Ad Boias, qui nunc Baioarii vocantur

Das ist in die eine wie in die andere Richtung Fischen im Trüben.
Mag ja sein, aber ich darf Dich mal zitieren, ich glaub aus dem Jahr 2019: "Bei den Westgoten ist es höchst umstritten unter den Sprachforschern, dass diese noch gotisch sprachen, als sie das toledanische Reich errichteten...
Die Linguisten, die sich mit der westgotischen Epoche befassen, gehen mehrheitlich davon aus, dass die Westgoten/Sueben etc. damals bereits vulgärlateinische Idiome sprachen. Quellen sind vor allem Schiefertäfelchen mit Textschnippseln."
Das Toledanische Reich wurde ja in den Jahren nach 507 gegründet.
 
zu kritischen Anmerkungen bin ich nicht berufen, aber eine komische gönne ich mir: das wäre dann eine innovative Variante, die man als tricky Herkunftsüberlieferung bezeichnen kann: "wir nennen uns nach den Boiern, weil wir tapfere Noriker sind, s´st mal bei uns so Sitte, pfüeti" :D

Niederkorn ist natürlich nicht so doof, eine Benennung der Baiuvarii nach den Boiern anzunehmen. Seine These geht so:
Die norischen Rebellen hätten sich nach ihrer Niederlage auf das Gebiet der ebenfalls gebeutelten Juthungen (deren Namen alsbald aus der Geschichte verschwindet) zurückgezogen und mit ihnen einen neuen Verband gebildet.
Namengebend sei der Fluss Bac gewesen, den der Geograph von Ravenna neben der Regen als Donauzufluss nennt.
"In sprachlicher Hinsicht ist die Form Bacvarii unbedenklich...", meint Niederkorn (2005, S. 206) unter Hinweis auf die häufige Schreibweise Bagoarii; ich halte sie hingegen für haarig, vgl. Ludwig Rübekeil: "Insbesondere die Schreibung des palatalen Gleitlautes mit <g> ist im mittelalterlichen Deutsch sehr verbreitet und sollte nicht zu etymologischen Schlussfolgerungen verleiten."
 
Das sehe ich anders. Nach Wolfram könnte der sprachliche Import von den Ostgoten die Romanisierung aufgehalten haben. Warum? Weil nach Meinung Wolframs bei den Ostgoten das Gotische noch eine größere Rolle gespielt hat.

Ich weiß nicht, was Du siehst, vielleicht habe ich irgendwo etwas übersehen. Im genannten Zitat äußert Wolfram diese Meinung jedenfalls nicht explizit. Was er explizit äußert, ist die Meinung, das Westgotische sei nach der Mitte des 6. Jahrhunderts untergegangen.

Um zum eigentlichen Diskussionspunkt zurückzukommen: Die These, mit "Walagoten" seien "fremdsprachige Goten" gemeint, halte ich an sich für wenig einleuchtend. Und sie setzt nun mal voraus, dass aus Sicht der Namensgeber eine Kommunikation auf Gotisch nicht mehr möglich war.
(Oder allenfalls, dass die Ostgoten überhaupt kein Latein konnten und ihnen deswegen die lateinkundigen Westgoten "fremd" vorkamen.)
 
Rebellische Kriegerverbände, die sich nach einem Flüsschen benennen?
Ganz auszuschließen wäre es nicht; bei den Ampsivarii wird eine Benennung nach der Ems angenommen.
Was ich bei Niederkorn vermisse, ist eine sprachlich nachvollziehbare Erklärung, wie aus den *Bacvarii die Bajuwaren geworden sein sollen.
 
Mag ja sein, aber ich darf Dich mal zitieren, ich glaub aus dem Jahr 2019: "Bei den Westgoten ist es höchst umstritten unter den Sprachforschern, dass diese noch gotisch sprachen, als sie das toledanische Reich errichteten...
Die Linguisten, die sich mit der westgotischen Epoche befassen, gehen mehrheitlich davon aus, dass die Westgoten/Sueben etc. damals bereits vulgärlateinische Idiome sprachen. Quellen sind vor allem Schiefertäfelchen mit Textschnippseln."
Das Toledanische Reich wurde ja in den Jahren nach 507 gegründet.
Wieso „aber“? Ich sehe zwischen meiner von dir zitierten Aussage und meiner Warnung vom Fischen im Trüben keinen Widerspruch.
 
