Defensivstellung im Westen statt Frühjahrsoffensive 1918 möglich?

DukeWell

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Hallo zusammen!

Ich wollte mal die Frage in den Raum stellen, ob es für die Deutschen 1918 möglich und sinnvoll gewesen wäre, im Westen defensiv entlang der Siegfriedstellung zu bleiben und auf einen Status Quo Frieden unter Akzeptanz des Friedens von Brest-Litowsk hinzuarbeiten. Ein solches Endergebnis hätte für die dt. Führung trotzdem ein durchschlagender Erfolg bedeuten müssen, selbst man auch auf die Ziele hinsichtlich Belgien hätte verzichten müssen. Es hätte dem Deutschen Kaiserreich einen gewaltigen Raum im Osten erschlossen und dem Zweifrontendilemma im Falle eines zukünftigen Krieges ein Ende bereitet.
Frei gewordene Truppen hätten zur Verstärkung der Stellungen im Westen und zur Liquidierung der Salonikifront und/oder einem Schlag gegen Italien genutzt werden können, der Rest hätte die Lage im Osten stabilisieren können, evtl. mit den Bolschewiki einen Schlag gegen Murmansk führen können und/oder in St. Petersburg einmarschieren und ein prodeutsches Regime installieren können.
Die Frage ist: Hätte man die Front vor allem in Anbetracht der frischen US-Truppen halten können und hätte man die Moral der Armee als auch daheim stabil halten können?

- Dazu noch zwei Anmerkungen: In der Frühjahrsoffensive kam ja erschwerend hinzu, dass die Gebiete, in die vormarschiert wurde, bereits zuvor im Unternehmen Alberich verwüstet wurden. Damit hätten dann die Entente-Truppen zu Kämpfen gehabt.
- Um die Moral hoch zu halten, hätte man ja nochmal ein konkretes Friedensangebot auf Status Quo Basis abgeben können.
 
Frei gewordene Truppen hätten zur Verstärkung der Stellungen im Westen und zur Liquidierung der Salonikifront und/oder einem Schlag gegen Italien genutzt werden können

Kronprinz Rupprecht von Bayern und Wilhelm Groener haben sich mit solchen Gedankenspielen beschäftigt. Große Resonanz fanden ihre Ideen nicht, es wurden auch keine konkreten Pläne ausgearbeitet.

Die Zeit arbeitete gegen die Mittelmächte, daher suchte man eine schnelle Entscheidung. Den Krieg in die Länge zu ziehen, indem man sich mit Aktivitäten an Nebenkriegsschauplätzen verzettelte, hielten die Entscheidungsträger letztlich für keinen gangbaren Weg.
 
Ich wollte mal die Frage in den Raum stellen, ob es für die Deutschen 1918 möglich und sinnvoll gewesen wäre, im Westen defensiv entlang der Siegfriedstellung zu bleiben und auf einen Status Quo Frieden unter Akzeptanz des Friedens von Brest-Litowsk hinzuarbeiten.
Möglicherweise, allerdings hätte das offensive Erfolge in Italien, an der Saloniki-Front und in Kleinasien vorausgesetzt.

Halten im Westen hätte nämlich nichts gebracht, wenn es der Entente gelungen wäre an den anderen Fronten durchzubrechen.
Wenn man im Westen gehalten und die Entente aus Südeuropa vertrieben hätte, hätte das gegebenenfalls funktionieren können.

Die Frage ist: Hätte man die Front vor allem in Anbetracht der frischen US-Truppen halten können und hätte man die Moral der Armee als auch daheim stabil halten können?
Die Frage ist unter welchen Voraussetzungen. Hätte man eine erfolgreiche Offensive gegen an den anderen Fronten hinbekommen, idealerweise Italien zum Ausscheiden aus dem Krieg gebracht und wieder für die Einfuhr von Lebensmitteln erschlossen und die Streitkräfte der Entente vom Balkan tatsächlich vertrieben, dann hätte man über einen größeren Pool an Reservetruppen verfügt.

Und wenn man zeitgleich im Westen die Defensivstellungen bis zum geht-nicht-mehr ausgebaut hätte, würde ich meinen hätten rein militärisch die Chancen besser gestanden jedenfalls länger duchzuhalten.

Wie das in Sachen Moral ausgesehen hätte, ist schwer abzuschätzen, die prekäre Ernährungssituation war natürlich ein Problem und Abhilfe aus dem Osten gab es erstmal nicht, weil da selbst kriegsbedingt nicht so viel funktionierte, und auch die Eisenbahn total im Eimer war, so das Überschüsse, wo vorhanden nicht nach deutschland transportiert werden konnten.

Die falsche Vorstellung, man könne mit den Ressourcen aus dem Osten das Versorgungsproblem lösen, die hatten ja auch Ludendorff und Konsorten und das hat dann nicht so gut funktioniert.
Wahrscheinlich hätte man substanzielle Abhilfe in Sachen Versorgung aus dem Osten frühestens im Sommer 1919 gehabt.

Ob man bis dahin hätte durchhalten können, ist kaum abzusehen.


Ich dene auch nicht, dass ein Frieden auf Bedingung des Status Quo im Westen und auf den Bedingungen von Brest-Litowsk im Osten basierend für die Entente-Mächte akzeptabel gewesen wäre, weil das die Machtbalance einfach zu krass in Richtung Deutschland verschob.


Wenn man angeboten hätte im Westen zum Status Quo ante zurück zu kehren und sich im Osten auf kleinere Veränderungen zu Gunsten der Zentralmächte zu beschränken, z.B. auf ein eigenständiges Polen in den Grenzen Kongresspolens, wie sie 1815 mal festgelegt waren und vielleicht ein eigenständiges Litauen (modernen Zuschnitts, nicht im Rahmen des alten Großfürstentums) ohne darüber hinaus noch etwas zu verlangen und unter Maßgabeauf alle anderen Vorteile aus dem Brester Friedensvertrag zu verzichten, so dass Russland als Großmacht jedenfalls intakt geblieben wäre, dass hätte man vielleicht durchbekommen können, wenn man den Krieg im Westen etwas anders geführt hätte und im Süden erfolgreich gewesen wäre.

