Ad Boias, qui nunc Baioarii vocantur

Wenn man mal in Erwägung zieht, dass sich schon vor Ankunft der Franken die Baiuvarii als Verband gebildet haben könnten, wann müsste der Zeitpunkt dafür wohl angesetzt werden? In der unter den Romanen Ufernoricums spielenden Severinsvita des Eugippius gibt es ja noch keine Baiern, obwohl die spätere Baiovaria in unmittelbarer Nachbarschaft lag, dafür schwirrt eine ganze Anzahl anderer Barbarenverbände umher: ganz in der Nähe sitzen die Rugier, man hört aber auch von Goten, Alemannen, Herulern und Thüringern. Bald nach dem Tod des Heiligen verschwindet aber eine Gruppe nach der anderen: Odoaker beseitigt das Rugierreich 488 und evakuiert die romanische Bevölkerung (oder eher erhebliche Teile von ihr) nach Italien, um 507 werden die Alemannen von den Franken unterworfen und kommen danach höchstens als Flüchtlinge ins Land, und unmittelbar zur selben Zeit wird die Macht der Heruler durch die (von Eugippius noch nicht erwähnten) Langobarden gebrochen, die sich erst einige Jahre östlich nach Pannonien orientieren, bevor sie nach Italien aufbrechen. Nach Ausscheiden dieser Verbände könnte an der raetischen Donau östlich der Iller und in Ufernoricum ein Machtvakuum entstanden sein, das der ansässigen, ziemlich kunterbunten Bevölkerung die Gelegenheit gab, selbst die Kontrolle über den Raum zu übernehmen und zu diesem Zwecke einen eigenen Verband zu organisieren. Wie Maglor geschrieben hat, wäre Ursprungsort dieses Verbandes die alte Römerstadt Regensburg, wegen der wehrhaften Stadtmauer, des fruchtbaren Umlandes und der verkehrsgünstigen Lage an der Donau. Die Ostgoten hätten dann den neuen Verband akzeptiert und in irgendeiner Form in ihr Herrschaftssystem eingebunden, das alles in den Jahren nach 507.
Muss natürlich nicht so gewesen sein, hört sich für mich aber schlüssig an.
 
Theoderich hat ja auch einen Großteil seiner Jugend als Geisel am Hof in Konstantinopel verbracht.
In Konstantinopel kam er ohne Griechisch nicht über die Runden, in Ravenna kam er ohne Latein nicht über die Runden. Die zahlenmäßig sehr kleine Oberschicht der Sueben, Burgunder, Langobarden, Vandalen oder Goten war nach kurzer Zeit zweisprachig, hielt die Zweisprachigkeit einige Generationen mit allmählich abnehmendem Erfolg durch und gab dann irgendwann die germanische Zweitsprache ganz auf.


Übrigens schreibt Wolfram: "Unter der Herrschaft Theoderichs des Großen kamen die Ostgoten nach Westen, und zwar sowohl nach Spanien als auch ins westgotische Restgallien. Dieser sprachliche Import könnte eine vorübergehende Unterbrechung oder zumindest Verlangsamung der vollständigen Romanisierung der Westgoten bewirkt haben."[/QUOTE]
... was nur heißt, dass die Goten im westgotischen Restgallien zu diesem Zeitpunkt noch zweisprachig war. Eine kurzfristige deutliche Zunahme des zweisprachigen Bevölkerunganteils kann ja die Tendenz zur Einsprachigkeit verlangsamt haben.
 
