Was wäre, wenn der Erste Weltkrieg nicht stattgefunden hätte?

Emperor_Antonius

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Hallo zusammen,

kürzlich gab es hier im Forum die Diskussion zur Frage: „Defensivstellung im Westen statt Frühjahrsoffensive 1918 möglich?“. Manch einer mag solche Diskussionen für unsinnig halten, ich finde „Was-wäre-wenn-Szenarien“ dagegen äußerst spannend. Ich halte es durchaus für möglich, wahrscheinliche Entwicklungen (zumindest für einen kurzen Zeitraum) bei veränderten Prämissen vorherzusagen und darüber hinaus auch zu lernen, welche Fehler damalige Entscheidungsträger begingen und ob es an mancher Stelle sinnvoller gewesen wäre, den Dingen ihren Lauf zu lassen, anstatt vorzupreschen. Natürlich nicht aus einer heutigen „Danach-ist-manklüger-Sicht“, sondern möglichst auf Basis des Wissens, über das die damaligen Akteure verfügten und mit den Möglichkeiten der damaligen Zeit, als auch mit der Berücksichtigung, dass doch jeder ein Kind seiner Zeit ist.

Die Frage, die mich beschäftigt ist die, wie die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts verlaufen wäre, wenn der Erste Weltkrieg nicht ausgebrochen wäre. Dabei als Voraussetzung die Prämisse, dass Franz Ferdinand nicht ermordet worden und auch in den ersten Jahren nach 1914 kein Krieg ausgebrochen wäre. Wobei sich hierbei gleich die erste Frage zur Diskussion stellt, ob die Lage nicht so angespannt war, dass der Krieg zu einem späteren Zeitpunkt mit hoher Wahrscheinlichkeit (mit einem anderen Auslöser) ausgebrochen wäre.

Bleiben wir zunächst bei Österreich-Ungarn. Betrachtet man den Großteil der Kapitelüberschriften in Konrad Canis Werk „Die bedrängte Großmacht – Österreich-Ungarn und das europäische Mächtesystem 1866/67 – 1914“ kommt man allein dadurch schon zum Schluss, dass das Schicksal der Donaumonarchie am seidenen Faden hing und keine noch so geänderte Prämisse das Habsburgerreich noch retten konnte:

  • Fragiles Dreikaiserverhältnis (1871 – 1875)
  • Orientkrise (1875 – 1878)
  • Brüchige Bündnisse (1880 – 1885)
  • Die internationale Krise (1885 – 1888)
  • Badenikrise, Bündnisstörungen und Balkanentente (1897 – 1901)
  • Halbheiten: Dreibundverlängerung, Mürzstegentente und Neutralitätsvertrag mit Russland (1902 – 1906)
  • Aehrenthals Offensive. Die Bosnische Annexionskrise (1906 – 1909) (Hierzu empfehle ich die Beiträge Turgots zu diesem Thema: Die Bosnische Annexionskrise von 1908/09 )
  • Prekärer Status quo (1909 – 1912)
  • Geschwächt ins Abseits. Die Balkankriege (1912 – 1913)
  • Machtverfall bei Hochspannung (1913 – 1914)
  • Die Julikrise und der Kriegsbeginn 1914
Österreich-Ungarn unterlag inneren wie äußeren Spannungen und war zudem bemüht, seinen Status als Großmacht zu erhalten. Die Frage, ob Österreich-Ungarn auch ohne Weltkrieg auseinandergebrochen wäre, ist kontrovers diskutiert worden. Bis sich die allgemeine Situation des Landes im Verlauf des Ersten Weltkrieges dramatisch verschlechterte, strebte die Mehrheit der slawischen Bevölkerung keineswegs eine Angliederung an ein Großserbien an, vielmehr stand man mehr oder weniger loyal zur Monarchie und forderte eigentlich nur Reformen.

Außenpolitisch war Österreich-Ungarn isoliert, sogar die Politik des deutschen Bündnispartners lief den Interessen des Juniorpartners zuwider. Es existierten divergierende wirtschaftliche Interessen auf dem Balkan, Österreich-Ungarn wurde von Deutschland aus Gebieten verdrängt, die bis dato im wirtschaftlichen Einflussgebiet der Donaumonarchie gelegen hatten. Zudem lies Deutschland Österreich-Ungarn während der Balkankriege im Stich, um seine (angebliche) Annährung an Großbritannien nicht zu gefährden. Die deutsche Politik führte zur Schwächung des Drei(Zwei)bunds, die Großbritanniens zur Stärkung der Entente. Die britische Diplomatie erwies sich der deutschen als haushoch überlegen, wenngleich sie eine Gemeinsamkeit aufwiesen: Die Deutschen unternahmen alles, um den Briten zu gefallen, die Briten alles, um den Russen zu gefallen. Ob deutscherseits eine Besserung in Sicht war, ist fraglich, schrieb doch Albert Ballin (der Generaldirektor der HAPAG (Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesellschaft / Hamburg-Amerika-Linie), die dieser zur damals größten Reederei der Welt gemacht hatte (heute fusioniert mit dem Norddeutschen Lloyd (damals zweitgrößte Reederei der Welt) zu Hapag-Lloyd))) über die damalige politische und diplomatische Führung Deutschlands:

Reichskanzler Bethmann-Hollweg „besaß alle Eigenschaften, die den Menschen ehren und dem Staatsmann schaden.“

„Die Torheit des Auswärtigen Amtes lässt sich nur mit dessen österreichischen Gegenstück vergleichen.“

„Die Leitung der Wilhelmsstraße war gefährlich verantwortungslos und engstirnig bis an die Grenze des Schwachsinns.“

„Für Bethmann hätte ich in der HAPAG kaum eine Stelle gehabt, höchstens als Bibliothekar; Jagow kaum Laufbursche. Zimmermann allenfalls Hausknecht, Stumm als Grenzfall und halb unzurechnungsfähig, sogleich zu entlassen.“ (1)

Auch Vizeadmiral Hopmann erlaubt uns in seinem Tagebuch „nette“ Einblicke auf die deutsche Führung (kurz nach Ausbruch des Krieges):

„Mein Gefühl sagt mir, dass auch jetzt noch, genau wie vor dem Krieg, ein einheitlicher Geist und Wille fehlt, der die gesamte Situation übersieht und beherrscht. S.M. spielt nach wie vor, erfreut sich an Kleinigkeiten und Anekdoten anstatt den Ernst der Lage überhaupt nur zu begreifen zu versuchen, der Kanzler und sein Anhang lassen sich weiter treiben ohne Ziel und ohne Gedanken, Moltke denkt nur rein militärisch, und meinem Gefühl nach ist er nicht das Genie, das die jetzige, in vieler Hinsicht für die Kriegsführung doch neuartige Ära braucht, Tirpitz kommt nicht heran und ist doch immer noch etwas zu sehr Ressortpolitikus, der in erster Linie an sein Lebenswerk denkt. Müller ist weich, Pohl eitel, von den übrigen Persönlichkeiten, die um S.M. sind, ragt auch keiner hervor. Demgegenüber auf der anderen Seite Kerle 1. Ordnung. Mir wird weh und wund ums Herz, male ich mir die Zukunft weiter aus.“ (2)

