrand Russell, der Kirchenmann lief da ins offene Messer des Logikers :)

Mit mancherlei "Denkwissenschaft" lag die Kirche schon in ihren Anfängen im Clinch (contra Celsum u.a.)
 
Es gibt viele Wissenschaften, die keine Naturwissenschaften sind. Ich fürchte, wir verzetteln uns, wenn wir den Wissenschaftsbegriff auf Naturwissenschaft einengen oder letztere bevorzugen.
Es waren aber naturwissenschaftliche Theorien, die zum Clash zwischen Wissenschaft und Religion geführt haben. Mit Philosophie (auch atheistischer) kann Religion umgehen. Mit naturwissenschaftlichen Beweisen, dass die religiösen Dogmen falsch sind, nicht; zumindst der radikale Part, der auf diese Dogmen angewiesen ist.
 
Reinecke und ich sprachen von den Geistes- und Sozialwissenschaften. Denen mangelte es noch am Instrumentarium.
 
Dabei wäre die Geschichte vielleicht anders verlaufen, wenn die Kirchen früher proaktiv gehandelt und sich auf eine teleologische Bibelexegese verlegt hätten, anstatt auf den Wortlaut zu beharren.
Das kann man wohl sagen.

Klar haben Mönche und teilweise auch Nonnen (Hildegard von Bingen) Heilkunst betrieben, aber ihnen allen wurde auf dem Konzil von Tours 1163 untersagt, Chirurgie zu betreiben, weil Kirche angeblich kein Bult vergießen dürfe. Das hemmte die Entwicklung der Medizin (die ja in den Händen der Mönche und Nonnen war), bis 1221 Kaiser Friedrich II. die medizinische Schule in Salerno in den rechtlichen Status eines universitären Studiums erhöhte.

Doch der Titel einer Universität blieb der Schule verwehrt, dies vielleicht, weil 2 Jahre später der Kaiser in der Nähe ohnehin die Universität von Neapel gründete. Da beides in Opposition zum Papst geschah, war es dort nicht, wie an anderen Universitäten, die meistens aus den Domschulen hervorgegangen waren, notwendig, Lehrbefugnis des Papstes zu haben, um lehren zu dürfen.

Deswegen überrascht es einen nicht, dass an der Schule von Salerno, anders an den anderen Universitäten, das Sezieren von Leichen im Lehrbetrieb obligatorisch war, und dass dort auch Frauen studieren konnten – in "Deutschland" wurde das erst im 20. Jahrhundert möglich.

Gut, manche Ärzte setzten sich über das Sezierverbot hinweg, aber wie es sonst damit bestellt war, dokumentiert ein Edikt von Karl VI. von Frankreich (da er da erst 16 Jahre alt war, haben das wohl seine Regenten für ihn abgewickelt), der 1385 der Universität von Montpellier erlaubte, pro Jahr eine Leiche zu sezieren. :D
 
Reinecke und ich sprachen von den Geistes- und Sozialwissenschaften. Denen mangelte es noch am Instrumentarium.
Welches mangelnde Instrumentarium hatten Philosophie, Theologie, Jurisprudenz, Mathematik vor dem 19. Jh.? Ich würde bei denen nicht von
Allenfalls von Protowissenschaften.
sprechen.
Sie sind keine Naturwissenschaften, aber offenbar älter als diese.

Nebenbei:
Es waren aber naturwissenschaftliche Theorien, die zum Clash zwischen Wissenschaft und Religion geführt haben. Mit Philosophie (auch atheistischer) kann Religion umgehen.
Hierzu wäre auf den heftigen Streit zwischen Kirche und Mathematik zu verweisen, welche speziell die Wahrscheinlichkeitsrechnung (Glücksspiel!) betraf.
 
wenn es um unser heutiges Wissenschaftsverständnis geht,
(ja, ich habe diesen Teilsatz aus seinem Kontext extrahiert: der Grund dafür ist die immanente Praesupposition "unser heutiges Wissenschaftsverständnis")
Was ist bzw meint das?
Meine Vermutung: einzig oder überwiegend die "exakten" Naturwissenschaft(en) seien damit gemeint. aber ich habe Zweifel daran, dass das zutrifft.
 
