Warum keine Neutralitätspolitik?

Was soll jetzt die Haarspalterei? Du weißt genau, was gemeint ist.
Dir müsste als in Sachen Kaiserreich sehr belesenem User doch bekannt sein, dass die Schaffung Elsass-Lothringen seinzeit explizit auch konzipiert war um um die Fiktion eines schon immer zusammengehördenden mehrheitlich deutschsprachigen Raumes zu schaffen und damit den Umstand, dass man ziemlich willkürlich Grenzen zog und mit den Moseldepartment eine Region annektierte, wo sich das nicht mehr mit Phantasien nationaler Zusammengehörigkeit rechtfertigen ließ zu kaschieren.

Wenn explizit auf die Fiktion des mehrheitlich deutschsprachigen Gebietes abgestellt wird, werde ich darauf hinweisen dürfen, dass seinerzeit der Zuschnitt des Gebiets so verändert wurde, dass eine deutschsprachige Mehrheit für das Gesamtgebiet dabei herauskam.
Während die Realität im Mosel-Département freilich eine andere war.

Unüblich und ungewöhnlich war vielmehr, das der Aggressor, der den Krieg begonnen hatte, sich mit der Niederlage und den Verlust überhaupt nicht abfinden
Also mit Blick auf gewisse Abfindungsschwierigkeiten, die Deutschland nach 1918 hatte, halte ich das nicht für so ungewöhnlich für das lange 19. Jahrhundert und die folgende Zeit.

Jedenfalls was Nationalstaaten angeht, die mal auf dem Narrativ nationaler Zusammengehörigkeit gegründet waren. Bei den multinationalen Imperien des Ostens mag das anders gewesen sein, die waren in dieser Hinsicht flexibler.

Liest du eigentlich die Beiträge, die hier verfasst wurden?
Davon kannst du ausgehen.

Denn dann wüsstest du, ich habe es nämlich bereits geschrieben, das es dafür sehr gute Gründe gegeben hatte. Welchen Eindruck eine sofortige Übergabe das auf die Moral der eigenen Bevölkerung, auf potenzielle Verbündete wie Bulgarien und Rumänien gemacht hätte, das muss wohl nicht großartig erläutert werden.
Das ist mir bekannt.
Es ändert aber nichts an der Problematik für die italienische Regierung. Für die spielte keine Rolle welche Bedenken Wien hatte und warum es nicht bereit war Rom mit nicht mehr als einem wenig glaubwürdigem Versprechen darstehen zu lasse.
Für die spielte nur ein Rolle dass es so war. Und das war ein Problem.

Btw. wo wir bei internen Erwägungen, Vertragstreue und so weiter sind:

Vielleicht reden wir mal über die Unterhandlungen, die Wien und Berlin hinsichtlich Möglichkeiten der Abtretung des Trentinos und eventueller Kompensation hatten.
Ich meine mich daran erinnern zu können, (und du wirst sicher wissen wovon ich rede), dass Wien in diesem Kontext von Seiten Berlins auch mal unterbreitet worden ist, doch bitte möglichst zügig das Terentino an Italien abzutreten und es sich dann nach gewonnenem Weltkrieg mit sanfter Gewalt wieder zurück zu holen.

Immerhin hatte Frankreich ja durch seinen Vertreter den Frankfurter Frieden 1871 unterschrieben gehabt.
Natürlich, aber wenn man das zum Maßstab nimmt, erkennt man ja an, dass es durchaus üblich war eine bestehende Ordnung mit Gewalt zu verändern. Wenn man das aber für üblich hält, ist diese Ordnung natürlich nicht in Stein gemeiselt, sondern letztendlich nur das Provisorium zwischen zwei Änderungen (in Form von Krieg).

...als Spitzfindigkeit getarnter Unsinn :D :D:D
Wenn du möchtest betrachte es so.

Als Rechtfertigung reichte nach damaligen Maßstäben eigentlich schon der gewonnene Krieg. Es war eben nicht unüblich, dass der Besiegte dem Sieger Land abtreten musste.
Ja das ist mir klar, was mir nicht so klar ist, warum es einigen Diskutanten so schwer fällt die Konsequenz zu verstehen.

Wenn es legitim ist Ordnungen qua Krieg zu verändern, können Verträge, die diese Ordnung bilden kaum unantastbar sein. Das wäre ein Widerspruch in sich.
Wenn es also üblich war die Ordnung qua Gewalt zu verändern war es damit eo ipso auch üblich die Verträge, die den Rahmen der alten Ordnung gesetzt haben, in einem entsprechenden Ego-Tripp in hübscher Regelmäßigkeit in die Tonne zu treten.

Wenn das aber normal war, ist mangelnde Vertragstreue kein Alleinstellungsmerkmal eines bestimmten Akteurs.
 
In Istrien waren ca. 40% der Bevölkerung italienischsprachig. In Dalmatien war Italienisch noch bis 1918 Amtssprache.
Auf den Fidschi-Inseln dürfte weder das eine noch das andere der Fall gewesen sein.

Ich gebe ja gerne zu, dass der Vergleich mit den Fidschi-Inseln stark überspitzt war. In Istrien lebte eine zahlenmäßig starke italienische Bevölkerung und auch in Dalmatien gab es zumindest eine relevante Minderheit.

Trotzdem waren aber Italiens Ansprüche auf Istrien und Dalmatien sehr fragwürdig, und die Provinzen waren am Ende nicht das Leben so vieler Menschen wert.
 
Ich sehe ja die Annexion durchaus kritisch, sie war eine schwere Hypothek für die deutsch-französischen Beziehungen.
Da unterscheiden wir uns, ich halte die nicht für eine entscheidende Hypothek (die war meiner Meinung nach mit der Reichsgründung schon gegeben) und unter strategischen Gesichtspunkten halte ich sie aus der damaligen Perspektive auch für richtig freilich aber auch für gänzlich rechtfertigungsbefreit, dass muss ja kein Widerspruch sein.

In einer Umgebung, in der sich kein imperialer Akteur in seinem Verhalten und seinen Interessen von irgendwelchen universalen Prinzipien beirren oder aufhalten ließ, war das eine relativ normale Verhaltensweise.

Was mir allerdings etwas gegen den Strich geht, ist, wenn dann bei einem bestimmten Akteur auf einmal andere Wert- und Bewertungsmaßstäbe angesetzt werden.
Ich kann ja durchaus verstehen, dass aus der deutschen Perspektive das damalige Verhalten der Italienischen Regierung durchaus zu emotionalen Reaktionen in der Rhetrospektive führt.

Letztendlich sind wir alle Menschen, die irgendwo ihre Identifikationen haben und es ist ja durchaus nicht anstößig, wenn die zuallererst mal beim eigenen Land und dessen Geschichte liegen.