Die Vorstellung, das da ein extrem großer Gewinn für Deutschland zu realisieren gewsen wäre, dürfte aber illusorisch sein.
Anfang 1918 hätte Deutschland, wenn es bereit gewesen wäre auf den Brester-Diktatfrieden zu verzichten oder sämtliche Vorteile daraus als Verhandlungsmasse betrachtet hätte, von der man sich nötigenfalls wieder trennen könnte, wahrscheinlich noch brauchbare Karten gehabt um jedenfalls ohne größere eigene Verluste aus dem Krieg heraus zu kommen, wenn man auf die große Westoffensive verzichtet hätte.
Alles darüber hinaus wäre zunehmend unwahrscheinlich gewesen.
Wie gesagt, vielleicht ein eigenständiges Polen (das forderte ja auch Wilson) in den Grenzen Kongresspolens und/oder ein eigenständiges Litauen um im Osten eine kleine Pufferzone gegenüber Russland zu haben, mehr aber in keinem Fall.
- Dazu noch zwei Anmerkungen: In der Frühjahrsoffensive kam ja erschwerend hinzu, dass die Gebiete, in die vormarschiert wurde, bereits zuvor im Unternehmen Alberich verwüstet wurden. Damit hätten dann die Entente-Truppen zu Kämpfen gehabt.
Naja, wenn sie dort im Norden angesetzt hätten.
Natürlich hätte die Entente aber auch die Möglichkeit gehabt, zunehmend größere Truppensammlungen zusammen zu ziehen und es beispielsweise in Lothringen zu versuchen.

- Um die Moral hoch zu halten, hätte man ja nochmal ein konkretes Friedensangebot auf Status Quo Basis abgeben können.
Das hätte man vor allem von Anfang an tun können.

Die Frage ist halt, wäre die Moral an der Front besser gewesen, wenn man sich verschanzt hätte? Damit hätte man den eigenen Truppen natürlich klar gemacht, dass es eher keine Chance auf ein schnelles Kriegsende geben und man es trotz zunehmenden Mangels weiterhn aus Erschöpfung hätte ankommen lassen.

Bei vielen Soldaten rührte eine zunehmend schlechte Moral ja durchaus auch daher, dass irgendwo Verzweiflung um sich griff, weil man in einer elenden Situation steckte, aus der man nicht heraus kam.

Mit der Moral ging es seit spätestens Sommer 1918 spührbar bergab, als die Soldaten verstanden, dass die Entscheidungsschlacht im Westen verloren gegangen war.
Allerdings dürfte in der ersten Jahreshälfte die Vorstellung es vielleicht in der Hand zu haben, den Krieg mit einem schnellen Sieg zu beenden auch dazu beigetragen haben die Moral hochzuhalten.
Möglicherweise hätte sich bei anderem operativen Vorgehen zunehmender Verfall der Moral an der Front bereits früher bemerkbar gemacht.
 
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Ich bin der Meinung, dass Gerd Krumeich zu genau diesem Punkt etwas in seinem vorletzten Buch geschrieben hat.

Hier ein paar Auszüge aus dem Spiegel:
einestages: Hätten Sie 1919 den Versailler Vertrag unterschrieben?
Krumeich: Auf keinen Fall! Ich lasse mich doch nicht erpressen - und genau so war es damals: Die Unterschrift wurde wie mit vorgehaltener Pistole erzwungen.
einestages: Nicht zu unterschreiben, war keine Option. Für den Fall einer Verweigerung existierten detaillierte Pläne zur Besetzung Deutschlands.
Krumeich: Aber wären die Poilus, die einfachen französischen Soldaten, wirklich auf Berlin marschiert? Das ist eine schwierige, völlig unerforschte Frage. Experten wie der Historiker Bruno Cabanes sind der Ansicht, die Poilus seien nach vier Jahren Krieg viel zu demotiviert gewesen, um sich erneut in Bewegung zu setzen. Aber ob man sie hätte zwingen können?
(....)

Krumeich: Sie verfolgten völlig unterschiedliche Ziele. Wilson wollte den ewigen Frieden. Den Franzosen ging es vor allem um Rache und Reparationen, den Briten um eine Arrondierung ihres Imperiums, den Italienern um Gebietszuwachs. Einig waren sie nur in einem einzigen Punkt - der deutschen Alleinschuld am Krieg. Das war der Kitt, der sie zusammenhielt.
einestages: Der Aufschrei gegen Versailles ging durch Deutschland. Was war so unerträglich?
Krumeich: Versetzen wir uns in die Situation von damals. Erst kam Wilson und stellte Deutschland einen Verhandlungsfrieden in Aussicht, wenn es demokratisch geworden sei. Und dann? Dann sollten die Deutschen zugeben und unterzeichnen, am größten Verbrechen der Weltgeschichte schuld zu sein - das war schlicht nicht aushaltbar. Gegen den "Schandfrieden" wetterten selbst die liberalsten und klügsten Köpfe wie der Soziologe Max Weber, Religionsphilosoph Ernst Troeltsch, Schriftsteller Kurt Tucholsky...
(.....)
Aber: Der Vertrag von Versailles und die Alleinschuldzuweisung blieben den Deutschen auf Dauer unerträglich - und genau das öffnete Hitler die Türen.