De genealogia qui vocantur Hosi Drazza Fagana Hahilinga Anniona: isti sunt quasi primi post Agilolfingos qui sunt de genere ducali. (lex baiuvariorum, entstanden vermutlich ab dem frühen 7. Jh.)
den Agilolfingern, die von den Franken/Merowingern eingesetzt wurden, nachgeordnet sind die fünf "bajuwarischen Uradelsgeschlechter/sippen", in heutiger Schreibweise "Huosi, Trozza, Fagana, Hahiligga, Anniona" - helfen deren Namen womöglich irgendwie bei der Frage nach dem Zeitpunkt der bayrischen Ethnogenese?
Garibald war ein früher Vertreter der Agilolfinger, einer bedeutenden und führenden Dynastie, ohne dass bisher geklärt werden konnte, woher diese Dynastie stammt und wer die Eltern Garibalds waren. Zum Teil wird von einer engen Verwandtschaft mit den Merowingern ausgegangen – die Fredegar-Chronik berichtet, er sei fränkischer Herkunft –, andere nennen einen Theodo II. oder einen Agiwald von Meaux als Vater, letzterer ein Sohn des Agilolf von Meaux, aber auch eine Verbindung zu langobardischen Herrschern oder zum Suebenfürsten Agilulf wird für möglich gehalten. Ebendieser Agilulf soll Namensgeber der Agilolfinger gewesen sein. Angesichts dieser Unsicherheiten ist auch unklar, ob die Bajuwaren vor Garibald einen Herzog besaßen. Die Landnahme bzw. Ethnogenese der Bajuwaren fällt jedenfalls in die erste Hälfte des 6. Jahrhunderts. Die gelegentlich genannten „Herzöge“ Theodon I., Theodon II. sowie Theodon III. dürften allerdings eher in den Bereich der Sage gehören.
aus https://de.wikipedia.org/wiki/Garibald_I.
Um die Mitte des 6.Jhs. heiratet Herzog Garibald die Witwe des Merowingerkönigs Theudebald, die langobardische Prinzessin Walderada. Auf den ersten Blick ein geschickter heiratspolitischer Schachzug: eine Ansippung an die mächtigen Merowinger - auf den zweiten Blick aber erweist sich diese Eheschließung als kurios: Walderada hatte nach König Theudebalds Tod zunächst dessen Nachfolger König Chlotar I geheiratet (Theudebald war der Großneffe von Chlotar), allerdings kaum geehelicht, wurde Walderada von Chlotar verstoßen. Die Kirche hatte Einwände gegen diese Ehe. es scheint so, als habe Chlotar die bzw. seine prominente (eine Königstochter und Königswitwe) ex-Braut beim Bayernherzog sozusagen würdig untergebracht. Garibald war damit wohl zufrieden, es scheint auch kein weiteres Getuschel samt Fehden wegen dieser ungewöhnlichen Verehelichung gegeben zu haben: er hatte mit seiner Gattin Walderada immerhin vier Kinder.
Um die Mitte des 6.Jhs. schreibt Iordanes seine Gotengeschichte, welche u.a. Baiovari erwähnt.
Um die Mitte des 6. Jhs. sind die Baiovari kein Novum mehr, sie sind da. Und sie sind unter merowingischer Herrschaft.

In der wenigen Jahrzehnten vor der Mitte des 6. Jhs. ist aber allerlei geschehen, was sich auf den fraglichen Raum - das Gebiet der entstehenden Baiovari - entscheidend ausgewirkt hatte. Im fraglichen Raum ließ es sich offenbar ganz gut leben und prosperieren, schon unter den Norikern und anschließend in der von Kaiser Claudius eingerichteten Provinz Noricum. Und das jahrhundertelang - eine jahrhundertelange erfolgreiche Romanisierung, übrigens mal eine friedliche: die Römer hatten Noricum nicht erobert. Diese Herrlichkeit wurde im 5. Jh. drastisch brüchig, das späte weströmische Reich konnte kein Militär mehr finanzieren - wir sind mitten im Zerfall und der Transformation des weströmischen Reichs angelangt. Patricius Odoakar musste u.a. die germanischen Rugier, die sich gerne in Noricum festgesetzt hätten, platt machen - und er erkannte, dass die Mittel nicht zur Sicherung der Provinz ausreichten, weshalb er die romanische Stadtbevölkerung (nicht die gesamte norische Bevölkerung!) evakuierte: dadurch entstand eine Art Vakuum. Die hohe Politik von Ostrom setzte allerlei barbarische Militärkontingente ein, so den Odovakar samt seinen Skiren, und um den dann zu beseitigen den Theoderich samt seinen Ostgoten. (das alles muss nicht nacherzählt werden) --- für uns interessant zwei Landkarten:
Odovakars Machtbereich
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/f4/Odoacer_480ad.jpg
Danach Theoderichs Machtbereich (Ostgotenreich)
Ostgotenreich – Wikipedia

Noricum bzw Noricum ripense (Ufernorikum) ist in beiden teilweise enthalten - kein Wunder: die bedrohten römischen Provinzen sollten ja noch nicht aufgegeben werden.