Hierzu wäre auf den heftigen Streit zwischen Kirche und Mathematik zu verweisen, welche speziell die Wahrscheinlichkeitsrechnung (Glücksspiel!) betraf.
Und wie große Wellen hat das geschlagen?
(ja, ich habe diesen Teilsatz aus seinem Kontext extrahiert: der Grund dafür ist die immanente Praesupposition "unser heutiges Wissenschaftsverständnis")
Was ist bzw meint das?
Meine Vermutung: einzig oder überwiegend die "exakten" Naturwissenschaft(en) seien damit gemeint. aber ich habe Zweifel daran, dass das zutrifft.
Da ich oben die "wissenschaftliche Methode" ansprach, und das letztendlich eine Übersetzung der "scientific method": Davon spreche ich va, ja.

Worauf willst du hinaus?

EDIT
Ich denke allerdings, dass die Naturwissenschaften bei der Entwicklung der Wissenschaften eine Vorreiterrolle einnahmen. Wie ElQ schrieb, ist es vor dem 19. Jh. schwierig, im Bereich der heutigen Sozial- & Geisteswissenschaften von "Wissenschaft" zu sprechen. Der Begriff selber (wie auch das englische "science") ist viel älter, geht mindestens bis ins Mittelalter zurück, wenn ich wiki glauben darf. Aber was damals getrieben wurde, hat heutiger akademischer Forschung nicht viel zu tun.

Die Mathematik mag da eine Ausnahme bilden, aber va, weil sie bei ihrer Methodik jegliche Verbindung zur Realität unterlässt (nicht in der Inspiration!).
 
Zuletzt bearbeitet:
Worauf willst du hinaus?
Ich bringe ein paar Zweifel an Statements wie (sinngemäß) "vor dem 19. Jh. nur Protowissenschaften" und (sinngemäß) "Wissenschaften erst seit ein paar Jahrhunderten" in die Diskussion.
Ein paar, die deutlich älter als ein paar Jahrhunderte sind, hab ich aufgezählt und ich bezweifle, dass "nur Naturwissenschaften zählen im heutigen Wissenschaftsverständnis" allgemeiner Konsens ist.

Der Zoff mit der Mathematik ist nicht so populär bei uns heute, deswegen aber nicht ungeschehen.
 
Das mag sein, wenn man die Geschichte der katholischen Kirche oder die großen, klassischen protestantischen Kirchen in Europa betrachtet. Ohne die Entwicklung einer wissenschaftlichen Welterklärung wäre ihre Macht aber nicht derart unterhöhlt worden, wie sie es ist.
Ich fürchte wir schreiben etwas aneinander vorbei:

Wenn ich von Macht religiöser Institutionen, in diesem Fall vor allem der katholischen Kirche rede, meine ich damit ein massives Ausmaß dezidiert institutioneller Macht.
Merkmale dessen wären unter anderem:

- Offene Konkurrenz mit den weltlichen Institutionen um politische Macht
- Die Abhängikeit weltlicher Akteure davon, dass die religiöse Institution ihre Person und/oder ihr Handeln legitimiert
- Eine eigene Gerichtbarkeit
- Die Kontrolle ausgedehnter von der weltlichen Macht nicht antastbaerer Territorien, in Funktion auch als deren weltlicher Oberherr.
- Eigene Streitkräfte (vergleiche, z.B. mit den geistlichen Ritterorden in Europa oder Mönchs-Kriegern im fernen Osten)
- Die Möglichkeit die Zugehörigkeit der Bewohner des Einflussbereiches dieser Institution auch gegen ihren Willen zur Mitgliedschaft zu zwingen und jeden, der versucht sich abseits zu stellen, tatsächlich drakonisch zu bestrafen.
- Die Möglichkeit Abweichler aus den eigenen Reihen, die andere Deutungen ins Spiel bringen effektiv Mundtod zu machen (oder schlimmeres)
- Die Möglichkeit die eigene Position in massive ökonomische Vorteile umzumünzen, die den stetigen Ausbau der Machtposition ermöglichen.

etc.

