Religion und Wissenschaft

El Quijote

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Es wird oft behauptet, dass Religion und Wissenschaft (meist ist mit Religion die christliche gemeint) sich widersprächen, weil die Religion wissenschaftsfeindlich sei. Dafür wird man Beispiele finden, etwa bei Evangelikalen, die keine Ambiguität zulassen oder bei dem Verbot Menschen zu sezieren.
Nun kann man das Verbot, Menschen zu sezieren leicht erklären: Es ging um die Auferstehung des Leibes. Gleichzeitig könnte man als christlicher forensischer Pathologe die Verbietenden des Sezierens als Kleingläubige zichtigen, schließlich ist a) Gott nach christlicher Vorstellung allmächtig und b) ist die biblische Überlieferungsfrage in der Auferstehungsfrage durchaus ambig. Da gibt es die Stelle bei Henoch(?) wo gesagt wird, dass neues Fleisch die bleichenden Knochen umschlösse, aber auch die Stelle "Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück." Insofern sollte ein gläubiger forensischer Pathologe jedem Verhinderer entgegen werfen können, dass nicht er sondern dieser kleingläubig sei.

Also: In manchen Bereichen (Sezierverbot) kann Religion tatsächlich wissenschaftfeindlich sein. Aber ist sie nicht in anderen Kontexten wissenschaftsfördernd? Was ist z.B. mit der Mathematik (Architektur)? Kann man sich die Gotik ohne Wissenschaft vorstellen?
 
Nun kann man das Verbot, Menschen zu sezieren leicht erklären: Es ging um die Auferstehung des Leibes.

Das ist doch keine "Erklärung".
Von Anfang an glaubten die Christen an die Auferstehtung der geköpften, verbrannten usw. Märtyrer. Ich habe hier im Forum schon mehrfach Augustinus zitiert, der ein besonders drastisches Beispiel bemüht, um darzulegen, dass auch eine völlige Verstümmelung oder gar Vernichtung der sterblichen Überreste "in keiner Weise die christliche Glückseligkeit der Toten mindern würde" und dass "der Glaube an die Auferstehung auch vor der völligen Vernichtung der Leichen kein Grausen empfinden" sollte.

"In Gallien wurden die Leichen der Märtyrer den Hunden zum Fraße vorgeworfen; was die Hunde übrigließen, wurde zusammen mit den Gebeinen der Toten bis zum letzten Teilchen verbrannt und die Asche in die Fluten der Rhône gestreut, damit auch nicht das Geringste, das an die Märtyrer erinnern könnte, übrigbliebe."
(Übersetzung Gabriel Schlachter, in: Aurelius Augustinus, Die Sorge für die Toten, Würzburg 1975)

Es wurde auch schon mehrfach erwähnt, dass zwecks Verbreitung von Reliquien die sterblichen Überreste von Märtyrern mit Absicht zerschnippelt wurden.

Und ich hatte auch schon erwähnt, dass es sich beim angeblichen kirchlichen Sektionsverbot um einen Mythos handelt. Erfunden wurde er im späten 19. Jahrhundert.

Als Alternative kann ich das Buch "Galileo Goes to Jail and Other Myths about Science and Religion" (Hrsg. Ronald L. Numbers, Harvard University Press 2009) empfehlen, in dem 25 Wissenschaftler (schwerpunktmäßig Wissenschaftshistoriker) Essays zu 25 Mythen beisteuern, allerdings thematisch eingeschränkt auf Mythen, die das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Religion betreffen. Einige der Mythen lauten:- That the Rise of Christianity Was Responsible for the Demise of Ancient Science
- That the Medieval Christian Church Suppressed the Growth of Science
- That Medieval Christians Taught That the Earth Was Flat
- That Christianity Gave Birth to Modern Science*
- That the Theory of Organic Evolution Is Based on Circular Reasoning
- That “Intelligent Design” Represents a Scientific Challenge to Evolution

zumal es da auch keine Pathologie, also Aufschneiden der Leichen, gab, weil von der Kirche verboten.

