Frakturschrift wurde in Deutschland länger benutzt als anderswo – warum?

Sie haben Antiqua auch im weiteren verteidigt, aber gegen den aufkommenden völkischen Nationalismus haben sie keine Chance gehabt – Beispiel Bismarck:
Otto von Bismarck was a keen supporter of German typefaces. He went so far as to refuse gifts of German books in Antiqua typefaces and returned them to sender with the statement Deutsche Bücher in lateinischen Buchstaben lese ich nicht! (I don't read German books in Latin letters!).[1]
Den Teil darf man getrost für Unsinn halten, dafür lege ich meine Hand ins Feuer.

Bismarck hatte einige Spleens. Aber übermäßge Deutschtümelei gehörte absolut nicht dazu. Das merkt man, wenn man Schriftstücke aus seiner Feder ließt. Die enthalten durchaus gerne französische und andere fremdsprachige Begriffe um Zustände zu beschreiben, die ein typischer deutschtümelnder Spießbürger so nicht verwendet hätte.
Und wer sich in der Regel an Ausdrücken in anderen Sprachen bedient, durchaus auch um den eigenen Bildungshorizot herauszukehren und stilistisch damit zu glänzen, kommt nicht auf die auf die Idee die Welt oder auch nur die Welt der Literatur verdeutschen zu wollen.
 
wobei Antiqua-Schrift eindeutig lesbarer ist.
Wie gesagt: Eine Frage der Gewöhnung.

Habe ich nicht gefunden, weil nicht danach gesucht. Aber im 19. Jahrhundert wurde die Fraktur als deutsche Schrift bezeichnet – das im Gegensatz zu Antiqua, die als welsch bezeichnet wurde. Warum dieser plötzlicher Wandel, wo doch das Bürgertum und die Intelligenzija bis dahin frankophil waren? Sie haben Antiqua auch im weiteren verteidigt, aber gegen den aufkommenden völkischen Nationalismus haben sie keine Chance gehabt –
Mir erscheint das nicht plausibel und auch nicht mit völkischem Nationalismus zusammenzuhängen. Schon 1776 schrieb Lichtenberg:

Wenn ich ein deutsches Buch mit lateinischen Buchstaben gedruckt lese, so kommt es mir immer vor, als müßte ich es mir erst übersetzen, eben so wenn ich das Buch verkehrt in die Hand nehme und lese, ein Beweis, wie sehr unsere Begriffe selbst von diesen Zeichen abhängen.​
 
Die wissenschaftliche Frage der besseren Lesbarkeit der einen oder andern Schrift ist noch keineswegs gelöst.
Dieser Satz, der aus dem Jahr 1911/12 stammt, mag damals wahr gewesen sein, aber inzwischen ist das gelöst; Fraktur gehört der Vergangenheit an, denn alle Länder, die mal diese Schrift benutzten, sind zur Antiqua übergegangen – und das wäre nicht passiert, wenn Fraktur besser lesbar wäre.

Die Karte zeigt, dass die Fraktur damals auch in Norwegen sowie im heutigen Estland und Lettland verwendet wurde.
In Estland und Lettland haben lange die Deutsch-Balten das Sagen gehabt – das Festhalten an der Fraktur-Schrift mag dort als Zeichen der Verbundenheit mit Deutschland angesehen worden sein.
 
Dieser Satz, der aus dem Jahr 1911/12 stammt, mag damals wahr gewesen sein, aber inzwischen ist das gelöst; Fraktur gehört der Vergangenheit an, denn alle Länder, die mal diese Schrift benutzten, sind zur Antiqua übergegangen – und das wäre nicht passiert, wenn Fraktur besser lesbar wäre.

Begründet wurde das anders: Goebbels begrüßte die Entscheidung deswegen, weil so deutsche Kinder nicht mehr mehrere Schriften lernen müssten, sondern lediglich nur noch zwei (Druck- und Schreibschrift).
Da die Umstellung 1941, also mitten im Krieg, vorgenommen wurde, haben Historiker vermutet, dass der wahre Grund der Umstellung es war, dass deutsche Druckereien, die für die besetzten Länder Verlautbarungen druckten, die Antiqua verwendeten, damit die nicht an Fraktur gewohnten EW der besetzten Länder die Texte besser lesen konnten.