„Dann lässt er [Tirpitz] sich sehr hart über S.M. und seinen geradezu unheilvollen Einfluss auf die Geschichte unserer letzten 25 Jahre aus. Leider hat er Recht. Ich habe auch das Gefühl, dass nun die Sühne kommt und die Weltgeschichte ihr Gericht mit uns abhalten wird. Wir haben, wie ich es Tirpitz gegenüber ausdrückte, 25 Jahre lang in einem spielerischen, gedankenlosen Absolutismus gelebt, der in leerem Schein und eitler Großmannssucht seine Befriedigung gefunden hat, und die Nation hat das leider zu lange ertragen. Die Mehrzahl der Menschen hat es nicht gefühlt. Aber dieses absolutistische Regiment ist der Grund gewesen, dass wir in unserem gesamten Staatswesen keine Männer produziert haben, sondern nur Bürokraten und Lakaien. Da wo die freie Entwicklung der Kräfte möglich war, in allen freien Berufen, haben wir viele tüchtige hervorragende Männer produziert. Auch sie haben zu sehr nach dem Thron geschielt. Das Beispiel ist sehr kontagiös, das unseres Kaisers hat unheilvoll gewirkt. Hoffentlich müssen wir nicht zu sehr dafür büßen, eine innere Erneuerung ist uns aber unbedingt notwendig.“ (3)

Mein Eindruck hat sich verfestigt, dass gerade die deutsche Führung um Bethmann eigentlich keinen Krieg anstrebte, aber äußerst pessimistisch war. Die Frage ist, ob man deutscherseits einen Krieg vom Zaum gebrochen hätte, wenn das Attentat von Sarajewo nicht stattgefunden hätte, oder ob man einen anderen Anlass gefunden hätte (oder in eine andere so empfundene ausweglose Situation geraten wäre), durch die ein Krieg ausgelöst worden wäre. Ich unterstelle der deutschen Führung keine Böswilligkeit, aber eine gewisse Inkompetenz, sich der Einkreisung, oder der empfundenen Einkreisung erfolgreich zu entziehen. Die Diplomatie der Entente war hier m.E. deutlich überlegen. Eine wichtige Rolle hätte sicher auch weiterhin die Außenpolitik Österreich-Ungarns gespielt und diese wiederum von der Fähigkeit innerer Erneuerung und äußerer Stabilisierung des Landes abgehangen. Hierzu wollte ich eigentlich auf das mögliche Reformprogramm Franz Ferdinands eingehen, aber da der Abend weit fortgeschritten ist, folgt das voraussichtlich erst morgen.
Als nächstes möchte ich auch auf das Thema „Wiederaufflammen des Great Game ab 1914?“, sowie natürlich auf eine „mögliche Entwicklung Deutschlands ohne Krieg" eingehen.

(Fortsetzung folgt)



(1) Cecil, Lamar: Albert Ballin – Wirtschaft und Politik im Deutschen Kaiserreich 1888 – 1918, Hamburg 1969, S. 113 ff.

(2) Epkenhans, Michael: Das ereignisreiche Leben einen Wilheminers - Tagebücher, Briefe, Aufzeichnungen von Albert Hopman, München 2004, S. 433

(3) ebenda S. 441
 
Da sind sehr viele interessante Gedanken dabei, ich denke aber, dass du die britische Diplomatie überschätzt. Der Laden war keineswegs brilliant und lag ebenfalls häufiger daneben. Man hatte aber im Gegensatz zu den Deutschen die strategisch "einfachere Lage".
Ohne Krieg hätte sich die geopolitische Lage aber geändert, der Aufstieg der USA hätte dazu geführt, dass die von Alexis de Toqueville vorhergesagte Konfrontation zwischen den USA und Russland irgendwann zum Vorschein gekommen wäre. Aufgrund seiner geographischen Lage wäre der Kulminationspunkt auch wieder in Mitteleuropa gewesen. Aber, die Briten wären durch den Austieg der USA nicht mehr darauf angewiesen gewesen, den Russen hinterherzulaufen. Dies hätte auch die Verhandlungen mit den Briten für die Deutschen einfacher gemacht.

Im Hinblick auf Österreich-Ungarn ist wohl wahrscheinlich, dass die Monarchie immer mehr in das Schlepptau des Kaiserreichs geraten wäre. Dies hat auch wirtschaftliche Gründe, die Wirtschaftsräume wären einfach zusammengewachsen.
Die Ungarn waren stark an den Deutschen interessiert und fast so etwas ein Verbündeter im Kaiserreich selbst. Ein wenig mehr Schweiz hätte die Monarchie sicherlich stabilisert. Laut Pertho waren rund 85% der tschechischen Bevölkerung für den Verbleib in der Monarchie. Die Separatisten waren eine lautstarke Minderheit. Zumal auch der Krieg gezeigt hat, dass es genügend Führungspersonal in der kuK Armee gab, die bis zum Schluß sich mit der Monarchie identifiziert haben. Hinsichtlich der Desateure, weiß man, dass die Zahlen von den Kommunisten deutlich verzerrt wurden. Es gab viel weniger fahnenflüchtige Tschechen als man glaubt.
. Legionäre, die aus der k. u. k. Armee desertiert waren, gab es meiner Meinung nach relativ wenig. Genaue Zahlen sind aber heute nicht mehr zu ermitteln. In der Zwischenkriegszeit wurde die Legion so vergöttert, dass es keine kritischen Berichte gab, und in kommunistischer Zeit war dieses Geschichtskapitel aus ideologischen Gründen tabu.
Eine totale Ente ist die Legende von den untreuen Tschechen.
Siehe dieses Buch:
„Pflichterfüllung oder Hochverrat? Die tschechischen Soldaten Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg“. Das Buch von Richard Lein ist im LIT Verlag erschienen, hat 448 Seiten und kostet 49.90 Euro.

Es gelingt Lein weiterhin in einer durchaus als meisterlich zu bezeichnenden Untersuchung der Gefechte von Esztebnekhuta 1915 und Zborów 1917, den Mythos vom Versagen und vom Verrat der tschechischen Soldaten völlig zu widerlegen. Alle drei Infanterieregimenter wurden vielmehr trotz erbitterter Gegenwehr aus den von Lein glaubhaft dargestellten äußeren Umständen fast total aufgerieben. Da die Masse der Regimentsangehörigen anfangs nur als „vermisst“ galt – zu großen Teilen waren sie allerdings gefallen oder verwundet in Gefangenschaft geraten –, bildete sich im ziemlich tschechophoben höheren Offizierskorps schnell der Verdacht heraus, die Tschechen hätten hier aus nationalen Gründen versagt und wären auf die russische Seite übergelaufen. Unglaubhafte und ungeprüft weitergegebene Gerüchte – hierbei zeichnete sich General Svetozar Boroevic von Bojna unrühmlich aus – bewirkten 1915 in einer schnellen kaiserlichen Reaktion die schimpfliche Auflösung des Regiments 28. Ähnlich war es 1917 bei Zborów, wo die Tschechische Legion auf russischer Seite zwar eine relativ unbedeutende Rolle spielte, doch allein durch ihre Existenz in höheren Kreisen der österreichisch-ungarischen Armee die böse Vermutung entstehen ließ, auch hier hätten die beiden tschechischen Regimenter Verrat geübt.

Zwei politische Umstände begünstigten das Entstehen und die jahrzehntelang fortdauernde Existenz der Legenden von den „tschechischen Verrätern“, obwohl von Anbeginn genug Aktenmaterial und Erinnerungen von Zeitzeugen vorlagen, welche jene Legenden falsifizierten. Einerseits war die deutschnationale Fraktion im österreichischen Reichsrat während des Ersten Weltkriegs sehr daran interessiert, aus innenpolitischen Gründen den Tschechen im Bestand der Monarchie in der Sprachen- und Autonomiefrage keinerlei Zugeständnisse zu machen. Das Anheizen einer durch Gerüchte genährten Debatte um die generell staatsfeindliche und hochverräterische Gesinnung der Tschechen kam ihren Interessen deshalb sehr entgegen. Andererseits waren die Exiltschechen in den Ententeländern verständlicherweise ebenfalls daran interessiert, die durchaus unbedeutenden Verdienste der auf russischer Seite kämpfenden Tschechen propagandistisch herauszukehren und nach Kräften zu übertreiben. Besonders durch die Pflege des „Legionärskults“ in der Tschechoslowakischen Republik nach 1918 erhielt jene Legende vom „tschechischen Verrat“ weiteren Auftrieb.