Nur wenn sich aus der Perspektive des Deutschen Reiches über den italienischen Egoismus und die italienischen Großmachtsphantasien beschwert wird (egal ob zeitgenössisch oder Rhetrospektiv), ist das für mich in etwa so, als wenn sich der Chef eines Verbrechersyndikats über die Amoralität eines Kleinkriminellen echauffiert.
Möglicherweise ist das Einzige, was sie qualitativ trennt das Maß an vorhandenen Mitteln zum Betrieben ihrer Machenschaften.

Aber brutale Annexion? Das verkennt ja nun doch ein wenig die historischen Fakten. Der Aggressor im Deutsch-Französischen Krieg war eindeutig Frankreich. Napoleon III. hatte sich gründlich verzockt, F hatte den Krieg verloren, und dass ein Aggressor nach einer selbst verschuldeten Niederlage dafür territoriale Kompensationen anbot, entsprach völlig den Gepflogenheiten.
Natürlich entsprach es den Gepflogenheiten das war aber nur möglich, weil es gerade keine in Beton gegossene Staatenordnung gab, deren gewaltsame Veränderung als Sakrileg galt.

Dann kann man mit letzterem aber auch nicht argumentieren.

Das Elsass war nach Sprache und Kultur deutsch.
Das sind Österreich und die Schweiz auch und manch einer könnte auf die Idee kommen in Frage zu stellen, ob Niederländisch und Flämisch eigentlich tatsächlich eigene Sprachen seien oder irgendwie (wenn auch sehr starke) dialekte des Deutschen.

Siehst du darin jetzt eine Berechtigung Österreich, die Schweiz, die Niederlande und Nordbelgien einfach mal einzusacken um die Bevölkerung dort mit Zwangseinheit zu beglücken?

Würden die Zeitgenossenn (z.B. im Hinblick auf die Schweiz) das so gesehen haben?

Und hätte dann Frankreich nicht eigentlich ein Anrecht auf die Wallonie gehabt und Italien per se ein Recht darauf Krieg gegen Österreich zu führen um eine sofortige Vereinigug mit dem Trentino aus eigener Kraft, nicht etwa von Gnaden und zu den Bedingungen Wiens herbei zu führen?

Ich glaube solche Argumentationensollte man bleiben lassen.
Zumals sie auch zeitgenössisch nicht entscheidend waren.

Bismarck selbst, hat diese Art von nationalistischer Rechtfertigungsretorik abgelehnt und letztendlich eine "Basta-Politik" auf Basis militärgeographischer Interessen verfolgt, das ist recht gut dokumentiert.
 
Siehst du darin jetzt eine Berechtigung Österreich, die Schweiz, die Niederlande und Nordbelgien einfach mal einzusacken um die Bevölkerung dort mit Zwangseinheit zu beglücken? Würden die Zeitgenossenn (z.B. im Hinblick auf die Schweiz) das so gesehen haben?
sage mal: hatte die Schweiz eine Kriegserklärung abgegeben und dann aggressiv mit Kanonen peng-peng bei Saarbrücken gemacht, anschließend die Fresse poliert gekriegt? Nein? ...ja, welch´ ein Wunder aber auch, dass dann keinerlei Schweizer Gebiete annektiert worden sind.
;)
 
War sie offensichtlich doch, immerhin hat der Versuch der Regierung das Land in den Krieg zu steuern funktioniert. Wäre die Bevölkerung tatsächlich nicht bereit gewesen, das hinzunehmen (bitte sorgsam von "beführworten" unterscheiden), hätte dieser Versuch der Regierung zu Generalstreik und Revolution führen müssen. Tat er aber nicht.
Die Bevölkerung zog am Ende in den Krieg. In weiten Teilen zwar mürrisch, aber sie tat es.


.

Was blieb ihr auch anderes übrig, als es über sich ergehen zu lassen oder in die Berge/Wälder/Sümpfe gehen und desertieren blieb der Bevölkerung nicht- Die Militärjustiz war knallhart.

Wo gab es überhaupt vor 1916/17 ernsthafte Streiks gegen den Krieg? Bis es zu aktivem Widerstand in Armeen kam, musste die Lage erst so unerträglich werden wie im Februar 1917 in Petrograd oder im Frühjahr 1917 in der französischen Armee am Chemin des Dames oder vor Craonne.

Selbst die sehr gut organisierte deutsche oder französische Arbeiterbewegung hat es nicht geschafft, Solidaritätskundgebungen oder Streiks zu organisieren, und Leute wie Liebknecht oder Rosa Luxemburg saßen im Nu hinter schwedischen Gardinen.

Welche Möglichkeit hatte denn überhaupt die zum großen Teil analphabetische Landbevölkerung in Süditalien ihren politischen Willen zu artikulieren. Etwas anderes, als es hinzunehmen, es über sich ergehen zu lassen blieb den Massen doch gar nicht.

In Frankreich kam es 1917 zu Militärstreiks. Die Truppen erklärten sie würden die Stellung halten, ihre Pflicht tun, aber keine sinnlosen Angriffe mehr mittragen. Es gab mehrere Hundert Todesurteile, obwohl nur wenige vollstreckt wurden. Es gab aber unzählige Verurteilungen zu Gefängnis oder Französisch Guayana. Teilweise waren die Proteste aber erfolgreich. Petain schlug die Meutereien nieder mit einer Mischung aus Härte und Eingehen auf berechtigte Beschwerden. In der französischen Armee wurde stellenweise dezimiert, wurde jeder 10. Mann zum Tode bestimmt. Petain hat diese brutalen Methoden zwar angewendet, scheute sich aber sie in voller Konsequenz durchzuziehen. Es gab aber zahlreiche knallharte Haftstrafen.

Luigi Cadorna hat noch ganz andere Disziplinar- Methoden angewendet. Während es in Frankreich bei Haftstrafen und Verbannungen blieb, man davor zurückschreckte, Todesurteile zu vollstrecken, hat Cadorna solche Terrormethoden in voller Konsequenz durchgezogen. Es wurden Terrorbefehle ausgegeben, Cadorna zwang die Soldaten in die Front mit ähnlichen oder den gleichen Methoden wie sie im 2. Weltkrieg von NKWD-Einheiten an der Ostfront praktiziert wurden.

Gerade die italienische Militärjustiz war knallhart, Gehorsam wurde mit Terrormethoden erzwungen. Weil die Massen es hüben wie drüben am Ende hinnahmen, weil sie es über sich haben ergehen lassen, weil sich ihr Widerstand in ohnmächtigem Protest erschöpfte wie im Chanson de Craonne, weil Soldaten Angst vor Verbannung, Knast oder Standgericht hatten- daraus einen Grad an Zustimmung zur Kriegspolitik Salandras herauszulesen, erscheint mir etwas fragwürdig.

