Ad Boias, qui nunc Baioarii vocantur

Ergänzend:
Wir wissen fast gar nichts über die arbeitende Bevölkerung, sowohl im noch provinzialrömischen als auch im barbarisch besetzten Gebiet.
Welche Sprache sprachen die Landarbeiter? Auch innerhalb des römischen Reiches - wurden sie jemals romanisiert?
War dies regional unterschiedlich?
 
Die sehr prunkvolle Fibel mit der lateinischen Inschrift kann so gesehen als Exempel für die kulturelle Anpassung der "oberen Zehntausend" an die oben ausgeführte Akkulturation an römisches Herrschaftserbe gedeutet werden. Das bedeutet nicht, dass die beerdigte Adelige sich als "Römerin" unter bayrischen Barbaren empfunden hätte, sondern die Beigaben lassen sie als christionisierte/christliche typische merowingische "Hoch"adelige erscheinen.
Beachtung verdient sicherlich noch die simple Tatsache, dass der Eigenname "Uffila" aus der Inschrift der Fibel von Wittislingen germanischer Herkunft ist. Bajuwaren u.a. standen zu der Zeit offensichtlich zwei völlig unterschiedliche Schriftsysteme zur Verfügung.

Die Archäologie ist meines Wissens nicht in der Lage alamannische und bajuwarische Funde auseinanderzuhalten. Die gängige Methode ist, dass die Funde aus der Region Altbayern als bauwarisch gedeutet werden. Da bleibt dann nur noch der Versuch Germanen und Romanen auseinanderzuhalten. Die aus den Schriftquellen bekannte Gruppierung der Breonen oder Breuner kommt in der archäologischen Terminologie nicht vor.

6. eine ebenso funktionierende Angleichung der hohen Stände (Warlords, Kriegsherren, Adel etc) fand im expandierenden Merowingerreich statt (verkürzt gesagt: thüringischer, alemannischer, bayrischer, senatorischer Adel wurde nicht füsiliert, sondern wurde zu Merowingern)
Galloromanische Senatorengeschlechter und germanische Adelige konnten unter den Merowinger weiterexistieren, wurde aber sicherlich nicht zu Merowingern. Niemand konnte einfach so zum Merowinger werden.
Die Agilolfinger werden immer von den Merowingern unterschieden. Ihre Herkunft ist unbekannt.
 
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Galloromanische Senatorengeschlechter und germanische Adelige konnten unter den Merowinger weiterexistieren, wurde aber sicherlich nicht zu Merowingern.
@Maglor da habe ich mich etwas missverständlich ausgedrückt: sie wurden nicht zu Mitgliedern der merowingischen Königssippe (bestenfalls gelang das durch Einheirat - Balthild, Brunichild, Fredegunde) - ich hatte "Merowinger" dort im Sinne von "Mitglieder des fränkisch-merowingisch beherrschten Adels" gemeint.
 
Wir wissen fast gar nichts über die arbeitende Bevölkerung, sowohl im noch provinzialrömischen als auch im barbarisch besetzten Gebiet.
Welche Sprache sprachen die Landarbeiter? Auch innerhalb des römischen Reiches - wurden sie jemals romanisiert?
War dies regional unterschiedlich?
Da gibt es vermutlich keine Regel.
Aber wenn man bedenkt, dass z.B. "Gallien" jahrhundertelang (!!) römisch beherrscht war, kann man davon ausgehen, dass Latein nach 1-2, spätestens 3 Generationen nicht mehr nur lingua franca war, sondern dort quasi zur Volkssprache wurde, Ob die gallische Provinzbevölkerung bilingual war, also gallische Sprachinseln beibehalten hatte, weiß ich nicht (es gibt keine umfangreichen gallisch-keltischen Textüberlieferungen im 1.-5. Jh.)
Aber das bleibt merkwürdig, was das Latein betrifft: aus Britannien "verschwand" es, die romanisierte brit. Provinzbevölkerung übernahm nach der Römerzeit das angelsächsische (ob sie vorher bilingual waren? vermutlich, dann das britonische lebte wohl wieder auf, war vermutlich zur Römerzeit parallel zu Latein in Gebrauch) - umgekehrt gab es in nach den Römern "germanisch" beherrschten Gebieten bis über die Karolingerzeit hinaus romanische Sprachinseln.
...das hilft uns aber zu den Frühbayern eher wenig.
 
Da gibt es vermutlich keine Regel.
Aber wenn man bedenkt, dass z.B. "Gallien" jahrhundertelang (!!) römisch beherrscht war, kann man davon ausgehen, dass Latein nach 1-2, spätestens 3 Generationen nicht mehr nur lingua franca war, sondern dort quasi zur Volkssprache wurde
Nein, kann man nicht. Neulich habe ich mal darauf hingewiesen, dass sich das Punische in Nordafrika noch 600 Jahre nach der Zerstörung Karthagos als Volkssprache gehalten hat.