Die norischen Rebellen hätten sich nach ihrer Niederlage auf das Gebiet der ebenfalls gebeutelten Juthungen (deren Namen alsbald aus der Geschichte verschwindet) zurückgezogen und mit ihnen einen neuen Verband gebildet.
Namengebend sei der Fluss Bac gewesen, den der Geograph von Ravenna neben der Regen als Donauzufluss nennt.
nicht minder komisch-tricky ist "weil wir tapfere (ggf. urbayrisch sprechende) rebellische Noriker sind, nennen wir uns trickreich nicht Noriker, sondern Bac-Anrainer" - kommt mir mehr wie ein Herkunfts-Slapstick vor... übrigens wirkt (zumindest auf mich) jede Erklärung nach dem Muster "rebellische Noriker wissen, dass sie rebellische Noriker sind und nennen sich nunmehr (warum und wozu eigentlich?) anders" wenig überzeugend und - komisch. ((mit diesem Eindruck befinde ich mich nicht in schlechter Gesellschaft: wenn ein unmotivierter, kurioser Namenswechsel damit "erklärt" wird, dass er von Göttern befohlen sei, dann findet auch Paulus Diaconus das komisch))

Bis jetzt überzeugen mich die Versuche, eine baiuvarische Origo Gentis zu rekonstruieren / zu erschließen / zu erfinden nicht. Mal sind sie inhaltlich zu komisch, mal zu abenteuerlich.

Um zum eigentlichen Diskussionspunkt zurückzukommen: Die These, mit "Walagoten" seien "fremdsprachige Goten" gemeint, halte ich an sich für wenig einleuchtend.
Jetzt komme ich nicht mehr mit: geht es nicht (mehr) um die Baiuvari, sondern um verschiedene Goten?
Im genannten Zitat äußert Wolfram diese Meinung jedenfalls nicht explizit. Was er explizit äußert, ist die Meinung, das Westgotische sei nach der Mitte des 6. Jahrhunderts untergegangen.
Wolfram "die Goten" C.H.Beck, München, 4.Auflage 2001 S.212 über das Tolosanische Reich (418-507)
Wann die Westgoten ihre angestammte Sprache aufgaben, ist umstritten.
und dazu eine Anmerkung 42 auf S.449, die einige Fachliteratur nennt - - heiliger Bimbam, das alles abzutippen, bin ich zu faul! Ich könnte die Seiten aus dem Gotenbuch, welche die gotische Sprache betreffen, scannen/fotografieren samt den zugehörigen Anmerkungen, sofern das erlaubt ist - aber hilft das bei der Frage nach der Herkunft der Bayern und der Herkunft/Bedeutung des Bayernnamens?
Wie auch immer: laut Wolfram, der gar nicht so argumentenarm ist, aber eben viele an communis opinio zur Gotengeschichte kompiliert (und nicht eigens mit 1000 Argumenten gestützt auf 10000 Quellenbelege vorkaut), begann das schwinden der gotischen Sprache in der westgotischen Oberschicht schon im Tolosanischen Reich, was nicht heißt, dass der Sprachgebrauch zack mit einem Schlag zu einem fixen quellenvermerkten Datum aufgehört hätte.
 
Die These, mit "Walagoten" seien "fremdsprachige Goten" gemeint, halte ich an sich für wenig einleuchtend. Und sie setzt nun mal voraus, dass aus Sicht der Namensgeber eine Kommunikation auf Gotisch nicht mehr möglich war.
(Oder allenfalls, dass die Ostgoten überhaupt kein Latein konnten und ihnen deswegen die lateinkundigen Westgoten "fremd" vorkamen.)
Ich denke, wir haben unsere Argumente zu diesem Punkt ausgetauscht. Wer sich die Mühe gemacht haben sollte, unserem Austausch Schritt für Schritt zu verfolgen (auch einschließlich meines Zitats von El Quichote), wird sich gut seine eigene Meinung bilden können.
Vielleicht nur noch eins: Ich denke nicht, dass es für die von mir vorgeschlagene Bedeutung von "Walagoten" notwendig ist, anzunehmen, die Ostgoten hätten kein Wort Latein gesprochen und/oder die Westgoten hätten überhaupt kein Gotisch mehr beherrscht.
 
