Helvetiereinöde

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Das von Sepiola verlinkte DFG-Forschungsprojekt konzentriert sich auf Südwestdeutschland, und will zum Beispiel an einem Moor (Kupfermoor bei Schwäbisch Hall) und einem See (Husemer See in der Nähe des Oppidums Altenburg am Hochrhein) vegetationsgeschichtliche Archive untersuchen, um Besiedlungsabfolgen zu datieren. Die Projektgruppe weist darauf hin, dass alle bisherigen Pollenprofile aus Südwestdeutschland nur eine kurze (zwanzigjährige?) Unterbrechung vieler Siedlungsstellen anzeigen, da nur das Vegetationsprofil des Birken-Pionierwalds erreicht wird, bevor erneut gerodet wird.
Im Text weisen sie darauf hin, dass sich eine archäologisch nachgewiesene germanische Gruppe aus Nordwestthüringen (sogenannte südostbayrische Gruppe) zwischen 80 v. Chr. bis ca. 40 v. Chr. angesiedelt hat, bevorzugt entlang von Fernverkehrswegen. Die Autorengruppe beschreibt in diesem Zusammenhang einen Fernverkehrsweg von Thüringen, Taubertal, Schwäbisch Hall (germanische Siedlungsspuren an den Salzquellen) am Oppidum Heidegraben vorbei bis zum Oppidum Altenburg am Hochrhein.
Michael Nick skizziert über die Verbreitung der Regenbogenschüsselchen Typ V A, und V D und der schweizerischen Voll- und Viertelstatere in Laténe D1 (präziser im letzten Viertel des 2.Jahrhunderts BC) einen weiteren Verkehrsweg vom mittleren Neckar, über die Schwäbische Alb bis zur Nordschweiz (Seite 105). Sinnvoller Weise müsste daher dieser Weg, nach der Analyse von Michael Nick weist das Fundbild fast idealtypisch eine Münzausbreitung durch Nahhandel auf. Ich würde mich daher auch bei der weiteren Diskussion auf diesen engeren Raum begrenzen.
Das Herkunftsgebiet der glatten Regenbogenschüsselchen zum Beispiel des Typs V A (bei Nick Karte 5, Seite 26) zeigt das Gebiet, den Sabine Riekhoff (sie ist Mitglied der aktuellen Projektgruppe) schon 1995 als Kernraum der definiert hat, intensiv besiedelte und wirtschaftlich aktive Siedlungskammern der Oppidakultur, mit einer lange zurückreichenden Siedlungsgeschichte bis zur Hallstattzeit (siehe z.B. Fürstengrab von Hochdorf). Im Projekttext bedauert die Gruppe das Fehlen von vegetationsgeschichtlichen Archiven im Neckarraum (z.B. Moore, verlandete Seen), in der geplanten Projektkarte (siehe unten) liegt der Schwerpunkt leider südlich der Donau.
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Interessant dazu Stöcklis Veröffentlichung von 2018, der zumindest andeutet, dass sich die scheinbare Fundleere Südwestdeutschlands in LtD2 möglicherweise durch eine germanische Besetzung des Gebietes erklären lässt, deren Fundstücke weniger zahlreich und weniger offensichtlich war, aber dennoch nachzuweisen ist:

 
Michael Nick skizziert über die Verbreitung der Regenbogenschüsselchen Typ V A, und V D und der schweizerischen Voll- und Viertelstatere in Laténe D1 (präziser im letzten Viertel des 2.Jahrhunderts BC) einen weiteren Verkehrsweg vom mittleren Neckar, über die Schwäbische Alb bis zur Nordschweiz (Seite 105). Sinnvoller Weise müsste daher dieser Weg, nach der Analyse von Michael Nick weist das Fundbild fast idealtypisch eine Münzausbreitung durch Nahhandel auf.
Ich grübele über die These von Michael Nick nach, warum er Nahhandel für die Münzausbreitung o.g. Goldmünzen verantwortlich macht. In seiner Arbeit stellt er des öfteren fest, dass Goldmünzen oft nur zur Schatzbildung (Thesauierung), als Gabe auf Gegenseitigkeit (diplomatische Geschenke) oder für kultische Zwecke verwendet wurden - hier sieht er offensichtlich klare Hinweise auf Handel. Was war so wertvoll, und wird mit Gold aufgewogen? Bisher bin ich davon ausgegangen, dass eine mögliches Handelsgut Sklaven sind - Diodor behauptet, dass die römischen Weinhändler in Gallien für einen Krug (Gefäß, Fässchen?) Wein einen Sklaven eintauschen würden (Dio 5,26). In Manching wurde unten abgebildete Halsfessel mit vier Meter langen Eisenketten gefunden. Auch in Basel-Gasfabrik gibt es Funde von Fesseln. Eine Zusammenstellung hier: Sklaven und Sklavenketten in der jüngeren Latènezeit: zu neuen Nachweismöglichkeiten. In: S. Wefers u. a. (Hrsg.), Waffen – Gewalt – Krieg. Beitr. Internat. Tagung AG Eisenzeit u. Inst. Arch. Univ. Rzeszowskiego – Rzeszów 2012. Beitr. Ur- u.
Wurde Wein in Gold aufgewogen? Wenn der Endverbraucher eine Elite war, die zum Beispiel am mittleren Neckar ansässig ist, dann passt der Gütertausch von Ort zu Ort nicht zum Fernhandel mit Wein.

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Bisher bin ich davon ausgegangen, dass eine mögliches Handelsgut Sklaven sind - Diodor behauptet, dass die römischen Weinhändler in Gallien für einen Krug (Gefäß, Fässchen?) Wein einen Sklaven eintauschen würden (Dio 5,26).
Im griechischen Text steht "keramion", also Keramikgefäß. Als Gefäß für Wein soll es eine Metretes (ca. 39 Liter) gefasst haben.
 