Die sprachliche Romanisierung der Gallier wird sich in verschiedenen Regionen in unterschiedlichem Tempo vollzogen haben. In Gegenden, wo viel Militär stationiert war, insbesondere an der Rhein- bzw. Limesgrenze wird das Latein relativ zügig zur Standardsprache geworden sein. Wer als Kneipenwirt oder als Händler auf dem Markt seine Kunden nicht auf Latein bedienen konnte, hatte das Nachsehen.

Ob die gallische Provinzbevölkerung bilingual war, also gallische Sprachinseln beibehalten hatte, weiß ich nicht (es gibt keine umfangreichen gallisch-keltischen Textüberlieferungen im 1.-5. Jh.)

Die letzten Zeugnisse einer bilingualen Provinzbevölkerung finden wir in der Zeit um 300 (Spinnwirteln von Autun), das sind "literarische Erzeugnisse" auf dem Niveau von "Hallo Schöne, bring das Bier", da wird die gallische Schöne vimpi mit dem lateinischen ave kombiniert und das gallische Bier curmi mit dem lateinischen da.

Hieronymus will bekanntlich um 367 bei den Treverern noch Gallisch gehört haben.
 
Wer als Kneipenwirt oder als Händler auf dem Markt seine Kunden nicht auf Latein bedienen konnte, hatte das Nachsehen.

Und er kann trotzdem mit seiner Familie gallisch geredet haben. Wir sehen heute in Indien oder Afrika, wie lange Gesellschaften bilingual bleiben können. Oder auch in Gegenden Deutschlands, wo man zu Hause Dialekt, im Arbeitsleben und gegenüber Behörden aber Hochdeutsch spricht.

Man kann also auch davon ausgehen, dass nicht alle, die nach dem römischen Abzug in Süddeutschland verblieben, ausschließlich Latein sprachen. Oder umgekehrt, andere Sprecher nicht unbedingt zugewandert sein müssen.
 
Man kann also auch davon ausgehen, dass nicht alle, die nach dem römischen Abzug in Süddeutschland verblieben, ausschließlich Latein sprachen. Oder umgekehrt, andere Sprecher nicht unbedingt zugewandert sein müssen.
Zweifellos, man sollte Gegensätze zwischen den Volksgruppen aber auch nicht nachträglich unter den Teppich kehren:
"Stulti sunt Romani, sapienti [sic] sunt Paoarii - tole sint Ualha, spahe sint Peigira."
Glosse, frühes 9. Jahrhundert.
 
In seinem Kommentar zum Galaterbrief:

Galatas excepto sermone Graeco, quo omnis oriens loquitur, propriam linguam eamdem pene habere quam Treviros.
Ich habe dieser Stelle immer misstraut.

Du kannst davon ausgehen, dass Hieronymus es gemerkt hätte, wenn die Galater Griechisch und auch, wenn die Treverer Latein gesprochen hätten, wie ich nicht müde werde zu betonen. Im übrigen war er Philologe.
 
Galatas excepto sermone Graeco, quo omnis oriens loquitur, propriam linguam eamdem pene habere quam Treviros.

Ein Grund dafür, dass sich das Christentum durchgesetzt hat, ist vielleicht, dass sich die Kirchenväter verständlich ausdrücken konnten, anders als die altrömisch orientierten Senatoren mit ihren aufgedunsenen Manierismen.​
 
Du kannst davon ausgehen, dass Hieronymus es gemerkt hätte, wenn die Galater Griechisch und auch, wenn die Treverer Latein gesprochen hätten, wie ich nicht müde werde zu betonen. Im übrigen war er Philologe.
Ich bin auch Philologe. Und zwar im Sinne, dass ich eine Ausbildung in moderner Sprachwissenschaft mit dem entsprechenden Instrumentarium habe, worüber Hieronymus bei seinen unbestreitbaren Leistungen eben nicht verfügte. Insofern ist die Aussage, dass er Philologe gewesen sei, irreführend.
Ich spreche fließend Spanisch. Ich lese fließend Portugiesisch. Ich höre zuhause jeden Tag Śląski. Ich kann Polnisch und andere slawische Sprachen ziemlich problemlos auseinanderhalten. Aber wenn ich Portugiesisch höre - welches ich, wie gesagt - aufgrund meiner Spanischkenntnis meistensteils leseverstehe, denke ich regelmäßig, dass es dieselbe Sprache sei, die ich höre, wenn meine Frau und meine Schwiegermutter miteinander telefonieren. Da hilft mir mein ganzes theoretisches philologisches Wissen genau nichts. Wenn ich nicht einzelne Worte identifizieren könnte, hätte ich keine Chance, diese beiden Sprachen auseinanderzudividieren. Und auch, wenn beide Sprachen der indoeuropäischen Sprachfamilie angehören, so sitzen sie doch auf zwei völlig verschiedenen Zweigen und sind eben nicht intelligibel. Man muss also damit rechnen, dass Hieronymus den Klang zweier Sprachen mit einander verglich und wir wissen einfach nicht, welche es waren. Bei Trier könnte es ein keltischer aber auch ein alamannischer Dialekt gewesen sein. In Kleinasien vielleicht der galatische, vielleicht auch ein ganz anderer, nicht einmal zwingend indoeuropäischer Dialekt, den Hieronymus einfach Galatern zusprach. Denn dieses Dokument über die galatische Sprache 800 Jahre nach der Isolation der Galater von der restlichen Keltike ist doch ein ziemliches Einzelzeugnis. Versteh mich nicht falsch: ich will nicht sagen, dass es deshalb falsch ist. Ich finde nur, man sollte skeptisch und nicht so positivistisch sein. Wir alle neigen zu Alltagstheorien, warum soll dass für Hieronymus, der eben kein Philologe im Sinne der modernen Philologie war, anders sein? Ich jedenfalls mit meinen subjektiven Erfahrungen kann mir gut vorstellen, dass Sprachmelodie und Sprachakzent einen ganz schön in die Irre leiten können.
Anderes Beispiel?
Außer dem Paar
Portugiesisch - Polnisch
Kann ich auch noch das Paar
Spanisch - Griechisch
anbieten.
Zwar hat das Spanische eine Anzahl griechischer Erb- und auch Lehnworte (die Erbworte waren im Lateinischen natürlich Lehnworte) aber die beiden Sprachen sind ähnlich weitläufig miteinander verwandt, wie Portugiesisch und Polnisch.
Trotzdem, für mich, der ich fließend Spanisch spreche, ist der Sprachklang des Europaspanischen und des Griechischen sehr eng beieinander. Schuld sind Sprachmelodie und Akzente >> Prosodie.
 