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Alles was sich unterhalb dieser Ebene befindet, wie tendenziell große Mitgliederzahlen, ein gewisses Gewicht bestimmter Gruppen in der regionalen Politik, ein gewisser sozialer Druck (der aber aus der Gemeinde, nicht der Insitution kommt) einem solchen Verein anzugehören, allerdings ohne dass es gleich bedrohliche Konsequenzen hätte, wenn sich dem jemand verweigert, sind Dinge, die für mich unter "Einfluss" oder "sozialer Bindekraft" laufen, aber nicht unter "Macht".


Und dafür das zu brechen, was ich tatsächlich unter "Macht" verstehe, waren jedenfalls in Europa nicht die Wissenschaften verantwortlich. Die waren dafür verantwortlich nach der Entmachtung der Kirchen ihren noch vorhandenen sozialen Einfluss weiter auszuhöhlen (hierfür kann man sinkende Mitgliederzahlen sicherlich als Indikator nehmen), aber das insgesamt ein niedrigschwelligerer Prozess als ein Kampf um institutionelle Macht in diesem Sinne.

Die Religionsgemeinschaften, die heute einen immer größeren Einfluss auf verschiedene Gesellschaften haben, haben das gleiche Problem. Die evangelikalen Glaubensgemeinschaften in den USA & anderswo, die großen Strömungen des Islam, aber auch die katholische Kirche in anderen Weltteilen*; oder auch die Mormonen oder (ultra-) orthodoxen Juden, wenn man es etwas kleiner haben will. Das sind die Glaubensgemeinschaften, die wachsen, die an Mitgliedern und Macht gewinnen, und nicht verlieren. Diese haben ihren Frieden mit der Wissenschaften noch lange nicht gemacht.

Der Gewinn von Mitgliedern, bedeutet noch lange keinen Gwinn von Macht im institutionellen Sinne.
Wie wird man Mitglied in einer Religionsgemeinschaft?
In dem meisten Fällen, in dem man dort hinein geboren, bzw. durch die eigenen Eltern da hingeschleppt wird, salopp gesagt.
Konversionen aus tatsächlicher Überzeugung sind demgegenüber meistens (außer wenn neue religiöse Gruppen gerade erst enstehen) relativ rare
Phänomene.
Wenn Religionsgemeinschaften, vor allem durch eine überdurchschnittliche Fortpflanzungsrate ihrer Mitglierder wachsen, bedeutet da mitunter nichts weiter, als dass sie durch Hinzukommen weiterer Karteileichen aufgbläht werden, nicht dass sie zwangsläufig auch mächtiger werden.
Es bedeutet nichtmal, dass sie zwangsläufig einflussreicher werden.

Die evangelikalen Glaubennsgemeinschaften oder die Mormonen in den USA, haben vielleicht lokalen geselslchaftlichen Einfluss, aber nicht annnähernd so etwas wie instiutionelle Macht, wie sie die katholische Kirche vor der Reformation einmal inne hatte.
Die haben sie nie besessen und werden sie nie besitzen.
Die großen Strömungen des Islam haben zum Teil eine vergleichbare Macht, wie sie die Katholische Kirche einmal hatte.
Im überwiegenden Teil der islamischen Welt gelten Rechtssysteme, die sich aus der religiösen Überlieferung herleiten, in weiten Teilen dieser Länder bekommen Personen, die versuchen sich von der entsprechenden Religion loszusagen Probleme, die weit darüber, dass vielleicht die Nachbarn die Nase darüber rümpfen hinausgehen.
Daran hat Wissenschaft nichts geändert, obwohl das Konzept auch in dieser Weltregion schon länger bekannnt ist.