 
Die Entente hatte die Deutschen zurückdrängen können, da die Deutschen infolge der Frühjahrsoffensive auf Positionen vorgerückt war, die schwer zu verteidigen gewesen waren. Zudem hatten die Deutschen hohe Verluste zu beklagen. Der Durchbruch durch die Siegfriedstellung erfolgte, da die deutsche Kampfmoral im Zuge der gescheiterten Frühjahrsoffensive gebrochen war und man sich in großer Zahl ergab.
Wäre die Frühjahrsoffensive ausgeblieben, stünden die verlorenen Kräfte an der Siegfriedstellung noch zur Verfügung. Der Verteidiger, vor allem im Ersten Weltkrieg, hat, wie wir wissen, gegenüber dem Angreifer mehrere Vorteile.
Es wäre für die Alliierten sicher deutlich schwerer gewesen, hier einen entscheidenden Durchbruch zu erzielen.
Zudem stand es betreffend der Kampfmoral bei den Briten und Franzosen nicht zum Besten. Alle Offensiven an der Westfront waren gescheitert und der Zusammenbruch Russlands wirkte ebenso niederschmetternd.
Um die deutsche Kampfmoral war es besser bestellt. Man hatte Russland besiegt, Italien (vorläufig) ausgeschaltet und im Westen erfolgreich die Stellung gegen eine Übermacht gehalten.
Ohne die prekäre Situation zu Beginn der Frühjahrsoffensive wäre (vorerst) wohl auch kein gemeinsames Oberkommando unter Foch zusammengekommen. Vor allem Pershing wollte sich nicht hereinreden lassen.
Ebenso ist die Kampfkraft der amerikanischen Soldaten zu hinterfragen. In ihrer kurzen Einsatzzeit trafen diese auf eine demoralisierte und durch die Frühjahrsoffensive abgekämpfte deutsche Armee und hatten 117.000 Tote zu beklagen. Wie viel höher wären die Verluste gewesen, wenn man auf eine geschwächte, aber immer noch verhältnismäßig kampfstarke deutsche Armee in der Siegfriedstellung getroffen wäre? Wie hätten Wilson und die amerikanische Öffentlichkeit (bei durchaus möglichen) Verlustzahlen von 1.000.000 reagiert?
Wie stand es um die Kampfmoral der Amerikaner? Immerhin hatten sich nur 4.355 Freiwillige gemeldet.
(Becker, Jaques, Gerd Krumeich: Der Grosse Krieg - Deutschland und Frankreich im Ersten Weltkrieg 1914 - 1918, Essen 2010, S. 281).
Es stellt sich auch die Frage, ob der Durchbruch an der Salonikifront gelungen wäre. Die zahlenmäßige Überlegenheit der Entente war hier nicht übermäßig - entscheidend war hier der Abzug der meisten deutschen Truppen an die Westfront (der ohne gescheiterte Frühjahrsoffensive wohl nicht notwendig gewesen wäre).
Wie @Shinigami schon geschrieben hatte, wäre an den anderen Fronten unter Umständen offensive Aktionen nötig gewesen, um die Kampfmoral aufrechtzuerhalten. Fraglich ist aber, ob die Salonikifront hierzu geeignet gewesen wäre. Selbst, wenn man hier gesiegt hätte, hätte man dadurch zwar einen weiteren Prestigeerfolg errungen, aber die Entente hätte Kräfte für die Westfront freibekommen, wohingehen die bulgarischen Soldaten an keiner anderen Front einsetzbar waren (die Bulgaren hätten z.B. nicht an der Westfront für Deutschland gekämpft, ihre eigenen Ziele waren ja ohnehin erreicht). Aus der Reihen der Zentralmächte wären dann also ca. 500.000 Soldaten herausgefallen.
Wie schon weiter oben geschrieben, wäre ein Friedensangebot sicher förderlich gewesen. Man hätte im Westen auf jegliche Annexion verzichten müssen und ggf. sogar Elsass-Lothringen in Aussicht stellen müssen und auf den größten Teil des Brest-Litowsker Friedensvertrages verzichten müssen. Es hätte ja auch völlig genügt, Polen als eigenständigen Staat zu erhalten. Die französisch-russische Allianz war zerbrochen und dazu noch ein Pufferstaat, der zwar nicht in bester Beziehung zu Deutschland stand, aber sicher kein Bündnis mit Russland anstrebte, wodurch die Gefahr aus dem Osten für Deutschland gebannt war.
Die deutschen Verluste waren hoch gewesen, aber die französischen wogen schwerer. Der demographische Vorteil Deutschlands blieb bestehen, auch der wirtschaftliche hätte sich nach einer schwierigen Erholungsphase nach dem Krieg wieder eingestellt.
Hätte die deutsche Führung das erkannt, nämlich dass "der Krieg im Sinne der Ziele von 1913/14 gewonnen war" (Jörg Friedrich) hätte sie alles unternehmen müssen, deutsche Kräfte zu schonen und die Kampfmoral solange aufrecht erhalten müssen, bis ein solcher Friedensvertrag möglich gewesen wäre.
Friedrich schreibt weiter: "Ende 1917 konnten die vier Ausgangsparteien des Kriegs ihn gemeinsam verlassen. Alle hatten gewonnen. Frankreich seine Provinzen. Russland seine Revolution. Deutschland das Ende der Einkreisung. Habsburg das Leben nach dem Tode. Auf keiner anderen Basis würde Europa Frieden finden."
(Friedrich, Jörg: 14/18 - Der Weg nach Versailles, Berlin 2014, S. 918).
Wie hätte es denn auf die Kampfmoral der französischen Soldat gewirkt, hätte man Frankreich Elsass-Lothringen angeboten? Die französische Führung kämpfte gegen die deutsche Vormacht auf dem Kontinent, der einfache Soldat verteidigte sein Land und für Elsass-Lothringen. Geostrategische Gedanken lagen da fern (sofern ich das richtig einschätze).
Hätten sich die französischen Soldaten weiter opfern lassen, wenn der Gegner nicht nur anbot, aus dem Land abzuziehen, keine Annexionsforderungen im Westen zu stellen und sogar Gebiet abzutreten?
Nach dem Krieg hätte sich der Verzicht auf Brest-Litowsk auch positiv auf die deutsch-sowjetrussischen Beziehungen auswirken können. Bei einem Friedensvertrag im Westen auf Augenhöhe, wären die Beziehungen zwischen Deutschland und dem Westen dennoch weiter unterkühlt gewesen. Der Westen stand auch nicht gut zu Sowjetrussland, hatte sein Ausscheiden aus dem Krieg (in diesem Szenario) den Sieg über Deutschland verhindert.
Polen hatte Gebietsforderungen an Deutschland und Russland, auch das hätte beide zusammenführen können.
Eine Koalition wie 1914 wäre dadurch sicher nicht mehr zustandegekommen.
Dieser Weitsicht hätte es in Deutschland bedurft, um nicht auf "Siegfrieden" und stattdessen auf eine defensive Lösung zu setzen.
Immerhin hatte Falkenhayn mal während des Krieges gesagt: "Wenn wir den Krieg nicht verlieren, haben wir ihn gewonnen." Ein Siegfrieden war einfach nicht notwendig.
Relevant ist auch nicht immer, wie kampffähig eine Armee tatsächlich ist, sondern was der Gegner glaubt, wie kampffähig diese noch ist. Noch am 29. Oktober 1918 forderte Ferdinand Foch die Führung der Entente auf, den Deutschen nicht zu harte Bedingungen zu stellen, da das die Deutschen wieder zusammenschweißen und die deutsche Verteidigung unüberwindlich machen würde.
Die Entente glaubte ohnehin, dass der Krieg noch bis 1919 dauern würde (und das unter den tatsächlichen Bedingungen, wie den schweren deutschen Verlusten bei der Frühjahrs- und der alliierten Hunderttageoffensive).
Im Verlauf des Jahres 1919 hätten sich dann ggf. auch der "Brotfrieden" mit der Ukraine positiv auswirken können (wenngleich es, wie weiter oben schon erwähnt, Probleme mit dem Eisenbahntransport gegeben hätte).
Ein letzter Punkt: Die Spanische Grippe. Diese wirkte verheerender auf die alliierten Armeen (da bessere Ernährungslage und dadurch höhere Immunreaktion), hätte aber ggf. das Weiterkämpfen aller Armeen unmöglich gemacht. In diesem Fall hätte ein Frieden geschlossen werden müssen, bei dem die Deutschen einige Faustpfänder in der Hand gehalten hätten. Auch aus diesem Grund hätte sich ein defensives Aushalten gelohnt (das konnte aber damals natürlich keiner voraussehen).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ich einen Sieg der Entente auch in diesem Szenario dennoch für wahrscheinlicher halte, einen Erfolg einer deutschen Defensivstrategie aber nicht gänzlich ausschließe.
 