Ein Grund dafür, dass sich das Christentum durchgesetzt hat, ist vielleicht, dass sich die Kirchenväter verständlich ausdrücken konnten, anders als die altrömisch orientierten Senatoren mit ihren aufgedunsenen Manierismen.​
Wenig wahrscheinlich. Denn goldene und silberne Latinität (1. Jhdt. v. Chr. und 1. Jhdt. n. Chr.) waren ja längst passé.
 
Man muss also damit rechnen, dass Hieronymus den Klang zweier Sprachen mit einander verglich und wir wissen einfach nicht, welche es waren. Bei Trier könnte es ein keltischer aber auch ein alamannischer Dialekt gewesen sein.
Guter Einwand - immerhin warnt Hieronymus auch vor den Quaden, Vandalen, Sarmaten, Alanen, Gepiden, Heruler, Sachsen, Burgunden, Alamannen und Pannoniern in allen Teilen Galliens. (Die Bajuwaren sind in der Auflistung nicht dabei.) Diese gefährlichen Barbarenstämme sind laut Hieronymus in Gallien anzutreffen.
Bermerkenswert ist hierbei die Erwähnung von Volksgruppen mit mutmaßlich skythisch-iranischer Sprache. Sprachen der iranischen Sprachfamilie kommen auch in Kleinasien vor.
Dass die Galater zur Zeit von Paulus griechisch konnten, wird in der Bibel vorausgesetzt. Wie sonst hätten sie den Brief des Paulus lesen können?
Verschiedentlich wurden die Treverer von antiken Autore u.a. Tacitus auch als Germanen und Belgae bezeichnet. Besonders viel Klarheit gibt es bei dem Thema nicht. Mit dem gleichen Ethnonym konnte man auch die Bewohner Trier bezeichnen. Immerhin eine Art imperial-römische Hauptstadt während der Tetrarchie und nicht irgendein ein Provinznest.
Die Erwähnung der Treverer und der Galater als Stämme mit merkwürdiger Sprache zu Beginn der Völkerwanderungszeit, klingt verdächtig nach einem Anachronismus.

Keltische Sprachinseln zur Merowingerzeit wären spätestes den iro-schottischen Missionaren wie Columban und seinen Gefährten aufgefallen. Jonas von Bobbio schreibt aber nichts davon. Für den Ostalpenraum ist die keltische Sprache auch in vorrömischer Zeit zweifelhaft, denn hier werden die Stämme mit rätischer Sprache vermutet. Das gilt auch für die Breuni. Die rätische Sprache ist mit dem Keltischen wahrscheinlich nicht näher verwandt.

Das eigentlich Rätsel bei den Bajuwaren sind die griechischen Entlehnungen bei den bairischen Wochentagsnamen. Eine schlüssige Erklärung gibt es dafür nicht. Der kontruierte Zusammenhang mit gotischer Mission ergibt wenig Sinn.
 
Für den Ostalpenraum ist die keltische Sprache auch in vorrömischer Zeit zweifelhaft, denn hier werden die Stämme mit rätischer Sprache vermutet. Das gilt auch für die Breuni. Die rätische Sprache ist mit dem Keltischen wahrscheinlich nicht näher verwandt.
Keltisch ist im Ostalpenraum durch Ortsnamen und Inschriften nachgewiesen.
Die (vermutlich nichtidogermanische, eventuell mit dem Etruskischen verwandte) rätische Sprache ist durch Inschriften nachgewiesen.
Die Breuner dürften vermutlich eine weitere, nicht keltische, aber indogermanische Sprache gesprochen haben. Dies lässt sich aus zahlreichen vorrömischen Ortsnamen erschließen.
 
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