"Pandemie" ist natürlich Unsinn. (Seit der jüngsten Pandemie scheinen viele Leute das Wort "Epidemie" aus dem Wortschatz gestrichen zu haben.)
Sabine Rieckhoff hat die Hypothese einer Seuche (so der Wortlaut damals) schon beim Internationalen Kolloquium in Hallein/Bad Dürrrnberg 1998 vertreten. KVF 7 (2002): C. Dobiat / S. Sievers / Th. Stöllner, Dürrnberg und Manching. Wirtschaftsarchäologie im ostkeltischen Raum. Akten des Internationalen Kolloquiums in Hallein / Bad Dürrnberg vom 8. bis 11. Oktober 1998

Einen wirklichen Nachweis hatte sie nicht (Skelettfunde z.B.), in diesem Kapitel ihres Textes sammeln sich allgemeine Hinweise zu Seuchen in antiken Quellen, und die vermutete gesellschaftliche Reaktion und Umgehensweise (Krankheit als Götterstrafe): eine vemehrte Opfertätigkeit - das würde dafür sprechen, dass die eisenzeitlichen Gesellschaften eine gewohnheitsmäßige rituelle Einbettung der Epedemien in ihrer Welt kannten - daher wird die These von Sabine Rieckhoff, es hätte als Panikreaktion eine große Migration gegeben, nicht unbedingt logischer. Riekhoff meint in der Protourbanisierung der Oppidakultur eine Voraussetzung für Seuchen zu sehen - das Zusammenleben mit Haustieren war selbstverständlich eine Quelle von Seuchen, diese Gefahr besteht jedoch spätestens mit der Sesshaftwerdung im Neolithikum - die Urbanisierung der Oppidakultur war im Vergleich zur mediterranen Welt gering (Manching bis 10.000 Einwohner, zu einer Zeit in der Rom die Millionen überschritt) - und warum machte die Seuche am Rhein halt?
Im Projekttext wird die Hypothese jedoch nicht weiterverfolgt, daher erscheint es mir eher ein Zitat der eigenen Hypothese, das in einer Nach-Pandemie-Zeit modernisiert (und nicht mehr Seuche genannt wird) Aufmerksamkeit generiert.
 
Sie verdanken ihre Existenz ausschließlich dem latènezeitlichen Wirtschaftssystem mit überregionalen Handelsbeziehungen, das schon ab dem 2. Jahrhundert v. Chr. und dann ab 50 v. Chr. endgültig zusammenbrach. Diese Metallproduktion war für einen Absatzmarkt in ganz Mittel- und Westeuropa, nutzte die Verkehrswege an Lahn, Rhein und Mosel. Das funktionierte nur mit Gewinnen aus überregionalem Handel.

Mit der römischen Dominanz im Mittelmeer, und später in Gallien, brach dieser gesamte Absatzmarkt zusammen, und damit die wirtschaftliche Grundlage.
Die Frage, welchen möglicherweise endogenen Grund es für den "Zusammenbruch der Oppidakultur" gegeben hat, finde ich sehr spannend.
Nicht einverstanden bin ich mit deiner zeitlichen Einordnung im 2.Jahhundert BC -Latène C2-D1): nach der Eroberung der Narbonensis (Provence) hat sich der römische Handel mit Gallien und darüber vermittelt in die rechtsrheinische Oppidakultur intensiviert, und löste den Handel mit Massalia sukzessive ab. Das sieht man an der wachsenden Bedeutung der republikanischen Denare als Münz/Gewichtsvorbild, die die massiliotische Obole ablösten (- die böhmische östliche Oppidakultur kannte nicht nur eine West-Ostrichtung, sondern war über die Donau auch mit der Adria verbunden, hatte einen eigenen Verkehrs-und Kommunikationsweg).Unten Karte der wesentlichen Fernhandelsrouten über das Rhone-Saone-Doubs-System und die Alpenpässe (z.B. St.Bernhard-Pass) in die Schweiz (nach Nick, 2005). (Übrigens sieht es so aus, als hielten sich die römischen Fernwege in der Kaiserzeit an diese Verkehrswege: ganz gut zu sehen an der Straße Neckar (Rottweil)- Alb-Aare-Straße, die an einer ehemals latènezeitlichen Siedlung (Hüfingen) die Donau überquerte (Kastell Brigobannis) - dort kreuzte diese Nord-Südverbindung zum oberen Neckar (Rottweil) eine Donaustraße, die weiter im Schwarzwald über den Thurnerpass Richtung Oberrheintal führte, und das aufgegebene Oppidum Tarodunum im Dreisamtal passierte).

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Viele Funde deuten daraufhin, dass dieser intensive Handel mit Rom sogar den Absatz in bestimmten Bereichen steigerte und eine Standardisierung und quantitative Produktionsmenge förderte - Beispiel ist in Gallien die offene Produktionssiedlung Levroux (Schinkenproduktion)
"Aus diesen Tieren pflegen die Gallier die besten und grössten Schweinehälften zu machen. Zeichen ihrer hervorragenden Güte ist, dass auch heute noch komazinische und kavarische Hinterkeulen und Vorderschinken von Gallien nach Rom geliefert werden" (Varro, De re rustica 2,4,10).
Bei Pisa wurden in einem Wrack weit über 300 beinahe ausschließlich rechte Schulterknochen von Schweinen gefunden (Sorrentino/Giuseppe/Manzi 2000. – Camilli/Setari 2005). Gallische Schinken auf dem Weg nach Rom? Die Beliebtheit der gallischen Schinken steht für mich exemplarisch, dass der Absatzmarkt für (einige) Produkte der Keltike in Rom exisitierte - das mag nicht für Keramik gelten, möglicherweise jedoch zum Beispiel für Textilien. Ob das von dir erwähnte Eisen aus dem Siegerland und Lahn-Dill gegen das Ferrum Noricum konkurrenzfähig war? Die Kürze des Wegs spricht eher für die alpine Eisenerzverhüttung - aber fertige Eisengeräte sind eine mögliche Ware für den römischen Markt. Beim Wagenbau gibt es über die Übernahme keltischer Lehnwörter Hinweise für die Vorbildfunktion keltischer Wagnerei.
Bei den Eisengeräten fehlt mir dazu die Kenntnis, und erinnere mich an keine Erwähnung in den römischen Quellen. Am ehesten stellt sich mir die Frage, ob der Sklavenmarkt nicht mehr funktioniert hat - entweder, weil der Bedarf nach Kriegen (z.B. gegen Kimbern und Teutonen) gestillt war und der Markt zusammengebrochen ist, oder ob die nördlich der Oppidakultur siedelnden Gentes sich zu wehrhafteren Bünden (Sueben?) zusammengeschlossen haben, um den Raubzügen und der Sklavenjagd ein Ende zu machen.
Dieter Timpe hat die Handelswaren mit Rom zusammengestellt (Der keltische Handel nach historischen Quellen, Göttingen 1985). Im Gegensatz zu Gerhard Dobesch (2002) kommt er zum Ergebnis, dass es eigentlich keinen keltischen Handel gegeben hätte, und auch keine keltischen Händler, sondern dass der Fernhandel eine griechisch-römische Angelegenheit war. Dobesch geht jedoch von einem innerkeltischen Handel aus,
und auch von keltischen Händlern und Kaufleuten, deren gesellschaftlicher Status jedoch unsicher ist ( Zum Handel bei den Kelten in Mitteleuropa ). Vladimír Salač geht soweit den Ausfall des Fernhandels in der labilen Oppidakultur als entscheidend für ihren Untergangzu sehen. Sind jedoch die Eisenproduktion, die Herstellung von Stoffen, Geräten, Werkzeugen, Keramik, Salz, Seil, Drehmühlen, Schmuck nicht hauptsächlich innerkeltische Handelswaren für regionale und überegionale Märkte, die am Fernhandel nicht teilnehmen? Warum bricht beim Ausfall des Weinimports die Oppidakultur zusammen? Was ist die von Salač vorausgesetzte Labilität der Oppidakultur, die doch die Kimbernzüge druch Gallien überlebt hatte?
 