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Wie @Shinigami schon geschrieben hatte, wäre an den anderen Fronten unter Umständen offensive Aktionen nötig gewesen, um die Kampfmoral aufrechtzuerhalten. Fraglich ist aber, ob die Salonikifront hierzu geeignet gewesen wäre
Dann bin ich an dieser Stelle falsch verstanden worden.

Wenn ich schrieb, dass eine Offensive an den anderen Fronten notwendig gewesen wäre, dann ging es mir nicht um moralische Effekte, sondern mehr oder weniger um 2 Ziele:

1. Den Ententemächten den Zugriff auf andere Ansatzpunkte zu nehmen um sie zu zwingen alternativlos gegen eine stark befstigte Westfront anzurennen, damit in die weitere Befestigung zu steckende Ressourcen nicht dadurch verschwendet würden, dass man sich seitens der Entente dann entscheiden würde es anderswo zu versuchen und mit ihrer Materialüberlegenheit Deutschlands schwächere Verbündete in Bedrängnis zu bringen.

2. Freimachen von anderswo gebundenen Ressourcen. Sowohl von potentiellen Reservetruppen um erschöpfte Einheiten im Westen wenigstens hin und wieder per Rotation ablösen zu können, vor allem aber auch Einsparen von Eisenbahnressourcen zur Versorgung von Truppenverbänden weit abseits des Hauptschauplatzes um durch anderen Einsatz den Nachschubdurchsatz im Westen zu verbessern und idealerweise die Versorgungsprobleme etwas zu lindern.
Es wäre sicherlich auch nicht unvorteilhaft gewesen, wenn im Besonderen das von katastrophaler Versorgungslage betroffene Österreich-Ungarn einen Teil seiner Kader hätte demobilisieren können, um das Eisenbahnsystem in Sachen Versorgung zu entlasten und im Sommer 1918 mehr Arbeitskräfte für die Erntearbeit zur Verfügung zu haben um aus der Agrarproduktion wirklich das Maximum heraus zu holen.


Es hätte ja auch völlig genügt, Polen als eigenständigen Staat zu erhalten. Die französisch-russische Allianz war zerbrochen und dazu noch ein Pufferstaat, der zwar nicht bester Beziehung zu Deutschland stand, aber sicher kein Bündnis mit Russland anstrebte, wodurch die Gefahr aus dem Osten für Deutschland gebannt war.
Das hätte vom Zuschnitt des polnischen Staates abgehangen. Man hätte in einem hypothetischen Szenario lediglich einen kleinen polnischen Staat akzeptieren können, dem auf keinen Fall alle von Polen bewohnten Gebiete oder Städte, die zum russischen Reich gehörten, oder auf die die polnische Nationalbewegung Ansprüche anmeldete oder anmelden konnte, angehören durften.
Ein polnischer Staat wäre nämlich nur dann zwischen Deutschland, Österreich und Russland einigermaßen neutral zu halten gewesen, wenn nationalistische Strömungen innerhalb dieses Staates Territorialforderungen an alle drei Nachbarn gleichermaßen geltend gemacht hätte. Wären solche Territorien nur bei Österreich-Ungarn und Deutschland verblieben, weil man einen solchen Staat nach Russland hin vergrößert hätte, wärde dieser polnische Staat schneller mit Russland verbündet gewesen, als man hätte gucken können.

Wie hätte es denn auf die Kampfmoral der französischen Soldat gewirkt, hätte man Frankreich Elsass-Lothringen angeboten? Die französische Führung kämpfte gegen die deutsche Vormacht auf dem Kontinent, der einfache Soldat verteidigte sein Land und für Elsass-Lothringen. Geostrategische Gedanken lagen da fern (sofern ich das richtig einschätze).
Hätten sich die französischen Soldaten weiter opfern lassen, wenn der Gegner nicht nur anbot, aus dem Land abzuziehen, keine Annexionsforderungen im Westen zu stellen und sogar Gebiet abzutreten?
Allerdings wäre Abtretung Elsass-Lothringens, so lange man Faustpfänder im Westen hatte und militärisch einigermaßen brauchbar darstand, zumal über die Köpfe der Elsass-Lothringischen Bevölkerung hinweg innenpolitisch kaum zu vermitteln gewesen.
Auch die Schwerindustrie hätte wegen der Lothringischen Erze "Mordio und Zeter" geschrien.

Was man möglicherweise ohne ernsthafte militärische Rückschläge im Westen hätte vermitteln können, wäre eine Volksabstimmung in Elsass-Lothringen über den Verbleib des Territoriums gewesen.
Die hätte nachdem sowohl von deutscher, als auch von französischer Seite her Elsass-Lothringen als Teil der eigenen Nation beschworen wurde von keiner der beiden Seiten abgelehnt werden können, oder jedenfalls wären die entsprechenden Nationalisten dann in rhebliche Erklärungsnot gekommen.

Nach dem Krieg hätte sich der Verzicht auf Brest-Litowsk auch positiv auf die deutsch-sowjetrussischen Beziehungen auswirken können. Bei einem Friedensvertrag im Westen auf Augenhöhe, wären die Beziehungen zwischen Deutschland und dem Westen dennoch weiter unterkühlt gewesen. Der Westen stand auch nicht gut zu Sowjetrussland, hatte sein Ausscheiden aus dem Krieg (in diesem Szenario) den Sieg über Deutschland verhindert.
Polen hatte Gebietsforderungen an Deutschland und Russland, auch das hätte beide zusammenführen können.
Damals war ja überhaupt nicht klar, dass sich die Bolschewiki durchsetzen würden.

Aber vollkommen egal, wer sich in Russland durchsetzte, wenn die Ententemächte einem eigenständigen Polen aus Kosten Russlands zugestimmt hätten um den Konflikt zu lösen und Deutschland zu beschwichtigen, hätte man das in Russland nur als Verrat empfinden können und das hätte einer Allianz mit den Westmächten wahrscheinlich auf längere Zeit die Grundlage entzogen.