Odoakars Maßnahmen machten Ufernoricum schutzlos - Grund genug für allerlei Interessenten, sich unter die restliche romanische Bevölkerung zu mischen. Theoderichs zeitweilig überragende Macht Anfang des 6. Jhs. befriedete die Reichsteile, die unter seiner direkten Herrschaft waren, und die, die unter seinem Einfluß/Schutz standen vorübergehend - zu letzteren gehörte auch Ufernorikum.

Meine gewagte spekulative These: die Ethnogenese der Baiuvari fand in den friedlichen Zeiten unter Theoderichs Schutzschirm statt (die Ostgoten verhinderten zunächst eine totale Eroberung der Alemannen, verbündeten sich mit den Thüringern, schützten die norischen und teilweise illyrischen Ex-Reichsteile) und es gesellten sich restliche Rugier, kleinere Alemannengruppen, Slawen, diverse germanische Gruppen unter die romanische Restbevölkerung -- zwei kuriose Indizien mehr scherzhafter Natur: die "bairische Sprache" enthält gotische Einsprengsel (Pfinztag (laut Tante Wiki), Dult (siehe Wolfram, die Goten)) :)
Anfang 6.Jh. scheint mir ein günstiger Zeitraum für die Entstehung der Baiuvari.

zurück zu den fünf Uradelsfamilien: sie werden später in keinen Urkunden etc erwähnt, ihre Relevanz scheint auf die frühe Zeit (6.Jh.) begrenzt gewesen zu sein - evtl. kleinere Warlordsippen, die sich den mächtigeren Truppen der Agilolfinger angeschlossen hatten. Ob ihr Namensmaterial irgendwie weiterhelfen kann, vermag ich nicht zu beurteilen.
 
Zuletzt bearbeitet:
sie werden später in keinen Urkunden etc erwähnt, ihre Relevanz scheint auf die frühe Zeit (6.Jh.) begrenzt gewesen zu sein

"Abschließend ist festzustellen, dass die Faganasippe bis in das 10. Jahrhundert wichtige politische Rollen als comites und advocati spielten."
Fagana – Wikipedia

Die Huosi scheinen, bis ins 9.Jahrhundert urkundlich erwähnt zu werden.
 
@Ugh Valencia die Huosi hatte ich nachgelesen, aber dann wohl nicht mehr dran gedacht: der Name Drozza klang für mich nach Tiroler Wurzelseppln und in diesem Sinn "urbayrisch" und ich war enttäuscht, dass die nicht weiter auftauchten (etwa als Weißbiererfinder) :D Und Fagana hatte nicht mehr nachgelesen, mea culpa.
Naja, 3 von 5 Uradelssippen scheinen früh an Bedeutung verloren zu haben.
 
Was ich gestern ganz vergaß: der Bayernname. Dass Ende 5. und Anfang 6.Jh. zunehmend allerlei Grüppchen ins Ufernoricum einsickerten, scheint sehr wahrscheinlich; darunter auch german. Gruppen aus "Böhmen" - aber was mir nicht einleuchtet, ist die angebliche Herleitung des Namens von den Boiern: da wäre doch eine absichtliche Herleitung von den einst mächtigen und ortsansässigen Norikern gescheiter gewesen (a la wir waren schon immer hier). Das ist ganz offensichtlich nicht geschehen. Deshalb halte ich die Herleitung von Böhmen (die aus Böhmen kamen) für plausible.
 
Was ich gestern ganz vergaß: der Bayernname. Dass Ende 5. und Anfang 6.Jh. zunehmend allerlei Grüppchen ins Ufernoricum einsickerten, scheint sehr wahrscheinlich; darunter auch german. Gruppen aus "Böhmen" - aber was mir nicht einleuchtet, ist die angebliche Herleitung des Namens von den Boiern: da wäre doch eine absichtliche Herleitung von den einst mächtigen und ortsansässigen Norikern gescheiter gewesen (a la wir waren schon immer hier). Das ist ganz offensichtlich nicht geschehen. Deshalb halte ich die Herleitung von Böhmen (die aus Böhmen kamen) für plausible.

Boiorum oder Boiohaemum macht das für dich wirklich einen so großen Unterschied?
 
...aber was mir nicht einleuchtet, ist die angebliche Herleitung des Namens von den Boiern: da wäre doch eine absichtliche Herleitung von den einst mächtigen und ortsansässigen Norikern gescheiter gewesen (a la wir waren schon immer hier).

