Frakturschrift wurde in Deutschland länger benutzt als anderswo – warum?

Mal kurz ein Blick nach Finnland. In einer Dissertation über das Layout finnischer Zeitungen 1771-1994 kommt Pekka Mervola immer wieder auf die Fraktur-Antiqua-Frage zu sprechen:


Die auflagenstarke Traditionszeitung Helsingin Sanomat (bzw. ihre Vorgängerin Päivälehti) wurde ursprünglich in Fraktur gedruckt; für Überschriften und Anzeigen wurde allerdings auch Antiqua verwendet. 1898 stellte man auch die redaktionellen Artikel auf Antiqua um, erntete damit aber Proteste insbesondere aus der ländlichen Leserschaft. So kehrte man 1904 wieder zur Fraktur zurück. Endgültig auf Antiqua umgestellt wurde 1925; hier eine der letzten Ausgaben vor der Umstellung:

 
Auch ich denke, dass wir Fraktur nur deshalb etwas langsamer lesen, weil wir sie nicht so gewohnt sind. Mit der deutschen Kurrentschrift, die die Nazis ja wohl wenig später von den Lehrplänen strichen, ist es aber anders. Zumindest das e ist doch recht schwer von den n-, m- und u-Girlanden zu unterscheiden, auch beim Schreiben Da ist das lateinische Schlaufen-e doch zweckmäßiger.
 
Was Hitler dachte und Goebbels begründete, ist zweitrangig

Das allerdings für zweitrangig zu erklären, ist erstaunlich von dir. Es war ein „Führerbefehl“, die Fraktur abzuschaffen, also ist natürlich für die Abschaffung relevant, was H. dachte.

Auch Goebbels' Rolle wird man nicht außer Acht lassen dürfen. Das von Goebbels geleitete Propagandaministerium hatte schon vor dem "Führerbefehl" vorgearbeitet. Das entnehme ich der Dissertation von Silvia Hartmann, Fraktur oder Antiqua. Der Schriftstreit von 1881 bis 1941, Frankfurt/Main 1998, S. 245-257 (Alle Zitate aus diesem Buch im folgenden kursiv):

Bereits in der Ministerkonferenz des Reichspropagandaministeriums vom 8. Januar 1940 wurde "angeregt, in Antiqua zu drucken, um parteiamtliches Schrifttum auch nach dem Ausland zu verbreiten."

Im März 1940 wies das Propagandaministerium die Reichsschrifttumskammer an, alle Verlage aufzufordern, Veröffentlichungen, bei denen ein größerer Absatz im Ausland angestrebt werde oder zu erwarten sei, grundsätzlich in Antiqua zu drucken.
[...]
Ab Mai 1940 erschien Goebbels' neue und überaus erfolgreiche NS-Wochenzeitung "Das Reich" in Antiqua, und noch im gleichen Jahr schlossen sich eine Reihe von Zeitschriften und Zeitungen der Wende an.


Am 21. April 1940 verkündete Goebbels' Ministerialdirigent Wilhelm Haegert auf der Leipziger Buchmesse: "Es ist endlich Zeit, daß mit dem Vorurteil, Fraktur wäre eine deutsche und Antiqua eine undeutsche Schrift, aufgeräumt wird."

Im Innenministerium war man über dieses Vorpreschen von Goebbels' Leuten nicht erbaut, in einem Schreiben an das Propagandaministerium vom 10. Juni 1940 hieß es: "Ganz abgesehen davon, dass in jeder Hinsicht noch ungeklärt ist, ob eine Ersetzung der Fraktur durch die Antiqua tatsächlich empfehlenswert ist, dürfte eine solche Umstellung während des Krieges nicht tunlich sein."

Der Bund für deutsche Schrift verfasste am 28. November 1940 eine Eingabe an das Innenministerium, das Propagandaministerium und die Reichskanzlei. Dort hieß es:
"Seit einiger Zeit haben wir die Beobachtung gemacht, daß die deutsche Schrift (Fraktur) mehr und mehr verdrängt wird zu Gunsten der lateinischen Schrift (Antiqua). Wir denken hierbei nicht nur an die neuen jetzt in den besetzten Gebieten herausgegebenen Zeitungen [...], sondern auch an Zeitungen in Deutschland [...] sowie an ältere Zeitschriften [...]
Wir bitten daher ergebenst, dafür Sorge zu tragen, daß die deutsche Schrift nicht noch weiter verdrängt wird und daß sie stets die ihr gebührende Vorrangstellung im deutschen Kulturkreis behält."


Das Propagandaministerium schrieb zurück, es würde "die Linie einer stärkeren Berücksichtigung der Antiqua [...] gehalten und fortgeführt", es handle sich "hierbei um eine Entscheidung von maßgeblicher Stelle."
Mit der Formulierung "von maßgeblicher Stelle" war wahrscheinlich Goebbels gemeint.


Eine Passage der "Monologe im Führerhauptquartier" deutet darauf hin, dass Hitler zu diesem Zeitpunkt schon involviert und dazu entschlossen war, die Antiqua zur "Normalschrift" zu erheben.
 
Klar: Die Antiqua-Fraktur-Debatte um 1800 und ihre historische Herleitung
Killius, Christina
1999

Dann bin ich mal gespannt, welche Zahlen für den Rheinbund genannt werden.

Bei Hartmann wird diese Periode nur kurz angerissen. Dort ist (S. 29) zu lesen, dass es seit den Befreiungskriegen gegen Napoleon zwar einerseits zu einem Rückgang der Antiqua im deutschsprachigen poetischen Schrifttum gekommen sei; andererseits hätten die runden Schriften ihre Vorrangstellung in der wissenschaftlichen Literatur weiter ausbauen können, und zwar das ganze 19. Jahrhundert hindurch.

Zahlen nennt sie allerdings erst für spätere Zeit (S. 31):

"Im Jahr 1861 wurden 78% aller in Deutschland gedruckten Bücher in Fraktur gesetzt, 1891 waren es 59% und 1928 schließlich betrug ihr Anteil 57%. Diese Abnahme des Frakturdrucks wurde kurzzeitig durch einen Anstieg während des Ersten Weltkiegs unterbrochen."
 
Weil sich das ja endlos zu ziehen scheint, auch noch mein Senf:

Eine nette ältere Dame hat dem lesewütigen Nachbarsenkelsohn netterweise die Jugendbibliothek ihres (damals schon verstorbenen) Ehemanns überantwortet. Der (also ich) war zwar zuerst ob der Krausschrift verwirrt, hat sich dann nach großelterlicher Ersthilfe (Das "s" ist auch ein "s" udgl.) über den Abenteuerromanstoff hergemacht (für Interessierte: Kolportageromane von Robert Kraft). Nach ein paar Dutzend Seiten war das schon flüssig lesbar, nach einem Dutzend weiteren: "nullo problemo" (war das auch mal Jugendwort des Jahres?).
Hab insgesamt über ein paar Monate wahrscheinlich 10000 Seiten oder mehr in dieser Schrift gelesen und meine (zugegebenerma0en damals noch jüngeren und besseren) Augen haben sich nicht gröber beschwert, hätte - wäre zusätzliches Material vorhanden gewesen - auch noch mit Vergnügen weitergelesen...
Alle Anmerkungen, diese Schrift wäre prinzipiell schwerer lesbar, muss ich aufgrund meiner Erfahrungen eigentlich zurückweisen; oder genauer gesagt: für mich jedenfalls nicht.

Daß allerdings diese Schrift mittlerweile so gut wie ausgestorben ist, wundert mich nicht. Immerhin leistete sie ja nicht mehr als "Antiqua", war also letzlich redundant und ist dann "im internationalen Wettbewerb" einfach gescheitert. Friede ihrer krausen Asche.

ad Nazi-Zeugs:
Interessant, dachte bisher immer, die wären wegen ihrer Runen-Geilheit völlig darauf abgefahren (war das wenigstens Jugendwort des Jahres?).
 