Schaut man sich den fernen Osten an, ist da teilweise nicht zu erkennen, dass Wissenschaft den sozialen Einflusss von Religionsgemeinschaften oder Institutionen, wenngleich sie keine Inhaber institutioneller Macht im oben besschreibenen Sinne sind, irgendwie schmählern würde.
Ein großteil der Bevölkerung Japans scheint kein Problem damit zu haben in einer extrem von Wissenschaft beinflussten gesellschaft zu leben und trotzdem Buddhistischen und/oder Shinto-Traditionen und Gemeinschaften anzugehören (gut, mag daran liegen, dass die inhaltlich anders aufgestellt sind und gegenüber Wissenschaften weniger angreifbar sind und nicht auf Absolutheit eigener Lehren bstehen, jedenfalls die Meisten nicht).

Andererseits, verdient in einem Faden, wo es um die Beziehung zwischen Wissenschaft und Religion geht, viellicht auch das einmal betrachtet zu werden, auch wenn es vielleicht nicht das erste ist, woran man in diesen Breitengraden bei diesem Thema denken mag.

BTW, die Botanik ist auch Biologie, und für Pflanzen gilt die Evolutionstheorie ebenso.
Das ist doch aber aus kirchlicher Sicht kein Problem.
Das es Evolution gibt und sich Lebensformen weiterentwickeln steht doch mit der religiösen Vorstellung einer ursprünglichen Schöpfung nicht im direkten Widerspruch.
Aus religiöser Perspektive könnte man argumentieren Evolution an sich, sei lediglich der Beweis dafür, dass der Akt der Schöpfung nicht vollständig abgeschlossen, sondern gewissermaßen work in progress sei, und Mutationen, Gendrift usw. lediglich die Werkzeuge.

Was demgegenüber ein Problem darstellt, ist die postulierte vom Tierreich unabhängige Schöpfung des Menschen nach göttlichem Ebenbild.
Das bekommt man natürlich mit der Evolution nicht zusammen.
Die evolutionäre Weiterentwicklung von Plannzen, scheint mir demgegenüber kein Problem zu sein.
 
Ich fürchte wir schreiben etwas aneinander vorbei:

Wenn ich von Macht religiöser Institutionen, in diesem Fall vor allem der katholischen Kirche rede, meine ich damit ein massives Ausmaß dezidiert institutioneller Macht.
Okay, der Machtbegriff ist mir zu eingeschränkt. Die Evangelikalen in den USA haben mE Macht (zB bei Präsidentschaftswahlen), auch wenn dies keine institutionelle Macht ist; ebenso die katholische Kirche, auch wenn das (zum Glück) nicht mehr mit dem Mittelalter vergleichbar ist. Aber da wir dann im Prinzip bei moderner Politik sind, belassen wir es besser dabei. Danke zumindest für die Klärung.
 
Schaut man sich den fernen Osten an, ist da teilweise nicht zu erkennen, dass Wissenschaft den sozialen Einflusss von Religionsgemeinschaften oder Institutionen, wenngleich sie keine Inhaber institutioneller Macht im oben besschreibenen Sinne sind, irgendwie schmählern würde.
Ein großteil der Bevölkerung Japans scheint kein Problem damit zu haben in einer extrem von Wissenschaft beinflussten gesellschaft zu leben und trotzdem Buddhistischen und/oder Shinto-Traditionen und Gemeinschaften anzugehören (gut, mag daran liegen, dass die inhaltlich anders aufgestellt sind und gegenüber Wissenschaften weniger angreifbar sind und nicht auf Absolutheit eigener Lehren bstehen, jedenfalls die Meisten nicht).
Dazu möchte ich allerdings darauf hinweisen, dass die (aus unserer Sicht) sagenhafte Frühgeschichte Japans und des (bis heute bestehenden) Kaiserhauses eng mit dem Shintoismus verbunden ist. Immerhin soll der erste Kaiser, Jimmu Tenno, göttlicher Abstammung gewesen sein.
Mit dem archäologischen Befund und den (spärlichen) außerjapanischen Schriftquellen ist diese überlieferte „Frühgeschichte“ allerdings nicht vereinbar, auch die Historizität Jimmus sehr fraglich.
Somit ergibt sich hier schon ein gewisses potentielles Spannungsfeld zwischen Religion und Wissenschaft. Wie Shintoisten damit umgehen, weiß ich nicht.
 