Bezugnehmend auf die Nummer 22 oben - warum gab es dann in Passau die Kastelle Boiodurum und Boiotro?

Mir ist nicht klar, warum man hier eine Herkunft aus Böhmen braucht.
Bezüge zu "Boio" waren doch in der Gegend allgegenwärtig.
 
Bezüge zu "Boio" waren doch in der Gegend allgegenwärtig.
Waren in dieser Gegend die Bezüge zu "Noricum" / "Noricum ripense" nicht naheliegender? Verlor die Provinz quasi über Nacht durch das militärische (Sieg über Rugier) und demografische (Evakuierung von Teilen der römischen Bevölkerung) eingreifen Odovakars schwupps ihren jahrhundertelang gängigen Namen?
Ich weiß es nicht - wie bezeichneten die Ostgoten zu Theoderichs Regierungszeit diese Region? Schon wie um 550 von Iordanes Baiovari oder noch als Noricum?
 
Boiorum oder Boiohaemum macht das für dich wirklich einen so großen Unterschied?
Gute Frage!
Ob man im kriegsgebeutelten und teilentvölkerten Ufernoricum in den wenigen befriedeten Jährchen unter Theoderich die Muße hatte, sich gelehrsam Völkerlisten anzuschauen, die die Zustände rund 500 Jahre zuvor - noch vor den Römern - beschreiben, um sich daraus einen Namen nebst "Stamnestradition" zu basteln, kommt mir nicht ganz so plausibel vor.
 
wenn ich die Karten der spätrömischen Provinzen (und Diözesen) richtig verstehe, kommen für expandierende (und bald darauf fränkisch eroberte) Alemannen und (gerade "entstehende" Baiern) Teile der Provinzen Raetia und Noricum ripense in Frage. Dass in den diese wirren, eigentlich kaum besonders konkret überlieferten (und schon gar nicht von Landmessern kontrollierten/dokumentierten) Ereignissen nicht ordentlich bürokratisch ganz exakt die spätrömischen Provinzgrenzen beachtet wurden, ist irgendwie nicht verwunderlich: es gibt keine exakte alemannisch-bayrische Grenze, die genau auf der Grenze zweier römischer Provinzen läge. Alemannen und Bajuwaren befanden sich in Raetien, Norikum und angrenzenden Gebieten, schufen und verschoben neue Grenzziehungen (wobei die frühmittelalterlichen Grenzen nie exakte Grenzziehungen waren)
Der Name der Alemannen benötigt hierbei keine weitschweifende Deutung, eine primordiale Tat und eine exklusive Stammessage ist nicht überliefert.
Der Name der Bayern wirft ein paar Fragen auf, dito ihre Ethnogenese, gerade weil sie ab ovo eben nicht wie alle anderen oder die meisten völkerwanderungszeitlichen Gentes ihre eigenen Leute als Oberchefs und Traditionskern hatten (also wie Goten Amaler, Franken Merowinger usw usw), sondern die (vermutlich fränkischen? jedenfalls nicht urbairischen) Agilolfinger als Chefs vorgesetzt bekamen (!), sich als "Stamm" aber nicht nach diesen benannten.
In diesem insgesamt wirren und unübersichtlichen Kontext halte ich eine Festlegung auf nur eine Provinz (a la "die Bayern sind aber entweder in Noricum oder in Raetien, tertium non datur") für nicht sonderlich zielführend. Raetien, Ufernorikum, angrenzenden Gegenden sind für Alemannen und Bayern im fraglichen Zeitraum relevant, dabei sind die Alemannen eher westlich in diesem Raum und die entstehenden Bayern eher östlich (und beide hatten keinen Respekt vor amtlichen Provinzgrenzen, sondern eher voreinander und vor den Grenzziehungen ihrer Warlords (irgendwelche wohl nur sehr spärlich überlieferten "Gaue" und ähnliches)
 
...gerade weil sie ab ovo eben nicht wie alle anderen oder die meisten völkerwanderungszeitlichen Gentes ihre eigenen Leute als Oberchefs und Traditionskern hatten (also wie Goten Amaler, Franken Merowinger usw usw), sondern die (vermutlich fränkischen? jedenfalls nicht urbairischen) Agilolfinger als Chefs vorgesetzt bekamen (!), sich als "Stamm" aber nicht nach diesen benannten.