Da sprechen die unzähligen Todesurteile, die zunehmenden Desertionen eine andere Sprache.
 
Die Protestanten begrüßten mehrheitlich die neuen Gegebenheiten

Auch das ist falsch bzw. eine grobe Verzerrung. Von "begrüßten" kann keine Rede sein, und schon gar nicht "mehrheitlich" - man schickte sich bestenfalls ins Unvermeidliche und versuchte, langfristig das Beste draus zu machen. Wir hatten das Thema doch schon mal:

Die elsässischen (und lothringischen) Wähler haben im Februar 1871 mit sehr deutlicher Mehrheit Abgeordnete gewählt, die sich mit radikaler Rhetorik gegen eine Abtrennung von Frankreich positioniert haben. Leute wie Édouard Teutsch oder Émile Küss erhielten um die 95% der abgegebenen Stimmen.

Die Ablehnung der Annexion schlägt sich auch noch in den ersten Reichstagswahlen nieder (vgl. Beitrag #1404). Insbesondere die Reichstagswahl von 1887, die vor allem als Abstimmung über Bismarcks Heeresvorlage empfunden wurde (vielfach wurde befürchtet, ein neuer deutsch-französischer Krieg stünde unmittelbar bevor) sorgte für eine Rekordwahlbeteiligung; Hiery spricht in seiner Untersuchung über die Reichstagswahlen im Reichsland von einem "Plebiszit für Frankreich".

Teutsch und Küss waren übrigens Protestanten.
 
sage mal: hatte die Schweiz eine Kriegserklärung abgegeben und dann aggressiv mit Kanonen peng-peng bei Saarbrücken gemacht, anschließend die Fresse poliert gekriegt? Nein? ...ja, welch´ ein Wunder aber auch, dass dann keinerlei Schweizer Gebiete annektiert worden sind.
Demnach muss uns die Geschichtsschreibung wohl eine blutig Belagerung von Hamburg oder sowas unterschlagen haben? Könnte mich nicht daran erinnern, dass Dänemak 1864 mit irgendeinem deutschen Staat einen Krieg angefangen oder auch nur irgendwas getan hätte, was überhaupt die Angelegenheiten des Deutschen Bundes betraf (Schleswig lag ja außerhalb).

Das hielt aber gewisse andere Mächte nicht davon ab, sich Schleswig und Holstein zu holen und zu annektieren. ;)

Wenn das hier betrieben wurde, warum hätte es anderswo so abwegig sein sollen?
 
Siehst du darin jetzt eine Berechtigung Österreich, die Schweiz, die Niederlande und Nordbelgien einfach mal einzusacken um die Bevölkerung dort mit Zwangseinheit zu beglücken?

Nein! Ich sehe aber auch keine Berechtigung Italiens einfach mal das Trentino, Tirol bis zum Brenner, Istrien, Dalmatien und den Dodekanes einzusacken, nur weil dort auch Italienisch gesprochen wurde, weil alle diese Territorien mal zum Imperium Romanum gehörten und weil sie o schön das Territorium Italiens abgerundet hätten.
 
Was blieb ihr auch anderes übrig, als es über sich ergehen zu lassen oder in die Berge/Wälder/Sümpfe gehen und desertieren blieb der Bevölkerung nicht- Die Militärjustiz war knallhart.
Verzeihung?

Die Bevölkerung hätte sich schon gegen die Mobilmachungsorder erheben können.
In den Staaten, die von Anfang an, im Krieg dabei waren, war das Schwierig, weil es in der Julikrise schwierig war den überblick zu behalten und angesichts der verschiedentlichen Mobilmachungen auch jedem plausibel gemacht werden konnte, dass das ein Verteidigungskrieg sei und Aufruhr gegen Mobilmachungsmaßnahmen angesichts der Bedrohung an Verrat grenzen würde.

Aber das war ja in Italien nicht der Fall, das Land war nicht bedroht und die Debatte, die lief ging darum ob man einen Krieg um Eroberungen Willen führen wollte oder nicht.
Da konnte man denjenigen, die dagegen waren nicht vorwerfen, die Landesverteidgung zu hintertreiben und mit diesem Argument keinen "Burgfrieden" und keine "Union Sacrée" erzwingen.

Wo gab es überhaupt vor 1916/17 ernsthafte Streiks gegen den Krieg?
Streik war doch vor dem 1. Weltkrieg bei den Sozialisten immer ein Thema wenn es um Möglichkeiten der Kriegsverhinderung ging.

Ich rede von Streik als Präventionsmaßnahme gegen den Krieg im Vorfeld, nicht als politisches Mittel im Krieg.

In Deutschland und Frankreich wurden diese Vorstellungen mit dem Argument "Verteidigungskrieg" konterkarriert, so dass sich die deutschen und die französischen Sozialisten das nicht trauten.
Aber dieses Argument fehlte der italienischen Regierung und das "rote Mailand" hätte gegen den Versuch der Regierung das Land in den Krieg zu steuern durchaus mobil machen und eine solche Politik durch Generalstreik oder Aufstand von vorn herein bekämpfen können. Aber das passierte nicht.

Obwohl die Sozialisten und Anarchisten in Norditalien (in diesem Fall bsonders in der Emillia-Romagna und in den Marken) der Regierung in Rom im Rahmen der "Settimana Rossa" im Juni 1914 mächtig die Zähne gezeigt hatten und sich ihrer Möglichkeiten durchaus bewusst waren.

 
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Verzeihung?

Die Bevölkerung hätte sich schon gegen die Mobilmachungsorder erheben können.
In den Staaten, die von Anfang an, im Krieg dabei waren, war das Schwierig, weil es in der Julikrise schwierig war den überblick zu behalten und angesichts der verschiedentlichen Mobilmachungen auch jedem plausibel gemacht werden konnte, dass das ein Verteidigungskrieg sei und Aufruhr gegen Mobilmachungsmaßnahmen angesichts der Bedrohung an Verrat grenzen würde.

Aber das war ja in Italien nicht der Fall, das Land war nicht bedroht und die Debatte, die lief ging darum ob man einen Krieg um Eroberungen Willen führen wollte oder nicht.
Da konnte man denjenigen, die dagegen waren nicht vorwerfen, die Landesverteidgung zu hintertreiben und mit diesem Argument keinen "Burgfrieden" und keine "Union Sacrée" erzwingen.


Streik war doch vor dem 1. Weltkrieg bei den Sozialisten immer ein Thema wenn es um Möglichkeiten der Kriegsverhinderung ging.

Ich rede von Streik als Präventionsmaßnahme gegen den Krieg im Vorfeld, nicht als politisches Mittel im Krieg.