Schaut man sich den fernen Osten an, ist da teilweise nicht zu erkennen, dass Wissenschaft den sozialen Einflusss von Religionsgemeinschaften oder Institutionen, wenngleich sie keine Inhaber institutioneller Macht im oben besschreibenen Sinne sind, irgendwie schmählern würde.
Ein großteil der Bevölkerung Japans scheint kein Problem damit zu haben in einer extrem von Wissenschaft beinflussten gesellschaft zu leben und trotzdem Buddhistischen und/oder Shinto-Traditionen und Gemeinschaften anzugehören (gut, mag daran liegen, dass die inhaltlich anders aufgestellt sind und gegenüber Wissenschaften weniger angreifbar sind und nicht auf Absolutheit eigener Lehren bstehen, jedenfalls die Meisten nicht).
Ja, Ostasien ist in der Hinsicht interessant (und evtl noch andere Weltgegenden, von denen ich zuwenig Ahnung habe, um das zu erkennen). Da verweise ich auf meinen Beitrag aus einem anderen thread, den ich oben verlinkt habe.

Viele Japaner betrachten sich übrigens als Shintoisten, Buddhisten oder beides, und nehmen an entsprechenden Ritualen teil, ohne das als religiös einzuordnen.

Wie das in China ist, ist auch spannend, obwohl ich da noch weniger drin stecke (die japanische Geschichte & Gesellschaft kenn ich zumindest ein wenig, die chinesische kaum). Da müsste man (auch) erst mal klären, ob der Konfuzianismus überhaupt eine Religion ist.

Dazu möchte ich allerdings darauf hinweisen, dass die (aus unserer Sicht) sagenhafte Frühgeschichte Japans und des (bis heute bestehenden) Kaiserhauses eng mit dem Shintoismus verbunden ist. Immerhin soll der erste Kaiser, Jimmu Tenno, göttlicher Abstammung gewesen sein.
Mit dem archäologischen Befund und den (spärlichen) außerjapanischen Schriftquellen ist diese überlieferte „Frühgeschichte“ allerdings nicht vereinbar, auch die Historizität Jimmus sehr fraglich.
Somit ergibt sich hier schon ein gewisses potentielles Spannungsfeld zwischen Religion und Wissenschaft. Wie Shintoisten damit umgehen, weiß ich nicht.
Die haben (dank zweier Atombomben...) akzeptiert, dass der Tenno keinen göttlichen Staus genießt, sondern "nur" der oberste Priester des Shintoismus ist, und Symbol der Nation etc pp. Gleiches gilt (glaub ich), wenn es um die ersten Tennos geht, die heute als mythisch angesehen werden; also die vor der Yamato-Zeit.

Ich denk aber, es wäre für viele Japaner nicht leicht zu schlucken, wenn Wissenschaft nachweisen würde, dass das mit der ältesten Dynastie der Welt nicht stimmt (dazu reichen auch die historisch fassbaren Tennos locker aus).
 
Philosophie, Theologie, Jurisprudenz, Mathematik

Ich bringe ein paar Zweifel an Statements wie (sinngemäß) "vor dem 19. Jh. nur Protowissenschaften" und (sinngemäß) "Wissenschaften erst seit ein paar Jahrhunderten" in die Diskussion.
Ein paar, die deutlich älter als ein paar Jahrhunderte sind, hab ich aufgezählt und ich bezweifle, dass "nur Naturwissenschaften zählen im heutigen Wissenschaftsverständnis" allgemeiner Konsens ist.
Ich sag nicht, dass nur Naturwissenschaften heute Wissenschaften sind, aber sie waren der Vorreiter bei der Entwicklung von Methodiken, die heute grundlegend sind für das Verständnis, was Wissenschaften sind und sein sollen; ganz davon abgesehen, dass sie die Grundlage für die Veränderungen sind, die die heutige Welt geschaffen haben.