 
Österreich-Ungarn unterlag inneren wie äußeren Spannungen und war zudem bemüht, seinen Status als Großmacht zu erhalten. Die Frage, ob Österreich-Ungarn auch ohne Weltkrieg auseinandergebrochen wäre, ist kontrovers diskutiert worden. Bis sich die allgemeine Situation des Landes im Verlauf des Ersten Weltkrieges dramatisch verschlechterte, strebte die Mehrheit der slawischen Bevölkerung keineswegs eine Angliederung an ein Großserbien an, vielmehr stand man mehr oder weniger loyal zur Monarchie und forderte eigentlich nur Reformen.
Die verschiedenen Nationalitäten Österreich-Ungarns haben sich bis zum Herbst 1918 doch in Ganzen loyal gegenüber der Doppelmonarchie verhalten.

Zudem lies Deutschland Österreich-Ungarn während der Balkankriege im Stich, um seine (angebliche) Annährung an Großbritannien nicht zu gefährden. Die deutsche Politik führte zur Schwächung des Drei(Zwei)bunds, die Großbritanniens zur Stärkung der Entente. Die britische Diplomatie erwies sich der deutschen als haushoch überlegen, wenngleich sie eine Gemeinsamkeit aufwiesen: Die Deutschen unternahmen alles, um den Briten zu gefallen, die Briten alles, um den Russen zu gefallen.

Hierzu läßt sich doch einiges ausführen.
Es ist zutreffend, das die deutsche Diplomatie mit der britischen zusammengearbeitet hatte, eben um den Ausbruch des Krieges zu verhindern. Es ging hier nicht nur um die deutsche Annäherung an Großbritannien. Das rief im Ballhausplatz das Gefühl "des Im Stich gelassen worden" hervor. Aber dem war nun auch nicht so. Der Zweibund war formal nämlich kein Offensivbündnis und diente auch nicht der Wahrung der Interessen Österreich-Ungarn auf dem Balkan.

Wien war gerade unter Aehrenthal bemüht, Berlin das Leitseil um dem Hals zu werfen und die Führung des Bündnisses, gerade was Fragen auf dem Balkan anging, zu übernehmen. Aber wo genau hat Deutschland mit seiner Außenpolitik den Zweibund geschadet? Wien war sich schon 1878 darüber bewußt, das es zwischen Frankreich, Stichwort Revanche, und Deutschland keine normalen Beziehungen möglich sein würde. Und es ist zu betonen, das diese Nichtnormalisierung der Beziehungen zum westlichen Nachbarn nicht gewünscht war. Aber da war in Paris, trotz so mancher Bemühung, nichts zu erreichen.

Aber trotzdem gelang es doch der Monarchie über lange Jahre vernünftige Beziehungen zu Frankreich zu unterhalten.
Und die Briten? In Wien war man geneigt den Deutschen die Schuld für die Verschlechterung der Beziehungen, Stichwort Flottenrüsten, Deutschland zuzusschieben. Nur war das tatsächlich berechtigt? Wieso konnte Deutschland nicht selbst entscheiden, wie groß seine Flotte sein sollte? Auch andere Länder rüsteten ihre Flotte erheblich aus. Nur da machten Grey und seine Leute kein Lärm darum. Und wenn man das Ganze retrospektiv betrachtete, dann war die deutsche Hochseeflotte ja wohl noch zu schwach gewesen, denn sie war nicht imstande gewesen, die britische Seeblockade zu brechen.

Die Beziehungen zu Russland hat Österreich ganz allein ruiniert.Stichwort Annexionskrise. Auch wenn die Russen sich alles andere als vornehm verhalten haben. Deutschland hatte in dieser Krise loyal Wien gestützt.

Also wo konkret hat Berlin den Zweibund geschwächt?

Italien hatte sich bereits 1908 aus dem Dreibund verabschiedet und zwar ohne deutsches Zutun. Siehe meine letzten Beiträge im Faden zur Annexionskrise. Auchhierm vermag ich nicht zu erkennen, wie Deutschland den Dreibund geschwächt haben soll.Rom betrachtete den Dreibund als Erwerbsgemeinsschaft, um sich Kolonien anzueignen. Nur der Dreibund war ein Defensivbündns und im Verlauf der Jahrzehnte haben Bestimmungen in dem Vertrag Eingang gefunden,mit deutscher Unterstützung, die im Interesse Italiens gelegen hatten.

Auch hier sehe ich nicht, wo Deutschland den Dreibund geschwächt haben soll.

Die deutsche Diplomatie war seit dem Ende der Bismarck Ära nicht so kompetent wie die britische. Da stimme ich dir durchaus zu. Aber turmhoch überlegen? Bei den ganzen Krisen am Vorabend des Ersten Weltkrieges ist zu beachten, das sich Deutschland und Großbritannien, die Balkankriege ausgenommen, gegenüber standen und es ist darauf hinzuweisen, das meistens, die Annexionskrise einmal ausgeklammert, das Recht auf der Seite von Berlin lag. Mit einer kompetenteren Diplomatie hätte sich vielleicht mehr erreichen lassen. Aber daran war nicht zuetzt Wilhelm II. schuld, der diese personellen Entscheidungen verbrochen hatte. Allein ein ehemaligen Staatsanwalt 1890 zum Staatssekretär des Auswärtigen Amtes zu machen.....ohne Kommentar.
 
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Manch einer mag solche Diskussionen für unsinnig halten, ich finde „Was-wäre-wenn-Szenarien“ dagegen äußerst spannend.
...ich zähle zu ersteren, kann mich mit kontrafaktischen Gedankenspielen außerhalb der Belletristik nicht anfreunden. Deshalb eine skurrile Überlegung zum vorliegenden Szenario "kein Erster Weltkrieg":
Bei einem Tagesbesuch der Inseln Helgoland und Düne wäre des Touristen Bewegungsfreiheit in den roaring twenties arg eingeengt durch militärisches Sperrgebiet: die gewaltige Haubitzbatterie, die Nord- und Südbatterie sowie Kriegshafen samt Uboothafen auf der Hauptinsel, die Kasernen und Batterien auf Düne - nun, den Festungsfreak würde das freuen. Ähnliche Erfahrungen würde der Tourist auf den meisten Nordseeinseln machen ;)
... überhaupt gäbe es für den Touristen der roaring twenties speziell sehr viele Gegenden, in welchen er nicht uneingeschränkt wandern kann: die riesigen Festungsrayons der Linearbefestigungen (Kleve, Nord-Ostsee, Masuren, Oberrhein) und die gewaltigen Festungen am Rhein (Köln, Germersheim, Mainz, Straßburg/Kehl), ferner die riesigen Rayons der Kriegshäfen, allen voran Kiel -- und als Spätfolge müsste heute ein festungsfreakiger Nachfahre nicht im UN Archiv nach Festungsplänen gründeln, denn es gäbe keinen Versailler Vertrag mit Entfestigung.
;)
 
Österreich-Ungarn unterlag inneren wie äußeren Spannungen und war zudem bemüht, seinen Status als Großmacht zu erhalten. Die Frage, ob Österreich-Ungarn auch ohne Weltkrieg auseinandergebrochen wäre, ist kontrovers diskutiert worden

Da war ja Serbien ja mit russischer Rückendeckung, ganz besondere Hervorhebung verdient hier der "König von Belgrad" Hartwig, leidlich bemüht. Die ganze Wühlarbeit in den Provinzen, die für damalige Verhältnisse ungeheuerlichen Herausforderungen der Großmacht Österreich-Ungarn durch Serbien waren schon ein starkes Stück.
Serbien und der eigene verbündete Italien schielten ständig auf das österreichisch-ungarisches Territorium.