Hab insgesamt über ein paar Monate wahrscheinlich 10000 Seiten oder mehr in dieser Schrift gelesen und meine (zugegebenerma0en damals noch jüngeren und besseren) Augen haben sich nicht gröber beschwert, hätte - wäre zusätzliches Material vorhanden gewesen - auch noch mit Vergnügen weitergelesen...
Alle Anmerkungen, diese Schrift wäre prinzipiell schwerer lesbar, muss ich aufgrund meiner Erfahrungen eigentlich zurückweisen; oder genauer gesagt: für mich jedenfalls nicht.
Ich machte in der Volksschule (Grundschule) unfreiwillig Bekanntschaft mit Fraktur. Einerseits enthielten unsere Lesebücher noch ein paar Texte in dieser Schrift, andererseits mussten wir ein paar Werke von Peter Rosegger auswendiglernen, die wir auf Zetteln in Fraktur erhielten. (Die steirische Mundart machte mir mehr Schwierigkeiten als die Schrift.)
Heute kann ich Fraktur problemlos und flüssig lesen.
ad Nazi-Zeugs:

Interessant, dachte bisher immer, die wären wegen ihrer Runen-Geilheit völlig darauf abgefahren (war das wenigstens Jugendwort des Jahres?).
Das liegt wohl daran, dass in den Medien Fraktur gerne als "Nazi-Schrift" abgestempelt wird. (Auch manche Neonazis selbst scheinen sie dafür zu halten.) Dass die Schrift von den Nazis (fälschlich) als "jüdisch" verfemt und abgeschafft wurde, hat sich wohl noch nicht herumgesprochen.
 
Die Autorin (Christina Killius) von „Die Antiqua-Fraktur Debatte um 1800“ hat wohl alles gelesen, was es zum Thema Fraktur und Antiqua gibt. Beim Lesen habe ich mir Notizen gemacht, die ich nachfolgend wiedergebe. Wenn sich manches wiederholt, dann wiederholte sich das auch im Buch – ich habe das nicht mehr korrigiert. Die Zitate sind kursiv geschrieben, Fettschreibung wie immer von mir. Wegen des Umfangs musste ich das Ganze auf 2 oder 3 Beiträge aufteilen. Viel Spaß beim Lesen.


- Seit dem ausgehenden 8. Jahrhundert beherrschte die karolingische Minuskel die (handschriftliche) Bücherwelt, weil sie u.a. leicht lesbar war

- Gotische Architektur und gotische Schrift (frühgotische Minuskel) entwickelten sich beide ab dem 12. Jahrhundert. Es galt das Vertikal-Prinzip: Die Gebäude wie die Schrift wurden schmaler und höher. Die Großbuchstaben verwendete man für Kapitel- und Satzanfänge und für Eigennamen – und für Worte, die man hervorheben wollte.

– Durch die neue Wissenschaftlichkeit – Universitäten wurden gegründet – werden griechische, lateinische und arabische Schriften übersetzt. Man führte Kapitel ein und nummerierte diese wie auch die Verse durch.

- Auch die Einführung der Gänse- anstelle der Rohrfeder begünstigte gotische Schrift: Man konnte nun problemlos „den Wechsel zwischen Haar- und Schattenstrichen vollziehen und die Brechung der Schäfte vornehmen.“

- Das führte zu einer Variabilität innerhalb der Schrift – fast jedes Kloster oder Uni habe seine eigene Variante entwickelt, wobei manche von ihnen kaum lesbar waren.

- Das bemängelten die Humanisten sehr und entwickelten nach dem Vorbild der karolingischen Minuskel „eine neue, lesbarer Schrift, die Humanistenminuskel, aus der sich später die Antiqua entwickelte.“

- Bei den gotischen Schriften machte Textur das Rennen. Sie wurde in praktisch allen Büchern verwendet, selbst in kleinformatigen Erbauungsbüchern.

- Aus Textur entwickelte sich im 14. Jahrhundert in Italien die Rotunda. Deren Buchstaben waren etwas rundlicher und besser lesbarer. Sie wurde für liturgische Bücher und die Schriften des römischen und kanonischen Rechts benutzt.

- Eine andere Schrift namens Bastarda, die stärkeren Rundungen und starke Ober- und Unterlängen aufwies, wurde in Frankreich populär, „später erreichte sie großen Einfluß in den Niederlanden und Deutschland.“

- In Italien wurde – auch auf Betreiben Petrarcas – weiter mit den Schriften experimentiert, an deren Ende im 15. Jahrhundert eine Schrift namens Humanistica entstand.

- Mit dem Buchdruck begann man in Europa langsam Bücher auf Vorrat zu produzieren. Die Vielzahl der Schrifttypen, die bei den Handschriften üblich waren und anfangs auch im Buchdruck vorherrschten, ging zurück.

- Die Textur wurde im 16. Jahrhundert nur noch für Titelseiten und -zeilen benutzt.

- Rotunda dagegen, die in Italien bereits an Einfluss gewann, schaffte es Ende des 15. Jhdt. den Sprung über die Alpen. Sie wurde die „Textschrift vor allem für lateinische, theologische, juristische und scholastische Bücher.“

- Im 16. Jhdt. ersetzte die humanistische Antiqua die Rotunda. Daneben fand auch Gotico-Antiqua weite Verbreitung. Sie enthielt Element der Rotunda und der Antiqua und war sehr gut lesbar. „Sie fand außerhalb Deutschlands wenig Verbreitung und verschwand nach 1500 wieder aus dem aktiven Gebrauch der Drucker.“

- Äußerst beliebt für den Buchdruck wurden die Bastardaschriften. Die beliebteste Bastarda war die Schwabacher. „Sie galt als beste lesbare Schrift der Gotik“.

- Im Laufe der Zeit trat eine Differenzierung ein: Rotunda für die lateinische Texte, Schwabacher für deutsche.

- Die Fraktur ist eng verwandt mit der Bastarda. Sie wurde seit Mitte des 16. Jhdt. die bevorzugte Schrift für die deutschsprachige Bücher.

- Schon seit dem Ende des 15. Jhdt. wurde Antiqua durch den zunehmenden Einfluss der humanistischen Literatur auch in Deutschland populär. Man begann sich mit Italien zu vergleichen und wollte in der Entwicklung des Buchdrucks nicht nachstehen. Auch der sich anbahnende internationale Austausch zwischen den Humanisten war von größter Wichtigkeit.

- Zunächst gab es in der Folge der Bibelübersetzung durch Luther eine enorme Zunahme der in Schwabacher Schrift gedruckten Bücher, aber das Interesse nach reformatorischen Büchern nahm schon bald ab. „Erst seit der Mitte des 16. Jahrhunderts setzte sich die Verwendung der Fraktur für volkssprachliche Bücher allmählich durch.“

- Überall dort, wo die lateinische Sprache die offiziellen Urkunden– und/oder Kanzleisprache war, errang die kursive humanistische Schreibschrift herausragende Bedeutung. Ab dem 17. Jhdt. wurde diese Schrift im wirtschaftlichen Schriftverkehr Standard, danach allmählich auch im allgemeinen Schriftverkehr in ganz Europa. Nur in Deutschland geschah das nicht: „Erst im 20. Jhdt. wurde die sogenannte lateinische Schreibschrift allgemein eingeführt.“

- „Ende des 15. Jhdt. verwendeten deutsche Humanisten die Kursive für lateinische und italienische Texte. Luther und Müntzer benutzten bereits für Nationalsprachliches eine Mischschrift. Zwingli sowie Calvin verwendeten die Kursive für deutschen, französischen und lateinischen Text, während Melanchthon die Schrift bewusst, getrennt nach der jeweiligen Sprache, einsetzte.“ Dieses Letztes sicher, um den Unterschied zu der römischen Kirche deutlich zu machen, die bereits seit dem Papst Eugen IV. für päpstliche Erlasse und Schriftverkehr die Kursiva benutzte.

- Im 16., 17. und 18. Jhdt. fanden vereinzelt in Schreibmeisterbüchern auch in Deutschland Vorstöße für das Schreiben der deutschen Texte in Kursiva statt, aber diese Schreibvorlagen konnten sich nicht durchsetzen.

- Die (gedruckte) Antiqua-Schrift feierte in Italien seit dem 15. Jhdt. Erfolge. Sie wurde mehrfach verbessert und mit dem Druck preiswerten römischer Klassiker (Vergil machte den Anfang) gelangen diese Bücher auch über die Alpen.

- Doch die Zersplitterung Italiens verhinderte wohl weitere Entwicklung der Antiqua – Frankreich übernahm das Kommando. Garamond schuf im 16. Jhdt. die sehr gut lesbare Version der Antiqua, die deswegen bis zum Computerzeitalter im Buchdruck dominierte - in Deutschland natürlich erst im 20. Jhdt.

- Der Siegeszug der Antiqua-Schrift begann in Italien, Frankreich und Spanien folgten im 16. Jhdt., um 1700 folgte England, die Niederlande und Schweden im 18. Jhdt.

