Du kannst davon ausgehen, dass Hieronymus es gemerkt hätte, wenn die Galater Griechisch und auch, wenn die Treverer Latein gesprochen hätten, wie ich nicht müde werde zu betonen. Im übrigen war er Philologe.
Ich bin auch Philologe. Und zwar im Sinne, dass ich eine Ausbildung in moderner Sprachwissenschaft mit dem entsprechenden Instrumentarium habe, worüber Hieronymus bei seinen unbestreitbaren Leistungen eben nicht verfügte. Insofern ist die Aussage, dass er Philologe gewesen sei, irreführend.
Ich spreche fließend Spanisch. Ich lese fließend Portugiesisch. Ich höre zuhause jeden Tag Śląski. Ich kann Polnisch und andere slawische Sprachen ziemlich problemlos auseinanderhalten. Aber wenn ich Portugiesisch höre - welches ich, wie gesagt - aufgrund meiner Spanischkenntnis meistensteils leseverstehe, denke ich regelmäßig, dass es dieselbe Sprache sei, die ich höre, wenn meine Frau und meine Schwiegermutter miteinander telefonieren. Da hilft mir mein ganzes theoretisches philologisches Wissen genau nichts. Wenn ich nicht einzelne Worte identifizieren könnte, hätte ich keine Chance, diese beiden Sprachen auseinanderzudividieren. Und auch, wenn beide Sprachen der indoeuropäischen Sprachfamilie angehören, so sitzen sie doch auf zwei völlig verschiedenen Zweigen und sind eben nicht intelligibel. Man muss also damit rechnen, dass Hieronymus den Klang zweier Sprachen mit einander verglich und wir wissen einfach nicht, welche es waren. Bei Trier könnte es ein keltischer aber auch ein alamannischer Dialekt gewesen sein. In Kleinasien vielleicht der galatische, vielleicht auch ein ganz anderer, nicht einmal zwingend indoeuropäischer Dialekt, den Hieronymus einfach Galatern zusprach. Denn dieses Dokument über die galatische Sprache 800 Jahre nach der Isolation der Galater von der restlichen Keltike ist doch ein ziemliches Einzelzeugnis. Versteh mich nicht falsch: ich will nicht sagen, dass es deshalb falsch ist. Ich finde nur, man sollte skeptisch und nicht so positivistisch sein. Wir alle neigen zu Alltagstheorien, warum soll dass für Hieronymus, der eben kein Philologe im Sinne der modernen Philologie war, anders sein? Ich jedenfalls mit meinen subjektiven Erfahrungen kann mir gut vorstellen, dass Sprachmelodie und Sprachakzent einen ganz schön in die Irre leiten können.
Anderes Beispiel?
Außer dem Paar
Portugiesisch - Polnisch
Kann ich auch noch das Paar
Spanisch - Griechisch
anbieten.
Zwar hat das Spanische eine Anzahl griechischer Erb- und auch Lehnworte (die Erbworte waren im Lateinischen natürlich Lehnworte) aber die beiden Sprachen sind ähnlich weitläufig miteinander verwandt, wie Portugiesisch und Polnisch.
Trotzdem, für mich, der ich fließend Spanisch spreche, ist der Sprachklang des Europaspanischen und des Griechischen sehr eng beieinander. Schuld sind Sprachmelodie und Akzente >>
Prosodie.