Dann lässt er [Tirpitz] sich sehr hart über S.M. und seinen geradezu unheilvollen Einfluss auf die Geschichte unserer letzten 25 Jahre aus. Leider hat er Recht. Ich habe auch das Gefühl, dass nun die Sühne kommt und die Weltgeschichte ihr Gericht mit uns abhalten wird. Wir haben, wie ich es Tirpitz gegenüber ausdrückte, 25 Jahre lang in einem spielerischen, gedankenlosen Absolutismus gelebt, der in leerem Schein und eitler Großmannssucht seine Befriedigung gefunden hat, und die Nation hat das leider zu lange ertragen. Die Mehrzahl der Menschen hat es nicht gefühlt. Aber dieses absolutistische Regiment ist der Grund gewesen, dass wir in unserem gesamten Staatswesen keine Männer produziert haben, sondern nur Bürokraten und Lakaien. Da wo die freie Entwicklung der Kräfte möglich war, in allen freien Berufen, haben wir viele tüchtige hervorragende Männer produziert. Auch sie haben zu sehr nach dem Thron geschielt. Das Beispiel ist sehr kontagiös, das unseres Kaisers hat unheilvoll gewirkt. Hoffentlich müssen wir nicht zu sehr dafür büßen, eine innere Erneuerung ist uns aber unbedingt notwendig.“ (3)

Gerade Tirpitz hat es nötig. Wann hat er denn bitte den Kaiser auf die von ihm genannte falsche Entwicklung aufmerksam gemacht. Großer Rand, aber nichts dahinter.
Er war doch selbst Bestandteil des persönlichen Regiments. Und das Lästern über Bethmann und das AA kommt nun nicht aus berufenen Munde. Worauf stützt er überhaupt sein Urteil? Tirpitz war nun gewiss nicht in der Lage, ohne profunden Aktenkenntnis, die deutsche auswärtige Politik zu beurteilen.

Die Frage ist, ob man deutscherseits einen Krieg vom Zaum gebrochen hätte, wenn das Attentat von Sarajewo nicht stattgefunden hätte,
Nichts deutet daraufhin.

Deutschland stellte keine Ansprüche. Frankreich wollte die Provinzen, Russland die Dardanellen und gern auch Österreich-Ungarn zerschlagen. Großbritannien war mit der starken deutschen wirtschaftlichen Konkurrenz nicht eben glücklich und dann noch die lästige deutsche Hochseeflotte.
 
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Die Frage ist, ob man deutscherseits einen Krieg vom Zaum gebrochen hätte, wenn das Attentat von Sarajewo nicht stattgefunden hätte, oder ob man einen anderen Anlass gefunden hätte (oder in eine andere so empfundene ausweglose Situation geraten wäre), durch die ein Krieg ausgelöst worden wäre.
Eventuell hätten ohne Kriegsausbruch die Querelen wegen der Flottenrüstung zu mehr als nur diplomatischen Krisen geführt (?!)
... überhaupt die massive Aufrüstung allerorten (man denke an den exzessiv vermehrten Festungsbau!), sie füllte das Pulverfass immer mehr ... eine Entspannungspolitik, gar Abrüstung, kann ich nirgendwo vor dem Kriegsausbruch sehen.
 
Nichts deutet daraufhin.
Bist Du da nicht etwas zu großzügig? Teile der militärischen und auch der zivilen Führung fühlten sich von der Entente umklammert und hofften doch geradezu auf einen Krieg, besser heute als morgen, in der Annahme, dass Russland schon sehr bald in die Position käme, Deutschland unabweisbar anzugreifen.
 
Das Militär laberte schon seit 1887 von einem Krieg gegen Russland. Nur, das hatte das Militär nicht zu befinden. Und Wilhelm II. war ein Großmaul, aber kein Kriegstreiber.
 
Da sind sehr viele interessante Gedanken dabei, ich denke aber, dass du die britische Diplomatie überschätzt. Der Laden war keineswegs brilliant und lag ebenfalls häufiger daneben. Man hatte aber im Gegensatz zu den Deutschen die strategisch "einfachere Lage".
Ohne Krieg hätte sich die geopolitische Lage aber geändert, der Aufstieg der USA hätte dazu geführt, dass die von Alexis de Toqueville vorhergesagte Konfrontation zwischen den USA und Russland irgendwann zum Vorschein gekommen wäre. Aufgrund seiner geographischen Lage wäre der Kulminationspunkt auch wieder in Mitteleuropa gewesen. Aber, die Briten wären durch den Austieg der USA nicht mehr darauf angewiesen gewesen, den Russen hinterherzulaufen. Dies hätte auch die Verhandlungen mit den Briten für die Deutschen einfacher gemacht.
Ich hatte das mit der haushoch überlegenen britischen Diplomatie als auch mit der Kritik absichtlich etwas überspitzt formuliert, um es dann später im Verlauf der Diskussion wieder etwas zu relativieren, indem darauf eingegangen wird, in welcher Lage sich die deutsche Diplomatie befand und inwieweit die Möglichkeit dagewesen wäre, sich aus diversen Zwickmühlen zu befreien.
Den Gedanken bzgl. den aufkommenden Konflikt zwischen den USA und Russland und dass die Briten den Russen dadurch nicht mehr hinterherlaufen hätten müssen, finde ich sehr interessant. Das ist m.E. ein weiterer Punkt, der dafür spricht, dass Deutschland einfach hätte abwarten müssen, denn die Zeit lief trotz aller Befürchtungen (vor allem in Bezug auf die russischen Aufrüstungen) für Deutschland.

Vielen Dank für die Infos zu den Tschechen und dem Buchhinweis.

Hierzu läßt sich doch einiges ausführen.
Es ist zutreffend, das die deutsche Diplomatie mit der britischen zusammengearbeitet hatte, eben um den Ausbruch des Krieges zu verhindern. Es ging hier nicht nur um die deutsche Annäherung an Großbritannien. Das rief im Ballhausplatz das Gefühl "des Im Stich gelassen worden" hervor. Aber dem war nun auch nicht so. Der Zweibund war formal nämlich kein Offensivbündnis und diente auch nicht der Wahrung der Interessen Österreich-Ungarn auf dem Balkan.
Ich habe im Prinzip diesselbe Meinung, dass hier ein Krieg verhindert wurde. Nur führte das dazu, dass Russland und der Balkanbund sich durchsetzen konnten, was aber zulasten des Osmanischen Reiches und Österreich-Ungarn ging. Vielleicht wäre es an dieser Stelle sinnvoller gewesen, wenn Deutschland Österreich-Ungarn den Rücken gestärkt hätte. Im Juli 1914 gab es ja dann auch deutscherseits die Überlegung, dass man diesmal mehr für Österreich-Ungarn tun müsse, um das Bündnis nicht zu gefährden. Der Zweibund war kein Offensivbündnis richtig und zwischen England und Russland, als auch zwischen England und Frankreich gab es nicht einmal wirklich ein Defensivbündnis, dennoch wurden hier zwei Mächteblöcke wahrgenommen, die durchaus als solche agierten. Man sprach sich ab, unterstützte sich, arbeitete zusammen.