- So wie später Ludwig XIV. die Antiqua aus Repräsentations- und Selbstdarstellungszwecken förderte, so förderte auch der Kaiser Maximilian I. aus den gleichen Gründen die Fraktur. Sie sollte die damaligen Handschriften imitieren, sprich den Eindruck erwecken, sie seien per Hand geschrieben und nicht gedruckt. Allerdings war der Einfluss dieser Drucke, die für Kaiser und für ausgesuchten Adressaten gedruckt worden sind, wegen geringen Auflagen überschaubar. Die beliebteste Textschrift für deutschsprachige Veröffentlichung blieb zunächst Schwabacher.

- Doch ab Mitte des 16. Jhdt., als die Lutherbibel von bedeutendem Verleger und Buchdrucker Feyerabend in Fraktur gedruckt wurde, begann der Siegeszug der Schrift in deutschen Ländern – wahrscheinlich wegen der großen Auflage. Durch das engere Schriftbild konnte mit ihr auch an Papier gespart werden, was die Bücher billiger machte. Indem die Fraktur für Bibel, Gesangbuch und Kalender verwendet wurde, konnte sie auch von einem breiten Publikum akzeptiert werden.

- Allerdings war die Anzahl der deutschsprachigen Bücher bis zum Ende des 17. Jhdt. dem der in Antiqua gedruckten Büchern (gelehrte und theologische Literatur) noch unterlegen. Aber im 18. Jhdt. änderte sich das Bild grundlegend: Bücher wurden in Fraktur 3-mal so oft gedruckt wie in Antiqua.

- Die deutsche Sprache hatte wegen der Zersplitterung des Landes in viele Fürstentümer es schwer, zu einer einheitlichen Sprache zu werden. Das im Gegensatz zu Frankreich. Gerade das Französische verbreitete sich seit dem 16. Jhdt. in den gehobenen Kreisen der Gesellschaft, so dass dort bald nur noch französisch parliert wurde. Der Einfluss der französischen Kultur auf die deutsche war enorm. An den katholischen Höfen waren jedoch die spanische und italienische Sprache vorherrschend. Auch in Briefen spiegelte sich dies: Während die Bürgerlichen ihre Briefe in deutscher Sprache verfassten, wurde seit 1650 in höfischen Kreisen fast ausschließlich die französische Sprache gebraucht. Erst ab ca. 1730 gab es in den Briefen der gehobenen bürgerlichen Kreise ein Gemisch aus französischer und deutscher Sprache“.

- Natürlich gab es Kritik an diesen Zuständen: Latein für die Wissenschaft, Französisch für Höfe und Korrespondenz. Leibnitz war einer der Kritiker, aber seine Werke veröffentliche er weiter in der lateinischen oder französischen Sprache. Allerdings trat er auch für die Einführung der Antiqua-Schrift ein, weil die Rezeption seiner Werke im Ausland geringer war, wenn in Fraktur gedruckt.
 
Teil 2

- Auf der anderen Seite gab es Grammatiker, die vehement für Fraktur eintraten, weil sie deutsch sei. Sie wurde z.B. schon im 17. Jhdt. auf die Runenzeichen zurückgeführt. Und auf die Verwandtschaft mit der gotischen Textur. Und man trat dafür ein, auch Fremdwörter nicht in Antiqua zu setzen, sondern in Fraktur. Allerdings mit deutscher Endung, z.B. „Disputiren, Supliciren“. Das wurde auch vielfach befolgt, indem das Wort in einem Antiqua-Teil und einer in Fraktur gesetzten deutschen Endung gedruckt wurde.

- „Im gesamten Abendland gab es zu keiner Zeit Nationalschriften.“ Das Motiv für die Verwendung der Fraktur für deutsche Texte stammt stark von dem Wunsch, sich von anderen europäischen Ländern abzugrenzen: Deutsche Sprache sollte mit deutscher Schrift eine Einheit bilden.

- Während in Antiqua jeder einzelne Buchstabe lesbar für sich steht, kann man bei Fraktur einzelne Buchstaben leicht verwechseln: „Die Minuskel b und v, n und u, r und x oder die Majuskeln A und U, K und R oder F und I.“ Zudem lassen sich Fraktur-Majuskeln nicht für ganze Wörter verwenden, „weil sie lediglich als Anlautbuchstaben gedacht sind. (…) Die Sperrung als Mittel der Hervorhebung beim Fraktursatz ist für längere Textpassagen wegen ihrer schweren Lesbarkeit ungeeignet. Aus optischen und ästhetischen Gründen darf auch nicht zu weit gesperrt werden.“

- Die zunehmende Verbreitung der Großschreibung für Substantive kann mit der Verwendung der Fraktur in Verbindung gebracht werden: Optische Gliederung als Lesehilfe. Eine solche Gliederung hatte die Antiqua nicht nötig, weil auch so gut lesbar. Die Minuskeln u, i, n und m waren in der Fraktur nur schwer auseinanderzuhalten. Deshalb verwendete man oft w und v für u bzw. f – u.a. wegen deren schrägen Form. Wegen der Unterlänge des j ersetzte man damit oft das i. Auch y anstelle von i war beliebt, weil es sich optisch von anderen Buchstaben absetzte und so für besser Gliederung und Lesbarkeit sorgte. Aus dem gleichen Grund wurde das Wort „um“ als „umb“ geschrieben, obwohl man das b nicht aussprach.

- Das lange s ist bei Fraktur unerlässlich als optischer Blickfang, was zusammen mit dem runden s für Auflockerung des Schriftbildes sorgt. Das lange s wurde Anfang des 19. Jhdt. in französischen und englischen Schriften abgeschafft, weil bei der Antiqua-Schrift entbehrlich.

- Das deutsche ß – eine Ligatur von langem und runden s oder langem s und z – wurde in Deutschland bei Antiqua bis Mitte des 19. Jhdt. nicht verwendet. Jakob Grimm führte es wohl als erster ein.

- In der Fraktur gab es für Majuskeln I und J lange keine Unterscheidung, erst ab 1900 entstanden entsprechenden Zeichensätze.

- Das Komma war bei Fraktur nicht üblich, stattdessen benutzte man bis zum Beginn des 18. Jhdt. Schrägstrich. Auch das diente der Auflockerung und damit besseren Lesbarkeit des Textes.

- Wie bereits gesagt, war Französisch die Sprache der Höfe – auch und besonders in dem 18. Jhdt. Vor allem Friedrich II. förderte diese und ließ sogar französische Stempelschneider für Antiquaschriftsätze nach Berlin kommen. Die betuchten Bürgerlichen wuchsen zweisprachig auf, sprachen untereinander Französisch, Deutsch nur mit dem Personal.

- Aber es gab auch eine Gegenbewegung: Deutsch wurde Unterrichtssprache in den Schulen, eine „Deutschübende Patriotische Gesellschaft“ wurde von Gottsched gegründet, die sich später in „Deutsche Gesellschaft“ umbenannte und erheblich Einfluss auf die Vereinheitlichung der Sprache hatte. Hauptforderung: Man solle auf Fremdwörter verzichten und Bücher in Fraktur drucken lassen.

- Im Gefolge der Frühaufklärung und der beginnenden Säkularisierungsbewegung entstand ab den dreißiger Jahren des 18. Jhdt. eine bürgerliche Nationalliteratur. Die Theologie verlor an Bedeutung, Staatswissenschaften, Erziehungswesen, praktische Handreichungen, Naturwissenschaften und Schöngeistiges wurden gefragt und geliefert. Aber der Widerstand gegen Antiqua war stark. So konnte Klopstock 1773 trotz seines Wunsches für eine Ausgabe in Antiqua seinen Messias nur in Fraktur veröffentlichen, weil der Verleger sonst Absatzschwierigkeiten erwartete.

- Auch andere Autoren wollten bei der Gestaltung ihrer Werke mitsprechen und drängten nach besserer Lesbarkeit und damit weg von Fraktur, bei der „die Zeilen in einander gepreßt sind und nicht genügsamer Raum zwischen den Strophen und auf den Seiten gelassen wird.“

-
Und nicht nur für Ausländer bereitet das Lesen der Fraktur ein Problem, auch die gehobenen Schichten, des Französischen und damit der Antiqua gewohnt, kauften ungern in Fraktur gedruckte Bücher; und das war gerade das Publikum, das Geld für Bücher hatte.