Auch dieser Mythos wird in dem Buch behandelt: "Myth 5 - That the Medieval Church Prohibited Human Dissection" (Autorin: Katharine Park)


"The myth of church prohibition of human dissection is as strong now as when it was first invented by White in the late nineteenth century, although its focus has shifted in interesting ways. For one thing, the heroic figures presented as braving the putative prohibition are more likely now to be artists rather than scientists, as in White’s version; Italian tour guides regularly regale visitors to Florence and Milan with stories about Leonardo’s anatomical researches in church basements with secret exits and his invention of mirror writing to hide his results. In fact, Leonardo, like Vesalius (and Servetus), never got into trouble for practicing human dissection, though his difficulty in obtaining corpses forced him to rely largely on animal cadavers. This difficulty related not to religious restrictions, however, but to the fact that he was an artist, with no medical training and no institutional credentials to legitimize his work."
 
Hm.... Faktoide wollte ich natürlich nicht weiterverbreiten. Ich bin selbst darauf hineingefallen.
 
Trotzdem taugt der Faden als Ausgangsbasis für eine (jedenfalls in meinen Augen) interessante Überlegung: Ist eine Religion bereits dann wissenschaftsfeindlich, wenn sie nur bestimmte Forschungsmethoden oder -gebiete verbietet, alle anderen aber toleriert oder unterstützt?

Geht man mit dem Telos des Grundsatzes der Wissenschaftsfreiheit unserer Verfassung, könnte man die Frage bejahen; Forschung und Lehre sind frei und müssen frei sein, der parlamentarische Rat sah dies als unabdingbare Voraussetzung für eine freie und humane Gesellschaft.

Andererseits könnten praktische Erwägungen auch für eine Verneinung sprechen, oder zumindest den Versuch der Abstufung.

Denn gäbe es nur Wissenschaftsfreunde und -feinde ohne jegliche Nuancen, dann bestünde kein intellektueller und moralischer Unterschied zwischen dem Salafisten, der jede Wissenschaft verbieten will, und dem orthodoxen Katholiken, der sich nur an bestimmten Praktiken (z.B. Experimente an embryonalen Stammzellen) ausspricht. Und eine solche Gleichsetzung wäre ganz offensichtlich großer Quatsch.
 
Denn gäbe es nur Wissenschaftsfreunde und -feinde ohne jegliche Nuancen, dann bestünde kein intellektueller und moralischer Unterschied zwischen dem Salafisten, der jede Wissenschaft verbieten will, und dem orthodoxen Katholiken, der sich nur an bestimmten Praktiken (z.B. Experimente an embryonalen Stammzellen) ausspricht. Und eine solche Gleichsetzung wäre ganz offensichtlich großer Quatsch.
So gesehen ist natürlich die Frage, ob es wissenschaftsfeindlich ist, wenn man die Befürchtung hegt, dass mit vermeintlichem wissenschaftlicher Fortschritt (etwa in der Gentechnik, bei Nuklearwaffen etc.) die Büchse der Pandora geöffnet wird.
 
Zur Beantwortung dieser Frage könnte auf den Vorsatz des Kritikers abgestellt werden. Ich schreibe bewusst nicht: auf die Begründung der Kritik, weil diese selten eindimensional ist und man ohnehin erst fragen müsste, welches Motiv für den Kritiker ausschlaggebend ist.

Die Kirche lehnt z.B. genetische Experimente am Menschen unter Verweis auf christliche Dogmen UND auf moralische Bedenken ab, zu denen auch Nicht-Gläubige einen Zugang finden: Nähe zur verwerflichen Eugenik, die Gefahr, dass autoritäre Staaten ihnen genehme Menschen erschaffen, der mögliche Empathieverlust gegenüber Behinderten, und so weiter. Ersteres könnte man als wissenschaftsfeindlich bezeichnen, Letzteres eher nicht.
 
"Auferstehung des Leibes": Seit wann wissen Menschen, das Leichen innerhalb eines überschaubaren Zeitraums verwesen, sehr spezielle Umstände wie Mumifizierung mal ausgenommen? (Und wenn man das vorsätzlich betreibt, muss man die auch sezieren...)

"Wissenschaft": Wissenschaft ist ein neuzeitliches Konzept, und der Zusammenhang zur Religion (oder zumindest zum Christentum) wird ja in einem anderen Thread ausufernd debattiert. Was Menschen davor intelektuell geleistet haben ist zum Teil äußerst bewundernswert (und zum Teil ziemlich albern...), aber es ist keine Wissenschaft im heutigen Sinne. Religionen können also erst seit ein paar hundert Jahren "wissenschaftsfeindlich" sein; davor gab es nichts anzufeinden.

