Von 493 bis 526 herrschte der Ostgoten-König Theoderich von Ravenna aus über ein Reich, das vom Rhone-Delta bis zum Plattensee reichte – Altbayern war seine Nordprovinz. Theoderich war der Meinung, dass die Germanen aufhören müssten, immer neue Bruderkriege zu führen. Er schmiedete Bündnisse mit Germanen von Thüringen bis Tunesien – und nahm große Scharen von politischen Flüchtlingen, Germanen aus allen Himmelsrichtungen in seinem Reich auf. Das wussten die Historiker aus alten Schriften – aber erst die Archäologen zeigten, dass Altbayern dabei für Theoderich die zentrale Rolle spielte.
Neue Heimat im Isartal
„Alamannicus“ – dieser Ehrentitel wurde Theoderich gegeben, weil er den Stamm der Alemannen vor der Vernichtung durch ihre Feinde, die Franken, bewahrte und viele ihrer Angehörigen in seinem Reich ansiedelte: zum Beispiel auf den fruchtbaren Fluren zwischen Bruckberg und Weng. Aus den frühesten Bajuwarengräbern im Landkreis Landshut bargen Ausgräber alemannische Trachtbestandteile wie Riemenzungen aus einem Frauengrab aus Altheim: Genau solche Riemenzungen aus derselben Zeit wurden in Kirchheim/Teck (Baden-Württemberg) gefunden.
„Die Germanen der Völkerwanderungszeit wurden in ihrer Festtagstracht beerdigt, das heißt, die Frauen wurden mit ihrem oft wertvollen Schmuck ausgestattet, die Männer mit ihren Waffen und Waffengürteln“, schildert Dr. Bernd Engelhardt die Erforschung der Hinterlassenschaft der ersten Landkreisbürger germanischer Herkunft: „Hinzu kommt, dass jeder germanische Stamm charakteristische Varianten allgemein beliebter Grundformen herstellte“ – dass sich also an den Grabbeigaben die Stammeszugehörigkeit ablesen lässt. Ein Gürtelaufsatz, der einem Frühbajuwaren aus Viecht ins Grab mitgegeben wurde, wies ihn als Gepiden aus, als Mann aus einem Stamm, der zur Zeit Theoderichs in Ostungarn und Siebenbürgen ein mächtiges Reich errichtet hatte.
Die Trachten unterlagen natürlich Moden, die Archäologen minuziös untersucht und dokumentiert haben: „So kann man viele dieser Gräber auf fast ein Jahrzehnt genau datieren.“
Vermächtnis des Gotenkönigs
Im Landkreis und in ganz Altbayern siedelten sich unter der Ägide Theoderichs Ostgoten an, Thüringer aus Mitteldeutschland, und Leute aus mehreren, ursprünglich in Skandinavien ansässigen Stämmen: Rugier (die Insel Rügen trägt ihren Namen), Langobarden (die Lombardei erinnert an sie), Heruler und Skiren. Von wegen „Fußkranke der Völkerwanderung“!
Die Weitgereisten trafen auf Germanen aus Böhmen: Diese hatten noch den Römern als Söldner gedient; ihre Bezeichnung, Baiovarii („Leute aus Böhmen“), wurde nun zum Namen für das ganze neue Volk, zu dem die Germanen mit den alteingesessenen „Welschen“ verschmolzen, der keltisch-romanischen Vorbevölkerung Altbayerns. Gut 40 Jahre hatte die Bündnispolitik Theoderichs den Menschen in seinem Machtbereich Frieden beschert – länger als die meisten Sicherheitssysteme der Geschichte. Diese Ära war die Geburtsstunde der Bayern: Altbayern, Österreich und Südtirol – sie sind das weltgeschichtliche Vermächtnis der Goten.
Anhand der Funde aus den großen Reihengräberfeldern wie jenen von Ergolding, Altheim, Altdorf oder Viecht lässt sich deutlich ablesen, wie sich aus den diversen Schmuckstück-Formen der zahlreichen Germanenstämme unterschiedlichster Herkunft schon sehr bald ein neuer, charakteristisch bajuwarischer Stil entwickelte. Ein beliebtes Schmuck-Element, etwa bei Broschen, blieben Adler-Darstellungen: Es waren die Goten, die dieses Motiv von Reitervölkern übernommen hatten, damals, als sie noch in den weiten Ebenen am Dnjepr zu Hause waren und an den Ufern des Schwarzen Meeres…