- In Schriftstellerkreisen wurde zu diesem Zeitpunkt (Mitte des 18. Jhdt.) Fraktur mehrheitlich abgelehnt: Man wollte ihre Bücher in Antiqua drucken lassen, allein die Verleger und Drucker machten nicht mit – oft auch mangels entsprechender Schriftsätze. Dennoch gab es da eine preußisch-schweizerische Verbindung von Schriftstellern und Druckern, die die Einführung der Antiqua forcierten. Auf die Vorhaltungen der Traditionalisten, die Einzigartigkeit und Würde der deutschen Sprache würde durch die Fraktur besser repräsentiert, antwortete der schweizerische Drucker Bodmer: „Was gehet der Französischen, der Spanischen, der Italienischen, der Englischen, und anderen Sprachen dadurch an ihrer Würde ab, daß sie sich der lateinischen Buchstaben bedienen?“ Aber auch das brachte nicht den erwünschten Erfolg, die Drucker blieben mehrheitlich bei der Fraktur.

- In dem letzten Drittel des 18. Jhdt. wurden Bemühungen intensiviert, zu einer einheitlichen deutschen Hochsprache zu kommen, um mit den anderen Sprachen gleichzuziehen. Dabei gab es 2 Richtungen: Adelung befürwortete den „Sprachgebrauch der obersächsischen und meißnischen Oberschicht als deutsche Literatursprache verallgemeinert wissen.“, während Wieland, Mitglied des Viergestirns von Weimar, die These vertrat, „Hochdeutsch sei ein Zusammenspiel des Sprachgebrauchs der besten Schriftsteller eines Landes, dialektale Färbungen somit durchaus wünschenswert.“

- Auch bei dieser Debatte spielten Lesegewohnheiten eine Rolle: Während höheren Schichten durch das Französische der Antiqua gewohnt waren, waren die unteren Schichten der Fraktur gewohnt, die erst langsam an den guten Geschmack, also an die Antiqua-Schriftbild, gewöhnt werden müssen, schließlich wurden in den Jahren 1785 und 1800 Bücher zu 90-95 % in der Fraktur gedruckt. Das mit dem Geschmack war Gedankenwelt der Aufklärung, klar.

- Doch Fraktur hatte auch einen Vorteil: Sie war durch das fette Schriftschnitt auf schlechtem Papier besser lesbar als Antiqua mit ihren feinen Linien. Und weil es in Deutschland an gutem Papier mangelte – in Deutschland gab es nur wenige Papiermühlen, die zudem schlechte Qualität lieferten –, war man auf Importe angewiesen, für die man aber kein oder kaum Geld hatte. Auch das war einer der Gründe, warum man an der Fraktur hielt.

- Während Antiqua nicht verändert werden musste, um ab Ende des 18. Jhdt. dem neuen Stil der sog. Klassik zu genügen, musste Fraktur dazu erst von „Halskrausen, Troddeln, Kniksen und Bruchbändern“ befreit werden. Das tat man auch – und ernte prompt Widerspruch von den Ewiggestrigen, die die Schnörkel und Verzierungen der Schrift für wesentlich hielten.

- Die Weiterentwicklung der Antiqua besorgten Baskerville in England, Didot in Frankreich und Bodoni in Italien.

- Die bürgerlichen Kreise Deutschlands entfernten sich immer mehr von Adel ab, der ja französisch parlierte, und wünschten sich ein geeintes Deutschland herbei. Doch die Gegensätze zwischen Preußen und Österreich gaben das nicht her. Während Preußen gerade Polen eroberte und deswegen für die Einführung der Antiqua-Schrift auch in Preußen plädierte – Polen hatte schon Antiqua! -, war Österreich noch voll bei der Fraktur.
 
Teil 3

- Anfangs begrüßte das Bürgertum die Französische Revolution, weil dort der Wünsch, eine Nation zu werden, Wirklichkeit geworden ist, die sich z.B. in der blau-rot-weißen Kokarde zeigte, die zur Nationalflagge geworden war. Aber spätestens mit der Kriegerklärung Frankreichs an Preußen und Österreich war es mit der Begeisterung vorbei – und durch die militärische Niederlage des Reiches war sie ganz unten und die Einigung zu einer Nation schien weit entfernt. Und doch wurde in dieser Zeit Antiqua mehr gedruckt als zuvor – selbst Wieland bekam seine Gesamtausgabe endlich in Antiqua-Schrift gedruckt; freilich geschnitten von einem Deutschen (Prillwitz aus Jena) nach dem Vorbild Didots. Endlich war die Forderung der Klassik, Inhalt und Form sollen eine Einheit bilden, erreicht.

- Aber andere sahen das nicht so: Jean Paul war dagegen. Und nicht nur er: „In der Zeit der französischen Herrschaft bildete sich eine nationale antinapoleonische Bewegung heraus, die aller Unterschiedlichkeit der Territorien über jeder Kleinstaatlichkeit stand. Im beginnenden 19. Jahrhundert bewertete man die Bedeutung eigener Traditionen wie Sprache und Religion stärker, das einzelne Volk und seine durch Geschichte und Kultur geprägte Zusammengehörigkeit wurden betont. Man wandte sich ab von dem kosmopolitischen Geist der Klassik, der sich an dem idealtypischen Bild der Antike geschult hatte. In dieser Zeit der Besinnung auf ganz eigene Werte wurde die Fraktur als Nationaltype natürlich nicht mehr in Frage gestellt.“

- Im ausgehenden 18. Jhdt. wurde von Verlegern und Schriftstellern verstärkt um Frauen und Kinder als Leserinnen und Leser geworben. Die meisten Bücher für diese Klientel druckten sie zwar aus ästhetischen Gründen in Antiqua, aber mit dem Argument, von ihnen habe man noch keine Klagen gegen die Verwendung von Antiqua gehört. Dahinter stand: Wenn Frauen keine Schwierigkeiten haben Antiqua zu lesen, dann dürften auch alle anderen keine Probleme damit haben.

- Auch die Mutter Goethes änderte bald ihre Meinung – Zitat: „… Ich glaube denn doch zu bemerken, daß der gebildete Teil des Publikums sich durchaus lateinischen Lettern hinneigt.“ Das war klar: Die Gebildeten waren durch das Lesen der französischen, italienischen und englischen Literatur an Antiqua-Lettern gewohnt. Aber die Ungebildeten, kaum des Lesens mächtigen, lasen mit Holzschnitten „veredelten“ und in Fraktur auf billigem Papier gedruckten Bücher, die vielleicht bis zu einem Reichstaler billiger waren als die auf teurem Papier in Antiqua gesetzten und mit Kupferstichen versehenen Bücher. Oft gab es deswegen 2 Ausgaben mit annähernd gleichem Inhalt, und die in Fraktur gesetzten erzielten wesentlich höhere Auflagen, klar.

- Selbst der Philosoph Immanuel Kant verteidigte die Fraktur im Jahr 1798 mit recht merkwürdigen Argumenten – hier sein Argument, das auf die helleren Seiten der mit Antiqua gedruckten Bücher abzielt: „damit nicht, so wie in Marokko, durch weiße Übertünchung aller Häuser ein großer Teil der Einwohner blind ist, dieses Übel aus ähnlicher Ursache bei uns einreiße …“

- Dennoch versuchten es Schriftsteller und Verleger immer wieder mit der Antiqua-Schrift. Goethes „Das römische Carneval“ z.B. gab der Berliner Drucker Unger 1789 in Antiqua heraus, in dem auf langes s verzichtet wurde bzw. lediglich in Ligatur als ʃs erschien, also als ß. Das Buch kostete 1 Luisdor und die Auflage von min. 318 Exemplaren wurde erstaunlich schnell abgesetzt.

- Unger war zunächst der einzige Drucker in Deutschland, der die original Didots Antiqua-Matrizen besaß. Er hatte später aber einen Vertrag mit Didot ausgehandelt, in dem sich dieser verpflichtete, nur über Unger bestellte Matrizen an andere deutsche Drucker zu liefern. Dieses Privileg war teuer: „Unger musste zudem innerhalb von zwei Jahren 30 000 Livres (ungefähr 8000 Reichstaler) an Didot bezahlen.“

- Es wurde geklagt, dass bei breiter Verwendung von Antiqua-Schrift die Drucker ihre Frakturtypen (der Drucker Breitkopf aus Leipzig besaß 400 davon) gegen Antiquatypen auswechseln müssten, was hohe Kosten verursachen würde, und zudem aus der Schweiz das teure Papier kaufen müssten, was ein Geldabfluss ins Ausland bedeutete, was „Deutschland“ schwächte. Das Argument des Gedlabflusses kam damals immer wieder vor, wahrscheinlich, weil „Deutschland“ zu diesem Zeitpunkt tatsächlich wirtschaftlich schwach war.