EDIT
Hatte hier mal was zum Zusammenhang zwischen Wissenschaft und Christentum (bzw Monotheismus) geschrieben:

 
Zuletzt bearbeitet:
Dann sollte den Menschen danach ja klar gewesen sein, dass das mit der (wörtlichen) Auferstehung des Leibes eh nichts wird... ;)
 
So steht es auch in einem sehr frühen christlichen Text:

"So ist es auch mit der Auferstehung der Toten. Was gesät wird, ist verweslich, was auferweckt wird, unverweslich. Was gesät wird, ist armselig, was auferweckt wird, herrlich. Was gesät wird, ist schwach, was auferweckt wird, ist stark. Gesät wird ein irdischer Leib, auferweckt ein überirdischer Leib. Wenn es einen irdischen Leib gibt, gibt es auch einen überirdischen." (Paulus, 1. Brief an die Korinther, ca. 55 n. Chr.)
 
Es wird oft behauptet, dass Religion und Wissenschaft (meist ist mit Religion die christliche gemeint) sich widersprächen, weil die Religion wissenschaftsfeindlich sei.

Das halte ich in dieser Absolutheit für vollkommen indiskutabel.
Religionen stehen vielleicht Disziplinen der Wissenschaften, die Schnittmengen mit ihren Dogmen haben und hier den religiösen Lehren wiedersprechen, in Teilen feindlich gegenüber.

Ich kann mir aber schwerlich vorstellen, dass Religionen irgendwas gegen wissenschaftlichen Fortschritt auf Gebieten, wie meinetwegen der Botanik, der Geographie, der Zoologie, Mineralogie, Linguistik etc. (was zweifelsfrei Wissenschaften sind) haben.

Im Gegenteil solchen Disziplinen dürften (um im Christentum zu bleiben) die Kirchen von jeher grundsätzlich positiv gegenübergestanden haben und zwar in unveränderter Weise.
Die Erforschung fremder Sprachen z.B. war doch letztendlich sogar für das Missionswerk essentiell wichtig. Naturwissenschaftliche Ansätze, die bei der Verbesserung eigener Ländereien nützlich waren, dürften den Kirchen als Großgrundbesitzer auch regelmäßig sehr willkommen gewesen sein, etc.

Trotzdem taugt der Faden als Ausgangsbasis für eine (jedenfalls in meinen Augen) interessante Überlegung: Ist eine Religion bereits dann wissenschaftsfeindlich, wenn sie nur bestimmte Forschungsmethoden oder -gebiete verbietet, alle anderen aber toleriert oder unterstützt?

In meinen Augen nein, weil die Unterstellung genereller Wissenschaftsfeindlichkeit der Religionen (oder religiösen Institutionen) eine Globale ist, die sich im Postulat nicht auf bestimmte Disziplinen und Teilbereiche einschränkt.

Geht man mit dem Telos des Grundsatzes der Wissenschaftsfreiheit unserer Verfassung, könnte man die Frage bejahen; Forschung und Lehre sind frei und müssen frei sein, der parlamentarische Rat sah dies als unabdingbare Voraussetzung für eine freie und humane Gesellschaft.
Nun wäre es freilich anachronistisch den Klerikern des Mittlalters und der frühen Neuzeit, denen der Vorwurf ja in aller Regel gilt, unsere Verfassung vorzuhalten und sie an deren Grunsätzen messen zu wollen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Da gibt es die Stelle bei Henoch(?) wo gesagt wird, dass neues Fleisch die bleichenden Knochen umschlösse, aber auch die Stelle "Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück."

"Auferstehung des Leibes": Seit wann wissen Menschen, das Leichen innerhalb eines überschaubaren Zeitraums verwesen, sehr spezielle Umstände wie Mumifizierung mal ausgenommen? (Und wenn man das vorsätzlich betreibt, muss man die auch sezieren...)
Spätestens seit dem frühen Paläolithikum.
Dann sollte den Menschen danach ja klar gewesen sein, dass das mit der (wörtlichen) Auferstehung des Leibes eh nichts wird... ;)

So steht es auch in einem sehr frühen christlichen Text:
Es war nicht Henoch, sondern Ezechiel (auch Hesekiel):

