Die Entente hatte die Deutschen zurückdrängen können, da die Deutschen infolge der Frühjahrsoffensive auf Positionen vorgerückt war, die schwer zu verteidigen gewesen waren. Zudem hatten die Deutschen hohe Verluste zu beklagen. Der Durchbruch durch die Siegfriedstellung erfolgte, da die deutsche Kampfmoral im Zuge der gescheiterten Frühjahrsoffensive gebrochen war und man sich in großer Zahl ergab.
Wäre die Frühjahrsoffensive ausgeblieben, stünden die verlorenen Kräfte an der Siegfriedstellung noch zur Verfügung. Der Verteidiger, vor allem im Ersten Weltkrieg, hat, wie wir wissen, gegenüber dem Angreifer mehrere Vorteile.
Es wäre für die Alliierten sicher deutlich schwerer gewesen, hier einen entscheidenden Durchbruch zu erzielen.
Zudem stand es betreffend der Kampfmoral bei den Briten und Franzosen nicht zum Besten. Alle Offensiven an der Westfront waren gescheitert und der Zusammenbruch Russlands wirkte ebenso niederschmetternd.
Um die deutsche Kampfmoral war es besser bestellt. Man hatte Russland besiegt, Italien (vorläufig) ausgeschaltet und im Westen erfolgreich die Stellung gegen eine Übermacht gehalten.
Ohne die prekäre Situation zu Beginn der Frühjahrsoffensive wäre (vorerst) wohl auch kein gemeinsames Oberkommando unter Foch zusammengekommen. Vor allem Pershing wollte sich nicht hereinreden lassen.
Ebenso ist die Kampfkraft der amerikanischen Soldaten zu hinterfragen. In ihrer kurzen Einsatzzeit trafen diese auf eine demoralisierte und durch die Frühjahrsoffensive abgekämpfte deutsche Armee und hatten 117.000 Tote zu beklagen. Wie viel höher wären die Verluste gewesen, wenn man auf eine geschwächte, aber immer noch verhältnismäßig kampfstarke deutsche Armee in der Siegfriedstellung getroffen wäre? Wie hätten Wilson und die amerikanische Öffentlichkeit (bei durchaus möglichen) Verlustzahlen von 1.000.000 reagiert?
Wie stand es um die Kampfmoral der Amerikaner? Immerhin hatten sich nur 4.355 Freiwillige gemeldet.
(Becker, Jaques, Gerd Krumeich: Der Grosse Krieg - Deutschland und Frankreich im Ersten Weltkrieg 1914 - 1918, Essen 2010, S. 281).
Es stellt sich auch die Frage, ob der Durchbruch an der Salonikifront gelungen wäre. Die zahlenmäßige Überlegenheit der Entente war hier nicht übermäßig - entscheidend war hier der Abzug der meisten deutschen Truppen an die Westfront (der ohne gescheiterte Frühjahrsoffensive wohl nicht notwendig gewesen wäre).
Wie
@Shinigami schon geschrieben hatte, wäre an den anderen Fronten unter Umständen offensive Aktionen nötig gewesen, um die Kampfmoral aufrechtzuerhalten. Fraglich ist aber, ob die Salonikifront hierzu geeignet gewesen wäre. Selbst, wenn man hier gesiegt hätte, hätte man dadurch zwar einen weiteren Prestigeerfolg errungen, aber die Entente hätte Kräfte für die Westfront freibekommen, wohingehen die bulgarischen Soldaten an keiner anderen Front einsetzbar waren (die Bulgaren hätten z.B. nicht an der Westfront für Deutschland gekämpft, ihre eigenen Ziele waren ja ohnehin erreicht). Aus der Reihen der Zentralmächte wären dann also ca. 500.000 Soldaten herausgefallen.
Wie schon weiter oben geschrieben, wäre ein Friedensangebot sicher förderlich gewesen. Man hätte im Westen auf jegliche Annexion verzichten müssen und ggf. sogar Elsass-Lothringen in Aussicht stellen müssen und auf den größten Teil des Brest-Litowsker Friedensvertrages verzichten müssen. Es hätte ja auch völlig genügt, Polen als eigenständigen Staat zu erhalten. Die französisch-russische Allianz war zerbrochen und dazu noch ein Pufferstaat, der zwar nicht in bester Beziehung zu Deutschland stand, aber sicher kein Bündnis mit Russland anstrebte, wodurch die Gefahr aus dem Osten für Deutschland gebannt war.