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nur nebenbei:
oder ob die nördlich der Oppidakultur siedelnden Gentes sich zu wehrhafteren Bünden (Sueben?) zusammengeschlossen haben, um den Raubzügen und der Sklavenjagd ein Ende zu machen.
ein Zusammenschluss gegen Raub und Sklavenjagd als Anlass einer (suebischen) Ethnogenese ist eine originelle Idee und mir neu (in allem, was ich über Antike/Spätantike bzgl Kelten/Germanen/Römer gelesen hatte, kam diese Möglichkeit nicht vor (evtl. ging Rostovzeff ein bissel in diese Richtung?))
 
nur nebenbei:

ein Zusammenschluss gegen Raub und Sklavenjagd als Anlass einer (suebischen) Ethnogenese ist eine originelle Idee und mir neu (in allem, was ich über Antike/Spätantike bzgl Kelten/Germanen/Römer gelesen hatte, kam diese Möglichkeit nicht vor (evtl. ging Rostovzeff ein bissel in diese Richtung?))
Dann scheint es eine originelle Idee von mir zu sein.;)

Auslöser für diesen Idee ist Folgendes: Erhard Cosack schildert in mehreren Artikeln Fundhorizonte an norddeutschen Fliehburgen/Ringwällen (Deister/Springe, Barenburg/Eldagsen, Negenborn bei Northeim, (und hinzuziehen kann man uch die Amelungsburg/Süntel).
die er plausibel und eindrucksvoll akribisch als eine Folge von Überfallen, der Flucht und Gefangennahme einheimischer Bevölkerungsgruppen schildert.

Er interpretiert meiner Ansicht nach nachvollziehbar anhand der Auffindsituation in unwegsamen Gelände und oberflächlicher Tiefe der Funde, aber auch durch Streuung, Beschädigung signifikant das Fundensemble in einem dynamischen Ablauf von Kampfhandlungen, Fluchtbewegungen, Umzingelung und Überwältigung von großen Personengruppen. Erhard Cosack stellt dann einen Zusammenhang zwischen dort verlorenen Trachtbestandteilen (meist von Frauen) und einem Fund in Manching (sogenannter "Germanenfund") dar. es handelt sich um Bügelscheibenfibeln und zwei Gürtel vom Typ Amelungsburg, datiert in Latène C1 (ca. 200 v.Chr.). Cosack weist nun über im Geschehen bei der Barenburg von einem Metallhandwerker (Bronzeschmied) verlorene Gussformen für diesen Gürtel nach, dass diese von dort stammen mussten. Seine These: die Angreifer kamen von dort, es war ein Überfall auf die regionale Bevölkerung am Rand der norddeutschen Tiefebene von angreifenden Kriegern aus der Oppidakultur. Martin Schönfelder zitiert im Artikel „Sklaven und Sklavenketten in der jüngeren Latènezeit“ Erhard Cosack: die Nordränder der Mittelgebirge sind eindeutig die „Fanggebiete“ der Oppidazone, die bereits in der Stufe Lt C unter Überfällen aus dem Süden litt (Cosack 2007, 338–340).

Falls diese These von Cosack zutrifft, stellt sich konsequent die Frage, wie die betroffenen Gemeinschaften auf diese Bedrohung reagiert haben.
Cäsar beschreibt den kriegerischen Gesellschaftsverfassung der Sueben eindrücklich, kann es sein, dass sich diese Kriegsverfassung erst unter dem Druck der Oppidakultur entwickelt hat (Cäsar b.g. IV, 1)?
Unten Bronzegürtel Typ Amelungsburg aus Hadmersleben
 

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Ökonomische Ursachen für den Zusammenbruch der rechtsrheinischen Oppidakultur:

Abbruch des Fernhandels?:
Ich habe mir in meinen letzten Beiträgen selbst widersprochen: den Ausfall des Fernhandels als zentrale Ursache des Zusammenbruchs/Kollaps stellte ich im Beitrag #66 in Frage, und hielt dagegen, dass viele ökonomische Kreisläufe innerkeltisch organisiert und regional fundiert waren - mit meiner folgenden These in Beitrag #68 des Zusammenbruchs des Sklavenhandels mit Rom/Massalia halte ich diesen speziellen Handel doch für einen möglichen Auslöser eine Krise der Ökonomie und Gesellschaft. Das bleibt spekulativ. Eine Absatzkrise "keltischer" Waren aus "keltischen Industrien", weil zum Beispiel campanische Töpferware billiger produziert oder qualitätsvoller war, lässt sich nicht feststellen: Wein war eine Ware, die in der Keltike konkurrenzlos ist (auch keine Konkurrenz für die Brauerei von Curmillus in Lugdnunum: Cerveza blieb das alltägliche Getränk der ärmeren Schichten). Konkurrenzfähige Produkte aus der Keltike gab es, gepökeltes Schweinefleisch der Sequaner (Strabon IV,3,2,4), Käse (Plin nat.XI,97), Sapo (Haarfärbemittel, Plin, na XXVIII, 51) als pilae mattiacae aus Aqua Mattiacorum, Windhunde (Arrian ky.III,6, Martial XIV, 200), die Soldatenmäntel (Sagum) aus Wolle (Strabon IV,4,3), der Bernsteinschmuck aus Böhmen (Oppidum Staré Hradisko. Manche dieser Waren sind Luxusartikel, und keine Produkte der zentralen Handwerksindustrie wie die Eisenverarbeitung oder Töpferhandwerk und Schmuckherstellung, trotzdem denke ich, dass erst in der gallorömische Epoche (Kaiserzeit) ein kultureller Wandel , eine Veränderung von Gewohnheiten und Sitten (wie die Änderung der Trinksitten) eintrat, durch den die traditionellen Produkte zum Beispiel gegen die terra silligata nicht mehr bestehen konnten.