Die Hand des HERRN kam über mich, und der Geist des HERRN führte mich hinaus und trug mich in ein Tal, das mit Totengebeinen angefüllt war. 2 Er führte mich an ihnen vorbei. Sehr viele Knochen bedeckten dort den Boden des Tals, und sie waren völlig vertrocknet. 3 Dann fragte er mich: »Menschenkind, können diese Gebeine wieder lebendig werden?« »O HERR, mein Gott«, antwortete ich, »das weißt nur du.« 4 Da sagte er zu mir: »Weissage über diese Gebeine und sag zu ihnen: ›Ihr gebleichten Knochen, hört das Wort des HERRN! 5 So spricht Gott, der HERR, zu diesen Knochen: Seht! Ich werde euch Atem einhauchen und euch wieder lebendig machen! 6 Ich gebe euch Sehnen, lasse Fleisch an euch wachsen und überziehe euch mit Haut. Ich hauche euch Atem ein und mache euch wieder lebendig. Dann werdet ihr erkennen, dass ich der HERR bin.‹« 7 Ich weissagte, wie er es mir befohlen hatte. Und noch während ich redete, hörte ich plötzlich ein lautes Geräusch und die Knochen rückten zusammen und verbanden sich miteinander. 8 Und dann bildeten sich vor meinen Augen Sehnen und Fleisch auf den Knochen. Schließlich wurden sie von Haut überzogen, aber sie hatten noch keinen Atem in sich. 9 Da sagte er zu mir: »Weissage über den Atem, weissage, Menschenkind, und sag zu dem Atem: ›So spricht Gott, der HERR: Komm, o Atem, aus den vier Winden! Hauche diese Erschlagenen an, damit sie wieder lebendig werden.‹« 10 Ich weissagte, wie er es mir befohlen hatte, und der Atem fuhr in sie hinein und sie wurden lebendig. Sie standen auf, und es war eine riesige Menschenmenge. 11 Dann sagte er zu mir: »Menschenkind, diese Gebeine sind das gesamte Volk der Israeliten. Sie sagen: ›Unsere Knochen sind vertrocknet, für uns gibt es keine Hoffnung mehr, es ist zu Ende mit uns.‹ 12 Deshalb weissage und sag zu ihnen: ›So spricht Gott, der HERR: Seht, ich öffne eure Gräber; ich lasse euch als mein Volk aus euren Gräbern steigen und bringe euch nach Israel zurück.

Ich bin auf die Stelle gekommen, weil @Hiltibold vor Jahren mal Carsten-Peter Thiede hier vorschlug. Thiede war ein anglikanischer Theologe, der angeblich Bücher zum historischen Jesus schrieb, in denen auch einige kluge Sachen standen, nur dass Thiede ein Evangelikaler war, der zwar durchaus archäologisch und historisch interessante und lesbare Hinweise gab, sobald es aber um Glaubensdinge ging immer seine "geschichtswissenschaftliche" Arbeitsweise betonte. Thiede erklärte die Emmaus-Geschichte, dass die Jünger den auferstandenen Jesus nicht erkannten oder Maria Magdalena ihn für den Gärtner hielt, mit eben dieser Ezechiel-Stelle. Daher kenne ich diese Stelle.

Für unsere Diskussion hier ist sie halt insofern interessant, als dass die Bibel einen Text bot, der eben die Auferstehung des Leibes nach bereits erfolgter Verwesung möglich erscheinen ließ
 
Wenn der Herr Fleisch und Haut neu schaffen kann, sollte doch auch ein bischen Herumgeschnippel kein unüberwindliches Problem darstellen...

Religionen stehen vielleicht Disziplinen der Wissenschaften, die Schnittmengen mit ihren Dogmen haben und hier den religiösen Lehren wiedersprechen, in Teilen feindlich gegenüber.

Ich kann mir aber schwerlich vorstellen, dass Religionen irgendwas gegen wissenschaftlichen Fortschritt auf Gebieten, wie meinetwegen der Botanik, der Geographie, der Zoologie, Mineralogie, Linguistik etc. (was zweifelsfrei Wissenschaften sind) haben.
Wenn Zoologie oder Botanik soweit sind, die Schöpfungsgeschichte überflüssig zu machen (=>Darwin), hat entweder die Religion oder die Wissenschaft ein Problem. Wenn Mineralogie herausfindet, dass das Alter der Erde nach Milliarden, und nicht nach ein paar tausend Jahren zu bemessen ist, ebenso. Wenn die Geographie der Südhalbkugel von Menschen bevölkerte Länder und Kontinente ausmacht, und nicht die unbewohnbaren Antipoden oder entlose Wasserfläche, wie es die Kirche lehrte, dito. Und wenn Linguisten die gleichen Geschichten wie in der Bibel in irgendwelchen Keilschrifttafeln finden, nur weit älter...

