Alle in der "fränkischen Völkertafel" genannten Völker gehörten zum Reich Karls des Großen.
Karl herrschte auch über ehemals gotische Gebiete in Südwest-Frankreich und Italien, auch wenn Goten und Gepiden inzwischen natürlich längst in den Hintergrund getreten waren. Eine Verwandtschaft mit den edelsten und berühmtesten Goten hat aber noch niemaden geschadet.
Eine Gleichsetzung der Vandalen mit den slawischen Wenden setzt auch bereits in der Karolingerzeit ein.
Das ganze passt sehr gut zur karolingischen Ideologie der Einheit "Europas" und der Translatio Imperii.
Offensichtlich war der Autor der "fränkischen Völkertafel" ein Bücherwurm und hat sich aus der Mannus-Sage bei Tacitus und vielleicht auch aus dem von Procop konstruierten Quartett der edelsten Goten einen neuen Stammbaum gebastelt, der den gemeinsamen Ursprung all dieser Völker erklärt.
Die Abstammung der Franken vom Sagenkönig Francio und die Verwandtschaft mit den Trojanern (und dadurch implizit auch mit den Römern) kennt immerhin schon die Fredegar-Chronik. Vielleicht ist auch das eine Grundlage für "fränkische Völkertafel" - oder genau umgekehrt.
Bemerkenswert finde ich, dass der gotisch-spanische Universalgelehrte Isidor von Sevilla die Völlkertafel nicht kennt, obwohl er sich intensiv mit der Geschichte der Goten und Pseudoetymologien auseinandersetzt hat. Diese Völkertafel wäre für ihn sicher ein gefundenes Fressen gewesen.
Bzgl. der Goten konstruiert Isidor unter Rückgriff auf römische Autoren eine Abstammung der Goten von Skythen, Geten, die er über das biblische Volk Gog bis zu Japhet zu Noah zurückführt.
Isidor scheint auch der erste zu sein, der die pseudoetymologische Verwandtschaft von Brutus und den Briten erkannt hat, was in der britischen Variante der Völkertafel von Nennius aufgegriffen wird.
Der Büchwurm, der sich die "fränkische Völkertafel" zusammengereimt hat, liefert letztlich keine wirklichen Informationen über die Frühgeschichte der Bajuwaren - außer die wirklich vielfältige Schreibweisen des Stammesnamens. Aus Sicht dieses Bücherwurms sind die Bajuwaren diesen anderen Völkern im Wortsinne ebenbürtig, was auch immer das bedeuten soll.
Von den frühen Schriftquellen, die die Bajuwaren erwähnen scheint mir Venantus Fortunatus am seriösesten zu sein. Seine spärlichen Informationen hat er anders als Jonas von Bobbio und Jordanes aus eigener Anschauung. Dieser Dichter war selbst 565 als Pilger im Alpenraum unterwegs. Außerdem hatte er beste Kontakte zur politischen Elite des Merowingerreiches. Eine spätere Manipulation seiner Texte ist aufgrund der Gedichtsform weitgehend ausgeschlossen.
Die simple Nachricht des Venatius Fortunantus ist nun, dass sich die Pilger vor dem wegelagernden Bajuwaren in Acht nehmen müssen. Außerdem lokalisiert er die Bajuwaren am Lech.