Die offizielle Begründung war antisemitisch, es handele sich um „Schwabacher Judenlettern“. Historisch natürlich Blödsinn.


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Dieser Satz, der aus dem Jahr 1911/12 stammt, mag damals wahr gewesen sein, aber inzwischen ist das gelöst; Fraktur gehört der Vergangenheit an, denn alle Länder, die mal diese Schrift benutzten, sind zur Antiqua übergegangen – und das wäre nicht passiert, wenn Fraktur besser lesbar wäre.
Möglicherweise doch.

Es ist ja nur auf die Belange derer abzusstellen, die den Umgang mit dieser Schrift gewohnt sind, sondern eben auch auf die Belange derjenigen, die das nicht sind.

Wenn ein Verlag z.B. darauf ausgerichtet war ein zunehmend internationales Publikum anzusprechen, machte es natürlich Sinn, die gebräuchlichere Antiqua zu verwenden, die in den Ländern, in denen Fraktur vorkam durchaus auch verwendet wurde, alles andere hätte nur unnötige künstliche Barrieren aufgebaut, während das bei Antiqua nicht der Fall war, die ja in Deutschland auch gebräuchlich war.

Das allerdings in wirklich größerem Stil kommerziell auch über Grenzen hinweg publiziert wird, um auch ein Publikum zu erreichen, dass außerhalb des eigenen Kulturkreises sozialisiert wurde, ist ja durchaus eine Erscheinung, die durchaus noch nicht so alt ist.


In Estland und Lettland haben lange die Deutsch-Balten das Sagen gehabt – das Festhalten an der Fraktur-Schrift mag dort als Zeichen der Verbundenheit mit Deutschland angesehen worden sein.
Welchen Sinn hätte es gemacht, in Lettland und Estland auf Antiqua umzustellen?

Das Estnische und Lettische selbst als Literatursprachen, traten in größerem Umfang erst relativ spät, auf den Plan, wobei sich diese beiden Sprachen an der bereits vorhandenen deutschen Literatursprache zum Teil anlehnten.

Fraktur war ja nicht nur in Deutschland verbreitet, sondern auch in Skandinavien und im Besonderen auch die Verbindungen nach Dänemark und Schweden sollte man durchaus nicht unterschätzen, zumal Estland und Lettland ja vor 1721 durchaus auch mal Teil des Schwedischen Reiches waren.

Da Fraktur durchaus lange im gesamten Ostseearum gängig war, kann man das denke ich nicht, auf Verbundenheit zum deutschsprachigen Raum reduzieren, auch wenn das sicherlich eine Rolle gespielt haben dürfte.
Gerade, weil Fraktur aber aber im Ostseeraum durchaus verbreitet war, ergab es lange Zeit sicher eher wenig Sinn auf Antiqua umzustellen -zumal - diese Gebiete von 1721-1918 natürlich Teil des russsischen Reiches waren.

Das heißt wenn man umgestellt hätte, dann wäre die erste sinnvolle Überlegung gewesen auf das Kyrillische Alphabet umzustellen, dass in der Region ja gängig war.
Das Problem ist nur, weder das Deutsche, noch das Lettische, noch das Estnische ist eine slawische Sprache und dass kyrillische Alphabet ist nunmal genau darauf zugeschnitten.
Beim Lettischen und beim Estnischen muss ich passen. Das Deutsche in kyrillischen Buchstaben widerzugeben geht, ist aber etwas umständlich, unter anderem deswegen, weil es im kyrillischen Alphabet (russisch) keine direkten Entsprechungen für ein deutsches "H/h", für ein deutsches "Ch"+heller Vokal oder für "Ö/ö" und "Ü/ü" gibt, anderserseits sind Buchstaben/Zeichen/Aussprachehinweise vorhanden (Ж/ж, Ё/ё, Ы/ы, Я/я, Ю/ю, Щ/щ, Ъ/ъ, Ь/ь), die man für das Ausdrücken deutscher Begriffe eigentlich nicht benötigt.

Warum auf ein Schriftsystem umstellen, dass für das Abbilden einer Sprache eher nachteilig ist, wenn man eigentlich eines hat, dass diesen Zweck besser erfüllt?