Rebellische Kriegerverbände, die sich nach einem Flüsschen benennen?
Dann doch lieber der Name eines ihrer Anführer, irgendwas mit Baius.
Die Benennung nach Flüssen oder Namensgleichheit mit Flüssen ist eher der Regelfall. Das prominenteste Beispiel hierfür sind Sueben und der Fluss Suebos.
Eine Benennung nach dem Anführer scheint eher unüblich gewesen zu sein. Das einzig wirklich greifbare Beispiel dafür wäre Lothringen. Hier wurde ein Königreich nach dem König Lothar benannt und der Name blieb dauerhaft erhalten, aber das Beispiel stammt schon aus der Karolingerzeit.

((mit diesem Eindruck befinde ich mich nicht in schlechter Gesellschaft: wenn ein unmotivierter, kurioser Namenswechsel damit "erklärt" wird, dass er von Göttern befohlen sei, dann findet auch Paulus Diaconus das komisch))
Ich gehe nicht davon aus, dass das damals so komisch gemeint werden, sondern als Herrschaftslegimation ernst genommen wurde. Diese Langbart-Legende ist als Vorwort zur langobardischen Gesetzessammlung Edictum Rothari überliefert. Auch die sogenannte "fränkische Völkertafel" findet sich in den gleichen Handschriften wie die germanische Volksrechte.
Was heute als Pseudoetymologie, galt im Mittelalter als ernstzunehmenden Wissenschaft.
Der Aufwand der hierfür getrieben wurde, ist groß. Ein Gelehrter musste sich die Informationen von Tacitus, Vergil, Cassiodor, der Bibel und aus Heiligenlegende zusammensuchen und dann kreativ zusammenreiben.
Es scheint jedenfalls ein wichtiges Thema gewesen zu sein, wie nah man mit Wodan, Herkules, Noah und den Trojanern verwandt war. Einmal ausformilierte Abstammungsmythen wurden europaweit rezipiert. Eigentlich ist es auch immer die gleiche Leier.

Wirklich seltsam ist nur, dass diese Steilvorlage aus der Columbans-Vita im Mittelalter anscheinend niemand so richtig interessiert hat. Aus dieser Gleichersetzung der Boier und der Bajuwaren hätten man sich einiges zusammenreimen können und mit Hinweis auf die Boier oder gleich den Teutonenkönig Boiorix die Geschichte der Bajuwaren um Jahrhunderte verlängern. Aber im Mittelalter hat man stattdessen auf einen norisch-armenischen Abstammungsmythos der Baiern gesetzt und lieber über den angeblichen Kampf zwischen Julius Caesar mit den norisch-armenischen Urbaiern berichtet. Der Aufwand zur Erfindung dieser Sage ist groß.
 
Jetzt komme ich nicht mehr mit: geht es nicht (mehr) um die Baiuvari, sondern um verschiedene Goten?
Ich denke, es geht darum (mir zumindest), ob die zeitliche Einordnung der Völkertafel auf ungefähr die 520er Jahre plausibel ist oder nicht. Dafür ist schon wichtig, ob mit Walagoten die Westgoten gemeint sein können, denn nur dann kann sich aus der Völkertafel die Konstellation der wichtigsten Mächte im ehemals westlichen Teil des Imperiums in den 520er Jahren ergeben. Wenn die Völkertafel die Baiern aber schon in den 520ern nennt, gab es diese eben schon vor der Einsetzung eines dux durch die Frankenkönige.
 
nicht minder komisch-tricky ist "weil wir tapfere (ggf. urbayrisch sprechende) rebellische Noriker sind, nennen wir uns trickreich nicht Noriker, sondern Bac-Anrainer" - kommt mir mehr wie ein Herkunfts-Slapstick vor...
Nach Niederkorn sind es ja nicht die Noriker allein, sondern ein neuer Verband aus den Resten der Noriker, den Resten der Juthungen und sonstigen Kleingruppen.

Ich könnte die Seiten aus dem Gotenbuch, welche die gotische Sprache betreffen, scannen/fotografieren samt den zugehörigen Anmerkungen, sofern das erlaubt ist - aber hilft das bei der Frage nach der Herkunft der Bayern und der Herkunft/Bedeutung des Bayernnamens?
Sicher nicht. Die Frage (die Du wohl nicht mehr auf dem Schirm hast), war, ob uns die Völkertafel den frühesten datierbaren Hinweis auf die Baiern liefert, und in diesem Zusammenhang, ob die "Walagoten" uns bei der Datierung der Völkertafel helfen könnten. Ich neige dazu, diese Frage zu verneinen.
 