Wien war gerade unter Aehrenthal bemüht, Berlin das Leitseil um dem Hals zu werfen und die Führung des Bündnisses, gerade was Fragen auf dem Balkan anging, zu übernehmen. Aber wo genau hat Deutschland mit seiner Außenpolitik den Zweibund geschadet? Wien war sich schon 1878 darüber bewußt, das es zwischen Frankreich, Stichwort Revanche, und Deutschland keine normalen Beziehungen möglich sein würde. Und es ist zu betonen, das diese Nichtnormalisierung der Beziehungen zum westlichen Nachbarn nicht gewünscht war. Aber da war in Paris, trotz so mancher Bemühung, nichts zu erreichen.
Der Schaden entstand meines Erachtens dadurch, dass beide divergierende Interessen auf dem Balkan hatten und nicht einig auftraten, wohingegen England und Frankreich Russland auf dem Balkan unterstützten. Es wäre wohlmöglich sinnvoll gewesen, sich auf eine gemeinsame Linie zu einigen, entweder eine Festlegung auf die österreich-ungarischen Ziele auf den Balkan oder eben auf die deutschen, wodurch einer von beiden, bei seinen eigenen Interessen hätte zurückstecken müssen. Dadurch hätte der Zweibund als starker Block auftreten können, der den Russen, Engländern und Franzosen nicht alles hätte durchgehen lassen. Hatte nicht auch Österreich-Ungarn Deutschland bei einer der Marokkokrisen (mehr oder weniger) im Stich gelassen? Mein Eindruck ist, dass England, Frankreich und Russland durchaus immer noch gegensätzliche Interessen hatten, aber zumeist dann, wenn es um eine Auseinandersetzung mit dem Zweibund oder einem der beiden Zweibundpartner ging, (mehr oder weniger) fest zusammenhielten, dies aufseiten des Zweibunds aber nicht immer geschah.

Aber trotzdem gelang es doch der Monarchie über lange Jahre vernünftige Beziehungen zu Frankreich zu unterhalten.
Und die Briten? In Wien war man geneigt den Deutschen die Schuld für die Verschlechterung der Beziehungen, Stichwort Flottenrüsten, Deutschland zuzusschieben. Nur war das tatsächlich berechtigt. Wieso konnte Deutschland nicht selbst entscheiden, wie groß seine Flotte sein sollte? Auch andere Länder rüsteten ihre Flotte erheblich aus. Nur da machten Grey und seine Leute kein Lärm darum. Und wenn man das Ganze retrospektiv betrachtete, dann war die deutsche Hochseeflotte ja wohl noch zu schwach gewesen, denn sie war nicht imstande gewesen, die britische Seeblockade zu brechen.
Die Briten selbst hatten ja damals schon erkannt, dass die deutsche Schlachtflotte gegen die britische nichts ausrichten konnte. Die britische Admiralität hatte ja ohnehin das allgemeine globale Marineaufrüsten im Blick, anfangs bezog sich der Two-Power-Standard auch auf die französische und russische Marine. Die deutsche Aufrüstung war aber in der Presse präsenter und diente der Marineführung dazu, ihr Budget für die Marineaufrüstung durchzusetzen. Wenn man nun noch bedenkt, dass das russische Budget für die Marine 1914 erstmals dass der deutschen übertraf, dürften die britische Admiralität durchaus auch da nochmal ihre Aufmerksamkeit darauf gerichtet haben. Ich wage mal eine steile These, die ich allerdings nicht belegen kann: Trotz aller guten Beziehungen zu Frankreich und Russland waren die französisch-russischen Flotten doch viel eher eine Bedrohung für England (global gesehen) als die deutsche. Was wenn der deutsche Schlachtschiffbau nur vorgeschoben war, um britische Aufrüstungen zu rechtfertigen, man sich aber strategisch eher um die Franzosen und Russen sorgte, die man aber aufgrund der Entente öffentlich schlecht als Konkurrenten und eigentlichen Grund für die eigene Aufrüstung verkaufen kann. Es geht ja letztlich auch nicht um den Kriegsfall, sondern auch die Erhaltung der britischen Seehoheit in Friedenszeiten. Wie sollte sich diese aber erhalten, wenn alle Staaten ihre Flotten aufrüsteten (eben auch die USA und Japan)? Japan war zwar ebenfalls mit England verbündeten und zu den USA hatte man gute Beziehungen, aber dennoch dürfte keiner wirklich von der britischen Dominanz auf den Weltmeeren begeistert gewesen sein. Hier gab es ja auch durchaus Überschneidungen deutscher und US-amerikanischer Interessen.
Die Beziehungen zu Russland hat Österreich ganz allein ruiniert.Stichwort Annexionskrise. Auch wenn die Russen sich alles andere als vornehm verhalten haben. Deutschland hatte in dieser Krise loyal Wien gestützt.
Das stimmt, zu diesem Zeitpunkt war das noch der Fall. Aber wie sah es später bei der Serbienpolitik aus? Serbien erhielt nicht nur Kredite aus Frankreich, sondern auch aus Deutschland. Die Österreicher wurden wirtschaftlich von dort verdrängt. Ebenso suchte Österreich eine Übereinkunft mit Bulgarien, Deutschland stellte sich dagegen. Im Ersten Weltkrieg zeigte sich dann, dass die österreichische Position (zumindest in diesem Fall) die vorausschauende war, da Bulgarien sich für die Zentralmächte gewinnen ließ.

Italien hatte sich bereits 1908 aus dem Dreibund verabschiedet und zwar ohne deutsches Zutun. Siehe meine letzten Beiträge im Faden zur Annexionskrise. Auchhierm vermag ich nicht zu erkennen, wie Deutschland den Dreibund geschwächt haben soll.Rom betrachtete den Dreibund als Erwerbsgemeinsschaft, um sich Kolonien anzueignen. Nur der Dreibund war ein Defensivbündns und im Verlauf der Jahrzehnte haben Bestimmungen in dem Vertrag Eingang gefunden,mit deutscher Unterstützung, die im Interesse Italiens gelegen hatten.
Hier hat natürlich ganz klar Italien den Dreibund geschwächt, weil man seiner nicht mehr bedurfte.
 