Im Bezug auf Antiqua kommt noch hinzu, dass die in Teilen Polens und Litauens wohl ziemlich gängig war.
Nun wäre es angesichts der massiv antipolnischen Politik in Russland während des 19. Jahrhunderts allerdings taktisch eher unvorteilhaft gewesen, sich kulturell ausgerechnet Polen, Litauen und dem dortigen Katholizismus anzunähern, weil dass St. Petersburg hätte veranlassen können, die Bevölkerung der Ostsee-Provinzen ähnlich misstrauisch zu betrachten.

In diesem Sinne sollte man möglicherweise auch darüber nachdenken, inwieweit in der Beibehaltung der Fraktur in Estland und Lettland möglicherweise auch eine Abgrenzung zum alten polnisch-litauischen Imperium zum Tragen kam, und im Bezug auf die entstehende Lettische Nationalbewegung, dass möglicherweise auch dem Abgrenzungsbedürfnis gegenüber Litauen half.
Zwischen den sprechern des Estnischen und des Lettischen gab es nicht so viel auszudifferenzieren, weil diese beiden Sprachen sehr unterschiedlich sind.
Estnisch ist im Gegensatz zum Lettischen und zu den anderen Baltischen Sprachen/Dialekten keine Indogermanische Sprache.

Aber zwischen den Sprechern des Lettischen und des Litauischen dürfte es da möglicherweise Ausdifferenzierungsbedarf gegeben haben, der sich natürlich über die Nutzung verschiedener Schrifttypen zum Ausdruck bringen ließ.
 
Zuletzt bearbeitet:
Dieser Satz, der aus dem Jahr 1911/12 stammt, mag damals wahr gewesen sein,
Wenn die Frage nicht auf wissenschaftlicher Ebene gelöst wurde, ist er heute noch genauso wahr wie damals.

Es sei denn, Du wolltest uns im Ernst die 1941 verfügte Verteufelung der Fraktur als "Judenlettern" nachträglich als wissenschaflichen Durchbruch verkaufen.
 
Zu Bismarck:
In Fürst Bismarck. Regesten zu einer Wissenschaftlichen biographie des Ersten deutschen reichskanzlers, von Horst Kohl
findet sich für den 4. Okt. 1882 ein Eintrag zu einem Brief mit diesem Inhalt:
Die fesselnde Schilderung und die naturgetreuen Abbildungen haben die Abneigung überwunden, welche mich sonst abhält, deutsche Bücher mit lateinischen Lettern zu lesen, weil ich mit der Zeit, welche Geschäft und Gesundheit zu meiner Verfügung lassen, haushälterisch umgehen muß. Ich brauche erfahrungsmäßig 80 Minuten um die Seitenzahl in lateinischer Schrift zu lesen, die more vernaculo gedruckt eine Stunde erfordert. Französisch oder Englisch mit deutschen Lettern gedruckt oder Deutsch mit griechischen wird jedem Leser auch dem mit allen Alphabeten gleichmäßig vertrauten, die gleiche Schwierigkeit machen. Der gebildete Leser liest nicht Buchstabenzeichen sondern Wortzeichen. Ein deutsches Wort in lateinischen Buchstaben ist ihm eine ebenso fremde Erscheinung, als Ihnen ein griechisches Wort in deutschen Buchstaben sein würde und nötigt zu langsamerem Lesen, gerade so wie die neuerdings eingeführte willkürliche Entstellung unserer hergebrachten Orthographie.

Ich konnte es nicht weiter als bis zu ein paar Zeitungsmeldungen gleichen Inhalts im Oktober 1882 zurückverfolgen.

Falls es das Schreiben tatsächlich gab, dann wollte er beim Lesen einfach keine Zeit verlieren. (Die war ja durch das Messen der Lesedauer schon aufgebraucht.:))
 
Damit sagt Bismarck in etwa dasselbe wie Lichtenberg 1776 und in etwa dasselbe, was ich die ganze Zeit sage: Es ist schlicht Gewohnheitssache. Wer gewohnt ist, Deutsch in Fraktur statt in Antiqua zu lesen, findet Antiqua mühsamer zu lesen, und wer es gewohnt ist, Deutsch in Antiqua zu lesen, findet umgekehrt Fraktur mühsamer.
 