Religionen (oder zumindest die monotheistischen) setzen den Menschen ins Zentrum des Universums; wenn auch nicht mehr wortwörtlich, so doch ideologisch. Die Naturwissenschaft lehrt, dass wir ein Produkt eines ungelenkten Prozesses sind, und uns mehr oder minder zufällig entwickelt haben, auf einem Planeten von Trilliarden, der weit draußen in den unerforschten Einöden eines total aus der Mode gekommenen Ausläufers des westlichen Spiralarms der Galaxis eine kleine gelbe Sonne umkreist (frei nach Douglas Adams).

Wissenschaft ist eine Methode, neues Wissen unabhängig von religiösen Schriften zu erlangen, und das gefällt allzu oft denen nicht, die ihr Bildungsmonopol und damit ihre Autorität aus der Interpretationen dieser Schriften herleiten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Es ist wohl vor allem die wörtliche Auslegung der heiligen Schrift, die die Religion mit der Wissenschaft in Konflikt bringt. Die großen christlichen Kirchen bemühen sich heute, diesen Konflikt durch eine freiere Auslegung der Bibel abzufedern. Amüsanterweise hat z.B. Christopher Hitchens genau dies den Kirchen zum Vorwurf gemacht, sie hätten sich zum Zwecke des Machterhalts ihrer Glaubwürdigkeit beraubt – so wetterte er, der Religion ohnehin für Humbug hielt. Dabei wäre die Geschichte vielleicht anders verlaufen, wenn die Kirchen früher proaktiv gehandelt und sich auf eine teleologische Bibelexegese verlegt hätten, anstatt auf den Wortlaut zu beharren.
 
Wissenschaft ist eine Methode, neues Wissen unabhängig von religiösen Schriften zu erlangen, und das gefällt allzu oft denen nicht, die ihr Bildungsmonopol und damit ihre Autorität aus der Interpretationen dieser Schriften herleiten.
Das hängt die Bedeutung von Wissenschaft für den historischen Prozess, was den Einfluss der Kirchen angeht, meines Erachtens nach deutlich zu hoch.

Das ist einer der Streitpunkte, die ich an anderer Stelle mit Dion habe.
Die Vorstellung Wissenschaft habe das Bildungsmonopol der Kirchen und damit ihre Macht gebrochen, geht nach meiner Auffassung deswegen fehl, weil die Macht der Kirchen, als die Wissenschaften anfingen sich herauszubilden bereits in die Binsen gegangen war.

Die Kirche ist nicht an Wissenschaft gescheitert, sondern an ihren eigenen inneren Widersprüchen.

Es benötigte überhaupt keine wissenschaftlichen Beweise, das verschiedene Lehren der Kirchen oder Postulate der Bibel nicht stimmen konnten, es reichte ja bereits die sich widersprechenden Teile der Bibel aus der Feder verschiedener Autoren nebeneinander zu legen um zu beweisen, dass sich daraus keine eindeutigen Lehren ableiten lassen, weil die Bibel einmal kein Werk aus einem Guss ist.
Um an diversen Postulaten und Auslegungen der Krichen erhebliche Zweifel anzumelden, musste man nicht wissen, wie die Südhalbkugel der Erde beschaffen ist und ob die Erde den Mittelpunkt des Universums bildet oder nicht, da reichte es lesen zu können und die Bibel in der jeweiligen Landessprache verfügbar zu haben.

Als das passierte, löste sich die Macht der katholischen Kirche qua Reformation in Norden Europas weitgehend auf und auch im Süden musste mit dem Trienter Konzil einiges an Zugständnissen, wie z.B. das Ende der Ablasspraxis gemacht werden (was ja nicht nur ein rein weltlicher Akt war, sondern auch bedeutete, die theologische Lehre, die das gerechtfertigt hatte, zu verwerfen).


In dem Moment hatte die katholische Kirche aber doch eingestanden zuvor Irrlehren angehangen zu haben, womit sie sich realistischer Weise Dispute über ihre sonstigen Lehren nicht mehr einfach verbitten und diese vom Tisch wischen konnte.
Und damit war Machat qua nicht anfechtbarem Bildungsmonopol beendet.