- Es gab einen deutschen Schriftgießer namens Prillwitz aus Jena, die Antiqua-Matrizen schnitt und sich dabei an Typen von Baskerville, Bodoni und Didot orientierte. Seine Lettern wurden preiswert verkauft: „Ein Zentner Cicero kostete 26, die Corpus 30 Reichstaler.“ Sie waren weniger kontrastreich (die dünnen Linien waren z.B. weniger dünn) und eigneten sich so auch für etwas schlechteres Papier. Danach trat in Weimar Walbaum auf den Plan, der bessere Antiquatypen schnitt, aber auch die Frakturtypen verbesserte: Diese letzten wurden zur Schrift des Biedermeiers.

- Denn im frühen 19. Jhdt. war die gesellschaftliche Situation in Deutschland für die Verwendung oder gar allgemeine Einführung von Antiqua ungünstig. „Die napoleonischen Befreiungskriege, die im künstlerischen Bereich erfolgte Wiederbelebung des Holzschnitts und die Vorliebe der Romantiker für gebrochene Schrifttype wirkten sich nachteilig auf Verwendung der Antiqua aus.“

- Der Braunschweiger Schulrat Campe ließ 1791 eine englische Ballade, die schon vorher übersetzt und gedruckt und gut aufgenommen wurde, erneut in einer durch Unger veränderten Fraktur drucken. Das Schriftbild war diesmal rund und hell, und näherte sich so der Antiqua. Campe verzichtete weitgehend auf Versalien, dies auch, weil er für eine Reform der Rechtschreibung eintrat: Nur Eigennamen und Satzanfänge bekamen Großbuchstaben. Er verwendete statt des j ausschließlich das i, und die Ligatur ß wird durch langes s und rundes s dargestellt. Der Grund für diese Reform war die Zweischriftlichkeit, die die Kinder in jener Zeit lernen mussten. Die bessere Lesbarkeit dieser Fraktur-Schrift würde ein Umsteigen auf Antiqua entbehrlich machen, sagten die Traditionalisten. Damit gaben sie zu, dass Antiqua – zumindest bis dahin – besser lesbar war.

- Und noch eine andere Angleichung wurde bei dieser Frakturtype eingeführt: Die Umlaute wurden nicht mehr durch 2 Vokale dargestellt, sondern durch 2 Striche/Punkte über dem Vokal, was bis dahin nur bei der Antiqua üblich war. Hervorgehoben wurde auch die Ähnlichkeit mit der (hand)geschriebenen Schrift.

- Das Problem hatte jedoch auch diese Schrift: Was nimmt man als Hervorhebung? Die gesperrte Schrift war nach wie nur bedingt lesbar, dafür die Schwabacher oder Antiqua zu nehmen scheiterte daran, dass beide, Fraktur und Schwabacher und Fraktur und Antiqua nicht in einer Linie setzen konnte. Das wurde erst 1905 durch eine genormte Normalschriftlinie behoben.

- Obwohl Antiqua für bedeutende und teure literarische Werke verwendet wurde, war die Fraktur nie ernsthaft gefährdet, weil „Die Bedrohung durch Napoleon ließ den nationalen Aspekt der Fraktur immer bedeutungsvoller werden. Wieland, der sich seit Jahrhundertmitte stets für die Antiqua ausgesprochen hatte, setzte sich 1807, ein Jahr nach dem Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, ausdrücklich für die gebrochene Schrift als nationales typografisches Gestaltungsmittel ein.“

(…)

Vielmehr wollte man gerade durch die Fraktur eine nationale Identität und Abgrenzung schaffen.

(…)

Neben der politischen Situation, die zu einer Betonung des Nationalen führte, waren es die Romantiker, die mit ihrer Hinwendung zum geschichtlich Gewordenen die Verwendung der Fraktur beförderten. Sie hatten ein großes historisches Interesse, besondere Verehrung galt dabei dem Mittelalter, das sie als „letzte, große, geschlossene, universale Kultur“ vor der Aufklärung ansahen. Man beschäftigte sich mit spät- und nachmittelalterlichen Poesien aus Italien, Spanien, Portugal sowie den provenzalischen Sprachen, zudem gewannen das Volkslied und Volksliteratur an Bedeutung.“


- Mit dieser Geisteshaltung korrespondierte Fraktur als typografisches Gestaltungsmittel, dies auch, weil man darin eine Schöpfung der Gotik sah.

- Es gab im 19. Jhdt. trotzdem immer wieder Versuche, Antiqua zu etablieren, aber sie alle scheiterten – nicht mal der Sprach- und Literaturwissenschaftler Jakob Grimm, der für Antiqua und gemäßigte Kleinschreibung (im 16. und 17. Jhdt. war das Standard) eintrat, konnte seine Zeitgenossen überzeugen. Das blieb im Großen und Ganze bis Mitte des 20. Jhdt. so, danach verschwand die Fraktur innerhalb weniger Jahre bzw. blieb noch in Titeln einiger Zeitung als Zeichen für ihr Alter stehen.

Fazit: Das Buch ist interessant – ich habe viel gelernt. Alle Aussagen im Buch sind belegt – ich habe kaum je ein Buch in den Händen gehabt mit so vielen Fußnoten. Von einer Vorliebe der Autorin für oder wider eine Schrift habe ich nichts bemerkt. So sollte es auch sein.
 
Alle Aussagen im Buch sind belegt
Für einige würden mich allerdings die Belege sehr intressieren, weil ich da der Meinung bin, dass sich da ziemlich aus dem Fenster gelehnt wird:

Z.B. das hier
- Die deutsche Sprache hatte wegen der Zersplitterung des Landes in viele Fürstentümer es schwer, zu einer einheitlichen Sprache zu werden. Das im Gegensatz zu Frankreich. Gerade das Französische verbreitete sich seit dem 16. Jhdt. in den gehobenen Kreisen der Gesellschaft, so dass dort bald nur noch französisch parliert wurde.

Also von Einheit der französischen Sprache kann im 16. jahrhundert mit Rücksicht auf das Okzitanische und den Raum südlich des Zentalmassivs keine Rede sein.
Es wurde zwar die Verwaltung insgesamt auf eine standardisierte französische Sprache umgestellt, aber das erfasste natürlich nur bedingt auch die tatsächliche Einwohnerschaft der südlichen Gegenden und wird sich auch in volkssprachlichen Publikationen dort nicht unbedingt niedergeschlagen haben, was diese Zeit betrifft.
Insofern, dürfte die Behauptung, es sei bei den gehobenen Schichten "nur noch französisch parliert worden", in dieser Zeit (16.-18. Jahrhundert) nicht einmal unbedingt auf Frankreich (und da haben wir von der Bretagne, dem Roussillion und dem nördlichen baskennland noch gar nicht gesprochen), geschweigedenn auf den Rest Europas zutreffen.


- Die bürgerlichen Kreise Deutschlands entfernten sich immer mehr von Adel ab, der ja französisch parlierte, und wünschten sich ein geeintes Deutschland herbei. Doch die Gegensätze zwischen Preußen und Österreich gaben das nicht her. Während Preußen gerade Polen eroberte und deswegen für die Einführung der Antiqua-Schrift auch in Preußen plädierte – Polen hatte schon Antiqua! -, war Österreich noch voll bei der Fraktur.

Auch das hier z.B. halte ich auf verschiedenen Ebenen für ziemlich weit hergeholt.

Weil natürlich im Bildungsbürgertum im ausgehenden 18. und 19. jahrhundert Französisch durchaus Prestige genoss. Die postulierte Entfernung des Bürgertums vom Adel in Deutschland, da weiß ich nicht, woher diese Idee kommt.
Es gibt ja wirklich genügend Studien, die gerade im Bezug auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts dem Großbürgertum ganz erhebliche bestrebungen attestieren, sich an die Gewohnheiten des Adels anzupassen um vom diesem als ebenbürtige akzeptiert oder assimiliert zu werden und sich vom Kleinbürgertum und den unterbürgerlichen Schichten zu distanzieren.
Deutschtümelei mag eine Eigenschaft sein, die sich beim Kleinbürgertum, dass zum Teil nicht über die klassische Bildung des Wirtschafts- und des Bildungsbürgertums verfügte durchaus häufig durchkam, sie aber zu einer Eigenschaft des Bürgertums an und für sich zu erklären, halte ich für verkehrt.