Begründet wurde das anders: Goebbels begrüßte die Entscheidung deswegen, weil
Was Hitler dachte und Goebbels begründete, ist zweitrangig, Tatsache ist, dass zu diesem Zeitpunkt Deutschland (und das von Deutschland abhängige Norwegen) das einzige Land war, das eine Schrift verwendete, die im übrigen Europa kaum jemand kannte.

In diesem Sinne sollte man möglicherweise auch darüber nachdenken, inwieweit in der Beibehaltung der Fraktur in Estland und Lettland möglicherweise auch eine Abgrenzung zum alten polnisch-litauischen Imperium zum Tragen kam, und im Bezug auf die entstehende Lettische Nationalbewegung, dass möglicherweise auch dem Abgrenzungsbedürfnis gegenüber Litauen half.
Wenn in einem Satz aus Sicherheitsgründen das Wort "möglicherweise" 3 Mal vorkommt, dann kann man den Satz gleich vergessen.

Wenn die Frage nicht auf wissenschaftlicher Ebene gelöst wurde, ist er heute noch genauso wahr wie damals.

Es sei denn, Du wolltest uns im Ernst die 1941 verfügte Verteufelung der Fraktur als "Judenlettern" nachträglich als wissenschaflichen Durchbruch verkaufen.
Mangels Aktualität hat sich nach dem II. Weltkrieg aus wissenschaftlichen Sicht die Frage nach der besserer Lesbarkeit der Schriften wohl erübrigt. In der Tat verschwand die Fraktur, obwohl von den Nazis verfügt, wesentlich schneller, als ebenfalls von den Nazis verfügten Gesetze im Strafrecht.

Falls es das Schreiben tatsächlich gab, dann wollte er beim Lesen einfach keine Zeit verlieren.
Die angeblich bessere Lesbarkeit der Fraktur-Schrift im Zusammenhang mit der deutschen Sprache war das übliche vorgeschobene "Argument" der Frakturbefürworter.

Deutschland, ansonsten in jener Zeit sehr innovativ, hielt lange an der Fraktur-Schrift fest, weil sie als deutsche Schrift galt, Antiqua aber als welsche. Das war falsch verstandener Patriotismus und sonst gar nichts: Die stärksten Befürworter der Fraktur waren völkisch gesinnt. Deswegen erlebte die Fraktur im III. Reich anfangs eine Wiederbelebung, bis eben auch die Nazis sahen, dass sie eigentlich auf einem toten Pferd ritten; um keinen Fehler zugeben zu müssen, stiegen sie klammheimlich mit einem Rundschreiben ab, das nicht zur Veröffentlichung bestimmt war.

Damit sagt Bismarck in etwa dasselbe wie Lichtenberg 1776 und in etwa dasselbe, was ich die ganze Zeit sage: Es ist schlicht Gewohnheitssache. Wer gewohnt ist, Deutsch in Fraktur statt in Antiqua zu lesen, findet Antiqua mühsamer zu lesen, und wer es gewohnt ist, Deutsch in Antiqua zu lesen, findet umgekehrt Fraktur mühsamer.
Ganz Europa hatte anfangs in Frakturschrift gedruckte Bücher gelesen, d.h. alle, auch Italiener, Franzosen und andere waren an dieses Schriftbild in ihrer Sprache gewohnt. Trotzdem sind sie auf Antiqua umgestiegen; das spricht gegen dein Argument.
 
Wenn in einem Satz aus Sicherheitsgründen das Wort "möglicherweise" 3 Mal vorkommt, dann kann man den Satz gleich vergessen.
Es ist deine Sache, was du vergessen oder nicht wahrnehmen möchtest.

Dadurch kommen allerdings die Inhalte nicht aus der Welt.

Deutschland, ansonsten in jener Zeit sehr innovativ, hielt lange an der Fraktur-Schrift fest, weil sie als deutsche Schrift galt, Antiqua aber als welsche. Das war falsch verstandener Patriotismus und sonst gar nichts
Das war wahrschlich nichts weiter als Gewohnheit.
Auch verstehe ich nicht so ganz, was an der Antiqua nun besonders "innovativ" sein sollte ?
Der Schrifttyp oder jenfalls di grundsätzliche Gestaltung der Buchstaben ist ja älter als die Fraktur und mehr an frühren Formen orientieet, es wäre also weniger Innovation als ein "Zurück zu den Anfängen", für meine Begriffe.

