Dieser Satz, der aus dem Jahr 1911/12 stammt, mag damals wahr gewesen sein, aber inzwischen ist das gelöst; Fraktur gehört der Vergangenheit an, denn alle Länder, die mal diese Schrift benutzten, sind zur Antiqua übergegangen – und das wäre nicht passiert, wenn Fraktur besser lesbar wäre.
Möglicherweise doch.
Es ist ja nur auf die Belange derer abzusstellen, die den Umgang mit dieser Schrift gewohnt sind, sondern eben auch auf die Belange derjenigen, die das nicht sind.
Wenn ein Verlag z.B. darauf ausgerichtet war ein zunehmend internationales Publikum anzusprechen, machte es natürlich Sinn, die gebräuchlichere Antiqua zu verwenden, die in den Ländern, in denen Fraktur vorkam durchaus auch verwendet wurde, alles andere hätte nur unnötige künstliche Barrieren aufgebaut, während das bei Antiqua nicht der Fall war, die ja in Deutschland auch gebräuchlich war.
Das allerdings in wirklich größerem Stil kommerziell auch über Grenzen hinweg publiziert wird, um auch ein Publikum zu erreichen, dass außerhalb des eigenen Kulturkreises sozialisiert wurde, ist ja durchaus eine Erscheinung, die durchaus noch nicht so alt ist.
In Estland und Lettland haben lange die
Deutsch-Balten das Sagen gehabt – das Festhalten an der Fraktur-Schrift mag dort als Zeichen der Verbundenheit mit Deutschland angesehen worden sein.
Welchen Sinn hätte es gemacht, in Lettland und Estland auf Antiqua umzustellen?
Das Estnische und Lettische selbst als Literatursprachen, traten in größerem Umfang erst relativ spät, auf den Plan, wobei sich diese beiden Sprachen an der bereits vorhandenen deutschen Literatursprache zum Teil anlehnten.
Fraktur war ja nicht nur in Deutschland verbreitet, sondern auch in Skandinavien und im Besonderen auch die Verbindungen nach Dänemark und Schweden sollte man durchaus nicht unterschätzen, zumal Estland und Lettland ja vor 1721 durchaus auch mal Teil des Schwedischen Reiches waren.
Da Fraktur durchaus lange im gesamten Ostseearum gängig war, kann man das denke ich nicht, auf Verbundenheit zum deutschsprachigen Raum reduzieren, auch wenn das sicherlich eine Rolle gespielt haben dürfte.
Gerade, weil Fraktur aber aber im Ostseeraum durchaus verbreitet war, ergab es lange Zeit sicher eher wenig Sinn auf Antiqua umzustellen -zumal - diese Gebiete von 1721-1918 natürlich Teil des russsischen Reiches waren.
Das heißt wenn man umgestellt hätte, dann wäre die erste sinnvolle Überlegung gewesen auf das Kyrillische Alphabet umzustellen, dass in der Region ja gängig war.
Das Problem ist nur, weder das Deutsche, noch das Lettische, noch das Estnische ist eine slawische Sprache und dass kyrillische Alphabet ist nunmal genau darauf zugeschnitten.
Beim Lettischen und beim Estnischen muss ich passen. Das Deutsche in kyrillischen Buchstaben widerzugeben geht, ist aber etwas umständlich, unter anderem deswegen, weil es im kyrillischen Alphabet (russisch) keine direkten Entsprechungen für ein deutsches "H/h", für ein deutsches "Ch"+heller Vokal oder für "Ö/ö" und "Ü/ü" gibt, anderserseits sind Buchstaben/Zeichen/Aussprachehinweise vorhanden (Ж/ж, Ё/ё, Ы/ы, Я/я, Ю/ю, Щ/щ, Ъ/ъ, Ь/ь), die man für das Ausdrücken deutscher Begriffe eigentlich nicht benötigt.
Warum auf ein Schriftsystem umstellen, dass für das Abbilden einer Sprache eher nachteilig ist, wenn man eigentlich eines hat, dass diesen Zweck besser erfüllt?
Im Bezug auf Antiqua kommt noch hinzu, dass die in Teilen Polens und Litauens wohl ziemlich gängig war.
Nun wäre es angesichts der massiv antipolnischen Politik in Russland während des 19. Jahrhunderts allerdings taktisch eher unvorteilhaft gewesen, sich kulturell ausgerechnet Polen, Litauen und dem dortigen Katholizismus anzunähern, weil dass St. Petersburg hätte veranlassen können, die Bevölkerung der Ostsee-Provinzen ähnlich misstrauisch zu betrachten.
In diesem Sinne sollte man möglicherweise auch darüber nachdenken, inwieweit in der Beibehaltung der Fraktur in Estland und Lettland möglicherweise auch eine Abgrenzung zum alten polnisch-litauischen Imperium zum Tragen kam, und im Bezug auf die entstehende Lettische Nationalbewegung, dass möglicherweise auch dem Abgrenzungsbedürfnis gegenüber Litauen half.
Zwischen den sprechern des Estnischen und des Lettischen gab es nicht so viel auszudifferenzieren, weil diese beiden Sprachen sehr unterschiedlich sind.
Estnisch ist im Gegensatz zum Lettischen und zu den anderen Baltischen Sprachen/Dialekten keine Indogermanische Sprache.
Aber zwischen den Sprechern des Lettischen und des Litauischen dürfte es da möglicherweise Ausdifferenzierungsbedarf gegeben haben, der sich natürlich über die Nutzung verschiedener Schrifttypen zum Ausdruck bringen ließ.