Verlust des organisatorischen Zentrums in den Oppida? Bei der Beschreibung der Stadtentwicklung Manchings, der archäologisch untersucht ist (z.B. Wenger, Sievers, Wendling, Winger 2010, In Die Frage der Protourbanisation der Eisenzeit, 2010) fiel mir auf, dass die Entwicklung in Latène C2 mit Begriffen wie Verdichtung, Zentralisierung, funktionale Differenzierung und Gliederung (zum Beispiel durch Neuanlage von Straßen mit gerader Streckenführung) beschrieben wird, die eine konzeptionelle Stadtplanung verrät, zu dessen Durchführung es einen kollektiv, kooperativ oder hierarchisch strukturierten Organisator gegeben haben muss. (Die Autoren sprechen auch vom religiösen und adminstrativen Zentrum von Manching). Gehöftartige Einheiten haben oft gleiche Grundflächen von 100x100m, und sind teilweise von Gräbchen eingefasst. Sondergebäude wie Speicher (Hafengelände an der Donau), Monumentalbauten, Nutzungsschwerpunkte (sog. Handwerkerviertel), Umleitung des Igelbachs und dessen fortifikatorische Nutzung als Wassergraben, mit gleichzeitiger Gewinnung neuer Siedlungs-und Landwirtschaftflächen druch Drainage im Süden, und auch Vorbereitung des Mauerbaus 140-120 v.Chr. in runder Form, mathematisch ausgerichtet auf das Zentralheiligtum bzw. den angrenzenden gepflasterten Platz (Tempel A) - alles spricht für ein naturräumliches, religiös-kulturelles und städtebauliches Konzept. Die Autor:innen sehen die Phase Latène D1a als Konsolidierungsphase - in Latène D1b aber beschreiben sie die Entwicklung mit anderen Begriffen: Dezentralisieurng, Rückgang der Bevölkerung, zum Teil keine Gehöftstruktren mehr vorhanden, erhöhte Irregulärität der Bebauung, Auflösung der topographischen Geschlossenheit der Bebauung, Infrastruktur in Auflösung (das abgebrannte Osttor wird nicht wieder aufgebaut), Versandung der Schiffslände (Altarm, der als Hafen diente) - alles Anzeichen, dass "der konzeptionelle Organisator" geschwächt und handlungsunfähig war. Hatte dies ökomische Gründe oder politische?
Während 120 v. Chr. die Arbeitskraft, die Ressourcen zur Anlage des Murus Gallicus (7,2 km lang, 3,2-3,3 Meter tief, 10-18 m Rampe) -
- geschätzter Materialbedarf: "11.800 Festmeter Holz (370 ha Waldgebiet für den Einschlag geeigneter Eichen) für das innere Rahmenwerk, zwei Tonnen Eisennägel zu dessen Vernagelung, 6.900 m³ Kalksteine für die Mauerfrontverkleidung sowie 90.000 m³ Erde und Schüttmaterial zur Füllung der Mauer."Franz Fischer: Das Handwerk bei den Kelten zur Zeit der Oppida. 1983) verfügbar ist - und die Logistik für den Transport der Kalksteine und Balken auch aus weiterer Entfernung (Kalksteine ca. 30 km von Neuburg an der Donau auf dem Wasseweg) vorhanden ist und organisiert und planerisch eingesetzt wurde, und nach der Fertigstellung in zwei weiteren Phasen die Mauer zweimal repariert/ergänzt/vorgebaut wurde, schwanden in Latène D21b entweder die planerischen, politischen oder technischen Kompetenzen, oder die erforderlichen Ressourcen und Mittel, oder die Notwendigkeit einer Abgrenzung eines urbanen Raums von der umgebenden Landschaf, weil die Siedlung zurück zur Subsistenz kehrte.

Migration aus Südwestdeutschland in das Schweizer Mittelland: Michael Nick hat in "Gabe- Opfer-Zahlungsmittel" (S.247/248) die Vermutung angestellt, dass die ausgewanderten Helvetier die Verantowrtlichen für die Prägung der bayrisch-fränkischen Büschelquinare waren:
dann ist anhand der Verbreitung dieser Münzen letztes Drittel 2.Jahrhundert bis in die erste Hälfte 2.Jahrhundert BC ein Gebiet von Neckar, Main und Donau und die fränkische Alb im Osten abgrenzbar - die Büschequinare setzen sich in jüngeren Prägungen in der Westschweiz (Latène D1b) fort. Für die Historizität der schriftlichen Quellen über die Wonsitze der Helvetier steht auch ein neueres Ergebnis: "Aus zwei Perspektiven wurde die Frage nach Kontinuitäten im Schweizer Mittelland und der „Helvetiereinöde“ in Südwestdeutschland beleuchtet. In der Schweiz gab es hierzu aktuelle Vorschläge, die Matthieu De Mierre aus Lausanne präsentierte. Anhand der Keramik lässt sich beobachten, dass am Übergang Lt D1/D2 ein starker Umschwung einsetzt und Formen sowie Töpfertraditionen aus Südwestdeutschland dominant werden. Dieses Phänomen verläuft parallel zum Abbruch der Latènebesiedlung in Württemberg." aus Schönfelder / Meyer / Łuczkiewicz / Guichard / Hornung / Schwab 2022 Entwicklungsdynamiken am Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. in Mitteleuropa