Ganz Europa hatte anfangs in Frakturschrift gedruckte Bücher gelesen, d.h. alle, auch Italiener, Franzosen und andere waren an dieses Schriftbild in ihrer Sprache gewohnt. Trotzdem sind sie auf Antiqua umgestiegen; das spricht gegen dein Argument.
Also mal davon ab, dass nach wie vor keine 10% der Bevölkerung lesen und schreiben konnten, als es mit dem Buchdruck losging und Bücher in den ersten Jahrhzehnten nach wie vor nur für die obersten 10% der Bevölkerung finanzierbar waren, womit das eine Minderheit betroffen haben dürfte:

Die Entscheidung für Antiqua und gegen Fraktur oder andere gängige Schrifttypen, wie "Old English" muss nichts mit der Lesbarkeit zu tun haben.
Ich persönlich würde den Grund für die Antiqua in Westeuropa eher in einer betrieblichen Rationalisierung des Druckereiwesens vermuten wollen.
Ich würde mal mutmaßen wollen, dass die Herstellung von Stempeln mit Antiqua-Typus als beweglicher Letternsatz, ganz einfach günstiger war, als die Herstellung von Stempeln mit den z.T. doch eher verschlungenen Formen der Fraktur.
Möglicherweise wurde durch die simpleren Formen auch weniger Druckerschwärze verbraucht und die Drucke qualitativ besser, weil gegebenenfalls bei den schlichteren Formen die Gefahr, dass das verlaufen konnte kleiner war.

Da Westeuropa im Besonderen mit dem Druck von Zeitungen als Massenmedien früher drann war, kann es durchaus sein, dass einfach größerer Bedarf an billigen Druckinstrumenten bestand und man deswegen auf weniger aufwändige Formen zurückgriff.
 
Zuletzt bearbeitet:
Was Hitler dachte und Goebbels begründete, ist zweitrangig, Tatsache ist, dass zu diesem Zeitpunkt Deutschland (und das von Deutschland abhängige Norwegen) das einzige Land war, das eine Schrift verwendete, die im übrigen Europa kaum jemand kannte.
Da verschiebst du aber, worüber wir vorher diskutierten. Du behauptetest, dass man 1941 die dt. Schrift wg. der schlechten Lesbarkeit abgeschafft habe. Das lässt sich aber nicht belegen. Im Ggt. lassen sich Äußerungen (Lichtenberg, Bismarck) belegen, dass es an Fraktur gewöhnten Leuten schwer fiel, dt. Texte in Antiqua zu lesen (was kaum glaubwürdig und natürlich genauso subjektiv ist, wie deine Äußerung, Fraktur sei ja viel schwieriger zu lesen). Der Deutschen wegen müsste man die Schrift ja nicht abschaffen (und entgegen der Verlautbarungen von 1941 wurde das auch nicht konsequent durchgedrückt).
(Nur nebenbei: Ich habe gar nicht geschrieben, was H. möglicherweise dachte oder gedacht haben mag. Das allerdings für zweitrangig zu erklären, ist erstaunlich von dir. Es war ein „Führerbefehl“, die Fraktur abzuschaffen, also ist natürlich für die Abschaffung relevant, was H. dachte.)
 
Die angeblich bessere Lesbarkeit der Fraktur-Schrift im Zusammenhang mit der deutschen Sprache war das übliche vorgeschobene "Argument" der Frakturbefürworter.
... das natürlich ebenso naiv und substanzlos ist wie Deine Behauptung, Antiqua sei "eindeutig lesbarer".

Eingefahrene Gewohnheiten werden mit Pseudo-Argumenten verteidigt.
 