Insofern sich die Kirche längst grundsätzlicheren Debattenn über ihre Lehren nicht mehr verschließen konnte waren damit Randthemen, wie das exakte alter der Erde Probleme von untergeordneter Bedeutung.
Und mir wäre auch nicht bekannt, dass die katholische Kirche oder die lutherischen Landeskirchen aus dieser Frage jemals eine ernsthafte Auseinandersetzung gemacht hätten.
Für die war der Schöpfungsakt an und für sich das Entscheidende, nicht ob er kurz vor oder kurz nach zwölf stattgefunden hat, in Diskussionen darein, ob die Bibel mit solchen deatil richtig liegt konnte man ohnehin nicht guten Gewissens mit der Haltung einsteigen alles anderslautende vom Tisch wischen zu wollen, zumal nicht mal kar ist, ob das angegebene Alter überhhaupt wörtlich zu nehmen ist, oder einfach einen sehr langen Zeitraum andeuten sollte.
Für irgendwelche Sekten, in den USA mag das ja ein Problem sein, aber die Hauptströmungen des europäischen Christentums haben das nie zu einer Kernauseinandersetzung gemacht.

Zoologie, da hast du insofern recht, konnte ein Problem sein, wenn das in Forschung auch die Evolution des Menschen betrifft, weil das natürlich elementar an der Schöpfungserzählung rüttelt, was für die Kirchen einen Kernkonflit darstellen muss.
Die meisten Zweige der Zoologie haben sich damit aber doch nie befasst und das eigentliche Hauptbetätigungsfeld, das Beschreiben und Erforschen von Tieren, ließ lässt sich aus religiöser Sicht einfach als der Vrsuch deuten die göttliche Schöpfung in ihrem ganzen Umfang zu erfassen und bekannt zu machen.
Das konnte aus religiöser Sicht kaum etwas schlechtes sein.

Botanik und Linguistik würden wenn überhaupt nur mit der Frage des Alters der Erde über Kreuz liegen, was ein ein absolutes Randthema ist und je nachdem, ob man die Bibel hier wörtlich auslegen oder das ganze metphorisch aus Ausdruck für einen sehr langen Zeitraum betrachten möchte, gibt es da nichtmal ein Problem.
Demgegenüber waren aus religiöser Sicht Kenntnisse über fremde Sprachen um Missionieren zu können, verbesserte landwirschaftliche Anbaumethoden, die die Versorgung verbesser konnten, Beschreibung von Pflanzen mit Eigensschaften, die sich in Heilkunde/Medizin verwenden ließen etc. doch nichts schlechtes, was man bekämpft hätte.

In Sachen Geographie sehe ich auch nicht das große Glaubwürdigkeitproblem der Kirche. Die Vorstellung wie die Südhalbkugel aussähe, berührt doch keine christlichen Kernlehren, da musste im Zuge der Reformationszeit von kirchlicher Seite ganz anderes mit wesentlich mehr Problempotential revidiert werden.
Dafür waren geographische Kenntnisse aber für die Missionsarbeit wichtig.
Mal davon abgesehen, dass man wenn man Fünfe gerade sein lässt durchaus behaupten könnte, das die krichliche Meinung (wenn auch zufällig) so weit neben den Tatsachen gar nicht lag.

"Antipoden" zu den Landmassen der Nordhalbkugel gibt es mit der Antarktis und Australien ja durchaus, nur dass letzteres nicht gänzlich sondern nur in weiten Teilen unbewohnt war, bzw. die Population dort dermaßen dünn war, dass man auch das als methaphorische Tendenz auslegen könnte.
Mit der Vorstellung riesiger Wassermassen, lag die Kriche (natürlich ebenfalls zufällig) auch nicht so ganz weit daneben, wenn man bedenkt, dass der weitaus größte Teil der Landmassen der Erde auf der Nordhalbkugel liegt.


Eigentlich alles keine wirklichen Kernkonflikte bis auf bestimmte Bereiche der Zoologie, da gebe ich dir recht, nur lässt sich eine Ablehnung gegen dieses Fach auch nur dann begründen, wenn man es als Gessamtheit betrachtet und damit die für die Kirche problematischen Teildisziplinen mit den Unproblematischen in einen Topf wirft.