Unten ein animiertes Oppidum von Manching 120 v.Chr.
Screenshot 2025-02-21 at 00-59-40 Leseprobe Die bedrohte Metropole - GEO.png
 
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Wie jetzt das zur "Helvetischen Einöde" passt, ist mir nicht klar - gab es keltisch gebliebene Randgebiete ?
In Süddeutschland hauptsächlich das Gebiet der Vindeliker im Voralpenland bis zum Bodensee, Siedlungskontinuität besteht dort in Karlstein und der offenen Siedlung Stöffling. Dies entspricht dann den römischen Quellen, die über den Alpenfeldzug 15 v.Chr. von Kämpfen mit keltischen Alpenstämmen am Bodensee und vom Alpenvorland berichten (Cassio Dio (Römische Geschichte 54, 22) und Strabon (Geographika 4, 6, 6–9 und 7, 1, 5)), Plin nat. 3,136-137). Dazu neuere Forschung eines Kampfplatzes des Feldzuges (und weitere Forschungsprojekte in diesem Zusammenhang):
Screenshot 2025-02-22 at 10-14-01 Wissen und Macht im archäologischen Diskurs. Die Chronologie...png
 
Allerdings liegt ein Teil dieser Orte in jenem Gebiet, welches zur Zeit der "Helvetischen Einöde" resp. zum Zeitpunkt, als Cäsar an den Rhein kam, von keltischen Raurikern / Rauchrachern besiedelt gewesen sein soll. Die Römerstadt "Augusta raurica" bei Basel heisst nicht umsonst so.
Die Rauracher sollen in Basel, im Elsass und in Südbaden gesiedelt haben somit wäre zum Mindesten wohl der südwestliche Zipfel von Baden-Württemberg auch nach dem Abzug der Helvetier "keltisch" geblieben. Wie stark gesichert das Ganze ist, weiss ich allerdings nicht.
Am südlichen Oberrhein existierte in Latène D1 auf beiden Seiten des Flusses ein Netzwerk von Zentralorten, mittleren Zentren und Gehöften,
die in engem Austausch standen, und zwischen denen vielleicht sogar eine Arbeitsteilung bestanden hat, so die These der Autor:innen-Gruppe
von "Die spätlatènezeitliche Siedlungslandschaft am südlichen Oberrhein" 2012

Anschaulich beschreiben sie die Interdependenzen der Siedlungslandschaft zwischen Vogesen, Schwarzwald und Jura anhand der Produktion und Distribution von Mühlsteinen aus Rotliegend-Brekzie (abgebaut im Südschwarzwald, Transport über Wiese zum Rhein), den Beziehungen zwischen den Münzfundspektren und Buntmetallverarbeitung. Der Hauptzentralort ist das Oppidum Basel-Gasfabrik, weitere Zentralorte sind Ehrenstetten-Kegelriß, Breisach-Hochstetten, Breisach-Münsterberg, Sasbach-Limberg, Riegel-Ortsetter, Zarten-Rotacker und Tarodunum. Basel-Münsterhügel folgt auf Basel-Gasfabrik, Taradonum sollte wohl die Nachfolge von Zarten-Rotacker antreten - fünf der Zentralorte liegen am Rhein. Das Gebiet gehörte zum Ostgallischen Münzsystem (Silberquinare und Potinmünzen) im Gegensatz zum südwestdeutschen/bayrischen Münzsystem (Quinare-Kleinsilber). Eine Zuordnung zu den historischen Raurikern ist naheliegend.

Zum Wechsel der Besiedlung in Latène D2 schreiben die Autor:innen: "Die Anzahl der Siedlungen, die während Lt D2 neu dazukamen, und derer, die seit Lt D1 weiter bestanden, halten sich etwa die Waage. Auch wenn es eine starke Kontinuität zwischen Lt D1 und Lt D2 gibt, sind doch wesentliche Unterschiede zu verzeichnen. Die Zentralorte Basel-Münsterhügel, Breisach-Münsterberg und Sasbach-Limberg 78 liegen am Rhein, sind von Wasser umschlossen und teilweise zusätzlich befestigt. Die strategische Lage ist ein Hauptkriterium für die Wahl des Siedlungsplatzes geworden. Anzumerken ist ferner, dass auch die Besiedlung der Fundstelle Waldenburg-Gerstelfluh in Stufe Lt D2 weiter ging. In das Konzept der befestigten Siedlungen jener Zeit würde auch Tarodunum passen. Auch wenn der Wall der Anlage von Tarodunum nicht fertig gestellt worden ist, gilt auch hier, dass mit dem Bauvorhaben eine Siedlung mit Schutz- und Wehrcharakter geplant war. Das ehemals existierende Netzwerk mehrerer Zentralorte mit verschiedenen Funktionen und Standorten scheint zerrissen zu sein. Dies war zweifellos ein radikaler Wandel in der Struktur der Siedlungslandschaft. Es fand eine Konzentration der zentralörtlichen Aufgaben an wenigen, geschützten Orten statt. Auffällig ist zudem, dass im Gebiet der Silbervorkommen keine größere Siedlung mehr bestand und allgemein auf der rechten Seite des Rheins ein Siedlungsrückgang festzustellen ist. Nicht nur vier Zentralorte sind hier verschwunden, sondern auch die anderen Siedlungen. Auf der linken Seite des Rheins hingegen scheint die Besiedlung eher dichter geworden zu sein."

Es sieht daher so aus, als hätten sich die Rauriker weitgehend auf die linke Rheinseite zurückgezogen, in der Studie werden dazu zwei weitere Mitteilungen gemacht: in D2 lassen die Ostimporte nach (Seite 401), und das rechtsrheinische Gebiet bleibt bei Münzen weitgehend fundleer (Seite 394): "Mit Ausnahme einiger Plätze in der Nähe des Rheins, wie Breisach-Münsterberg (Abb. 1, 42), Burkheim-Burgberg (Abb. 1, 26) und Grenzach-Wyhlen (Abb. 1, 126), sind dort keine eindeutig der Stufe Lt D2 zuzuordnenden Münzen gefunden worden."

Interessant, auch wenn es nicht zu diesem Siedlungsgebiet gehört, ist das Wechseln der Rheinseite des Oppidums Altenburg-Rheinau am Hochrhein unweit der Schaffhäuser Rheinfälle in der gleichen Epoche. Eine kriegerische Bedrohung als Anlass wirkt fast zwingend -wenn sie sich archäologisch nachweisen lassen würde.