Mir erscheint das nicht plausibel und auch nicht mit völkischem Nationalismus zusammenzuhängen. Schon 1776 schrieb Lichtenberg:

Wenn man einen Sprung um knappe 140 Jahre macht, so war der deutsche Nationalismus bei der Frage Antiqua vs. Fraktur schon ein Argument:

Ein Bonner Büroartikelhersteller löst schließlich 1881 den Antiqua-Fraktur-Streit durch die Gründung des "Vereins für Altschriften" aus. Friedrich Soenneckens Reformideen zugunsten der Antiqua rufen umgehend Gegner aus völkisch-nationalistischen Kreisen auf den Plan. Sie verdammen die Antiqua als "welsche" - also nicht-deutsche - Unterwanderung und sehen in der Fraktur den Geist des deutschen Volkes verwirklicht. Nach 20 Jahren Kulturkampf debattiert der Reichstag am 4. Mai 1911 lautstark über den Schriftenstreit. Zunächst stimmen die Abgeordneten der Reform-Petition zugunsten der Antiqua zu.​
Die deutschtümelnden Frakturbefürworter leisten jedoch erbittert Widerstand. "Mit der Antiqua wird schon in die Seele des Kindes ein Missachten des Deutschtums hineingelegt", erregt sich ein konservativer Parlamentarier. Nach starkem öffentlichem Druck muss der Reichstag schließlich am 17. Oktober 1911 erneut über die Antiqua-Petition abstimmen lassen. Mit 75 Prozent der Stimmen wird sie abgelehnt. Erst 30 Jahre später verbannt Adolf Hitler die Fraktur in die Mottenkiste der Geschichte. Deutschland soll die Welt beherrschen. Eine Schrift, die die Welt nicht kennt, ist da nur hinderlich.​
aus: 17. Oktober 1911 - Der Reichstag entscheidet den Antiqua-Fraktur-Streit

Die Reichstagsprotokolle sind irgendwo online zu finden. Das könnte ganz interessant sein, die Debatte nachzulesen.
 
Wenn man einen Sprung um knappe 140 Jahre macht, so war der deutsche Nationalismus bei der Frage Antiqua vs. Fraktur schon ein Argument:
Es ist ja keine Frage, dass die Diskussion um 1910 ideologisch aufgeladen war:

Aber die Selbstverständlichkeit, mit der im späten 18. Jahrhundert deutsche Schrift für deutsche Wörter benutzt wurde, ist halt mit Nationalismus nicht zu erklären. Insofern gab es auch im frühen 19. Jahrhundert keinen "plötzlichen Wandel".
 
Da die Umstellung 1941, also mitten im Krieg, vorgenommen wurde, haben Historiker vermutet, dass der wahre Grund der Umstellung es war, dass deutsche Druckereien, die für die besetzten Länder Verlautbarungen druckten, die Antiqua verwendeten, damit die nicht an Fraktur gewohnten EW der besetzten Länder die Texte besser lesen konnten.
Das scheint plausibel.

Prinzipiell sollte es ja für die meisten Menschen nicht allzu schwer sein, die jeweils andere Schrift nach kurzer Eingewöhnungsphase zu lesen. Man lernte in der ersten Hälfte des Jahrhunderts auch fast überall mehrere Schriftsysteme. Aber eine Verlautbarung der Besatzungsmacht ist eben kein Roman, für den man es in Kauf nimmt, sich zehn Minuten "einzuarbeiten". Die Information soll im Vorbeigehen an einem Aushang verstanden werden.

Im Übrigen scheint mir, dass @Shinigami und @Dion beide Recht haben: Dass die Zurückdrängung der Fraktur außerhalb Deutschlands v.a. eine praktische Angelegenheit war, die sich in Deutschland deshalb länger hinzog, weil der noch junge Nationalstaat ein vermeintliches Alleinstellungsmerkmal nicht aufgeben wollte, das tatsächlich nur aus Gewohnheit und innerer kultureller Zersplitterung so lange überdauert hatte.

Matrizen und Lettern für Antiqua-Schriften sind nämlich tatsächlich etwas billiger herzustellen und brauchen weniger Tinte im Druck. Außerdem sind Fraktur-Schriften in der Regel (aber nicht zwangsläufig) auch für Menschen, die sie gut kennen, anstrengender zu lesen.

Nicht im Sinne von: schwieriger zu verstehen, sondern: tatsächlich anstrengender für das Auge.