Ich weiß auch nicht, woher die idee kommt, dass der Adel den ganzen Tag über französisch gesabbelt habe.
Der Adel korresponiderte sehr häufig auf französich, im Besonderen dann, wenn er das mit Partnern tat, die möglicherweise eine andere Muttersprache hatten, was bei den ganzen internationalen Vernetzungen, die der Adel einmal hatte durchaus häufig vorkam.
Das bedeutet aber nicht, dass die deutschen Adeligen (insbesondere im 19. Jahrhundert) untereinander nicht im Alltag durchaus auch auf deutsch gesprochen hätten.

Auch die Vorstellung, dass in Preußen, wegen der Expansion nach Polen hinein Antiqua beführwortet worden wäre und in Österreich nicht, hallte ich für ziemlich irrlichternd.
Zum Einen die Vorstellung, dass Preußen Polen erobert habe und das Österreich irgendwie nicht betroffen habe geht schon daran fehl, dass Österreich an der 1. und der 3. Teilung Polens beteiligt war und dabei rein gebietsmäßig auch mehr Land "erwarb" als Preußen.
Kommt noch hinzu: Die einzige tatsächlich mehr oder weniger überwiegend polnischsprachige Provinz, die Preußen dauerhaft durch die polnischen Teilungen hinzu gewann, war Posen.
In Westpreußen war die deutsche Sprache dass, was die Mehrheit der Bevölkerung sprach und entsprechend verbreitet dürfte da auch die Fraktur durchaus gewesen sein.

Das Österreich "voll bei der Fraktur" gewesen sei, halte ich für ein Gerücht, denn angesichts des Umstands, dass mit den polnischen Teilungen auch Ostgalizien zu Österreich kam, wo nichtmal lateinische Buchstaben, sondern das kyrillische Alphabet, jedenfalls in der Volkssprache gängig war, wäre das kaum praktikabel gewesen.
Dito gehörten zum Habsburgischen Herrschaftskomplex in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts natürlich auch die Lombardei und Venezien, wo Antiqua durchhaus gängig gewesen sein dürfte.

So wenig das Argument einleuchtend ist, in Preußen sei wegen der Expansion nach Polen hinein die Forderung nach Antiqua zu einer Konstante geworden, leuchtet die Behauptung ein, dass man sich in Österreich komplett gegen Antiqua gesperrt und auf die Fraktur festgelegt habe.



Da würden mich jetzt die Belegstellen tatsächlich mal interessieren.
 
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Dass die deutsche Sprache wegen Zersplitterung des Landes es schwer hatte, zu einer Hochsprache zu werden, wird im Buch auf Werner Besch: „Die Entstehung und Ausformung der neuhochdeutschen Schriftsprache/Standardsprache“ verwiesen.

Dass sich der Einfluss der französischen Sprache seit dem 16. Jhdt. immer mehr anstieg, wird auf Polenz: „Geschichte der deutschen Sprache“ verwiesen.

Dass man sich gehobener Gesellschaft ausschließlich des Französischen bediente, während man sich in Wien der italienischen und spanischen Sprache bediente, wird auf Hans Eggers: „Deutsche Sprachgeschichte“ verwiesen und auch auf Kaspar Stieler: „Der Teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs oder Teutsche Sprachschatz“.

Frankreich wurde bereits zu jener Zeit zentralistisch regiert, entsprechend leichter war die Durchsetzung einer normierten Sprache. Dass nicht alle Gebiete sofort diese Sprache annahmen, versteht sich von selbst. Kultureller Mittelpunkt war dort allein Paris, während es bei uns so viele gab, wie Fürstentümer.

Die Abwendung des Bürgertums vom Adel wird u.a. mit veränderten Gewohnheiten in Briefen belegt. Die Floskeln wie z.B. „hochwohlgeboren“ verschwanden, man plädierte sogar für das Wort „Ich“ als Satzanfang. ("Brieftheorie des 18. Jahrhunderts. Texte, Kommentare, Essays. Hrsg. Angelika Ebrecht.")

Das Bürgertum dachte zunehmend national, während sich der Adel international verstand. Das war auch kein Wunder, schließlich waren und sind sie miteinander verwandt.

Zu der Frage der Einführung der Antiqua in Preußen: Der preußische Staatsminister Graf von Alvensleben plädierte dafür aus den genannten Gründen: Polnische Gebiete wurden annektiert. („Von Alvensleben: Memoire. In Fraktur oder Antiqua? Hrsg. Ernst Crous“).
 
Alle Aussagen im Buch sind belegt

Stammt auch auch die folgende Aussage aus dem Buch? Und wenn ja, wie sehen die Belege aus?

- In Schriftstellerkreisen wurde zu diesem Zeitpunkt (Mitte des 18. Jhdt.) Fraktur mehrheitlich abgelehnt:




selbst Wieland bekam seine Gesamtausgabe endlich in Antiqua-Schrift gedruckt

Wieland hat sich das Schriftbild aufschwatzen lassen und sich über diese Fehlentscheidung schon wenige Jahre nach Erscheinen des ersten Bandes geärgert. Beleg? O-Ton Wieland (an seinen Verleger):

"Was der Unternehmung nicht weniger geschadet hat, sind die verwünschten lateinischen Lettern, die wir uns von den Liebhabern der geraden und halbrunden Linien haben aufschwatzen lassen. Ich habe seit 3 bis 4 Jahren Gelegenheit genug gehabt, von Herren u Damen aller Klassen und Stände aus ihrem eignen Munde die Versicherung zu hören, daß sie deutsche Werke lieber mit den sogenannten deutschen, das ist mit den gewöhnlichen Lettern gedruckt lesen als mit lateinischen; auch ist, wenn man die Wahrheit ehrlich gestehen will, unläugbar, daß die Breitkopfischen Formen der deutschen Lettern das Auge weniger angreifen als die Lateinischen.
[...]
Sogar Engländer u Franzosen haben mir gesagt, sie lesen deutsche Bücher lieber mit deutschen Lettern, u wer sich die unendlich größere Mühe nehme, unsere Sprache zu lernen, könne sich auch wohl die kleinere geben die deutschen Lettern lesen zu lernen."​
 
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Gerade das Französische verbreitete sich seit dem 16. Jhdt. in den gehobenen Kreisen der Gesellschaft, so dass dort bald nur noch französisch parliert wurde.

Dass sich der Einfluss der französischen Sprache seit dem 16. Jhdt. immer mehr anstieg, wird auf Polenz: „Geschichte der deutschen Sprache“ verwiesen.

Von "bald" kann da allerdings nicht die Rede sein. Von Karl V. (reg. 1519-1556), der mit deutschen Höfen oft auf französisch korrespondierte, bis zur Wende des 17. und 18. Jahrhunderts, als sich in manchen Gesellschaftsgruppen eine französisch-deutsche Zweisprachigkeit einbürgerte, sollte es anderthalb Jahrhunderte dauern, in denen ganz schön viel passierte...

Wie weit diese Zweisprachigkeit ging, wird leider auch bei Polenz nur unzulänglich belegt. Das Bonmot Voltaires, der 1750 aus Potsdam schrieb: "Ich befinde mich hier in Frankreich. Man spricht nur unsere Sprache, das Deutsche ist nur für die Soldaten und die Pferde." dürfte satirisch überzeichnet sein bzw. allenfalls auf den äußerst frankophilen Friedrich II. zutreffen.
 
Zitat aus dem Buch (unter der Überschrift „Die ersten Antiquadrucke in der Jahrhundertmitte“): Bei den Autoren rückten Autoren neben Format, Auswahl des Papiers und dem Wunsch nach „sauberen Druck“ auch die Schrifttypen und ihre Verwendung in den Blickpunkt des Interesses.“

Dazu werden Briefe von Johann Wilhelm Ludwig Gleim und Johann Peter Uz zitiert. Auch Wielands Brief an seinen Verleger Geßner aus dem Jahr 1764 wird zitiert.