Die deutsche Diplomatie war seit dem Ende der Bismarck Ära nicht so kompetent wie die britische. Da stimme ich dir durchaus zu. Aber turmhoch überlegen? Bei den ganzen Krisen am Vorabend des Ersten Weltkrieges ist zu beachten, das sich Deutschland und Großbritannien, die Balkankriege ausgenommen, gegenüber standen und es ist darauf hinzuweisen, das meistens, die Annexionskrise einmal ausgeklammert, das Recht auf der Seite von Berlin lag. Mit einer kompetenteren Diplomatie hätte sich vielleicht mehr erreichen lassen. Aber daran war nicht zuetzt Wilhelm II. schuld, der diese personellen Entscheidungen verbrochen hatte. Allein ein ehemaligen Staatsanwalt 1890 zum Staatssekretär des Auswärtigen Amtes zu machen.....ohne Kommentar.
Ja, das mit dem haushoch überlegen war etwas überspitzt formuliert. Ich stimme auch zu, dass das Recht meistens auf deutscher Seite lag. Aber hat Recht jemals eine wirkliche Rolle in der internationalen Politik gespielt? Es waren Interessen und hierbei liegt meines Erachtens die deutsche Schwäche, dass man zu sehr auf das Recht pochte und nicht genug auf die eigentlichen Interessen der Gegenspieler blickte. Hier komme ich dann auch auf Ballin zurück. Er schrieb z.B. über Bethmann, dass dieser eine prägnante Persönlichkeit war, dessen Fehler darin lag, nicht zu erkennen, dass Politik ein schmutziges Geschäft war und sich daher nicht mit ehrenwerten Mitteln bestreiten lasse. Die Briten urteilten ähnlich über Bethmann. Letztlich kann man der deutschen Führung vorwerfen, eben nicht so intrigant wie die anderen gewesen zu sein und daher den Gegenspielern unterlegen war.
Gerade Tirpitz hat es nötig. Wann hat er denn bitte den Kaiser auf die von ihm genannte falsche Entwicklung aufmerksam gemacht. Großer Rand, aber nichts dahinter.
Er war doch selbst Bestandteil des persönlichen Regiments. Und das Lästern über Bethmann und das AA kommt nun nicht aus berufenen Munde. Worauf stützt er überhaupt sein Urteil? Tirpitz war nun gewiss nicht in der Lage, ohne profunden Aktenkenntnis, die deutsche auswärtige Politik zu beurteilen.
Tatsächlich stammen die Ausführungen von Hopmann, Tirpitz hatte sich nur kurz über den Kaiser ausgelassen, alles andere hat dann Hopmann aufgezählt. Ich stimme dir aber bei deiner Ansicht über Tirpitz zu. Ich finde aber die Gedanken Hopmanns durchaus interessant, die ja letztlich eine Generalabrechnung mit der politischen und militärischen Führung darstellt.
Das Militär laberte schon seit 1887 von einem Krieg gegen Russland. Nur, das hatte das Militär nicht zu befinden. Und Wilhelm II. war ein Großmaul, aber kein Kriegstreiber.
Wilhelm II. hatte ja auch in der Julikrise nach der serbischen Antwort auf das Ultimatum gesagt, dass "damit jeder Kriegsgrund entfalle". Dem Kaiser hätte also ein diplomatischer Sieg Österreich-Ungarns völlig genügt. Und es war ja das Militär, dass anfangs den Kaiser bearbeitet hatte, da man dessen Betroffenheit wegen des Todes Franz-Ferdinands, den er schätzte und dessen Erregung wegen der Serben ausnutzen wollte, um diesen in Kriegstimmung zu manipulieren. Also selbst das eigene Militär wusste um den Friedenswillen des Kaisers, den man dahingehend erst "bearbeiten" musste.
Eventuell hätten ohne Kriegsausbruch die Querelen wegen der Flottenrüstung zu mehr als nur diplomatischen Krisen geführt (?!)
... überhaupt die massive Aufrüstung allerorten (man denke an den exzessiv vermehrten Festungsbau!), sie füllte das Pulverfass immer mehr ... eine Entspannungspolitik, gar Abrüstung, kann ich nirgendwo vor dem Kriegsausbruch sehen.
Ich meine gelesen zu haben, dass es durchaus Ansätze einer Verständigung zur Begrenzung britischer, deutscher und französischer Marinerüstungen gab, die aber gescheitert sind.
Ich denke auch, das es früher oder später ganz sicher zum Krieg gekommen wäre.
Interessant finde ich dazu eine Aussage von Colonel Edward House vom 29. Mai 1914:
"Es herrscht der völlig toll gewordene Militarismus... Wann auch immer England zustimmt, werden Frankreich und Russland gegen Deutschland und Österreich losschlagen."
(McMeekin, Sean: Russlands Weg in den Krieg - Der Erste Weltkrieg - Ursprung der Jahrhundertkatastrophe, Berlin 2014, S. 75)

Er geht nicht von Deutschland als Aggressor aus, sondern von Frankreich und Russland. Ich frage mich aber, ob das jemals passiert wäre, auch wenn Frankreich und Russland durchaus diese Absicht hatten. Beide wollten sich der Unterstützung Englands sicher sein. England wäre aber für einen Angriffskrieg nicht zu haben gewesen. Es lag ja daher genau im französischen Interesse, dass Deutschland der Aggressor ist und zur Ausführung des Schlieffenplans zu zwingen, der England in den Krieg bringen musste. Wenn Deutschland die Füße stillgehalten hätte und nicht genau das gemacht hätte, was Frankreich wollte, hätte sich das französisch-russische Bündnis meines Erachtens nicht getraut, anzugreifen, vor allem Frankreich nicht, auch nicht bei Abschluss der russischen Aufrüstung 1917. Die Russen vielleicht, ja, aber für Frankreich wäre das Risiko zu groß gewesen. Wie hätte die britische Führung denn Parlament und Öffentlichkeit verkaufen können, in einen Krieg einzugreifen, der von Frankreich und Russland losgetreten worden wäre? (Wohlgemerkt ich glaube auch, dass der tatsächliche Krieg von Frankreich und insbesondere von Russland u.a. mit seiner Generalmobilmachung bzw. mit seiner "Kriegsvorbereitungsphase" mitverantwortet wurde, in der (britischen) Öffentlichkeit war aber Deutschland durch seine Kriegserklärungen (oder Österreich-Ungarn mit seiner gegen Serbien) der Aggressor. Das ist aber ein Thema für einen anderen Strang). Ohne deutschen Aggressor, sei es tatsächlich oder als solcher verkauft, keine britische Intervention, höchstens in einem Moment, indem Frankreich dabei ist, den Krieg zu verlieren. Die Frage ist auch, ob man britischerseits die russischen Rüstungen bis 1917 ohne Magenschmerzen hingenommen hätte. Ich frage mich auch, ob Frankreich seine massiv hohe Rüstung (80% der Wehrpflichtigen ausgebildet) dauerhaft hätte aufrecht erhalten können. Russland wäre stärker geworden, aber Frankreich vielleicht schwächer.

(Das vollständige Zitat:
Die Lage ist ungewöhnlich. Es herrscht der völlig toll gewordene Militarismus. Wenn nicht jemand, der in Ihrem Namen handelt eine Verständigung auf ganz neuem Grunde zustande bringt, so wird es eines Tages zu einer fürchterlichen Katastrophe kommen. Niemand in Europa vermag es zu vollbringen. Es herrscht hier zu viel Hass, zu viel Eifersucht. Wenn England jemals damit einverstanden ist, werden Frankreich und Russland über Deutschland und Österreich herfallen. England möchte Deutschland nicht gänzlich zerschmettert sehen, denn es hätte dann mit seinem alten Feinde Russland zu rechnen; aber wenn Deutschland auf einer überwältigenden Flotte besteht, wird England keine Wahl haben. Die beste Aussicht auf Frieden bietet eine Verständigung Englands und Deutschlands über die Flottenrüstungen, wenn auch eine zu starke Annäherung zwischen den beiden für uns einen gewissen Nachteil bedeutet).
 
Ja, das mit dem haushoch überlegen war etwas überspitzt formuliert. Ich stimme auch zu, dass das Recht meistens auf deutscher Seite lag. Aber hat Recht jemals eine wirkliche Rolle in der internationalen Politik gespielt? Es waren Interessen und hierbei liegt meines Erachtens die deutsche Schwäche, dass man zu sehr auf das Recht pochte und nicht genug auf die eigentlichen Interessen der Gegenspieler blickte. Hier komme ich dann auch auf Ballin zurück.

Nur kurz, da in Eile.