In Deutschland und Frankreich wurden diese Vorstellungen mit dem Argument "Verteidigungskrieg" konterkarriert, so dass sich die deutschen und die französischen Sozialisten das nicht trauten.
Aber dieses Argument fehlte der italienischen Regierung und das "rote Mailand" hätte gegen den Versuch der Regierung das Land in den Krieg zu steuern durchaus mobil machen und eine solche Politik durch Generalstreik oder Aufstand von vorn herein bekämpfen können. Aber das passierte nicht.

Obwohl die Sozialisten und Anarchisten in Norditalien der Regierung in Rom im Rahmen der "Settimana Rossa" im Juni 1914 mächtig die Zähne gezeigt hatten und sich ihrer Möglichkeiten durchaus bewusst waren.


Sicher kann man sich erheben, es ist aber doch die Frage, welchen Erfolg man damit hat und welchen Sinn das macht, wenn man dann am Ende auf den Iles de Salut oder in einer französischen Gefängniszelle landete,
Es gab ja durchaus Versuche, 1914 Streiks, Aktionen zu organisieren. In Deutschland und in Frankreich gab es Versuche, an die Solidarität der Arbeiter zu appellieren. Nach der Ermordung von Jean Jaures kam da aber nichts mehr zustande, und die Erwägungen der Union sacrée oder dem "Burgfrieden" gerecht zu werden, erwiesen sich als stärker.

Die Erhebung, Streiks, Demonstrationen Militärstreik das erforderte mit Sicherheit viel Mut. Der Erfolg von solchen Maßnahmen war recht beschränkt und mit großem Risiko verbunden. Keine Meuterei oder Streik hat aber im Kriegsverlauf irgendwo die Kriegsanstrengungen nachhaltig stoppen können oder stören können.

Das Argument mit der Union sacreé/ dem Burgfrieden leuchtet mir ein. So recht leuchtet mir aber nicht ein, dass ausgerechnet die italienische Arbeiterschaft erfolgreich die Kriegsanstrengungen lahm legen konnte, etwas woran in allen kriegführenden Staaten die sozialistischen Parteien gescheitert waren.
 
Das Argument mit der Union sacreé/ dem Burgfrieden leuchtet mir ein. So recht leuchtet mir aber nicht ein, dass ausgerechnet die italienische Arbeiterschaft erfolgreich die Kriegsanstrengungen lahm legen konnte, etwas woran in allen kriegführenden Staaten die sozialistischen Parteien gescheitert waren.
Bei der Settimana Rossa im Juni 1914 waren weite Teile von 2 Provinzen mehr oder weniger in Aufruhr, Teilweise wurde da sogar versucht die republik auszurufen.
Nun waren das Juni '14 unkoordinierte, spontane Unruhen und die italienische Regierung hatte 100.000 Mann mobilisieren müssen um die Lage in den Griff zu bekommen.
Damals war vom Krieg und von durch die Gewerkschaften zentral organisiertem und gesteuertem Aufruhr allerdings noch keine Rede.

Der Punkt ist, die Arbeiterschaft im Norden war für potentielle Kriegsannstrengungen unverzichtbar. Natürlich hätte man eine solche Erhebung niederschlagen und Teile der Teilnehmer ins Gefängnis werfen können.
Aber wenn man seine eigenen rüstungsrelevanten Facharbeiter erschießt oder einsperrt, wer hält dann eine potentielle Kriegswirtschaft am Laufen?
Die andere Möglichkeit wäre dann gewesen, sie an die Arbeit zurück zu schicken, aber dann hätte man im Kriegsfall immer das Risiko gehabt, dass die es nochmal versuchen könnten und dass dann möglicherweise in einem militärisch entscheidenden Moment die Munitionsfabriken stillstehen.


Es wäre im Übrigen auch fraglich gewesen, ob sich die wehrpflichtigen Soldaten, die möglicherweise auch nicht alle unbedingt in den Krieg wollten, dafür hergegeben hätten, auf Streikende und Demonstrantn, die versuchen einen Eroberungskrieg zu unterbinden zu schießen, oder ob dann nicht viel mehr die Gefahr bestanden hätte, dass Teile der Armee möglicherweise übergelaufen wären.

Hätten die italienischen Industriearbeiter im Norden auf die Mobilmachungsorder, oder möglicherweise auch schon auf die Kündigung des Dreibundvertrags (denn das die im Klartext Krieg bedeutete, musste angesichts der Umstände klar sein) mit ähnlicher Unruhe reagiert, wie es sie 1914 bei der "Settimana Rossa" gegeben hatte, hätte die Regierung in Rom sich das mit dem Kriegseintritt nochmal überlegen müssen, weil sie dann hätte fürchten müssen mit dem Krieg gegen Österreich möglicherweise gleichzeitig bürgerkriegsähnliche Zustände im eigenen Land auszulösen.
 
Auch wenn du meine Beiträge ignorierst, erlaube ich mit auf deine zu reagieren.

Wenn das hier betrieben wurde, warum hätte es anderswo so abwegig sein sollen?
Du ziehst alle Register und vergleichst Äpfel mit Birnen. Wer hatte denn in der Schleswig-Holstein Frage eigentlich das Völkerrecht gebrochen?

Demnach muss uns die Geschichtsschreibung wohl eine blutig Belagerung von Hamburg oder sowas unterschlagen haben? Könnte mich nicht daran erinnern, dass Dänemak 1864 mit irgendeinem deutschen Staat einen Krieg angefangen oder auch nur irgendwas getan hätte, was überhaupt die Angelegenheiten des Deutschen Bundes betraf (Schleswig lag ja außerhalb).

Du liebe Güte. Was hat das denn nun noch mit dem Thema zu tun. Kommt auch noch der amerikanische Unabhängikeitskrieg oder der chinesich-japanische Krieg?

Ausgangspunkt, und das verschweigst du wohlweislich, war doch wohl der Bruch der Londoner Protokolle durch Dänemark. Für die unfassbare Dämlichkeit der Dänen kann niemand etwas; außer die Dänen selbst. Diese unfassbare Vermessenheit, es wird sich schon jemand finden, man dachte in Kopenhagen an London, der den eigenen Bruch der Verträge schon regelt und militärisch gegen die deutschen Mächte antritt. Wobei hervorzuheben ist, das sich London nun wirklich, diplomatisch, vor allem auf der Konferenz in London, für Dänemark ins Zeug gelegt hat. Am Ende hatte die britschen Staatsmänner aber von der Halsstarrigkeit der Dänen die Nase gestrichen voll. DIe Dänen gaben kein bisschen nach und Ablauf des Waffenstillstandes ging der Krieg für Dänemark vollends verloren und zwar zu wesentlich schlechteren Bedingungen, als es noch in London möglich gewesen wäre.