@Sepiola & @Clemens64 ok, jetzt ist meine Verwirrung beseitigt.
Vermutlich müssen wir dann hier auch die Frage, ab wann die Westgoten nicht mehr gotisch sprachen, nicht weiter diskutieren.
Die (mehr oder weniger rekonstruierte?) Völkertafel: ist die denn eindeutig datiert?
 
Wenn die Völkertafel die Baiern aber schon in den 520ern nennt, gab es diese eben schon vor der Einsetzung eines dux durch die Frankenkönige.
a) Was sagen denn die Quellen zu den fränkischen/merowingischen Kriegszügen und letztlich der Eroberung der Alemannen und anschließend zum einsetzen Garibalds und damit der vollzogenen Eroberung der Bayern? Nach dem Sieg über die Alemannen dürften die merowingischen Truppen weiter gen Südosten nicht in eine ihnen unbekannte Terra inkognito vorgestoßen sein, sondern entweder die Provinz Noricum ripense oder "die Bayern" im Visier gehabt haben.
b) was sagen die ostgotischen Quellen über Raetien und Noricum?
Die problematische Völkertafel ist hoffentlich nicht die einzige Quelle über die fragliche Region in der ersten Hälfte des 6. Jhs.
 
Die (mehr oder weniger rekonstruierte?) Völkertafel: ist die denn eindeutig datiert?

"Hielt man den Text lange für ein Erzeugnis des 6. Jh.s, so hat sich seit Kruschs grundlegender Untersuchung von 1928 die Ansicht einer Entstehungszeit im späten 7. oder frühen 8. Jh. durchgesetzt. Goffart kehrte nach einer gründlichen Untersuchung der Handschriften zu einer Frühdatierung zurück; er sieht zwei Stufen der Entstehung: erste Fassung um 520, Überarbeitung in "the hands of a Germanic-speaking scribe or editor" ca. 200 Jahre später."
(Reallexikon der germanischen Altertumskunde Band 11)
 
Als taq muss man jedenfalls die Historia Brittonum (830) ansetzen, denn diese benutzt die Völkertafel. Allerdings verstehe ich die Aussage von Ulrich Nonn im RGA nicht:
Goffart kehrte nach einer gründlichen Untersuchung der Handschriften zu einer Frühdatierung zurück; er sieht zwei Stufen der Entstehung: erste Fassung um 520, Überarbeitung in "the hands of a Germanic-speaking scribe or editor" ca. 200 Jahre später."
Wenn die älteste überlieferte Handschrift der Generatio regum et aus dem 9. Jhdt. stammt, wie will man dann „nach einer gründlichen Untersuchung der HSS zu einer Frühdatierung zurückkehren“?
 
Die Benennung nach Flüssen oder Namensgleichheit mit Flüssen ist eher der Regelfall.
So häufig ist das aber nicht. Für die -varii-Bildungen sind die Ampsivarier das einzige Beispiel.
(Immerhin besser als gar nichts.)


((mit diesem Eindruck befinde ich mich nicht in schlechter Gesellschaft: wenn ein unmotivierter, kurioser Namenswechsel damit "erklärt" wird, dass er von Göttern befohlen sei, dann findet auch Paulus Diaconus das komisch))
Ich gehe nicht davon aus, dass das damals so komisch gemeint werden, sondern als Herrschaftslegimation ernst genommen wurde. Diese Langbart-Legende ist als Vorwort zur langobardischen Gesetzessammlung Edictum Rothari überliefert.
Im Vorwort des Edictum Rothari finde ich die Story nicht.

Sicher ist jedenfalls, dass Paulus Diaconus sie als lächerlich bezeichnet ("ridicula fabula").
 
deutlich später als um 520 wird die so genannte "fränkische Völkertafel" hier datiert: Handbuch der bayerischen Geschichte: Bd. Das alte Bayern, das Stammesherzogtum bis zum Ausgang des 12. Jahrhunderts
(wie aktuell das Handbuch ist, wage ich nicht zu beurteilen) interessant ist die Idee mit der Nennung der Bayern bei Iordanes (um 550) : wenn dieser tatsächlich Cassiodors verloren gegangene Geschichte kompiliert/nacherzählt, dann wären die Bayern somit schon vor 550 erwähnt worden bzw. den Ostgoten bekannt gewesen.
Im weiteren Text werden noch ein paar teils krude, teils ulkige, teils interessante Ideen zum Bayernnamen referiert.
 
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