Eines der Argumente der Schriftsteller ist die mangelnde Rezeption der deutschen Literatur im Ausland. („Paisey: Proponent, S. 235“)

Nachdem Gleims „Lieder“ und Ewald Christian von Kleists „Frühling“ 1749 (beide in Antiqua gedruckt) erschienen sind, wird die Diskussion Antiqua-Fraktur breiter geführt. („Von Ungern-Sternberg: Schriftstelleremanzipation, S. 83“)

Hier noch ein Zitat aus einem Brief Wielands an Bodmer, das biblische Epos „Noah“ betreffend. 11.4.1752: „Darf ich so frei seyn Sie zu fragen warum Sie dieses Werk nicht mit lateinischen Buchst. druken lassen? Ich wünschte daß mann sie nach und nach einführte, damit wir nicht die eintzigen Gothen seyn, die noch in europa sind. Ich bin sehr entschlossen, zur Abschaffung der ekichten Buchstb. zu helfen; aber es müssen Ansehnliche Autoren seyn, die einer solchen neuerung autorität geben.“

Aus diesem Brief geht eindeutig hervor, dass Wieland es war, der sich Antiqua-Schrift wünschte. Aus welchem Jahr ist das von dir gebrachte Zitat Wielands?
 
Von "bald" kann da allerdings nicht die Rede sein. Von Karl V. (reg. 1519-1556), der mit deutschen Höfen oft auf französisch korrespondierte, bis zur Wende des 17. und 18. Jahrhunderts, als sich in manchen Gesellschaftsgruppen eine französisch-deutsche Zweisprachigkeit einbürgerte, sollte es anderthalb Jahrhunderte dauern, in denen ganz schön viel passierte...
Ja, das ging nicht von heute auf morgen. Aber spätesten mit dem Ludwig XIV. eiferte ganz "Deutschland" dem französischen Stil nach - in nahezu allen Bereichen des Lebens.
 
Dass die deutsche Sprache wegen Zersplitterung des Landes es schwer hatte, zu einer Hochsprache zu werden
...... ist von mir nie in Frage gestellt worden.

Dass sich der Einfluss der französischen Sprache seit dem 16. Jhdt. immer mehr anstieg
........ ist von mir auch nie in Frage gestellt worden.

Dass man sich gehobener Gesellschaft ausschließlich des Französischen bediente, während man sich in Wien der italienischen und spanischen Sprache bediente, wird auf Hans Eggers: „Deutsche Sprachgeschichte“ verwiesen und auch auf Kaspar Stieler: „Der Teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs oder Teutsche Sprachschatz“.
Wird man damit dann wohl als Unfug betrachten können, denn die Ausschließlichkeit wäre ja breits durch den Verweis auf Wien widerlegt, es sei denn natürlich man wollte behaupten der Habsburger Hof sei von der "gehobenen Gesellschaft" ausgeschlossen gewesen.

Das mit der "Ausschließlichkeit" ist in Dieser Form offensichtlich Murks.

Ein weiteres Problem mit dem oben Paraphrasierten ist, dass es in eher dubioser Weise ziemlich unkritisch den Begriff "Deutschland" verwendet, ohne das näher auszudifferenzieren.
Natürlich gibt es im 16. und 17. Jahrhundert kein "Deutschland" und das Heilige Römische Reich umfasste zu dieser Zeit mit Lothringen, Elsass, Luxemburg, den spanischen Niederlanden inklusive der Wallonie, der Franche Comté und mindestens nominell auch der Romandie Regionen, in denen Französisch überwiegend oder mindestens Teilweise eine Rolle spielte.
Das tat es natürlich um so mehr insofern sich volkssprachliche Publikationen durchsetzten und natürlich hatte das Französische wegen der direkten Nachbarschaft auch immer eine gewisse Ausstrahlung auf den Südwesten des deutschen Sprachraums.

Da wird man auch jede Menge Beispiele dafür finden, dass sich die Fürsten kulturell stark nach Frankreich hin orientieren, ob das aber für das restliche Reich in dieser Form ebenfalls gelten kann, dass ist eine andere Frage.

Frankreich wurde bereits zu jener Zeit zentralistisch regiert
...... nicht einmal annähernd.

Selbst das absolutistische Frankreich unter Louis XIV.-XVI. ist nicht im modernen Sinne zentralistisch und kennt durchaus noch relativ starke Strukturen regionaler Sondergepflogenheiten.
Da gibt es innerhalb des Landes Zollgrenzen, verschiedene Rechtsgepflogenheiten, regionale Parlements, die sich regelmäßig mit dem König über die Annahme neuer Gesetze zanken und auch wenn es die französischen Könige eine Zeit lang schaffen ihre macht so weit zu onsolidieren, dass sie die Generalstände nicht mehr einberufen müssen, spielen selbst in dieser zeit die Provinzialstände der einzelnen Regionen durchaus noch eine gewisse Rolle.
Das hatte durchaus noch föderale Elemente.
Wirklich zentralistisch, dahingehend dass am Ende mehr oder weniger nahezu alle Kompetenzen bei der Zentrale liegen und das auch nicht mehr infrage gestellt wird, wird Frankreich eigentlich erst nach der Französischen Revolution zum Ende des 18. bis Anfang des 19. Jahrhunderts hin, als dann von den französischen Machthabern die traditionellen Provinzen vollständig zerschlagen werden und das ganze Land neu in Départements eingeteilt wird.

entsprechend leichter war die Durchsetzung einer normierten Sprache.
In der Administration. Aber nicht bei der Bevölkerung. Wie wenig die Sprache der Administration auch zwangsläufig die der Bevölkerung sein muss, lässt sich ja durchaus am Gegensatz von lateinischer Verwaltungssprache und gesprochener Volkssprache in Europa festmachen.

Wie man nun eine entsprechend normierte Sprache bei der Bevölkerung qua Verordnung hätte durchsetzen sollen, wüsste ich jetzt auch nicht. Es gab ja in dieser Zeit keine allgemeine Elementarbildung und Schulpflicht, so dass man tatsächlich die Möglichkeit gehabt hätte, die Bevölkerung flächendeckend zu erreichen.

Kultureller Mittelpunkt war dort allein Paris, während es bei uns so viele gab, wie Fürstentümer.
Naja...............

Sagen wir es mal so, im 17. und 18. Jahrhundert ist das sicherlich durchaus der Fall.
Im 16. Jahrhundert, im Besonderen im frühen 16. Jahrhundert dürfte für Teile im Norden und Osten Frankreich die burgundische Region mit ihren Kulturtraditionen durchaus noch eine gewisse Konkurrenz gegenüber Paris dargestellt haben.
Und was den den Süden btrifft, wird in dieser Zeit mindestens die Provence kulturell auch noch sehr stark auf Italien fokussiert gewesen sein, schon weil dass das geographisch näher war und die Lebensverhältnisse bei den italienischen Nachbarn auch den eigenen Verhältnissen wesentlich näher gekommen sein dürfte, als diejenigen in Paris.

Die Abwendung des Bürgertums vom Adel wird u.a. mit veränderten Gewohnheiten in Briefen belegt. Die Floskeln wie z.B. „hochwohlgeboren“ verschwanden, man plädierte sogar für das Wort „Ich“ als Satzanfang. ("Brieftheorie des 18. Jahrhunderts. Texte, Kommentare, Essays. Hrsg. Angelika Ebrecht.")
Mit anderen Worten, sie wird überhaupt nicht plausibel belegt.

Das sich Titulaturen und Anredeformen änderten, ist kein Nachweis für eine Entfremdung des Bürgertums vom Adel.
Zumal sich durchaus auch Regeln dafür herauszubilden begannen, welchem Adligen welche Anrede zukam und welche nicht.
Ob da später mit "Kgl. Hoheit", "Durchlaucht", "Erlaucht" oder sonst etwas angeredet wird, ist durchaus keine beliebige Frage persönlicher Achtung gewesen.

Das Bürgertum dachte zunehmend national
Das sehe ich für das Großbürgertum so duchaus nicht belegt.

während sich der Adel international verstand. Das war auch kein Wunder, schließlich waren und sind sie miteinander verwandt.
Naja, war der Adel international vernetzt, aber das waren das Bildungs- und das Wirtschaftsbürgertum natürlich auch.
Die bedeutenden europäischen Gelehrten hatten natürlich ihre Netzwerke und korrespondierten regelmäßig miteinander und das wirklich spätestens seit dem Beginn der Aufklärung in großer Regelmäßigkeit.

Und beim Wirtschaftsbürgertum sah das nicht anders aus. Grade die größeren Unternehmer und Handelshäsuer gründeten natürlich auch Zweigstellen im Ausland, die sie nicht selten von Familienmitgliedern leiten/betreuen ließen, womit sie natürlich sehr häufig durchaus selbst einen Fuß in anderen Teilen Europas oder der sonstigen Welt hatten.