auf die Kündigung des Dreibundvertrags

Von welcher Kündigung redest du eigentlich? Eine Kündigung des Vertrages war gar nicht möglich, das wüsstest du, wenn du meine Ausführungen oben gelesen hättest, und vorgesehen. Der Vertrag wurde entweder verlängert oder lief aus.

sage mal: hatte die Schweiz eine Kriegserklärung abgegeben und dann aggressiv mit Kanonen peng-peng bei Saarbrücken gemacht, anschließend die Fresse poliert gekriegt? Nein? ...ja, welch´ ein Wunder aber auch, dass dann keinerlei Schweizer Gebiete annektiert worden sind.
;)

Dafür hatte die Schweiz ihre Grenze für die fliehenden französischen Truppen geöffnet gehabt; dort wurden sie dann ordnungsgemäß entwaffnet. Aber immerhin wohl eine Freundlichkeit.
Da unterscheiden wir uns, ich halte die nicht für eine entscheidende Hypothek (die war meiner Meinung nach mit der Reichsgründung schon gegeben) und unter strategischen Gesichtspunkten halte ich sie aus der damaligen Perspektive auch für richtig freilich aber auch für gänzlich rechtfertigungsbefreit, dass muss ja kein Widerspruch sein.

Rechtfertigungsbefreit? ist das eine Wortneuschöpfung?

Die Provinzen waren die entscheidende Hypothek zwischen Frankreich und Deutschland. Die Franzosen lehnten eine Normalisierung der Beziehungen ab. Es wurde ganz ungeschminkt geäußert, das erst die Provinzen zurückzugeben seien.
Das die Grande Nation es wohl auch nicht verkraftet hat, das sie eben nicht mehr auf dem Kontinent die Vorherrschaft inne hatte und die erste Geige spielte, das war natürlich auch unausgesprochen absolut nicht akzeptabel. Gab es eigentlich einen vergleichbaren Fall in der Geschichte, das sich der Angreifer und dann Verlierer eines Krieges sich mit dem territorialen Verlust und der Niederlage einfach nicht abfinden wollte. Frankreich hatte ja schon 1866 nach "Rache für Sadowa" geschrien, obwohl es nicht einmal Kriegsteilnehmer gewesen war. Man muss sich das einmal vorstellen. Die Franzosen haben den Krieg 1870/71 verloren, standen mit Bismarck in Friedensverhandlungen und wollten unbedingt die Konferenz, es ging um die Pontusklauseln, beschicken. Unglaublich! Bismarck fragte vollkommen zu Recht, ob die Franzosen jetzt keine anderen Sorgen hätten? Aber so tickten die Franzosen damals.

Was mir allerdings etwas gegen den Strich geht, ist, wenn dann bei einem bestimmten Akteur auf einmal andere Wert- und Bewertungsmaßstäbe angesetzt werden.

Wird es nicht. Es wurde als das bezeichnet als das es war. Und es gab auch hinreichen, nicht unbedeutende Stimmen, in Italien, die den Bruch des Vertrages und Treulosigkeit scharf verurteilten.

Siehst du darin jetzt eine Berechtigung Österreich, die Schweiz, die Niederlande und Nordbelgien einfach mal einzusacken um die Bevölkerung dort mit Zwangseinheit zu beglücken?

Komisch, nicht wahr, das die Deutschen nicht die gleichen Gelüste hatten wie die Italiener und nebenbei auch noch den eigenen Verbündeten den Krieg erklären.

Österreich, Schweiz, Belgien, Bismarck, was fährst du noch alles auf, um das italienische Verhalten schönzureden?

n den Staaten, die von Anfang an, im Krieg dabei waren, war das Schwierig, weil es in der Julikrise schwierig war den überblick zu behalten und angesichts der verschiedentlichen Mobilmachungen auch jedem plausibel gemacht werden konnte, dass das ein Verteidigungskrieg sei und Aufruhr gegen Mobilmachungsmaßnahmen angesichts der Bedrohung an Verrat grenzen würde.

Nicht wirklich. Wer machte denn zuerst mobil und zwar deutlich vor Deutschland? Richtig! Russland und Serbien.
 
Eine Frage, die sich stellt, ist doch, weshalb haben Sonnino, Salandra und Cadorna nach neun Monaten Krieg in Europa keine anderen Schlüsse gezogen? und nicht vorausgesehen, das Italien im Falle des Angriffs ein langer, harter Stellungskrieg mit zahlreichen Opfern nicht erspart bleiben würde.

Ein Blick auf die Berichte des italienischen Militärattachés in Berlin, Oberstleutnant Luigi Bongiovanni klärt darüber auf, das seine Berichterstattung über den europäischen Krieg enthielt zahlreiche hellsichtige Warnungen, die in Rom großzügig ignoriert wurden. Außerdem berichtet Bongiovanni, das er von den deutschen und österreichisch-ungarischen Militärbehörden absolut kameradschaftlich behandelt wurde.
Er hatte durch die vom Generalstab organisierten Fahrten, durch Besichtigung von Gefängnislagern und Auswertung der Presse die Möglichkeit sich ein Bild von der Lage zu machen, vor allem des Krieges in den Schützengräben. In umfangreichen Berichten beschrieb er die deutsche Methoden sich im Felde zu verschanzen, wie tausende von Kubikmeter von Erde bewegt wurden; er skizzierte die Feldbefestigungen, die infolge des Anlegens metertiefer und kilometerlanger Graben- und Unterstandsysteme entstanden; er referierte in mehreren umfangreichen Berichten über dietechnischen Besonderheiten des Grabenkrieges und die Weiterentwicklung aller Waffengattungen.

Das wollte man aber in Rom nicht hören und wurde verantwortungslos ignoriert.

Cadorna meinte ja auch, man würde in ein paar Monaten in Wien stehen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Angelo Gatti notiert in seinem Tagebuch folgende bemerkenswerte Zeilen:

"Der ganze Krieg war nichts anderes als eine einzige große Lüge. Wir sind in dem Krieg eingetreten, weil die Männer, die uns regieren, die Männer mit dem Traum, uns einfach hineingestoßen haben. Man darf aber nicht zulassen, dass Träume zum Ausgangspunkt von Politik werden. Politik ist Wirklichkeit. Man riskiert des Wunsches nach mehr nationaler Größe. Es ist idiotisch, im Krieg ein Mittel der Reinigung zu sehen."

Klare Worte.
 
Ein paar Worte zur Haltung der italienischen Bevölkerung. Dies ist vor allem deshalb interessant, weil Itlaien auch ohne Aggression den allergrößten Teil seiner Forderung realisiert hätte.

Das Trentino, in dem 400.000 Austroitaliener lebten, wäre ohne ein Schuss von der Monarchien abgetreten worden. Das sollte man wissen, denn so mussten über 2 Millionen Menschen sterben; das ist nicht entschuldigen oder zu rechtfertigen. Das ist auch nicht die die ex post Perspektive.