Schon richtig, was du schreibst. Nur, das haben die Mächte der Triple Entente genauso getan. Nimm die Annexionskrise oder die Liman-von-Sanders-Krise, in der ja nicht einmal Recht verletzt wurde. Und es waren doch die Briten die 1908/09 mit großen unerbittlichen Nachdruck wieder und wieder auf dem Anhang des Berliner Vertrages hingewiesen hatten. Selbst hatten sie. 1904 den Madrider Vertrag von 1880 und den schon genannten Berliner Vertrag von 1878 gebrochen; das hatte selbst Staatssekretär Lansdowne eingräumt. Und noch weiter: Aufgrund dieses Rechtsbruchs, London hatte Paris ja freie Hand in Marokko gewährt, war man auch bereit sich auf seiten Frankreichs gegen Deutschland zu engagieren. Da ist es wieder, das Messen mit zweierlei Maß.
 
Er schrieb z.B. über Bethmann, dass dieser eine prägnante Persönlichkeit war, dessen Fehler darin lag, nicht zu erkennen, dass Politik ein schmutziges Geschäft war und sich daher nicht mit ehrenwerten Mitteln bestreiten lasse. Die Briten urteilten ähnlich über Bethmann. Letztlich kann man der deutschen Führung vorwerfen, eben nicht so intrigant wie die anderen gewesen zu sein und daher den Gegenspielern unterlegen war.

Dem stimme ich zu 100% zu Bethmann genoß in London einen sehr guten Ruf. Er galt als Mann des Friedens.

Wilhelm II. hatte ja auch in der Julikrise nach der serbischen Antwort auf das Ultimatum gesagt, dass "damit jeder Kriegsgrund entfalle". Dem Kaiser hätte also ein diplomatischer Sieg Österreich-Ungarns völlig genügt. Und es war ja das Militär, dass anfangs den Kaiser bearbeitet hatte, da man dessen Betroffenheit wegen des Todes Franz-Ferdinands, den er schätzte und dessen Erregung wegen der Serben ausnutzen wollte, um diesen in Kriegstimmung zu manipulieren. Also selbst das eigene Militär wusste um den Friedenswillen des Kaisers, den man dahingehend erst "bearbeiten" musste.

Ja, sehe ich auch so.
 
Es herrscht der völlig toll gewordene Militarismus... Wann auch immer England zustimmt, werden Frankreich und Russland gegen Deutschland und Österreich losschlagen."

Das ist der Punkt. Frankreich und Russland wußten, das sie unbedingt Großbritannien benötigen würden und deshalb mussten die Briten um jeden Preis hineingezogen werden. Aber das war ja nicht so schwer; es da Foreign Office mit Grey an der Spitze, Asquieth, Churchill, Haldane und schließlich auch der König wollten in den Krieg; sie wollten keinesfalls abseits stehen. Und diese "radikale" Minderheit im Kabinett sorgte dafür, dass das britische Kabinett auf "Kurs gebracht wurde."
 
Aber das war ja nicht so schwer; es da Foreign Office mit Grey an der Spitze, Asquieth, Churchill, Haldane und schließlich auch der König wollten in den Krieg; sie wollten keinesfalls abseits stehen. Und diese "radikale" Minderheit im Kabinett sorgte dafür, dass das britische Kabinett auf "Kurs gebracht wurde."
Aber erst nachdem dieser ausgebrochen war. Ich glaube nicht, dass man die britische Öffentlichkeit, als auch das Parlament und das Kabinett in einen Krieg gebracht hätte, wenn Deutschland nicht der Aggressor war oder nicht als solcher dargestellt werden konnte.
Ich sehe das so (vereinfacht ausgedrückt): Frankreich und Russland wollten den Krieg, haben ihn aber nicht vom Zaun gebrochen (oder es zumindest so aussehen lassen). Deutschland wollte den Krieg nicht, hat ihn aber notgedrungen vom Zaun gebrochen und es damit der britischen Minderheit um Grey und Co. einfach gemacht, in den Krieg einzusteigen.
 
Abmachungen gab es schon vor dem Krieg. Siehe den Briefwechsel Grey/Cambon.

Die britische Öffentlichkeit und auch das Unterhaus wurden doch auch hemmungslos belogen. Der Öffentlichkeit wurde Belgien als grund für dem Kriegseintritt benannt. Wir wissen, das dies nur ein Vorwand war.

Grey hatte das Parlament in der Julikrise belogen. Ihm war die Frage vorlegt worden, ob es wahr sei, das mit Russland hinsichtlich eine Marinekonvention verhandelt würde. Grey belog das Parlament.

In seiner Rede im Unterhaus zur Rechtfertigung für den britische Kriegseintritt hatte Grey beispielsweise geäußert, Großbritannien könne den Krieg nicht fernbleiben, weil England sich gebunden habe,

"Wir können das nicht tun. Wir sind gegenüber Frankreich die Verpflichtung eingegangen, welche ich dem Parlament vorglesen habe (Grey hatte hierbei die entscheidende Passage nicht vorgelesen)."

Das war dreist.Warum? Grey hatte eine knappe halbe Stunde zuvor vorgelesen und dem Parlament erklärt, dass das Versprechen, den Franzosen mit der englischen Flotte zur Hilfe zu kommen, vorbehaltlich der Zustimmung des Parlaments abgegeben worden war.

Die Passage lautete:
"Diese Versicherung ist selbstverständlich von der Politik Seiner Majestät Regierung und der Unterstützung des Parlaments abhängig und darf nicht so aufgefasst werden, als würde Seiner Majestät Regierung dazu verpflichten, etwas zu unternehmen, bis der obige mögliche Einsatz der deutschen Flotte stattfindet."

Niemand im Parlament bemerkt, wie sie von Grey an der Nase herumgeführt wurden, in dem Grey behauptet hatte, die Verpflichtung sein bindend.

Auch das britische Kabinett wusste sehr lange Zeit überhaupt rein gar nichts über die Abmachungen mit den Franzosen.
 
Schon richtig, was du schreibst. Nur, das haben die Mächte der Triple Entente genauso getan. Nimm die Annexionskrise oder die Liman-von-Sanders-Krise, in der ja nicht einmal Recht verletzt wurde. Und es waren doch die Briten die 1908/09 mit großen unerbittlichen Nachdruck wieder und wieder auf dem Anhang des Berliner Vertrages hingewiesen hatten. Selbst hatten sie. 1904 den Madrider Vertrag von 1880 und den schon genannten Berliner Vertrag von 1878 gebrochen; das hatte selbst Staatssekretär Lansdowne eingräumt. Und noch weiter: Aufgrund dieses Rechtsbruchs, London hatte Paris ja freie Hand in Marokko gewährt, war man auch bereit sich auf seiten Frankreichs gegen Deutschland zu engagieren. Da ist es wieder, das Messen mit zweierlei Maß.
Das ist richtig, aber genau dieses zweierlei Maß hätte bei den Deutschen zur Erkenntnis führen müssen, dass es keinen Sinn machte, auf sein Recht zu pochen. Es hat nur (zu unrecht) zu Empörung im Ausland und das wiederholte Scheitern diplomatischer Initiativen seitens Deutschlands zur Verstimmung im Inland geführt. Es gab ja, wie bereits erwähnt, auch nach 1907 noch Verstimmungen zwischen Russland und Großbritannien in Zentralasien. Dann trat aber Deutschland (mit berechtigten) wirtschaftlichen Interessen auf den Plan und schon hatten Russland und Großbritannien wieder einen gemeinsamen Feind, wodurch man sich einigen oder zumindest den Streit weiter verschieben konnte. Ein Stillhalten und Abwarten hätte hier mehr Sinn gemacht. Hatte die "Eindämmungspolitik" der Entente eine große Wirkung auf den deutschen Handel, die deutsche Industrie? (Ich weiß es nicht genau und frage daher). Letztlich konnte Deutschland doch trotz politischer Isolierung weiterhin wirtschaftlich florieren und wachsen. Die USA hielten sich in dieser Zeit (weitgehend) zurück und konzentrierten sich auf die Innenpolitik. Die Zeit lief für die beiden größten Volkswirtschaften, sollten doch Russland und England erstmal mal wieder aneinandergeraten.