Unten Beziehungen im südlichen Oberrheingebiet zwischen den Siedlungen (Mühlsteindistribution, Münzbeziehungen, Buntmetall) Seite 395
Screenshot 2025-02-22 at 14-27-26 (37) Die spätlatènezeitliche Siedlungslandschaft am südliche...png
 
Nur ganz am Rande dieses interessanten Fadens: Mir gefällt es sehr gut, dass sich in der oben gezeigten Karte die deserta Boiorum weit nach Westen ins heutige Bayern erstreckt, habe ich doch früher hier mal die Hypothese vertreten, dass sich die Baioarii anfangs als Nachfolger der einst in nordischen und rätischen Gebieten siedelnden Boier verstanden.
 
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Kleiner Nebenaspekt: Helvetier und Germanen bei Julius Cäsar: Nachdem ich die Zusammenfassung zu den archäologischen Untersuchungen im Siedlungsgebiet der Rauriker beendet hatte, grübelte ich, wo denn die Helvetier mit den Germanen kämpften, so wie es Julius Cäsar beschreibt, wenn die Rauraker das Gebiet des südlichen Oberrheins innehaben.
Im ersten Buch des Gallischen Kriegs (b.g. 1,1) schildert er die Ausgangssituation, und fügt nach den Belgern, die die Tapfersten Galliens sind, weil sie direkt am Rhein ständig Kriege gegen die Germanen führen, die Helvetier ein. Wie in einer logischen Aufzählung folgen die Helvetier, die den zweiten Platz der Tapferkeit aus dem gleichen Grund erringen: "da sie fast täglich in Gefechte mit den Germanen verwickelt sind, indem sie diese von ihren Grenzen abwehren oder selbst in deren Land Krieg führen:" Interessanterweise nimmt Cäsar im Kapitel 2 auf die kriegerischen Verwicklungen der Helvetier mit den Germanen keinen Bezug, die Gründe der beabsichtigten Migration der Helvetier sind die Überredungskunst und politischen Ambitionen des Orgetorix, der Anspruch der Helvetier auf mehr Land, gemessen an ihrer Volkszahl, ihrem Kriegsruhm und ihrer Tapferkeit, den sie sich jedoch eingeengt zwischen Jura, Rhein und römischer Provinz nicht erkämpfen können. Das mag Erzählstrategie sein, da Cäsar den ersten Feldzug gegen die Helvetier, Boier und Rauraker getrennt vom direkt folgenden Feldzug gegen die Sueben unter Ariovist behandelt, als wären ihm die Ereignisse auch zeitlich nacheinander bekannt geworden. Eine häduische Delegation unter Diviciacus hat jedoch schon 61 v.Chr. den römischen Senat um Beistand gebeten, und von der fürchterlichen Niederlage der Häduer gegen Ariovist und die Sequaner in der Schlacht von Magetobriga (b.g. 1,31) berichtet. Der Senat fasste dazu einen allgemeinen Beschluss (es gab seit 154 v.Chr. eine Amicata, einen unverbindlichen Freundschaftsvertrag mit den Häduern), dass die Häduer verteidigt werden sollen. Trotzdessen wurde Ariovist während Cäsars Konsulat 59 v.Chr. Freund des römischen Volkes (b.g. 1, 35). Cäsar war also schon mehrere Jahre vor dem Beginn der Konfrontation im März 58 v.Chr. von der politischen und militärischen Situation in Ostgallien bestens informiert.

Meiner Ansicht nach gibt es drei Möglichkeiten für Kämpfe zwischen Helvetiern und Germanen: Ariovist liegt auch mit den Helvetiern im Streit um Land, stellt auch für sie eine Bedrohung dar. Da die Erzählung Cäsars berichtet, dass die Sueben die Rheinseite gewechselt haben, müsste die Bedrohung von Norden (Elsass) kommen - der Schlachtort Admagetobriga (gallisch Sehr mächtige Festung) ist bisher nicht lokalisiert.
Dann hat Cäsar die wenig konkrete, personenlose, zeitlose Anfangserzählung aus politischen Gründen gewählt. Cäsar stellt sich als uneigennütziger Retter Galliens und der Provinz (der Krieg gegen die Helvetier geschieht auf Wunsch der Häduer) dar, weil der Grund ihres Einzugs die Unterwerfung ganz Gallien ist, und nicht, weil sie von den Sueben bedroht sind und fliehen. Das Bild eines bedrohten Stammes, den Cäsar selbst so dramatisch vor dem Feldzug (im Kapitel 2) von den vom grausamen Ariovist unterdrückten Sequanern und Häduern ausmalt, würde die geschickte Parallelisierung vom Helvetierauszug zum Kimbernzug, der der römischen Stadtgesellschaft noch in lebhafter Erinnerung ist, sabotieren. ganz vermeiden kann er es jedoch auch nicht, von den mit den Germanen im Krieg liegenden Helvetiern zu berichten.
Mit dem unbestimmten ethnographischen Anfangsexkurs stellt er jedoch keinen Zusammenhang zur historischen Situation her.
Da Cäsars Kriegsbeginn selbst beim Senat völkerrechtlich umstritten war, und es keinen Senatsbeschluss zu diesem Krieg gegeben hat, muss er seine Kriegsgründe verschleiern und erfindungsreich sein. Cassius Dio schildert, dass selbst die Offiziere Cäsars dem Krieg ablehnend gegenüber standen. "Sie waren beunruhigt über die Größe ihrer Feinde, ihre Zahl, ihre Kühnheit und die daraus resultierenden Drohungen und waren derart in der Stimmung, dass sie nicht gegen Menschen, sondern gegen unheimliche und wilde Tiere kämpfen mussten. Und es hieß, sie würden einen Krieg führen, der sie nichts anginge und nicht beschlossen worden sei, sondern nur aufgrund von Caesars persönlichem Ehrgeiz; und sie drohten auch, ihn im Stich zu lassen, wenn er seinen Kurs nicht änderte." (Dio, 38,35)

Die zweite Möglichkeit wäre, dass Cäsar im ersten Kapitel ältere Nachrichten mitverarbeitet, die länger zurückliegen, und von den Kämpfen an den alten Wohnsitzen der Helvetier berichten. Eine germanische Besiedlung direkt an der Rheingrenze auch am Oberrhein, wie sie Cäsars Aufzählung nach den Belgern suggeriert, gab es nach dem bisherigen Stand der archäologischen Funde nicht. Vielleicht verweist die schwache Einfügung, dass die Helvetier auch in deren Land Krieg führen, auf der anderen Rheinseite in Germanien, genau auf diesen Umstand, den er jedoch in Buch VI, 24, im Exkurs über das frühere Machtverhältnis zwischen Galliern und Germanen und der Eroberungen der Gallier in Germanien, nicht erwähnt.