Fraktur-Schriften haben entstehungsbedingt eine höhere (und zudem oft variable) Strichstärke als Antiqua-Schriften. Vereinfacht ausgedrückt: Auf dem Papier endet mehr Tinte, und das in geringeren und ungleichmäßigeren Abständen zueinander. Die gleiche Wirkung auf den Leser lässt sich mit fetten Antiqua- oder Pseudohandschrift-Schriften erzielen, die deswegen im professionellen Rahmen niemals für Fließtexte genutzt werden.
 
Im Übrigen scheint mir, dass @Shinigami und @Dion beide Recht haben: Dass die Zurückdrängung der Fraktur außerhalb Deutschlands v.a. eine praktische Angelegenheit war, die sich in Deutschland deshalb länger hinzog, weil der noch junge Nationalstaat ein vermeintliches Alleinstellungsmerkmal nicht aufgeben wollte, das tatsächlich nur aus Gewohnheit und innerer kultureller Zersplitterung so lange überdauert hatte.
Das denke ich nicht. Es ist ja nicht bloß so, dass die Druckschrift eine andere gewesen wäre, sondern auch die Schreibschrift (Kurrent), es gibt eben eine deutsche und eine lateinische Kurrent (witzigerweise, wenn wir Sütterlin hören, denken wir an den deutsche Kurrent, was nur die halbe Wahrheit ist*).

In den romanischsprachigen Ländern bekam die Fraktur zwischen Renaissance und Aufklärung einen sehr schlechten Ruf. Die Renaissance nannte die hochmittelalterliche Kunst (und eben auch die Fraktur) gotisch. Heute empfinden wir (im Großen und Gaanzen) die Gotik als schön, erkennen ihre Leistungen an, die Renaissance sah in ihr einen Abfall in der Kultur und wies die Gotik der Völkerwanderungszeit (eben den Goten) zu.
In der Aufklärung wurde durch einen frz. Bischof das erste Mal der Begriff des Vandalismus aufgebracht, der es ja zu europaweitem Ruhm gebracht hat. Wenn Leute eine Mülltonne kaputt treten oder die Fensterscheiben eines Wartehäuschens: Vandalismus.

Insofern hatte die - gotische - Fraktur in den romanischen Ländern bereits seit dem 15. oder 16. Jhdt. einen schweren Stand.

Ein Professorin hat mal Dokumente aus dem 17. Jhdt. aus dem Diözesanarchiv von Lima mitgebracht. Paläographisch überhaupt keine Schwierigkeit. Deutsche Kurrent derselben Zeit ist dagegen für den heutigen Rezipienten recht schwierig zu lesen.



*Sütterlin war ein Ingenieur, der vom preußischen Staat beauftragt die Kurrentschriften (sic!) für den Schulgebrauch vereinfachen sollte. Das, was wir heute als Sütterlin bezeichnen, ist also die vereinfachte Form des deutschen Kurrent. Was Sütterlin aber auch vereinfachte, war die lateinische Kurrent, was wir als vereinfachte Ausgangsschrift kennen, geht zumindestens mittelbar auch auf Sütterlin zurück. Sütterlin (den Schrifttypen) gibt es nebenbei seit 1906. Alles davor ist nicht Sütterlin, wird aber oft so bezeichnet, wenn eigentlich von Deutscher Kurrent die Rede sein müsste.
 
Die Neue Zürcher Zeitung stellte erst 1946 von Fraktur auf Antiqua um, mit der Begründung, dass es schwieriger geworden sei, entsprechende Schriftsätze zu erhalten und die alten abgenutzt seien. Siehe Titelseite NZZ vom 1.8.1946: Von der Fraktur zur Antiqua

Sie hielt also sehr lange daran fest und hätte wohl am liebsten so weiter gedruckt, wenn es da nicht diese "technische Notwendigkeit" gegeben hätte. Dies obwohl sie bei einem Versuch 1930 festgestellt hatte, dass Antiqua im Ausland und im romanischen Sprachraum der Schweiz "starken Anklang fand".

Für diese Zeitung sehe ich keine nationalistischen Gründe für die lange Verwendung der Fraktur. (Die NZZ wurde 1934 in Deutschland verboten). Tradition, Wunsch der Leserschaft, "saubere typografische Aufmachung" und Lesbarkeit sind Stichwörter, die im Artikel für das lange Beibehalten der Fraktur genannt werden.