Dieser Weitsicht hätte es in Deutschland bedurft, um nicht auf "Siegfrieden" und stattdessen auf eine defensive Lösung zu setzen.
Immerhin hatte Falkenhayn mal wärend des Krieges gesagt: "Wenn wir den Krieg nicht verlieren, haben wir gewonnen." Ein Siegfrieden war einfach nicht notwendig.
Objektiv hätte das Sinn gemacht, die Frage ist nur eben, wer ist nach 3-4 Jahren anhaltendem Gemetzel noch objektiv.
Ich denke man kann das vor allem am deutschen Revisionismus der Weimarer Zeit kritisieren, dass man mit etwas Distanz zum Krieg nicht deutlich mehr zu dem Schluss kam, dass sich Deutschlands strategische Situation eigentlich eher verbessert hatte und man mit einer kooperativeren Haltung möglicherweise viel weiter gekommen wäre, als starrsinnig auf der Revision und der Rückholung von jedem Quadratmeter Land, den man durch den Versailler Vertrag verloren hatte zu bestehen.

Ich denke aber nicht, dass man den Leuten während des Krieges einen Vorwurf daraus machen kann, dass die Emotionen irgendwo die gesunde Abwägung manipulierten.

Relevant ist auch nicht immer, wie kampffähig eine Armee tatsächlich ist, sondern was der Gegner glaubt, wie kampffähig diese noch ist. Noch am 29. Oktober 1918 forderte Ferdinand Foch die Führung der Entente auf, den Deutschen nicht zu harte Bedingungen zu stellen, da das die Deutschen wieder zusammenschweißen und die deutsche Verteidigung unüberwindlich machen würde.
Was allerdings nur so lange funktionieren kann, wie sich die Fassade aufrecht erhalten lässt, womit man wieder bei der Frage wäre, wie sehr sich allmählich ausbreitende spanische Grippe und die Versorgungsengpässe auf die Moral auswirkten und ob unter diesen Umständen, wenn man auf die Westoffensive verzichtet worden wäre, die Möglichkeit gegeben gewesen wäre sich mindenstens in den Winter und ins Frühjahr 1919 zu retten um ein Zeitfenster für einen diplomatischen Vorstoß zu haben, denn das hätte man benötigt.

Die Ententemächte hätten, zumal wenn Deutschland im Frühjahr 1918 an anderen Fronten angegriffen hätte ein diplomatisches Ansinnen, so lange Deutschlands Offensivenn liefen, wahscheinlich zurückgewiesen und wahrscheinlich hätte man von militärischer Seite bei der Entente auch darauf bestanden, vor der Aufnahme von Verhandlungen eine Gegenoffensive oder eine Offensive im Westen wenigstens zu versuchen, um die eigene Position zu verbessern, so lange die Witterungsbedingungen das hergegeben hätte.
Wäre die irgendwann im Sommer-Herbst 1918 mit maximal geringen Geländegewinnen militärisch gescheitert, dann wäre wahrscheinlich der Boden für Verhandlungen bereitet gewesen.
Die Frage ist, wie gesagt aber, ob die Unterversorgung und die Seuchenproblematik an der Front dann im Winter '18/'19 möglicherweise die Fassade der Wehrhaftigkeit ernsthaft beschädigt hätte.
 
Im Verlauf des Jahres 1919 hätten sich dann ggf. auch der "Brotfrieden" mit der Ukraine positiv auswirken können (wenngleich es, wie weiter oben schon erwähnt, Probleme mit dem Eisenbahntransport gegeben hätte).
Unwahrscheinlich, schon deswegen, weil die Ukraine zwar proklamiert, aber nicht wirklich gesichert war.
Es gab dort Truppen der Zentralmächte, aber natürlich zu wenig für eine flächendeckende Besatzung und um die Autorität der faktischen Marionettenregierung und die deutsch-österreichischen Forderungen durchzusetzen.
Außerdem hätten vermehrte deutsche Aktivitäten und eine Verfestigung einer eigenständigen Ukraine da natürlich Friedensverhandlungen unterminiert, da man auf Entente-Seite vielleicht damit hätte leben können, wenn Russland einen Teil Polens verloren hätte, aber niemald damit, wenn die gesamte Ukraine dauerhaft abgetrent worden wäre.

Möglicherweise hätte man vor allem aus den polnischen Gebieten (das wäre auch in Sachen Bahntransporte eher erschließbar gewesen) in 1919 etwas Abhilfe beziehen können, zumal da bereits seit 1916 (wenn wir von kongresspolen reden) nicht mehr gekämpft wurde und hier bereits Zeit war einen Teil der Verwüstungen zu beheben und das Eisenbahnsystem auf westeuropäische Spurweite umzubauen.
Aus der Ukraine aber eher nicht, dass wäre wahrscheinlich eher illusorisch gewesen
Und die Frage ist dann auch, wie viel man daraus hätte holen können und nebenher natürlich ob die Östereicher, denen es bei der Verssorgung noch schlimmer ging das durchgehalten hätten.

Denn wäre Österreich zusammengebrochen/auseinandergeflogen, wären die Positionen der Mittelmächte in Osteuropa und am Balkan nicht zu halten gewesen und die Entente hätte einen anderen Ansatzpunkt gehabt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ich einen Sieg der Entente auch in diesem Szenario dennoch für wahrscheinlicher halte, einen Erfolg der einer deutschen Defensivstrategie nicht gänzlich ausschließe.
Ich denke diesem zusammengefasten Fazit kann ich mich im Großen und Ganzen anschließen.
Es wäre sicherlich das sinnvollste gewesen, sich gleich 1917, als Russsland vollständig am Ende war auf das Modell eines allgemeinen Friedens auf Basis des Status Quo ante festzulegen und zu versuchen auf dieser Basis im Winter 1917/1918 in Verhandlungen zu gehen.
Damit wäre man wahrscheinlich am besten weg gekommen.
 
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Ich denke nicht, das Deutschland und insbesondere die KuK-Monarchie überhaupt einen Winter 18/19 überstanden hätten. Die Lage in Österreich war mehr als desolat, aus den "Ostgebieten" konnten kaum genug Nahrungsmittel für die Mittelmächte kommen. In beiden Staaten war die Bevölkerung sichtlich am Ende, zudem standen die Osmanen ebenso kurz vor dem Zusammenbruch. Eine Friedensinitiative aufgrund einer Defensivstellung im Westen hätte fast zwingend bis Ende 1918- Anfang 1919 Erfolg haben müßen. Shinigami kann ich mich in sofern anschließen, außer einer Offensive im Westen wäre dies die einzig verbleibende Option gewesen.
 
1. Den Ententemächten den Zugriff auf andere Ansatzpunkte zu nehmen um sie zu zwingen alternativlos gegen eine stark befstigte Westfront anzurennen, damit in die weitere Befestigung zu steckende Ressourcen nicht dadurch verschwendet würden, dass man sich seitens der Entente dann entscheiden würde es anderswo zu versuchen und mit ihrer Materialüberlegenheit Deutschlands schwächere Verbündete in Bedrängnis zu bringen.