Beim entstehenden Kleinbürgertum, dass diese Kontakte nicht hatte und dem in Teilen auch die klassische Bildung fehlte, so dass häufig auch Fremdsprachenkentnisse nicht so gut waren, wenn sie denn da waren, da sieht das sicherlich anders aus. Aber das Kleinbürgertum ist nicht das Bürgertum schlechthin.
Schonmal überhaupt nicht im 18. Jahrhundert, da meint der Begriff "Bügertum" eigentlich mehr oder weniger explizit Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum, jedenfalls vor der Französischen Revolution.

Zu der Frage der Einführung der Antiqua in Preußen: Der preußische Staatsminister Graf von Alvensleben plädierte dafür
........ Alvensleben war aber nicht Preußen schlechthin.

Ich möchte gar nicht annzweifeln, dass er tatsächlich so dachte, zumal Alvensleben 1801 Minister wurde, also zu dem Zeitpunkt, als Preußen nach Osten hin seine größte Ausdehnung hatte (vor Auerstedt und Jena und bevor Preußen die Gewinne aus der 3. Polnischen Teilung im Vertrag von Kalisz wieder abschreiben musste).
In dieser Zeit umfasste das preußische Territorium in der Tat den großteil des heutigen Polen inklusive Warschau. Und da machte der Gedanke auf die Gewohnheiten der polnischsprachigen Bevölkerung zuzugehen, natürlich Sinn.

Das war allerdings nur eine Momentaufnahme.
Alvensleben selbst starb 1802 und 1806 war Preußen den Großteil seiner polnischsprachigen Besitzungen wieder los, womit sich die Frage erübrigt haben dürfte.

Die Story, dass irgendein Vorhaben in dieser Richtung am Widerstand Österreichs gescheitert sein sollte, halte ich für kompletten Murks. Eine aktive gesamtdeutsche Politik betrieb Preußen zu dieser Zeit nicht.
Auch ist nicht ersichtlich, welchen Vorteil es für Preußen ergeben hätte Antiqua in anderen deutschen Gebieten, die nicht zum eigenen Herrschaftsgebiet gehörten durchzusetzen. Noch, was Österreich damit hätte zu tun haben sollen.
Da scheinen irgendwelche Dinge missverstanden worden zu sein.

Oder aber es würde sich auf Vorgänge nach 1815 beziehen, dann kann die Quelle aber nicht Alvensleben sein, der das nicht mehr erlebt hat.

Es sei denn, es liegt eine Verwechslung vor und es wäre ein anderer Alvensleben gemeint gewesen, es gab nämlich noch einen, der es in der Mitte des 19. Jahrhunderts zum Preußischen Finanzminister brachte.

In diese Zeit würde ein Versuch Antiqua in Deutschland allgemein durchzusetzen, z.B. im amtlichen Schriftverkehr des Deutschen Bundes und den Protokollen der Beratungen des Frankfurter Bundestages schon eher Sinn ergeben.
Da wäre allerdings das Argument der polnischsprachigen Gebiete nicht wirklich sinnvoll, weil die, abgesehen von der östlichen Ecke Oberschlesiens nicht zum Deutschen Bund gehörten.
 
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Ja, das ging nicht von heute auf morgen. Aber spätesten mit dem Ludwig XIV. eiferte ganz "Deutschland" dem französischen Stil nach - in nahezu allen Bereichen des Lebens.
Auch das dürfte so nicht zutreffend sein.

Es gab eine Menge deutscher Fürsten und Bildungsbürger, die sicherlich Wert auf die Fähigkeit gepflegter Konversation in französischer Sprache legten.
Allerdings halte ich es nach wie vor für übertrieben, zu unterstellen, dass es sich dabei um das Mittel der Wahl für alltagskommunikation handelte.
Viel mehr dürfte, im besonderen, als sich französisch als Sprache der europäischen Diplomatie durchzusetzen begann, es immer mehr zu einer notwendigen Grundqualifikation für Adlige geworden sein, die hofften in den Dienst größerer Herren zu treten und bedeutendere Positionen übernehmen zu können.

Eine Zeit lang ortientierten sich viele Herrscher im Deutschsprachigen Raum am französischen Hofzeremoniell, an der Architektur, an der Mode und am Gartenbau. Aber das war es dann auch. Und selbst dass hatte Grenzen, was man an Beispielen festmachen kann.

Nehmen wir den "Alten Fritz".
Der war ja nun bekennender Frankreich-Fan und trieb es es damit so weit, dass er wohl tatsächlich auch im Alltag viel Französisch sprach und der Nachwelt sogar zwei Geschichtswerke in frannzösischer Sprache hinterließ.

Aber deswegen machte der Mann Frankreich nicht alles nach. Das preußische Versailles, wird man vergeblich suchen. Natürlich hat sich Friedrich II. mit Sanssouci sein eigenes Schloss bauen lassen und da auch Elemente aus der französischen Architektur und Gartengestaltung übernommen, aber die Vorstellung mit dem französischen Hofzeremoniell irgendwie konkurrieren zu wollen und ähnlichen Pomp aufzufahren, die wäre ihm eher fremd gewesen.
In der tat hat sich Friedrich über seinen Großvater, der sehr viel Wert auf Repräsentation gelegt und dafür sehr viel Geld ausgegeben hatte mitunter ziemlich negativ geäußert und orientiert an seinem Vater (was bemerkenswert ist, wenn man das eher schlechte Verhältnis zwischen beiden bedenkt), wesentlich mehr Wert auf praktisches gelegt.

In diesem Sinne ist in Preußen in dieser Zeit sehr viel Wert darauf gelegt worden, sich in technischen Fragen nicht etwa an Frankreich, sondern an den Niederlanden zu orientieren, namentlich an den niederländischen Erfahrungen im Landschafts- und Wasserbau. So entstand in dieser Zeit etwa das preußische Kanalnetz, dass die Oder und später die Weichsel mit Berlin und der Elbe verband und auch im Bereich der Neulandgewinnung/Trockenlegung wurde mit etwa mit der Eindeichung des Oderbruchs ein Mammutprojekt angegangen und dabei erhebliches erreicht.

Auch in anderen Fragen, ging der durchaus sehr frankophile Friedrich II. Wege, die sich ostentativ von französischen Gepflogenheiten abgrenzten.

Du wirst, z.B. keine Darstellungen Fiedrichs II. finden, in denen er sich in Sachen Kleidung in zeitgenössischer französischer Mode abbilden ließ, oder allenfalls aus Jugedzeiten.
Darstellungen Friedrichs als Preußischer König, stellen ihn dagegen in aller Regel in Uniform dar und Zeitgenossen zur Folge, soll er die wohl auch ziemlich regelmäßig auch außerhalb militärischer Kontexte aufgetragen haben - nicht etwa die neuste Pariser Mode, wie man erwarten könnte -.

Man könnte das an anderen Dingen fortsetzen.

Selbst ein absoluter Frankreich-fan, wie Friedrich übernahm deswegen nicht alles, was von dort kam, verwarf vieles von dem Pomp des französischen Hofes gar als überflüssig oder kitischig.
Die Vorstellung, dass der deutsche Adel und das Großbürgertum en masse geradezu auf ihre Totalassimilation an die frazösische Kultur hingearbeitet hätten und am liebsten gleich mit Haut und Haaren Franzosen geworden wären, die dürfte deutlich überzeichnen.

Und erschwerend hinzu kommt natürlich auch, dass die französische Kultur, spätestens seitdem Louis XIV. das Edikt von Nantes widerrufen und die Hougenotten (oder große Teile von ihnen) vertrieben ließ, auch eine zunehmend explizit Katholische war, mit der man sich möglicherweise im Süden und Westen Deutschlands noch einigermaßen anfreunden konnte, mit der Norddeutschland und der Osten, wo der Protestantismus vorherrschte und auf religiöser Ebene andere große Kulturelle Vorbilder, wie die Niederlande und England wesentlich näher waren, naturgemäß eher fremdeln mussten.
Die französische religiöse Intoleranz seit Louis XIV. kam in den protestantischen Teilen Deutschlands sicher nicht so gut an und die Vertreibung der Hougenotten dürfte hier eher als ein Akt vormoderner Barbarei empfunden worden sein.
Aber nicht als etwas, dem es nachzueifern gelte.
Auch hier nahm sich Friedrich II. durchaus kein Beispiel an Frankreich und dem Versuch der Bevölkerung die Religion des Herrschers audzuzwingen.
 
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