Dies galt doch genauso für die Allemannen und für die Sachsen, letztendlich für sämtliche von den Franken unterworfene Gruppierungen.

In diesem insgesamt wirren und unübersichtlichen Kontext halte ich eine Festlegung auf nur eine Provinz (a la "die Bayern sind aber entweder in Noricum oder in Raetien, tertium non datur") für nicht sonderlich zielführend.

Das Kerngebiet der Baiuwaren lag zwischen Regensburg, Freising und Passau. Die Bayrische Expansion nach Osten hat erst später stattgefunden.
 
Das Kerngebiet der Baiuwaren lag zwischen Regensburg, Freising und Passau.
Vorab: ich kenne mich nicht sonderlich mit der Ethnogenese der Baiuwaren aus. Darum frage ich: woher wissen wir, wo das Kerngebiet der Bajuwaren war?
Im Tante Wiki Artikel über Noricum und Noricum ripense ist zu lesen, dass die baiuwarische Ethnogenese auch in Teilen Noricums stattgefunden habe.
 
Dies galt doch genauso für die Allemannen und für die Sachsen, letztendlich für sämtliche von den Franken unterworfene Gruppierungen.
Die Alemannen"stämme" des 5. Jhs. hatten eigene "Könige", teilweise mit kuriosen Namen.
Die Thüringer hatten vor ihrer Eroberung eine eigene prominente Königssippe.
Die Sachsen sind gleich gar nicht von den Merowingern erobert worden, das besorgte erst Karl der Große.
 
Bezugnehmend auf die Nummer 22 oben - warum gab es dann in Passau die Kastelle Boiodurum und Boiotro?

Mir ist nicht klar, warum man hier eine Herkunft aus Böhmen braucht.
Bezüge zu "Boio" waren doch in der Gegend allgegenwärtig.

So sieht das Ludwig Rübekeil (den Du vermutlich gelesen hast)

"Dass der Boiername darüber hinaus auch ohne Rezeption und Projektion durch Germanen und auch außerhalb Böhmens, etwa in Teilen Bayerns verankert war, belegen vor allem namenkundliche Zeugnisse wie etwa die Kastell- bzw. Siedlungsnamen Boiodurum und Boiotro oder der Personenname Boios von Manching. Hier werden gewisse Parallelen mit dem Namen der Raetobarii offenkundig, der nicht auf die Ethnie der südalpinen Raeti zurückgeführt werden kann, sondern dem letzten Endes, wenn auch vielleicht auf Umwegen, der römische Provinzname Raetia zugrunde liegt. Das Vorderglied in Baiovarii stellt vermutlich eine ähnliche Art Raumbeziehung zu den Boiern her, nicht aber eine Herkunfts- oder Gleichsetzungsfiktion, wie sie in der mittelalterlichen Gelehrsamkeit verbreitet war."
Der Name Baiovarii und seine typologische Nachbarschaft

Weiter unten ist dann zu lesen:

"Dabei müssen, was oft übersehen wurde, diese Namengeber nicht unbedingt stets mit den Trägern des Namens identisch gewesen sein. Gerade bei einem solchen, ethnisch eher neutralen Bewohnernamentyp ist eine Fremdbezeichnung durchaus in Betracht zu ziehen. Im konkreten Fall kämen etwa Alemannen, Thüringer, Langobarden, Franken und Goten in Betracht. Letztere sind als Namengeber allerdings weniger wahrscheinlich, da die Varii-Namen eher im Westen als im Osten verbreitet zu sein scheinen. Plausibler sind die Langobarden, die Franken und insbesondere die Alemannen, da bereits die Bezeichnung Raetobarii im Kontext der alemannischen Expansion um den raetischen Limes zu sehen ist und von den Alemannen initiiert sein dürfte."
 
Woher wissen wir, wo das Kerngebiet der Bajuwaren war?
Im Tante Wiki Artikel über Noricum und Noricum ripense ist zu lesen, dass die baiuwarische Ethnogenese auch in Teilen Noricums stattgefunden habe.

Die Aigolfinger herrschten von Freising und Regensburg aus. Klingt nach Kerngebiet

Die Alemannen"stämme" des 5. Jhs. hatten eigene "Könige", teilweise mit kuriosen Namen. Die Thüringer hatten vor ihrer Eroberung eine eigene prominente Königssippe.
Die Sachsen sind gleich gar nicht von den Merowingern erobert worden, das besorgte erst Karl der Große.