2. Freimachen von anderswo gebundenen Ressourcen. Sowohl von potentiellen Reservetruppen um erschöpfte Einheiten im Westen wenigstens hin und wieder per Rotation ablösen zu können, vor allem aber auch Einsparen von Eisenbahnressourcen zur Versorgung von Truppenverbänden weit abseits des Hauptschauplatzes um durch anderen Einsatz den Nachschubdurchsatz im Westen zu verbessern und idealerweise die Versorgungsprobleme etwas zu lindern.
Es wäre sicherlich auch nicht unvorteilhaft gewesen, wenn im Besonderen das von katastrophaler Versorgungslage betroffene Österreich-Ungarn einen Teil seiner Kader hätte demobilisieren können, um das Eisenbahnsystem in Sachen Versorgung zu entlasten und im Sommer 1918 mehr Arbeitskräfte für die Erntearbeit zur Verfügung zu haben um aus der Agrarproduktion wirklich das Maximum heraus zu holen.
Das macht natürlich Sinn. Die Gefahr dabei wäre natürlich gewesen, dass sich Deutschland auch an den Nebenfronten zu sehr abnutzt und dann an der Westfront in der Defensive zu schwach ist. Die Entlastung für Österreich-Ungarn wäre auf jeden Fall sinnvoll gewesen, auch da sich von allen Verbündeten Deutschlands österreichische Truppen am ehesten an der Westfront hätten einsetzen lassen (eine kleine Einheit war dort ja stationiert).

Das hätte vom Zuschnitt des polnischen Staates abgehangen. Man hätte in einem hypothetischen Szenario lediglich einen kleinen polnischen Staat akzeptieren können, dem auf keinen Fall alle von Polen bewohnten Gebiete oder Städte, die zum russischen Reich gehörten, oder auf die die polnische Nationalbewegung Ansprüche anmeldete oder anmelden konnte, angehören durften.
Ein polnischer Staat wäre nämlich nur dann zwischen Deutschland, Österreich und Russland einigermaßen neutral zu halten gewesen, wenn nationalistische Strömungen innerhalb dieses Staates Territorialforderungen an alle drei Nachbarn gleichermaßen geltend gemacht hätte. Wären solche Territorien nur bei Österreich-Ungarn und Deutschland verblieben, weil man einen solchen Staat nach Russland hin vergrößert hätte, wärde dieser polnische Staat schneller mit Russland verbündet gewesen, als man hätte gucken können.
Betrachten man die Beweggründe der polnischen Nationalbewegung nach dem Ersten Weltkrieg, spielten da weniger tatsächlich bewohnte Gebiete eine Rolle, sondern eher die Wiederherstellung der alten Grenze Polen-Litauens. Ich stimme dir im Grunde zu, aber ausgehend von unserem Szenario wäre da polnische Expansionsbestrebungen Richtung Osten nicht wahrscheinlicher?

Allerdings wäre Abtretung Elsass-Lothringens, so lange man Faustpfänder im Westen hatte und militärisch einigermaßen brauchbar darstand, zumal über die Köpfe der Elsass-Lothringischen Bevölkerung hinweg innenpolitisch kaum zu vermitteln gewesen.
Auch die Schwerindustrie hätte wegen der Lothringischen Erze "Mordio und Zeter" geschrien.

Was man möglicherweise ohne ernsthafte militärische Rückschläge im Westen hätte vermitteln können, wäre eine Volksabstimmung in Elsass-Lothringen über den Verbleib des Territoriums gewesen.
Die hätte nachdem sowohl von deutscher, als auch von französischer Seite her Elsass-Lothringen als Teil der eigenen Nation beschworen wurde von keiner der beiden Seiten abgelehnt werden können, oder jedenfalls wären die entsprechenden Nationalisten dann in rhebliche Erklärungsnot gekommen.
Da stimme ich dir zu.

Objektiv hätte das Sinn gemacht, die Frage ist nur eben, wer ist nach 3-4 Jahren anhaltendem Gemetzel noch objektiv.
Ich denke man kann das vor allem am deutschen Revisionismus der Weimarer Zeit kritisieren, dass man mit etwas Distanz zum Krieg nicht deutlich mehr zu dem Schluss kam, dass sich Deutschlands strategische Situation eigentlich eher verbessert hatte und man mit einer kooperativeren Haltung möglicherweise viel weiter gekommen wäre, als starrsinnig auf der Revision und der Rückholung von jedem Quadratmeter Land, den man durch den Versailler Vertrag verloren hatte zu bestehen.
Volle Zustimmung

Unwahrscheinlich, schon deswegen, weil die Ukraine zwar proklamiert, aber nicht wirklich gesichert war.
Es gab dort Truppen der Zentralmächte, aber natürlich zu wenig für eine flächendeckende Besatzung und um die Autorität der faktischen Marionettenregierung und die deutsch-österreichischen Forderungen durchzusetzen.
Außerdem hätten vermehrte deutsche Aktivitäten und eine Verfestigung einer eigenständigen Ukraine da natürlich Friedensverhandlungen unterminiert, da man auf Entente-Seite vielleicht damit hätte leben können, wenn Russland einen Teil Polens verloren hätte, aber niemald damit, wenn die gesamte Ukraine dauerhaft abgetrent worden wäre.
Die Ukraine hätte man ja nur solange halten müssen, bis die Hungerproblematik gelöst war (sofern sie, wie du berechtigt in Frage stellst, überhaupt mit Hilfe der Ukraine zu lösen war) oder bis eben ein Waffenstillstand / Friedensvertrag geschlossen wurde, bei dem dann die deutsche Räumung der Ukraine hätte beschließen können. Sofern sich endgültig abzeichnete, dass man das Getreide auch 1919 nicht aus der Ukraine nach Deutschland und Österreich-Ungarn hätte bringen können, wäre eine vorherige Räumung auch sinnvoll gewesen.
 
Die Hungerproblematik war weder mit der Ukraine noch sonst wie zu lösen. In den "Ostgebieten" gab es auch kaum genug. Soweit mir bekannt sind da nur etwa 600.000 Tonnen Getreide zu holen gewesen.
 
Betrachten man die Beweggründe der polnischen Nationalbewegung nach dem Ersten Weltkrieg, spielten da weniger tatsächlich bewohnte Gebiete eine Rolle, sondern eher die Wiederherstellung der alten Grenze Polen-Litauens. Ich stimme dir im Grunde zu, aber ausgehend von unserem Szenario wäre da polnische Expansionsbestrebungen Richtung Osten nicht wahrscheinlicher?
Das geht jetzt ein wenig über den Inhalt des Fadens hinaus, aber die polnische Nationalbewegung zur Zeit des ersten Weltkriegs, war durchaus zwiegespalten, was die Vorstellung eines erneuerten polnischen Staates angeht.