Bethmann selbst hatte am 23. April 1914 dem deutschen Botschafter in Konstantinopel, Hans Freiherr von Wangenheim erklärt: "Unser Nationalvermögen nähme so zum dass wir in 10 - 15 Jahren alle Nationen überholt hätten. Dann würden wir in der Weltpolitik, die letzten Endes Wirtschaftspolitik wäre, an gesicherte Stelle stehen. Unsere Aufgabe wäre es, uns ohne große Konflikte durch diese Zeit durchzuwinden."
(Mommsen, Wolfgang J.: War der Kaiser an allem schuld? - Wilhelm II. und die preussisch-deutschen Machteliten, München 2005, S. 209)
 
Der Schaden entstand meines Erachtens dadurch, dass beide divergierende Interessen auf dem Balkan hatten und nicht einig auftraten, wohingegen England und Frankreich Russland auf dem Balkan unterstützten.

Der Schaden entstand in erster Linie, weil der russische Außenminister sich nicht mehr an die getroffene Vereinbarung, die er mit Aehrenthal in Buchlau abgeschlossen hatte nicht mehr halten wollte, da er eben schlampige Diplomatie betrieben hatte und Paris und London nicht vorher ins Boot geholt hatte.
Jetzt rächte es sich, das man mit den Briten in Persien rücksichtslos umsprang. Und noch viel schlimmer, Iswolsky belog alles und jeden, vom Zaren, den Regierungschefs in Großbritannien, Frankreich, Deutschland usw. Diese Lügerei betrieb er monatelang in einem unerhörten Ausmaß. und enpassant wurden über Aehrenthal eine Beleidiung nach der anderen ausgestossen.
 
Das ist richtig, aber genau dieses zweierlei Maß hätte bei den Deutschen zur Erkenntnis führen müssen, dass es keinen Sinn machte, auf sein Recht zu pochen.

Das war im Zeitalter des Imperialismus der deutschen Öffentlichkeit nicht zu vermitteln. Schau dir an, wie die britische Öffentlichkeit auf das dämlich Krüger-Telegramm reagiert hatte. Das hatte auch sofort Auswirkung in der britischen Außenpolitik.
 
Abmachungen gab es schon vor dem Krieg. Siehe den Briefwechsel Grey/Cambon.

Die britische Öffentlichkeit und auch das Unterhaus wurden doch auch hemmungslos belogen. Der Öffentlichkeit wurde Belgien als grund für dem Kriegseintritt benannt. Wir wissen, das dies nur ein Vorwand war.

Grey hatte das Parlament in der Julikrise belogen. Ihm war die Frage vorlegt worden, ob es wahr sei, das mit Russland hinsichtlich eine Marinekonvention verhandelt würde. Grey belog das Parlament.

In seiner Rede im Unterhaus zur Rechtfertigung für den britische Kriegseintritt hatte Grey beispielsweise geäußert, Großbritannien könne den Krieg nicht fernbleiben, weil England sich gebunden habe,

"Wir können das nicht tun. Wir sind gegenüber Frankreich die Verpflichtung eingegangen, welche ich dem Parlament vorglesen habe (Grey hatte hierbei die entscheidende Passage nicht vorgelesen)."

Das war dreist.Warum? Grey hatte eine knappe halbe Stunde zuvor vorgelesen und dem Parlament erklärt, dass das Versprechen, den Franzosen mit der englischen Flotte zur Hilfe zu kommen, vorbehaltlich der Zustimmung des Parlaments abgegeben worden war.

Die Passage lautete:
"Diese Versicherung ist selbstverständlich von der Politik Seiner Majestät Regierung und der Unterstützung des Parlaments abhängig und darf nicht so aufgefasst werden, als würde Seiner Majestät Regierung dazu verpflichten, etwas zu unternehmen, bis der obige mögliche Einsatz der deutschen Flotte stattfindet."

Niemand im Parlament bemerkt, wie sie von Grey an der Nase herumgeführt wurden, in dem Grey behauptet hatte, die Verpflichtung sein bindend.

Auch das britische Kabinett wusste sehr lange Zeit überhaupt rein gar nichts über die Abmachungen mit den Franzosen.
Natürlich hatte Grey gelogen und auch Belgien war nur ein Vorwand. Aber wenn Deutschland nicht in Belgien einmarschiert wäre oder den Krieg gegen Frankreich erklärt hätte, hätte man Belgien auch nicht als Vorwand benutzen können. Wie gesagt davon ausgehend, dass Deutschland sich nicht zum Angriff hätte verleiten lassen und Frankreich wie auch Russland den Krieg hätten erklären müssen, dann wären zum einen die Versprechungen, die defensiver Natur waren, nicht zum Tragen gekommen und zum anderen hätte Grey erklären müssen, warum man einen französisch-russischen Angriff auf Deutschland unterstützen sollte.
Der Schaden entstand in erster Linie, weil der russische Außenminister sich nicht mehr an die getroffene Vereinbarung, die er mit Aehrenthal in Buchlau abgeschlossen hatte nicht mehr halten wollte, da er eben schlampige Diplomatie betrieben hatte und Paris und London nicht vorher ins Boot geholt hatte.
Jetzt rächte es sich, das man mit den Briten in Persien rücksichtslos umsprang. Und noch viel schlimmer, Iswolsky belog alles und jeden, vom Zaren, den Regierungschefs in Großbritannien, Frankreich, Deutschland usw. Diese Lügerei betrieb er monatelang in einem unerhörten Ausmaß. und enpassant wurden über Aehrenthal eine Beleidiung nach der anderen ausgestossen.
Ich stimme dir da zu, über das Verhalten und die Lügen Iswolskis, Greys und Co. braucht man nicht diskutieren. Sie waren es, die das böse Spiel trieben. Mir geht es einzig und allein darum, ob die deutsche Führung hieraus die richtigen Konsequenzen zog und ob es andere Möglichkeiten gegeben hätte, auf dies Vorgehensweise der Entente zu reagieren.
Ich muss mir selbst an dieser Stelle widersprechen, Deutschland hätte nicht immer die Füße stillhalten sollen, aber bei mir herrscht der Eindruck, dass Deutschland fast immer ein schlechtes Timing hatte. Immer dann, wenn ein starkes Auftreten, ein Vorpreschen (z.B. gemeinsam mit Österreich-Ungarn) notwendig gewesen wäre, war man still und wenn man besser Ruhe bewahrt hätte, ist man vorgeprescht. Ich kann es nicht besser präzesieren oder belegen, aber dieser Eindruck herrscht bei mir vor.
Das war im Zeitalter des Imperialismus der deutschen Öffentlichkeit nicht zu vermitteln. Schau dir an, wie die britische Öffentlichkeit auf das dämlich Krüger-Telegramm reagiert hatte. Das hatte auch sofort Auswirkung in der britischen Außenpolitik.
Das ist natürlich richtig. Der Druck der Öffentlichkeit war gewaltig.
 
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