Die dritte Möglichkeit wäre, dass diese Kämpfe am Hochrhein stattfanden - etwa auf dem Abschnitt zwischen der Mündung der Aare bis zum Bodensee. Wenige bisherige Funde weisen auf eine germanische Besiedlung hin, Stöckli berichtet von einem Keramikfund in Schleitheim-Brühlgarten (Lt D2), (15 km vom Oppidum Altenburg-Rheinau), im späteren Juliomagus an der römischen Straße zur Donau - auf einem älteren Fernweg zur Donau. Ein Hortfund mit Beziehungen zum Hochrhein aus der Zeit zwischen 80-60 v.Chr. der möglicherweise im Donau-Alb-Kreis von einem "germanischen" Söldner verborgen wurde, könnte auf eine andere mögliche Beziehung zwischen Keltike und "Sueben" schließen - auch Ariovist war von den Sequanern nach Cäsars Darstellung als Söldneranführer zur Unterstützung in innerkeltischen Konflikten gerufen worden..






 
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Dort, wo Ortsnamen keltischen Ursprungs sind, dürfte eine Bevölkerungskontinuität oder Bevölkerungskontakt bestanden haben.

In Baden-Württemberg: Breisach, Grenzach-Wyhlen, Kandern, Küßnach, Ladenburg, Oberkochen, Zarten.

ich frage mich, ob das römische Heer bei der Namensgebung von Landschaften, Orten und Flüssen auf keltisierte Namen zurückgegriffen hat, weil

1. es (noch) keine bekannten anderssprachigen Namen gab
2. eine keltisch sprechende Restbevölkerung noch vorhanden war, oder die neuen germanisch sprechenden Siedler die Namen übernahmen
3. die Namen den linksrheinisch am Renos lebenden Civitas noch geläufig waren
4. mit den Druiden eine Schicht in der gallischen Gesellschaft vorhanden war, die ein kulturelles historisches Weltverständnis bewahrte
5. mit der römischen Eroberung neue keltische Siedler über den Rhein kamen (Dekumatland)

Der Schwarzwald zum Beispiel behält seinen keltischen Namen Abnoba, und den seiner gleichlautenden Schutzgöttin. die in Aquae Villae (Badenweiler) verehrt wurde. In einem Brunnen in Pforzheim wurde eine Holzstatue der Göttin Sirona gefunden. In der St.Martin-Kirche der gleichen Stadt wurde von der frühen Vorgängerkirche ein Tympanon übernommen, dessen Darstellungen auffallende Ähnlichkeiten mit Darstellungen der Latenezeit hat (siehe unten). Die Altmühl behält ihren keltischen Namen Alcimona, und überträgt ihn auf das ehemalige Oppidum Alkimoennis (Kelheim an der Donau). Der Standort des Kastells Brigobannis (Hüfingen, Donau) lokalisiert neben einer ehemaligen latènezeitlichen Siedlung, die ein wichtiger Umschlagplatz an einem vorgeschichtlichen Fernweg in Lt C-D gewesen ist, erhält einen klar keltischen Namen ("befestigter Bergsporn"). Locoritum/Locoritum (Lohr am Main) liegt noch tiefer in der Germania, und wird keltisch übersetzt mit "Furt des Sees" oder Furt des Wolfs" (Delamarre, 2012).
Unten Tympanon der St.Martinskirche und Brunnenfund Holzstatue der Sirona, beides aus Pforzheim
Altstadtkirche_St._Martin_(Pforzheim)_Tympanon_romanisch(2).jpg
Wooden_Sirona_in_Pforzheim_celtic.jpg
 
Nur ganz am Rande dieses interessanten Fadens: Mir gefällt es sehr gut, dass sich in der oben gezeigten Karte die deserta Boiorum weit nach Westen ins heutige Bayern erstreckt, habe ich doch früher hier mal die Hypothese vertreten, dass sich die Baioarii anfangs als Nachfolger der einst in nordischen und rätischen Gebieten siedelnden Boier verstanden.
Das - die Boier-Einöde- ist allerdings ein Thema, das ernstgenommen den thematischen Thread hier sprengen würde. Karl Strobel fasst die Boier-Einöde radikal sehr eng auf, östlich des pannonischen Bernsteinstraßensystems, und kritisiert die Quellen, besonders Strabon und dessen Quellen, l dessen ungenügende Geographiekenntnisse, den Begriff der deserta selbst usw., in Oppostion zu Gerhard Dobesch, dem 2021 verstorbenen Althistoriker. (Internationales Kolloquium in Cesky Krumlov, Boier- zwischen Realität und Fiktion, 2013). Stobels Beitrag war gleich eine Kampfansage: Boii - ein Volk oder nur ein Name? Eine seiner Thesen:
der Name Boii (keltische Grundbedeutung: "die (schrecklichen) Krieger/Kämpfer" ist ein Prunkname, eine Selbstbezeichnung, der nicht auf einen Stamm begrenzt ist - so wäre auch zu erklären, dass der Name auch vom Anführer des Kimbernzugs Boiorix (Kriegerkönig) getragen wurde.
Ich würde hier lieber hier bei der Helvetiereinöde bleiben - und dazu eventuell einen neuen Thread eröffnen, wenn das Interesse da ist.
 
Der Schwarzwald zum Beispiel behält seinen keltischen Namen Abnoba, und den seiner gleichlautenden Schutzgöttin. die in Aquae Villae (Badenweiler) verehrt wurde.
In der Tat ist es schwierig, aus den Namen von Gebirgen und Flüssen Schlussfolgerungen zu ziehen. Nur Siedlungsnamen lassen auf eine irgendwie geartete Siedlungskontinuität schließen.
Der Name Aquae Villae ist übrigens modern, man hat halt den Namen Badenweiler ins Lateinische "übersetzt".