Es gab Beührworter der Konzeption das alte polnsch-litauische Imperium wieder auferstehen zu lassen (die sogennannten "Jagiellonen"). Diese Gruppe sammtelte sich vor allem um Jósef Pilsudski.
Es gab daneben aber auch diejenigen an (nach damaligen Maßstäben) monderneren Konzepten und der Idee eines ethnisch möglichst homogenen polnischen Nationalstaates, die sich (polnische Nationaldemokratie/"Piasten"), die sich um Personen wie Roman Dmowski sammtelten.

Bei der Neuerrichtung des polnischen Staates zwichen 1918 und dem Rigaer Frieden war es in der Tat so, dass das insgesamt ziemlich unentschieden war, weil die "Piasten" diejenigen waren die den besseren Draht zu den Ententemächten und mehr Einfluss auf die Verhandlungen hinsichtlich der deutsch-polnischen Grenze im Rahmen der alliierten Kriegszielvorstellungen und der Pariser Friedenskonderenz hatten, während mit dem Kollaps des Zarenreichs und der Deutschen Streitkräfte im Oste innerhalb Polens de facto die "Jagiellonen" um Pilsudski die Macht übernahmen.
Dadurch arbeiteten beide Strömungen gegeneinander, weil die "Pisasten" bzw. Nationaldemokratie versuchten die Grennzziehung gegenüber Deutschland so vorteilhaft wie möglich zu gestalten (Danzig, Masuren, Oberschlesien, teilweise Mittelschlesien), während Pilsudski und die anderen faktischen Machthaber in Polen eher die Ausweitung nach Osten betrieben.

Es gab also durchaus beides und Polens außenpolitisches Dilemma in der Zeit zwischen den Weltkriegen rührte ein wenig daher, dass beide Strömungen in gewissem Maße erfolgreich waren, was das Verhältnis zu Deutschland und der Sowjetunion gleichermaßen belastete.


Aber selbst, wenn wenn sich die Beführworter der Idee des alten Imperiums durchgesetzt hätten:

Deutschland und Österreich umfassten ja in ihren Grenzen durchaus Stätten, die für das alte polnisch-litauische Reich von einer gewissen kulturellen Bedeutung waren und die aus der nationalen Erinnerungskultur nicht wegzudenken waren.

Gnesen/Gniezno (in der damaligen Provinz Posen gelegen) z.B. ist ein Ort, den der sich insgesamt als einde der Geburtsstätten des mittelalterlichen Königreichs Polen verstehen ließ.
Das im österreichischen Galizien gelegene Krakau, war immerhin bis ins Spätmittelalter hinein sowas wie die historische Hauptstadt des ponischen Königreichs.

Darauf hätten an nationalen bis nationalistischen Vorstellungen orientierte Bewegungen in Polen niemals freiwillig verzichtet.
 
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Die Hungerproblematik war weder mit der Ukraine noch sonst wie zu lösen. In den "Ostgebieten" gab es auch kaum genug. Soweit mir bekannt sind da nur etwa 600.000 Tonnen Getreide zu holen gewesen.
Nach dieser Quelle hier sogar nur 130.000 Tonnen. Deutschland und die Ukraine im Ersten Weltkrieg

Die Frage, die sich mir stellt, hatte sich die Hungerkrise durch deutschen Zusammenbruch im November 1918 verschlechtert (ich glaube ja, man denke auch an den Verlust Rumäniens und (Österreich-)Ungarns? Wäre bei einem ausgebliebenen Zusammenbruch die Situation nicht ganz so eskaliert und hätten sich die Zentralmächte noch ein letztes Mal knapp ins nächste Jahr retten können, in dem sich die Situation ggf. etwas verbessert hätte?
Darauf hätten an nationalen bis nationalistischen Vorstellungen orientierte Bewegungen in Polen niemals freiwillig verzichtet.
Freiwillig sicher nicht, aber davon ausgehend, dass Deutschland nicht verloren hätte, ist es fraglich, ob sich Polen sogleich mit diesem angelegt hätte, sondern sich stattdessen eher mit dem geschwächten/besiegten Russland auseinandergesetzt hätte.

@Shinigami danke für die Ausführungen bzgl. Polens. Da hatte ich einiges so nicht mehr auf dem Schirm.
 
Ich sehe nicht, wie sich die Gesamtsituation Anfang 1919 hätte verbessern sollen. Der Krieg war eine Frage der Abnutzung und der Moral. Die Mittelmächte waren schlicht am Ende. Die Arbeiter in den Rüstungsfabriken hatten keinen echten Willen mehr weiterzumachen. Die Ernährungssituation war schlicht gesagt erschreckend. Es kam ja auch schon vor dem "Matrosenstreik" 1918 überall zu "Streiks". Die U-Bootwerfen z.B. mußten den Arbeitern und ihren Familien ja schon einige Zeit vorher auf eigene Kosten zusätzliche Lebensmittel zukommen lassen.
 
Interessant ist die Einschätzung von Peter Wright. Wright verfolgte die Ereignisse als Sekretär und Dolmetscher der Alliierten von Versailles aus.
Nach dem Krieg schrieb er (1), dass die deutsche Offensive die Entente an dem Rand des Verderbens gerissen habe. Die Strecke, welche die Deutschen von Ihrem Ziel, dem Gewinn des Krieges, trennte, glaubte Wright allen Ernstes in Metern berechnen zu können, nämlich die Entfernung der deutschen Trupen von der Stadt Amiens.

Große Preisfrage: Wie kam Wright zu dieser Einschätzung? Eine kriegsentscheidende Operation an der Westfront war ein überaus anspruchsvolles Unternehmen und m.E. nach waren die Voraussetzungen hierfür überhaupt nicht gegeben.
Die deutschen Truppen waren ausgehungert und als sie die ersten Stellungen der Alliierten einnahmen, machten sie sich über die Nahrungsmittel her. Die Pferde, die immerhin die schweren Geschütze ziehen sollten/mussten waren nicht nur annähernd ausreichend mit Hafer versorgt gewesen, sondern es waren deren auch zu wenige. Die Lkw, es waren deren ohnehin zu wenige, verfügten nur über Stahlreifen und nicht über Gummireifen. Benzin war ebenfalls knapp. Damit waren die Voraussetzungen für die Aufnahme eines Bewegungskrieges denkbar ungünstig gewesen.

Die Entscheidung zum Angriff war also nicht wirklich eine Sternstunde.