Theologie und Juristik arbeiten sich an Vorstellungen ab, die von Menschen geschaffen wurden. Sie können damit schwerlich neue, bisher unbekannte Erkenntisse liefern. Mathematik kann das, aber diese Erkenntnisse können letztendlich für alles mögliche verwendet werden, da sie nie etwas konkrestes über die reale Welt sagen. Astronomie und Astrologie nutzen Mathematik, ebenso Chemie und Alchemie.

Und von Philosophie (zumindest moderner) versteh ich zuwenig, aber in der Vergangenheit haben Philosophen so ziemlich alles begründet und verworfen, für richtig oder falsch befunden; hab ich kein besonderes Vertrauen zu (und mir im Grunde ist sie mir unsympathisch, zugegeben...).

Menschen haben seit Urzeiten versucht, "Wissen zu schaffen", also die Welt möglichst objektiv zu beschreiben, klar. Aber die meiste Zeit über sind sie dabei ziemlich wirr vorgegangen, und belastbare neue Erkenntnisse, wie die Welt funktioniert, waren eher zufällig richtig, und meistens lagen sie falsch. Da ist die Wissenschaft der Neuzeit, und besonders die Naturwissenschaften, schlicht um Längen erfolgreicher, und das liegt an Methodiken, die es so früher einfach nicht gab.
 
Also: In manchen Bereichen (Sezierverbot) kann Religion tatsächlich wissenschaftfeindlich sein. Aber ist sie nicht in anderen Kontexten wissenschaftsfördernd? Was ist z.B. mit der Mathematik (Architektur)? Kann man sich die Gotik ohne Wissenschaft vorstellen?

Kann man denn überhaupt das Sezierverbot mit einer unterstellten Wissenschaftsfeindlichkeit in Verbindung bringen? Waren Sezierverbote und Bedenken im Zusammenhang mit Sektionen wirklich als Wissenschaftsfeindlichkeit zu interpretieren? Oder waren Verbote und Bedenken eher auf die Störung der Totenruhe zurückzuführen oder auf das Gebot, als Kleriker kein Blut vergießen zu dürfen?

Das sind keine rhetorischen Fragen, intensiv habe ich mich nie amit beschäftigt, und wenn ich frage, dann weil ich es nicht genau weiß.


Zum Thema Förderung von Wissen und Wissenschaft durch Religion fiel mir ein, dass es im Judentum in der frühen Neuzeit zumindest unter Männern so gut wie keinen Analphabetismus gab, da jeder Junge in der Lage sein musste, aus der Thora lesen zu können.
 
Kann man denn überhaupt das Sezierverbot mit einer unterstellten Wissenschaftsfeindlichkeit in Verbindung bringen? Waren Sezierverbote und Bedenken im Zusammenhang mit Sektionen wirklich als Wissenschaftsfeindlichkeit zu interpretieren? Oder waren Verbote und Bedenken eher auf die Störung der Totenruhe zurückzuführen oder auf das Gebot, als Kleriker kein Blut vergießen zu dürfen?

Das sind keine rhetorischen Fragen, intensiv habe ich mich nie amit beschäftigt, und wenn ich frage, dann weil ich es nicht genau weiß.


Zum Thema Förderung von Wissen und Wissenschaft durch Religion fiel mir ein, dass es im Judentum in der frühen Neuzeit zumindest unter Männern so gut wie keinen Analphabetismus gab, da jeder Junge in der Lage sein musste, aus der Thora lesen zu können.
Wie gesagt, das Sezierverbot scheint ja in der Form nie bestanden zu haben, wie oft kolportiert. Ich würde das Verbot auch nicht als in der Motivation wissenschaftsfeindlich begriffen haben als vielmehr in der Wirkung.
 
@Scorpio
Wurden nicht in der Praxis sowieso meist Leichen von verurteilten Verbrechern, Selbstmördern und gefallenen Feinden seziert?
 
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