Es war ein „Führerbefehl“, die Fraktur abzuschaffen, also ist natürlich für die Abschaffung relevant, was H. dachte.
Formal war das relevant, klar, schließlich war das III. Reich eine Diktatur. Aber wichtig waren die Beweggründe, die zu der Entscheidung führten, Fraktur abzuschaffen. Dazu wurde hier schon genug geschrieben – auch z.B. gestern von
@Naresuan:
Interessanterweise waren in der NZZ, aber auch in Deutschen Zeitungen, die Börsen- und Handelsnachrichten oft in Antiqua gedruckt. Es scheint mir auch eine Frage des Zielpublikums gewesen zu sein. Die Rechts- und Literaturwissenschaft bediente sich in Deutschland mehrheitlich der Fraktur, während naturwissenschaftliche Veröffentlichungen mehrheitlich in Antiqua gedruckt wurden.
Offenbar kam es bei naturwissenschaftlichen Veröffentlichungen und Börsen- und Handelsnachrichten auf die Lesbarkeit und das Zielpublikum an: Wenn fast die ganze Welt Zeitungen und Bücher in Antiqua las, dann hatte eine in Fraktur gedruckte wissenschaftliche Arbeit weniger Reichweite, weil sie alle die gleiche Schwierigkeiten hatten, wie z.B. ich, zwischen langem s und f oder dem r und x zu oder dem o und v unterscheiden – siehe hier:
Ganz abgesehen davon, dass kein Mensch zwei unterschiedliche s-Zeichen braucht, gibt es solche möglichen Verwechslungen bei der Antiqua nicht.
Ein Wissenschaftler, an Antiqua gewohnt, überlegte sich wohl 2-mal, eine in Fraktur gedruckte Abhandlung zu lesen.
Und Reichweite war und ist in der Wissenschaft sehr wichtig. Die fetten Lettern standen zudem sehr eng nebeneinander. Und weil schon die normale Fraktur-Schrift fett war, konnte man die Buchstaben nicht noch fetter drucken, um sie zu betonen. Mit den vergrößerten Abständen zwischen den einzelnen Buchstaben hat man zwar eine Abhilfe geschaffen, aber wollte man einen ganzen Satz oder Absatz auf diese Weise hervorheben, endete das in einem kaum lesbaren Desaster.
... das natürlich ebenso naiv und substanzlos ist wie Deine Behauptung, Antiqua sei "eindeutig lesbarer".
Eingefahrene Gewohnheiten werden mit Pseudo-Argumenten verteidigt.
Siehe die obige Antwort an
@El Quijote.
Vielen Dank für den Link. Aus heutiger Sicht könnte man den damalige Fraktur-Antiqua-Streit lachhaft nennen, aber für die Zeitgenossen war es bitterer Ernst.
Aber die Selbstverständlichkeit, mit der im späten 18. Jahrhundert deutsche Schrift für deutsche Wörter benutzt wurde, ist halt mit Nationalismus nicht zu erklären. Insofern gab es auch im frühen 19. Jahrhundert keinen "plötzlichen Wandel".
Die Restauration nach 1815 wollte alle von Napoleon eingeführte Neuerungen in deutschen Ländern eliminieren und das alte System eben: restaurieren. Das gelang nicht ganz (das Rad der Geschichte zurückzudrehen ist offenbar schwierig), aber zumindest auf dem Gebiet der Typografie gelang das: Die im Rheinbund halbwegs eingeführte Antiqua wurde auf die Plätze verwiesen, die erste Geige spielte wieder Fraktur, die man bald Deutsche-Schrift nannte. Warum? Um den Unterschied zu "welschen" Antiqua, der Schrift der Französischen Revolution, zu betonen. Abgrenzung war offenbar wichtig.
Goethe z.B. bevorzugte Antiqua, aber seine Bücher ließ er trotzdem
auch in Fraktur drücken, sonst hätte der Dichterfürst weniger Käufer und Leser. Und das wäre für einen wie ihn, der schon zu Lebzeiten dafür gesorgt hatte, wie ihn die nachfolgenden Generationen sehen sollten, nicht annehmbar: Er musste der Größte sein - und wurde es auch.
Dass die Zurückdrängung der Fraktur außerhalb Deutschlands v.a. eine praktische Angelegenheit war, die sich in Deutschland deshalb länger hinzog, weil der noch junge Nationalstaat ein vermeintliches Alleinstellungsmerkmal nicht aufgeben wollte, das tatsächlich nur aus Gewohnheit und innerer kultureller Zersplitterung so lange überdauert hatte.
Ja, aber eine nette Umschreibung dieses "sich länger hinzog" für die mehr als 120 Jahre langes Sterben einer Schrift hierzulande, die man für Deutsch hielt.