Die deutschen Verluste waren hoch gewesen, aber die französischen wogen schwerer. Der demographische Vorteil Deutschlands blieb bestehen, auch der wirtschaftliche hätte sich nach einer schwierigen Erholungsphase nach dem Krieg wieder eingestellt.
Hätte die deutsche Führung das erkannt, nämlich dass "der Krieg im Sinne der Ziele von 1913/14 gewonnen war" (Jörg Friedrich) hätte sie alles unternehmen müssen, deutsche Kräfte zu schonen und die Kampfmoral solange aufrecht erhalten müssen, bis ein solcher Friedensvertrag möglich gewesen wäre.
Friedrich schreibt weiter: "Ende 1917 konnten die vier Ausgangsparteien des Kriegs ihn gemeinsam verlassen. Alle hatten gewonnen. Frankreich seine Provinzen. Russland seine Revolution. Deutschland das Ende der Einkreisung. Habsburg das Leben nach dem Tode. Auf keiner anderen Basis würde Europa Frieden finden."
(Friedrich, Jörg: 14/18 - Der Weg nach Versailles, Berlin 2014, S. 918).
Wie hätte es denn auf die Kampfmoral der französischen Soldat gewirkt, hätte man Frankreich Elsass-Lothringen angeboten? Die französische Führung kämpfte gegen die deutsche Vormacht auf dem Kontinent, der einfache Soldat verteidigte sein Land und für Elsass-Lothringen. Geostrategische Gedanken lagen da fern (sofern ich das richtig einschätze).
Hätten sich die französischen Soldaten weiter opfern lassen, wenn der Gegner nicht nur anbot, aus dem Land abzuziehen, keine Annexionsforderungen im Westen zu stellen und sogar Gebiet abzutreten?
Nach dem Krieg hätte sich der Verzicht auf Brest-Litowsk auch positiv auf die deutsch-sowjetrussischen Beziehungen auswirken können. Bei einem Friedensvertrag im Westen auf Augenhöhe, wären die Beziehungen zwischen Deutschland und dem Westen dennoch weiter unterkühlt gewesen. Der Westen stand auch nicht gut zu Sowjetrussland, hatte sein Ausscheiden aus dem Krieg (in diesem Szenario) den Sieg über Deutschland verhindert.
Polen hatte Gebietsforderungen an Deutschland und Russland, auch das hätte beide zusammenführen können.
Eine Koalition wie 1914 wäre dadurch sicher nicht mehr zustandegekommen.
Dieser Weitsicht hätte es in Deutschland bedurft, um nicht auf "Siegfrieden" und stattdessen auf eine defensive Lösung zu setzen.
Immerhin hatte Falkenhayn mal während des Krieges gesagt: "Wenn wir den Krieg nicht verlieren, haben wir ihn gewonnen." Ein Siegfrieden war einfach nicht notwendig.
Relevant ist auch nicht immer, wie kampffähig eine Armee tatsächlich ist, sondern was der Gegner glaubt, wie kampffähig diese noch ist. Noch am 29. Oktober 1918 forderte Ferdinand Foch die Führung der Entente auf, den Deutschen nicht zu harte Bedingungen zu stellen, da das die Deutschen wieder zusammenschweißen und die deutsche Verteidigung unüberwindlich machen würde.
Die Entente glaubte ohnehin, dass der Krieg noch bis 1919 dauern würde (und das unter den tatsächlichen Bedingungen, wie den schweren deutschen Verlusten bei der Frühjahrs- und der alliierten Hunderttageoffensive).
Im Verlauf des Jahres 1919 hätten sich dann ggf. auch der "Brotfrieden" mit der Ukraine positiv auswirken können (wenngleich es, wie weiter oben schon erwähnt, Probleme mit dem Eisenbahntransport gegeben hätte).
Ein letzter Punkt: Die Spanische Grippe. Diese wirkte verheerender auf die alliierten Armeen (da bessere Ernährungslage und dadurch höhere Immunreaktion), hätte aber ggf. das Weiterkämpfen aller Armeen unmöglich gemacht. In diesem Fall hätte ein Frieden geschlossen werden müssen, bei dem die Deutschen einige Faustpfänder in der Hand gehalten hätten. Auch aus diesem Grund hätte sich ein defensives Aushalten gelohnt (das konnte aber damals natürlich keiner voraussehen).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ich einen Sieg der Entente auch in diesem Szenario dennoch für wahrscheinlicher halte, einen Erfolg einer deutschen Defensivstrategie aber nicht gänzlich ausschließe.