Dagegen, dass sich Zoologen der Beschreibung der Tierwelt anderer Weltgegenden widtmeten, hatten die Kirchen zu keiner Zeit grundsätzlich etwas einzuwänden.
Diverse jesutische Gelehrte haben daran mitgewirkt.

Dabei wäre die Geschichte vielleicht anders verlaufen, wenn die Kirchen früher proaktiv gehandelt und sich auf eine teleologische Bibelexegese verlegt hätten, anstatt auf den Wortlaut zu beharren.
Wäre allerdings zu debattieren, wann haben sie sich für Irrweg entsschieden?

Denn die Halsstarrigkeit, mit der die Kirchen seit dem Spätmittelalter um jeden irgendwann mal verkündeten Lehrsatz kämpften, die sehe ich nicht.
Nach meiner Wahrnehmung waren die Kirchen in dieser Zeit durchaus in gewissen Maß konziliant, so lange es keine Kernlehren berührte.
Das die Kernlehren der Kirche durch die Wissenschaften derart angegriffen wurden, dass die Kirchen völlig in den reaktionären Kampfmodus schalteten, dass vollzieht sich meines Erachtens erst im 19. Jahrhundet, als sie erleben, dass ihre geselslchaftliche Bindekraft, die eigentlich alle Rückzüge der frühen Neuzeit igendwie überstanden hatte, sich aufzulösen begann und sich auch die einfachen Bevölkerungsschichten von denn kirchlichen Bindungen emanzipierten.
Das ist meines Erachtens nach aber eher Produkt der Industrialisierung und der damit verbundenen sozialen Umbrüche, auf die denn Kirchen die Antworten fehlten (und in Teilen bis heute fehlen), als von Wissenschaft oder Aufklärung.



Meines erachtens müssten wir in der Diskussion zwei Dinge unterschieden, die mir persönlich etwas zuviel durcheinander gehen.


1. Die soziale Bindekraft der Kirchen, die mehr darauf beruht haben dürfte ihre Lehren im Großen und Ganzen als vernünftig zu akzeptieren ohne aber jeden Lehrsatz als grundsätzlich wahr und unanfechtbar zu betrachten.

2. Die tatsächliche Macht der Kirche qua Deutungshoheit, die diese im Mittelalter mal inne gehabt hatte, aber spätestens in der Krisenszeit des Spätmittelalters und der rennaissance verlor.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Vorstellung Wissenschaft habe das Bildungsmonopol der Kirchen und damit ihre Macht gebrochen, geht nach meiner Auffassung deswegen fehl, weil die Macht der Kirchen, als die Wissenschaften anfingen sich herauszubilden bereits in die Binsen gegangen war.

Die Kirche ist nicht an Wissenschaft gescheitert, sondern an ihren eigenen inneren Widersprüchen.
Das mag sein, wenn man die Geschichte der katholischen Kirche oder die großen, klassischen protestantischen Kirchen in Europa betrachtet. Ohne die Entwicklung einer wissenschaftlichen Welterklärung wäre ihre Macht aber nicht derart unterhöhlt worden, wie sie es ist. Dann hätte man die Erkenntnisse, die man gewonnen hat, in ein neues, letztendlich religiös fundiertes Weltbild eingebaut. Ist nicht mehr nötig. Die Wissenschaft hat Gott als Quelle der Welterklärung in immer kleinere (und weiter schrumpfende) Lücken verbannt, so dass es heute immer mehr Menschen gibt, die völlig auf Gott oder Religion als Teil ihres Weltbildes verzichten können.

Ich rede eigentlich von heute, einer Zeit, in der diese Institutionen hierzulande seit langem auf dem Rückzug sind; ein Prozess, der mE so weiter gehen wird.

Die Religionsgemeinschaften, die heute einen immer größeren Einfluss auf verschiedene Gesellschaften haben, haben das gleiche Problem. Die evangelikalen Glaubensgemeinschaften in den USA & anderswo, die großen Strömungen des Islam, aber auch die katholische Kirche in anderen Weltteilen*; oder auch die Mormonen oder (ultra-) orthodoxen Juden, wenn man es etwas kleiner haben will. Das sind die Glaubensgemeinschaften, die wachsen, die an Mitgliedern und Macht gewinnen, und nicht verlieren. Diese haben ihren Frieden mit der Wissenschaften noch lange nicht gemacht.