Ob Merowinger oder Karolinger spielt doch keine Rolle. Alle genannten Gruppen wurden von fränkischen Herzögen regiert. Und keiner benannte sich nach diesen. Ich sehe da keine Sonderstellung der Baiuwaren.
 
"Dass der Boiername darüber hinaus auch ohne Rezeption und Projektion durch Germanen und auch außerhalb Böhmens, etwa in Teilen Bayerns verankert war, belegen vor allem namenkundliche Zeugnisse wie etwa die Kastell- bzw. Siedlungsnamen Boiodurum und Boiotro oder der Personenname Boios von Manching. Hier werden gewisse Parallelen mit dem Namen der Raetobarii offenkundig, der nicht auf die Ethnie der südalpinen Raeti zurückgeführt werden kann, sondern dem letzten Endes, wenn auch vielleicht auf Umwegen, der römische Provinzname Raetia zugrunde liegt. Das Vorderglied in Baiovarii stellt vermutlich eine ähnliche Art Raumbeziehung zu den Boiern her, nicht aber eine Herkunfts- oder Gleichsetzungsfiktion, wie sie in der mittelalterlichen Gelehrsamkeit verbreitet war."
Besten Dank! Das leuchtet mir ein.
 
So sieht das Ludwig Rübekeil (den Du vermutlich gelesen hast)
Leider nein, aber ich sollte es nachholen.

"Dabei müssen, was oft übersehen wurde, diese Namengeber nicht unbedingt stets mit den Trägern des Namens identisch gewesen sein. Gerade bei einem solchen, ethnisch eher neutralen Bewohnernamentyp ist eine Fremdbezeichnung durchaus in Betracht zu ziehen.

Ich denke diese Passage ist von großer Bedeutung für die gesamte Thematik der Namensforschung im frühen Mittelalter. Meist verfügen wir nur über einzelne Erwähnungen eines Namens, und leider wird viel zu oft daraus geschlossen, dass alle damit bezeichneten dies selbst auch taten oder auch nur davon wussten.
Eine Information darüber, ab wann die "baiuvarii" bzw. die "Baiern" ein Selbstverständnis unter diesem Namen entwickelten, fehlt natürlich völlig.
 
Die Aigolfinger herrschten von Freising und Regensburg aus. Klingt nach Kerngebiet
ja, das stark befestigte Regensburg eignet sich prima für eine sozusagen aufoktroyierte Herrschersippe, denn sie sitzt im Fall von Unstimmigkeiten recht sicher an diesem Platz ;)
Kerngebiet der Agilolfinger-Herzöge trifft sicher zu - Kerngebiet der Baiuwaren könnte zutreffen, muss aber nicht.
Ob Merowinger oder Karolinger spielt doch keine Rolle.
...klar, ein paar Jahrhunderte muss man nicht überbewerten...;):D
Alle genannten Gruppen wurden von fränkischen Herzögen regiert. Und keiner benannte sich nach diesen. Ich sehe da keine Sonderstellung der Baiuwaren.
- die Sachsen, die Thüringer, die Alemannen kannte man seit ein paar (wenigen, aber immerhin) Jahrhundertchen - die Baiuwaren nicht, die tauchen erst deutlich später auf (das ist ja einer der Anlässe der Diskussion hier)
- die Sachsen mit ihrem Saxnot und Uuodan schienen eine alte Tradition zu haben, auch wenn erst recht spät (Einhard) davon berichtet wird - die Baiuwaren? Eher Fehlanzeige...
- die Thüringer und Alemannen hatten Königssippen und damit wohl auch "Traditionskerne", und diese Königssippen waren keine von außen eingesetzten; erst nach der Eroberung durch die Franken herrschten letztere mittels eingesetzter Herzöge - baiuwarische Traditionskerne und gar Königssippen vor den eingesetzten Agilolfingern kennen wir keine.
- sogar die durch Kriege verschütt gegangenen Rugier hatten ihre eigenen Könige/Königssippe - die Baiuwaren gingen nicht durch Kriege verschütt, aber einen "Kini" hatten sie dann doch erst ziemlich lange nach der späten Völkerwanderungszeit bzw nach dem Frühmittelalter.
@Stilicho sind das nicht ein paar auffällige Unterschiede?
 
Zurück
Oben