Für Großbritannien und Frankreich gab es keinen Anlass zu glauben, das sie alleine, vor dem Eintreffen der US-Truppen auf dem westlichen Kriegsschauplatz, die Deutschen besiegen zu können.
London und Paris fürchteten zu Recht, das nach dem Zusammenbruch Russlands nun erstmals an der Westfront, entweder gleichstarke oder überlegene Kräfte temporär gegenüber stehen würden. Haig wollte auch nach dem Ausfall Russland angreifen oder "eben einen unbefriedigenden Frieden zu akzeptieren." Haig konnte sich aber nicht durchsetzen. Die Briten gingen dazu über, die deutsche Verteidigungstaktik, eben das Dreizonenmodell, zu kopieren, während die Deutschen durch Bruchmüller ein neues, erfolgreiches Angriffsverfahren entwickelten.

Auch die Franzosen wendeten nun eine beweglichere, elastischere Verteidiungstaktik an. Die rste Stellung war nur schwach besetzt; der Hauptwiderstand befand sich in der nächsten Reihe.

Als die Alliierten von den deutschen Angriffsabsichten Wind bekamen, versuchten sie durch ein gemeinsames Oberkommando, mit nur wenig Erfolg, ihre Planungen zu koordinieren. Im Mittelpunkt von Haigs Überlegungen stand der Schutz der Kanalhäfen. Haig befürchtete, ein deutsche Angriff im Südabschnitt seiner Front würde die Reserven verschleißen um dann den entscheidenden Angriff in Flandern vorzubereiten.





(1)Wright, Wie es wirklich war. Im Obersten Kriegstat der Alliierten, S.13
 
Die Strecke, welche die Deutschen von Ihrem Ziel, dem Gewinn des Krieges, trennte, glaubte Wright allen Ernstes in Metern berechnen zu können, nämlich die Entfernung der deutschen Trupen von der Stadt Amiens.

Große Preisfrage: Wie kam Wright zu dieser Einschätzung?
Die Einschätzung, dass Amiens entscheidend gewesen wäre, die kommt bei den Zeitgenossen und in der älteren Literatur ja öffter vor.
Dürfte an der Bedeutung der Stadt als Eisenbahnknotenpunkt liegen, der im Fall einer Eroberung durch die deutschen Truppen, theoretisch den Rückzug der an der Kanalküste und nordwestlich Amiens stehenden britischen Truppen deutlich erschwert hätte, zumal, wenn die Deutschen von Amiens aus entlang des südufers der Somme weiter in Richtung Kanal vorgestoßen wären.

Das ist halt wieder die Vorstellung des Abschneidens und Einkesselns der englischen Verbänte. Übersieht aber, dass das bei der geringen Vorstoßgeschwindigkeit vorrausgesetzt hätte, dass die Briten den Fehler gemacht hätten den Zeitpunkt die Stellungen Nordwesetlich aufzugeben, vollkommen verpennt hätten, denn selbst wenn die deutschen Truppen Amiens erreicht hätten wäre wahrscheinlich dessen Einnahme eine etwas länger dauernde Angelegenheit gewesen.
Wenn man ein paar schnelle motorisierte Verbände zur Verfügng gehabt hätte, gleich ob Panzer oder Mob-Infanterie wäre vielleicht parallel eine Umgehung von Amiens und ein Vorstoß entlang der Somme möglich gewesen und dann hätten die Briten, im Besonderen wenn man von Norden her auch noch Druck gemacht hätte, um britischen Rückzug auf die Kanalhäfen bei Dünkirchen und Calais zu verhindern, ein Problem gehabt und man hätte die Sache vielleicht wirklich qua Kesselschlacht im Westen entscheiden können.

Aber in dem Vorstoßtempo, dass denkbar war, hatten die Briten genug Zeit sich Richtung Süden abzusetzen und bei hinhaltenden Kämpfen um Amiens ihre Truppen westlich bei Abbeville über die Somme zurück zu ziehen.

Wenn den Briten der Rückzug da gelungen wäre, wären die französischen Gebiete Nördich der Somme und Rest-Belgien in deutscher Hand gewesen, mehr aber auch nicht.
Ein Vorteil hätte dann noch sein können, dass so weit im Westen (östlich der Oise sah das anders aus) die Somme der letzte größere Fluss war nördlich Paris in Ost-West-Richtung war und es somit den Entente-Mächten möglicherweise schwieriger gefallen wäre eine Auffanglinie zu etablieren als anderswo, so dass wenn der Druck groß genug gewesen wäre (aber hätten die Deutschen den aufrechterhalten können?) eventuell daran hätte gedacht werden müssen, sich in Sachen natürlicher Barierren auf Seine und Aisne zu stützen, womit Paris in den Frontbereich gerückt wäre.

In so einem Szenario hätten die Deutschen wahrscheinlich vermutlich in den Nordprovinzen Verpflegung und in den Häfen einen Teil des Naschschubs der Entente, gegebenenfalls einen Teil des Artillerieparks erbeutet.

Die Entente hätte südlich eine neue Verteidigungsstellung und eine Neuorgannisation des Nachschubtransfers organisieren müssen, wenn die östlichen Kanalhäfen entfallen wären.
Außerdem hätten sie, wenn die englsichen Truppen sich hätten rausziehen können, wahrscheinlich erstmal Versorgungsengpässe gehabt, weil die Depots nicht so schnell rauszuschaffen gewesen wären.

Da aber auch die Deutschen Truppen bereits abgenutzt und völlig erschöpft waren, wäre ein schnelles Nachstoßen in richtung Paris wahrscheinlich nicht möglich gewesen (vorrausgesetzt es wäre nicht gelungen den Großteil der britischen Truppen am Kanal einzukesseln) und wahrscheilich hätte sich dann irgendwo auf halber Strecke zwischen Paris und Amiens eine neue Frontlinie etabliert.


Die Kriegsentscheidung sehe ich da, so lange es nicht gelungen wäre die Briten tatsächlich einzukesseln (unwahrscheinlich) eher nicht, jedenfalls nicht auf militärischem Wege.
Hätte natürlich sein können, dass ein solcher Schlag zum Vertrauensverlust der Bevölkerung in die Regierung und die militärischen Befehlshaber geführt hätte und zu einer Revolte.
Aber das bleibt, denke ich, müßige Spekulation.


Über den Zustand der Deutschen Truppen wird Wright nicht so gut bescheid gewusst haben.
Wenn sich Ludendorff und co. Illusionen darüber machen konnten, was kurzfristig aus dem Osten an Rohstoffen herauszuholen war, dann konnte man das sicherlich auch bei den Westmächten völlig überschätzen, zumal wenn man bei Paris saß und nicht wusste, wie es an der Front tatsächlich aussah.
 
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