Interessanterweise waren in der NZZ, aber auch in Deutschen Zeitungen, die Börsen- und Handelsnachrichten oft in Antiqua gedruckt. Es scheint mir auch eine Frage des Zielpublikums gewesen zu sein. Die Rechts- und Literaturwissenschaft bediente sich in Deutschland mehrheitlich der Fraktur, während naturwissenschaftliche Veröffentlichungen mehrheitlich in Antiqua gedruckt wurden.
Dazu ein paar Untersuchungen für die Zeit 1840-1945 hier:
Zur schriftlichen Landschaft von Fraktur und Antiqua in der Zeit von 1840 bis 1945, Sunan Okura

Die Kurrentschrift wurde an Deutschschweizer Schulen noch gelernt, die von Sütterlin geschaffene jedoch nicht mehr. Da gab es ab 1936 etwas Eigenes, die Hulligerschrift.
Wie weit das aus Distanzierungs- oder nur praktischen Gründen zur Vereinheitlichung der Schweizer Schullandschaft geschah, kann ich nicht beurteilen.
 
In den romanischsprachigen Ländern bekam die Fraktur zwischen Renaissance und Aufklärung einen sehr schlechten Ruf. Die Renaissance nannte die hochmittelalterliche Kunst (und eben auch die Fraktur) gotisch. Heute empfinden wir (im Großen und Gaanzen) die Gotik als schön, erkennen ihre Leistungen an, die Renaissance sah in ihr einen Abfall in der Kultur und wies die Gotik der Völkerwanderungszeit (eben den Goten) zu.
Das man während der Aufklärung in vielem, was als mittelalterlich wahrgenommen wurde keine besonders verdienstvolle Leistung mehr sah und versuchte sich davon weg zu orientieren, dass kann man ja in der Architektur wahrnehmen, wo der "gotische" Architekturstil außer Mode kam und sich, vor allem bei Repräsentativbauten der Klassizismus durchzusetzen begann.

Was mich, wenn es in Sachen Schrift mal ähnliche Anklänge gab, aber etwas stutzig macht, ist dass man im Deutschsprachigen Raum in Sachen Architektur der Auffassung gefolgt ist, dass als mittelalterlich wahrgenommene Stile eher eine modische Peinlichkeit darstellten, im Hinblick auf die Schrift aber nicht.
Wenn die Denkfigur in den deutschsprachigen Gebieten überhaupt keinen Anklang gefunden hätte, hätte sich dass ja auch in der Architektur nicht niedergeschlagen, jedenfalls nicht bei Repräsentativbauten, bei denen die Nützlichkeit von Neuerungen nicht unbedingt besonders starkes Auswahlkriterium sein muss.
Mit übermäßiger "Deutschtümelei"/Nationalgehampel würde ich mir viellicht erklären können, warum man im deutschsprachigen Raum im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert an der Fraktur festhielt, aber nicht warum sich Antiqua nicht bereits während der vorangegangenn Jahrhunderte durchgesetzt hatte.

Ein Reflex für einen Erklärungsversuch, wäre vielleicht noch, dass aus Gründen konfessioneller Abgrenzung gegen den Katholizismus lange an der Fraktur festgehalten wurde, aber dann müsste man an Hand der Schrifttypen innerdeutsch die Konfessionsgrenzen erkennen können.
Das kann nich mir dann allerdings auch kaum vorstellen, weil die mindestens im katholischen Rheinland und im katholischen Österreich verwendet wurde.

Oder könnte man es sich aus Verwaltungstraditionen (Kaiserliche und Fürstliche Kanzleischriften) innerhalb des alten Heiligen Römischen Reiches herleiten, dass sich die Fraktur so lange hielt?
 
Da es in deutlich früheren Zeiten (gemeint ist vor dem 19.Jh.) unterschiedliche Währungen, unterschiedliche Sprachen sowieso, unterschiedliche Rechtsauffassungen usw usw gegeben hat, ohne dass man darüber irgendwo ein Gezeter lostritt, leuchtet mir die vehemente Diskussion um Druck/Schrifttypen nicht wirklich ein.
 
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