Die Altmühl behält ihren keltischen Namen Alcimona, und überträgt ihn auf das ehemalige Oppidum Alkimoennis (Kelheim an der Donau).

Laut Harald Bichlmeier und Stefan Zimmer (Die keltischen Flussnamen im deutschsprachigen Raum, Dettelbach 2022) ist der Name wohl eher nicht keltisch.

Locoritum/Locoritum (Lohr am Main) liegt noch tiefer in der Germania, und wird keltisch übersetzt mit "Furt des Sees" oder Furt des Wolfs" (Delamarre, 2012).

Der bei Ptolemaios genannte Ort Locoritum lässt sich nicht lokalisieren, der Name der Stadt Lohr am Main hat wahrscheinlich nichts damit zu tun, der leitet sich von dem gleichnamigen Flüsschen ab (vgl. Lohrhaupten an der Lohrquelle).

Beachtenswert ist gleichwohl, dass ein großer Teil der von Ptolemaios erwähnten Ortsnamen der Germania Magna keltisch ist, wir finden hier etliche -acum- und -dunum-Namen (Mattiacum, Bibacum, Segodunum, Meliodunum, Eburodunum, Luidunum, Carrodunum, daneben auch zweimal Mediolanium):
 
Laut Harald Bichlmeier und Stefan Zimmer (Die keltischen Flussnamen im deutschsprachigen Raum, Dettelbach 2022) ist der Name wohl eher nicht keltisch.

Der bei Ptolemaios genannte Ort Locoritum lässt sich nicht lokalisieren, der Name der Stadt Lohr am Main hat wahrscheinlich nichts damit zu tun, der leitet sich von dem gleichnamigen Flüsschen ab (vgl. Lohrhaupten an der Lohrquelle).

Beachtenswert ist gleichwohl, dass ein großer Teil der von Ptolemaios erwähnten Ortsnamen der Germania Magna keltisch ist, wir finden hier etliche -acum- und -dunum-Namen (Mattiacum, Bibacum, Segodunum, Meliodunum, Eburodunum, Luidunum, Carrodunum, daneben auch zweimal Mediolanium):
Danke für den Literaturhinweis Zimmer/Rasch. Wird Zeit, dass ich meine Literatur auf den neuesten Stand bringe.

Zu Locoritum aus Wikipedia: "Bislang konnte der Ort nicht sicher lokalisiert werden. Ein interdisziplinäres Forscherteam um Andreas Kleineberg, das die Angaben von Ptolemäus neu untersuchte, verortet Lokoriton nach den transformierten antiken Koordinaten beim heutigen Lohr am Main im Landkreis Main-Spessart in Unterfranken in Bayern. Das bestätigt die Forschungstradition, die mehrheitlich – etwa Gerhard Rasch und Xavier Delamarre – Lokoriton bei Lohr am Main verortet, nicht in Lohr, wobei Gerhard Rasch Lokoriton als >Furt in einem See< übersetzt. Kleinebergs Arbeitsgruppe zieht zum anderen auch Neustadt am Main in Unterfranken in Betracht. In der Nähe von Neustadt auf dem Gaiberg liegen eine vorgeschichtliche Abschnittsbefestigung sowie eine Furt über den Main."
 
Zu Locoritum aus Wikipedia: "Bislang konnte der Ort nicht sicher lokalisiert werden. Ein interdisziplinäres Forscherteam um Andreas Kleineberg, das die Angaben von Ptolemäus neu untersuchte, verortet Lokoriton nach den transformierten antiken Koordinaten beim heutigen Lohr am Main im Landkreis Main-Spessart in Unterfranken in Bayern. Das bestätigt die Forschungstradition, die mehrheitlich – etwa Gerhard Rasch und Xavier Delamarre – Lokoriton bei Lohr am Main verortet, nicht in Lohr, wobei Gerhard Rasch Lokoriton als >Furt in einem See< übersetzt. Kleinebergs Arbeitsgruppe zieht zum anderen auch Neustadt am Main in Unterfranken in Betracht. In der Nähe von Neustadt auf dem Gaiberg liegen eine vorgeschichtliche Abschnittsbefestigung sowie eine Furt über den Main."
Kleineberg/Marx/Knobloch/Lelgemann haben wir hier im Forum ja schon mehrfach besprochen. Sie haben vor ein paar Jahren den Blätterwald aufgeschreckt, aber ihre "Entzerrungen" der Karte des Ptolemaios haben sich als wertlos erwiesen. Insofern nichts weiter als heiße Luft.
 
Kleineberg/Marx/Knobloch/Lelgemann haben wir hier im Forum ja schon mehrfach besprochen. Sie haben vor ein paar Jahren den Blätterwald aufgeschreckt, aber ihre "Entzerrungen" der Karte des Ptolemaios haben sich als wertlos erwiesen. Insofern nichts weiter als heiße Luft.
Dann gilt der erste Satz des Wikipedia-Eintrags, keine sichere Lokalisierung von Locoritum. Erstaunlich finde ich die Zuordnung von Lohr
durch die historische Forschung - das ist allerdings ein Nebenaspekt.

Gleichwohl ist es auffallend, worauf ich mit meinem Eintrag auch hinweisen wollte, das wie Sepiola schrieb, "ein großer Teil der von Ptolemaios erwähnten Ortsnamen der Germania Magna keltisch ist". Ohne im Einzelnen auf die örtliche Zuordnung einzugehen, ist dieser Rückgriff auf keltische "Übersetzungen, Bezeichnungen" doch erstaunlich. Ich hatte neulich gelesen, dass es Hinweise darauf gibt, dass es römische militärische Präsenz östlich des Rheins vor den Alpenfeldzug in Süddeutschland gibt (Diplomatische Reisen, Expeditionen?).

Julius Cäsar beschreibt sehr schön, dass er bei Gesprächen sich auf einen Freund aus Südgallien verlassen hat, einen zweisprachigen gallischen Adeligen. Textstelle liefere ich nach. Das wäre ein denkbarer Weg ("einheimische oder galische Übersetzer, Kundschafter, Reiseführer) woher die keltischen Namen kommen. Oder hatten die Druiden eine eigene Georaphie und entsprechende Karten (ich spinne einmal bischen rum)?
 
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