Der Mehrheit der Italiener waren Trient und Triest gleichgültig oder zumindest keinen Krieg wert.(1) Giolitti sah die Sache durchaus richtig, als er ausführte, die italienische Landbevölkerung habe, anders als die Westeuropäer, keinen patriotischen Bürgersinn. (2) Aber die italienische Landbevölkerung, die den größten Anteil an der Bevölkerung stellte, spielte bei der Entscheidungsbildung für den Krieg keine Rolle.

Der Präfekt von Neapel schrieb Salandra, das 90% der Italiener in seiner Provinz den Krieg ablehnen. (3)

Aber auch die Italiener mit einer hoch entwickelten politischen Bewusstsein lehnten den Krieg ab. Die Mehrheit des Parlaments und des Senats ebenfalls.

Und die Sozialisten Italiens? Sie machten es wie die anderen Sozialisten Europas auch. Sie waren gegen den Krieg, trugen diesen aber trotzdem mit.


(1) Melograni, Storia, S.14, Renzi, in the Shadow of the Sword. S.239-241
(2) Renzi, Shadow, S.240
(3) Renzi, Shadow, S.240
 
Demnach muss uns die Geschichtsschreibung wohl (...)
nein, die muss demnach nichts dergleichen.

Es ging um deine bedenkenswerten (!) Überlegungen zum einhalten und gelegentlichen brechen von Verträgen. Darüber hatten wir diskutiert. Dabei hattest du als Exempel einer prinzipiell allerlei Verträge brechenden Handlung die Annexion von Elsass-Lothringen genannt und dazu erklärt, diese Annexion sei eine prinzipiell kriegerische Aggression gewesen. Für deine Überlegungen sind die Vertragsbedingungen (Vorfrieden von Versailles, Frankfurter Frieden) und wie es zu ihnen kam kein passendes Beispiel, denn Elsass-Lothringen gelangten nicht durch einen deutschen Eroberungskrieg inklusive Vertragsbrecherei ans Kaiserreich. (an dieser Stelle halte ich es für müßig, Anlass und Verlauf des Kriegs 1870/71 mit all seinen (durchaus auch dämlichen!) Kapriolen zu rekapitulieren) - kurzum: du wirst sicher bessere Beispiele für deine Überlegungen finden; es ist unnötig, auf dem ungünstigen Beispiel stur zu beharren.

Was deine bedenkenswerten Überlegungen zuvor - jetzt ohne 70/71 - betrifft, so erwähnst du einen grundlegenden Umstand nicht: allerhand zivilisierte Regeln/Übereinkünfte sind temporär ausgesetzt, sowie die Waffen tätig sind (ganz naiv: normalerweise darf kein Fritzchen auf einen Iwan oder Francois schießen und umgekehrt, im Kriegszustand allerdings ist das anders). Die Verträge, über deren einhalten und gelegentlich brechen wir diskutiert hatten, kamen nicht während Kriegshandlungen, nicht im Kriegszustand zustande. Sie waren überwiegend in Friedenszeiten ausgehandelt worden und galten für diese; Verträge über Bündnisse und Bündnisverpflichtungen im Fall eines Kriegs waren grundsätzlich in Friedenszeiten ausgetüftelte Einschränkungen/Eindämmungen von allzu naßforscher Waffenrasselei einzelner (im 19. und frühen 20. Jh.) Insofern halte ich im Zeitraum 1871-1918 Vertragsbrüche nicht für Kavaliersdelikte und glaube auch nicht, dass derartige Verträge nur kurzfristiger Zeitgewinn waren, bis man in einem Vertragsbruch eine Usance sah.
 
Du ziehst alle Register und vergleichst Äpfel mit Birnen. Wer hatte denn in der Schleswig-Holstein Frage eigentlich das Völkerrecht gebrochen?
Ich würd mal meinen beide Seiten, da eine Annexion Schleswigs durch Dänemark genau so den Londoner Vereinbarungen zuwider lief, wie die spätere Annexion durch Preußen.

Das Londoner Protokoll von 1852, auf das man sich als Kriegsgrund ja berief sah die Existenz der Herzogtümer Schleswig und Holstein als eigenständige, von Dänemark getrennnte völkerrechtliche Subjekte vor.

An die vertraglichen Grundlagen hätte man sich in Berlin und Wien also nur dann gehalten, wenn man diesen Zustand wieder hergestellt hätte, woran man aber nicht im traum dachte.
Im Klartext rechtfertigte Berlin den Krieg von 1864 damit für die Bewahrung der Uanbhängikeit Schleswigs von Dänemark zu kämpfen um anschließend diese Unabhängigkeit selbst zu beenden und das Land zu schlucken.

Das war schon ziemlich zynisch, genau wie im Anschluss daran anzufangen die Messer gegen Österreich zu wetzen, mit dem man eben noch verbündet war, einen Krieg vorzubereiten, der darauf hinauslief unter Einbeziehung bundesfremder Mächte (Italien), die Bundesakte und den gsamten Deutschen Bund überhaupt komplett an die Wand zu fahren.

Von welcher Kündigung redest du eigentlich? Eine Kündigung des Vertrages war gar nicht möglich, das wüsstest du, wenn du meine Ausführungen oben gelesen hättest, und vorgesehen. Der Vertrag wurde entweder verlängert oder lief aus.
Unterlass doch bitte die Nebelkerzen.

Ich habe keine Lust, mich mit dir darüber zu streiten, ob dieser Vertrag vorzeitig gekündigt werden konnte oder nicht oder ob er möglicherweise wegen der vorangegangenen Ereignisse bereits als erloschen betrachtet werden konnte.

Von mir aus nenn es also nicht "Kündigung", sondern "Deklaration der Kündigung" des Dreibundvertrags. Das relevante Faktum, auf das ich abzielte ist kein anderes, als dass jedem klar sein musste, das der Ausspruch dieser Kündigung (man mag sie für korrekt halten oder nicht) de facto nichts anderes als eine Ankündigung des Kriegseintritts darstellte und jedem klar sein musste, dass genau das nun bevorstand.

Rechtfertigungsbefreit? ist das eine Wortneuschöpfung?

Die Provinzen waren die entscheidende Hypothek zwischen Frankreich und Deutschland. [...]
Wie bringst du es fertig in einem Absatz die Provinzen als "entscheidende Hypothek" zu bezeichnen und gleichzeitig auf das Schlagwort "Rache für Sadowa" abzustellen?
Komisch, nicht wahr, das die Deutschen nicht die gleichen Gelüste hatten wie die Italiener und nebenbei auch noch den eigenen Verbündeten den Krieg erklären.
Ja, aber dafür überfielen sie Länder deren Neutralität sie gleichzeitig vertraglich garantieren. In dem expliziten Wissen, dass sie da einen eklatantenn Rechtsbruch begingen, wie die Ausführungen Bethmann-Hollwegs vor dem Reichstag zu Kriegsbeginn hinsichtlich der Verletzung der belgischen Neutralität und der Erklärung das beizeiten entschädigen zu wollen unmissverständlich belegt.