Und ich befürchte, Hitchens hat hier einen Punkt, auch wenn ich das den "gemäßigten" Religionsvertretern bestimmt nicht zum Vorwurf mache, im Gegenteil: Glaube ohne Absolutheitsanspruch, ohne Feuer und Schwert und einen zürnenden Gott, der als Alpha und Omega des Lebens angesehen werden will, fehlt die Attraktivität für Menschen, die eindeutige Antworten auf alle Fragen von ihrer Religion erwarten; die eine Leitlinie haben wollen, die gestern, heute & morgen gültig ist (oder zumindest heute so vermittelt wird, als wäre sie es...). Die richtige wissenschaftliche Antwort auf die meisten Fragen (zumindest wenn man ins Detail geht) ist: Wir denken uns das derzeit so&so, aber so richtig sicher sind wir uns nicht; aber wir arbeiten dran. Das ist eine ungemein kluge Antwort, aber unbefriedigend für viele Menschen, scheints.

* Die innerhalb des Katholizismus immer bedeutender werden, wie die deutschen Katholiken grad (mal wieder?) merken... Europas Katholiken werden nie wieder so bestimmend unter den Papisten sein, wie sie es mal waren.

Zoologie, da hast du insofern recht, konnte ein Problem sein, wenn das in Forschung auch die Evolution des Menschen betrifft, weil das natürlich elementar an der Schöpfungserzählung rüttelt, was für die Kirchen einen Kernkonflit darstellen muss.
Die meisten Zweige der Zoologie haben sich damit aber doch nie befasst (...)
„Nichts in der Biologie ergibt Sinn außer im Licht der Evolution betrachtet. “ Theodosius Dobzhansky

BTW, die Botanik ist auch Biologie, und für Pflanzen gilt die Evolutionstheorie ebenso. ;)

P.S.: Ich sag nicht, dass religiöse Menschen an der Entwicklung keinen Anteil hatten. Den hatten sie gewiss. Aber ein Gregor Mendel hat halt mit dafür gesorgt, dass heute eine Welt ohne Gott denkbar ist, ob er wollte oder nicht.
 
Die Kirche ist nicht an Wissenschaft gescheitert, sondern an ihren eigenen inneren Widersprüchen.

Es benötigte überhaupt keine wissenschaftlichen Beweise, das verschiedene Lehren der Kirchen oder Postulate der Bibel nicht stimmen konnten, es reichte ja bereits die sich widersprechenden Teile der Bibel aus der Feder verschiedener Autoren nebeneinander zu legen um zu beweisen, dass sich daraus keine eindeutigen Lehren ableiten lassen, weil die Bibel einmal kein Werk aus einem Guss ist.
Das ist ja der Witz: in Genesis gibt es zwei Schöpfungsgeschichten, die man einander ergänzend lesen kann, aber nicht muss. In der Passionsgeschichte weichen die vier Evangelien voneinander ab, teilweise bis hin zum Widerspruch, dennoch wurde alle vier Evangelien gelesen. Es gab also ein Ambiguitätstoleranz.
 
Wissenschaft": Wissenschaft ist ein neuzeitliches Konzept, und der Zusammenhang zur Religion (oder zumindest zum Christentum) wird ja in einem anderen Thread ausufernd debattiert. Was Menschen davor intelektuell geleistet haben ist zum Teil äußerst bewundernswert (und zum Teil ziemlich albern...), aber es ist keine Wissenschaft im heutigen Sinne. Religionen können also erst seit ein paar hundert Jahren "wissenschaftsfeindlich" sein; davor gab es nichts anzufeinden.
Wie weit zurück reichen diese paar hundert Jahre?
 
Bis zur Enstehung der wissenschaftlichen Methode im 17. und 18. Jh., als die Experimentalwissenschaften aufkamen. Natürlich ist das ein Prozess, der vorher begann, und auch dann noch nicht abgeschlossen war (wenn ers heute ist...). Doch ohne die Wechselwirkung von der Erstellung von Hypothesen und deren Überprüfung durch Beobachtungen und Experimente ist es nicht das, was wir heute unter Wissenschaft verstehen.

Ja, ich beziehe mich damit vor allem auf die Naturwissenschaften. Aber ohne deren Entwicklung und Erfolge würden heute auch die Geistes- und Sozialwissenschaften anders aussehen.
 
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