Die Aussicht auf Entschädigung nutzte den Totgeschossenen sicherlich viel.
Einen Monat später wurde dann auf Betreiben der selben Regierung das "Septeberprogramm" ausgearbeitet, in dem die Annexion Ostbelgiens mit Lüttich angepeilt wurde und Rest-Belgien de facto die Eigenständigkeit zu nehmen und es zu einem deutschen Vasallenstaat zu degradieren.

So viel nur zu unerschütterlichen, unverbrüchlichen und ewig anständigen Vertragstreue Deutschlands und zum Umgang mit Staaten, zu deren Schutz sich Berlin dereinst vertraglich verpflichtet hatte.

Können wir jetzt also bitte aufhören so zu tun, als sei die Missachtung von Absprachen und Verträgen eine italienische Spezialität gewesen?

was fährst du noch alles auf, um das italienische Verhalten schönzureden?
Die Frage sollte lauten, was wird dir noch alles einfallen um es zu dämonisieren?
 
Dir müsste als in Sachen Kaiserreich sehr belesenem User doch bekannt sein, dass die Schaffung Elsass-Lothringen seinzeit explizit auch konzipiert war um um die Fiktion eines schon immer zusammengehördenden mehrheitlich deutschsprachigen Raumes zu schaffen und damit den Umstand, dass man ziemlich willkürlich Grenzen zog und mit den Moseldepartment eine Region annektierte, wo sich das nicht mehr mit Phantasien nationaler Zusammengehörigkeit rechtfertigen ließ zu kaschieren.

Der primäre Gesichtspunkt war militärisch-strategischer Natur. Das ist dir ohne Frage bekannt.

Also mit Blick auf gewisse Abfindungsschwierigkeiten, die Deutschland nach 1918 hatte, halte ich das nicht für so ungewöhnlich für das lange 19. Jahrhundert und die folgende Zeit.

Nun, Deutschland hat ab 1918 nicht auf einem Revanchekrieg gesonnen und 1925 in Gestalt des Vertrages von Locarno den Nachkriegsrealitäten, zumindest im Westen, definitiv akzeptiert. Im Gegensatz zu Frankreich wurde also der Verlust der Provinzen und auch Eupen-Malmedys akzeptiert und die Hand zur Versöhnung gereicht.

Es ändert aber nichts an der Problematik für die italienische Regierung. Für die spielte keine Rolle welche Bedenken Wien hatte und warum es nicht bereit war Rom mit nicht mehr als einem wenig glaubwürdigem Versprechen darstehen zu lasse.
Für die spielte nur ein Rolle dass es so war. Und das war ein Problem.

Für die spielte ja nicht einmal eine Rolle, was die eigene Bevölkerung, Parlaments- und Senatsmehrheit dachten. Die Regierung, namentlich Salandra und Sonnino, handelten absolut skrupel- und verantwortungslos.

Vielleicht reden wir mal über die Unterhandlungen, die Wien und Berlin hinsichtlich Möglichkeiten der Abtretung des Trentinos und eventueller Kompensation hatten.
Ich meine mich daran erinnern zu können, (und du wirst sicher wissen wovon ich rede), dass Wien in diesem Kontext von Seiten Berlins auch mal unterbreitet worden ist, doch bitte möglichst zügig das Terentino an Italien abzutreten und es sich dann nach gewonnenem Weltkrieg mit sanfter Gewalt wieder zurück zu holen.

Das ist korrekt und m.E. nach durchaus nachvollziehbar. Wenn ein Land wie Italien sich so verhält, wie es sich spätestens ab Dezember 1914 verhalten hatte, darf man sich nicht wirklich wundern, wenn der eigene Verbündete, den man gerade brutal, rücksichtslos, egoistisch, die Schwächte des einstigen Verbündeten gnadenlos ausnutzend, über den Tisch ziehen will, sich für später vorbehält, mit gleicher Münze zurückzuzahlen. Bemerkenswert ist m.E. nach vielmehr, das Österreich-Ungarn die italienischen Schwächeperioden nicht ausgenutzt hat. Hätte Wien das getan, dann wäre es 1915 nicht in diese Verlegenheit geraten, mit den eigenen Verbündeten um sein Territorium zu schachern.

Natürlich, aber wenn man das zum Maßstab nimmt, erkennt man ja an, dass es durchaus üblich war eine bestehende Ordnung mit Gewalt zu verändern. Wenn man das aber für üblich hält, ist diese Ordnung natürlich nicht in Stein gemeiselt, sondern letztendlich nur das Provisorium zwischen zwei Änderungen (in Form von Krieg).

Eigentlich nicht. Denn es war Frankreich welches mit Gewalt gegen Preußen meinte zur Tat zu schreiten müssen und wir können getrost davon ausgehen, das bei einem französischen Sieg die Landkarte nicht unerheblich verändert worden wäre. Preußen war der Angegriffene und hat Vorkehrungen getroffen, das ein weiterer Einfall Frankreich nach Deutschland sich nicht so einfach gestalten würde.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich würd mal meinen beide Seiten, da eine Annexion Schleswigs durch Dänemark genau so den Londoner Vereinbarungen zuwider lief, wie die spätere Annexion durch Preußen.

Mit einen entscheidenden Unterschied. Preußen und Österreich haben 1864 Platz an dem Konferenztisch genommen, um diesen Konflikt aus der Welt zu schaffen. Und es war Dänemark., da waren sich alle Konferenzteilnehmer darüber einig, welche die Konferenz scheitern ließ. Danach hatte wirklich auch niemand mehr Interesse daran für Dänemark auch nur ein Finger krumm zu machen.

Das Londoner Protokoll von 1852, auf das man sich als Kriegsgrund ja berief sah die Existenz der Herzogtümer Schleswig und Holstein als eigenständige, von Dänemark getrennnte völkerrechtliche Subjekte vor.

An die vertraglichen Grundlagen hätte man sich in Berlin und Wien also nur dann gehalten, wenn man diesen Zustand wieder hergestellt hätte, woran man aber nicht im traum dachte.

Kopenhagen hatte das Londoner Protokoll gebrochen. Preußen und Österreich beriefen sich in der Folgezeit gegenüber Dänemark immer wieder auf die Londoner Protokolle, um den alten Zustand wiederherzustellen. Davon wollte man in Kopenhagen nichts hören. Erst als die österreichischen und preußischen Truppen siegreich waren, da wollte Dänemark plötzlich und überraschend zurück zu den Londoner Protokollen. Dazu waren nicht einmal die Signatarmächte der Londoner Protokolle bereit. Und ganz gewiss nicht, nachdem die Dänen die Londoner Konferenz haben platzen lassen.

Das war schon ziemlich zynisch, genau wie im Anschluss daran anzufangen die Messer gegen Österreich zu wetzen, mit dem man eben noch verbündet war, einen Krieg vorzubereiten, der darauf hinauslief unter Einbeziehung bundesfremder Mächte (Italien), die Bundesakte und den gsamten Deutschen Bund überhaupt komplett an die Wand zu fahren.

Niemand begann 1864 die Messer zu wetzen. Im August 1864 wurde in Schönbrunn friedlich, schiedlich über die Zukunft der Provinzen beraten und Franz Joseph hat Wilhelm I. direkt gefragt, ob die Provinzen haben will.
Österreich erwartete als Gegenleistung, das Preußen Österreich, auch militärisch, bei der Rückeroberung der Verluste von 1859 unterstützt. Zu jener Zeit kam es zu keiner Einigung. Aber man war in Gespäch. Zu dieser Zeit war keine Rede "von Messer wetzen". Und davon einmal abgesehen, liegt die Schuld von 1866 ganz sicher nicht nur bei Preußen. Eher das Gegenteil. Aber das hatten wir schon.

Und war war mit dem Bruch der Bundesakte durch die Kriegserklärung an einem Mitglied des Bundes?

Ja, aber dafür überfielen sie Länder deren Neutralität sie gleichzeitig vertraglich garantieren. In dem expliziten Wissen, dass sie da einen eklatantenn Rechtsbruch begingen, wie die Ausführungen Bethmann-Hollwegs vor dem Reichstag zu Kriegsbeginn hinsichtlich der Verletzung der belgischen Neutralität und der Erklärung das beizeiten entschädigen zu wollen unmissverständlich belegt.

Kannst du mir bitte kurz erläutern, was nun konkret Belgien hier thematisch zu suchen hat. Und dann könnte man gleich auch noch Griechenland hinsichtlich der gebrochenen Neutralität einbeziehen.

Die Aussicht auf Entschädigung nutzte den Totgeschossenen sicherlich viel.
Hier wurde immerhin das eigene Unrecht, den Bruch der belgischen Neutralität, vor der ganzen Weltöffentlichkeit anerkannt und zugegeben. Kann mich nicht erinnern, solche oder ähnliche Worte von einen italienischen Verantwortlichen gehört zu haben. Auch nicht von einen alliierten Staatsmann hinsichtlich Griechenland.

inen Monat später wurde dann auf Betreiben der selben Regierung das "Septeberprogramm" ausgearbeitet, in dem die Annexion Ostbelgiens mit Lüttich angepeilt wurde und Rest-Belgien de facto die Eigenständigkeit zu nehmen und es zu einem deutschen Vasallenstaat zu degradieren.

Was kommt denn noch alles? Wollen wir uns einmal die Friedensprogramme der Alliierten, sieh nur einmal das Sykes-Picot Abkommen von 1916.

Sykes-Picot-Abkommen – Wikipedia

So viel nur zu unerschütterlichen, unverbrüchlichen und ewig anständigen Vertragstreue Deutschlands und zum Umgang mit Staaten, zu deren Schutz sich Berlin dereinst vertraglich verpflichtet hatte.

Sarkasmus ist hier nicht angebracht.
 
Nun, Deutschland hat ab 1918 nicht auf einem Revanchekrieg gesonnen
Das offizielle Frankreich in Form der französischen Regierungen zwischen 1871 und 1914 auch nicht, jedenfalls wurden nie dezidierte militärische Vorkehrungen für einen Revanchekrieg getroffen.

Weite Teile der Öffentlichen Meinung hüben, wie drüben, waren anderer Ansicht. Die Rechtsextremen in der Weimarer Republik wollten atürlich genau das und waren darin den Radikalen in Frankreich zwischen 1871 und 1914 durchaus sehr ähnlich.

Ein General v. Seeckt, während weiter Teile der Weimarer Zeit die zentrale Figur in der Reichswehr hätte nachdem, was man so über seine Absichten und mittlerweile weiß, den Spottnamen "General Revanche" in ähnlicher Weise verdient gehabt, wie seinerzeit auf der frannzösischen Seite der General Boulanger.

Im Gegensatz zu Frankreich wurde also der Verlust der Provinzen und auch Eupen-Malmedys akzeptiert und die Hand zur Versöhnung gereicht.
........ in einer Situation, in der die französische Militärmacht im Land stand und das Rheinland und das Ruhrgebiet besetzt hielt und also überhaupt keine andere Möglichkeit gegeben war, als zu versuchen Konzessionen zu machen und zu verhandeln, hast du vergessen anzufügen.

Man muss ja nicht so tun, als wären die Locarno Verträge gänzlich ohne den Druck der Ruhrbesetzung und den gescheiterten zivilen Widerstand, so wie die desolate Lage der Staatsfinazenen zustande gekommen und als hätten sie einer rein intrinsichen Motivation der deutschen Regierung entsprochen.

Für die spielte ja nicht einmal eine Rolle, was die eigene Bevölkerung, Parlaments- und Senatsmehrheit dachten. Die Regierung, namentlich Salandra und Sonnino, handelten absolut skrupel- und verantwortungslos.
Und war das anderswo anders?
War in Deutschland das Parlament befragt worden, bevor der Krieg erklärt wurde? Nein, es wurde vor vollendete Tatsachen gestellt und nach der Kriegeserklärung und dem Beginn des Einmarsches in Belgien zusammengetrommelt um über die Kriegskredite das ganze mehr oder minder nachträglich zu sanktionieren.

Ist die deutsche Regierung ihrerzeit vor's Volk getreten hat ihre Rolle in der Julikrise und den Blankoschek an Wien der Bevölkerung offengelegt um ergebisoffen über die Bereitschaft zum Krieg zu diskkutieren?
Nein, sie hat dieser Bevölkerung was von "Verteidigungskrieg" und davon, erzählt und davon, dass man kurz davor stünde überfallen zu werden, um jeden, der keinen Krieg wollte gleich als "Vaterlandsverräter" abqualifiiziieren zu können.

Das ist korrekt und m.E. nach durchaus nachvollziehbar.
Gut, für's Protokoll:

Du hältst es für korrekt, jemandem im Rahmen einer vertraglichen Einigung etwas anzubieten, in der festen Absicht, diesen, nachdem die Vorteile aus diesem Vertrag genossen wurden zu überfallen und ihn des Handelsobjektes wieder zu berauben.

Und beschwerst dich im gleichen Atemzug über die mangelnde Vertragstreue anderer Parteien?
ist das dein Ernst?
 
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