Ad Boias, qui nunc Baioarii vocantur

a) welche ist die älteste "geprüfte und für gut befundene" Erwähnung der Bayern?
Hubert Fehr beantwortet diese Frage in dem schon öfter zitierten Artikel Am Anfang war das Volk? Die Entstehung der bajuwarischen Identität als archäologisches und interdisziplinäres Problem wie folgt:

"Die erste gesicherte Erwähnung der Bajuwaren bleibt somit sehr wahrscheinlich die bereits genannte Stelle bei Jordanes, die nach 552 oder einige Jahre später zu datieren ist. Zweifelsfrei belegt ist der Name schließlich bei Venantius Fortunatus etwa ein Jahrzehnt später"
 
b) welche plausiblen Gründe gibt es, die Bayern schon um die Wende vom 5. zum 6. Jh. einzuordnen?

Wenn man der (umstrittenen) These anhängt, wonach die Jordanes-Stelle auf Cassiodor zurückgeht, und außerdem noch eine Frühdatierung der Cassiodorschen Gotengeschichte (auf 519) favorisiert, könnte man so argumentieren wie Herwig Wolfram (Ethnogenesen im frühmittelalterlichen Donau- und Ostalpenraum, in: Frühmittelalterliche Ethnogenese im Alpenraum, hrsg. Helmut Beumann und Werner Schröder, Sigmaringen 1985, S. 106):

"Geht man von der Faustregel aus, daß die Existenz eines Volkes ungefähr eine Generation älter denn seine erste Nennung als ethnographische Neuheit ist, dann müßte die bayerische Ethnogenese unter der genannten Voraussetzung bereits um 490 so weit fortgeschritten gewesen sein, daß es zu einer Namenbildung gekommen war."
 
Mischa Meier geht davon aus, dass der Name Baiovarii sich erst im Nachgang der Ernennung der Aigolfinger als Bezeichnung derer Gefolgsleute einbürgerte. Im Brief Theudeberts I. an Justinian von 545 werden die Baiuvarii nicht erwähnt, was für eine spätere Datierung sprechen könnte.
Auch erwähnt er, dass die Aigolfinger wohl zunächst in Augsburg residierten und erst später nach Regensburg umzogen, das Kerngebiet also deutlich westlich von Noricum lag.
 
Falls sich die originale Völkertafel auf zwölf Stämme beschränkt hat, wird man an das biblische Muster der zwölf Stämme Israels denken.

Es scheint plausibel, dass in der Urfassung eine Symmetrie angelegt war: jede der drei Gruppen bestand aus 4 Stämmen.
Auch diese Symmetrie wäre ein Hinweis darauf, dass hier eine gewollte Konstruktion vorliegt und keinesfalls realpolitische Tatsachen abgebildet werden sollten.

ähnlich, weil (wie etwa auch Prokop schreibt) die Ost- und Westgoten, Wandalen und Gepiden die gleiche Sprache sprechen
Auch das würde nahelegen, diesen gentes dieselbe Abstammung zuzuschreiben, nicht aber eine politische Gemeinschaft.

Gegen die Gepiden hat Theoderich Krieg geführt, mit dem Gewinn Sirmiums war der Krieg aber beendet.
Gepiden und Ostgoten waren schon seit Generationen verfeindet. Und nach Theoderich ging der Zoff dann auch gleich wieder weiter:

"The Gepids’ first known aggresive action in the 520s occurred probably in 528, and it was directed against the Ostrogoths, not the Romans. Prokopios relates that the Goths conducted a war against the Gepids by Sirmium and subsequently attacked the town of Gratiana at the border of Illyricum (Procopius Caesariensis, De bellis 5.3.15: Ed. HAURY–WIRTH 1963)."
The Gepids and Southern Pannonia in the Age of Justinian I
 
Bei der Identifikation von Augsburg als ursprünglichem Zentrum bezieht er sich auf Rettner 2002, Störmer 2009 und Esders 2012. Er selbst führt es nicht weiter aus.
Stefan Esders (Spätantike und frühmittelalterliche Dukate, in: Die Anfänge Bayerns (Hrsg. Huberg Fehr und Imrtraut Heitmeier, St. Ottilien 2012) bezieht sich auf Arno Rettner.
Der schreibt im selben Band (Zur Aussagekraft archäologischer Quellen am Übergang von der Antike zum Frühmittelalter in Rätien, S. 293f):
"Wallfahrtsstätte St. Afra, Bischofskirche und Apsidenbau unter St. Gallus: Gleich drei frühe Kirchen sind vor 600 für Augsburg geltend zu machen, und dies dürfte ein gewichtiger Standortvorteil gewesen sein für einen christlich-fränkischen Herzog wie Garibald es war - zumindest im Vergleich mit Regensburg, wo vor dem späten 7. Jahrhundert (Erwähnung der Georgskirche) kein Sakralbau bezeugt ist."
 
Wilhelm Störmers Aufsatz heißt "Augsburg zwischen Antike und Mittelalter : Überlegungen zur Frage eines herzoglichen Zentralortes im 6. Jahrhundert und eines vorbonifatianischen Bistums" und findet sich in "
Adel und Königtum im mittelalterlichen Schwaben", herausgegeben von Bihrer, Kälble und Krieg.

Augsburg war nun einmal die Hauptstadt der Raetia secunda, und die Ostgoten scheinen die römische Provinzverwaltung fortgeführt zu haben. Erst unter den Merowingern kam es zu einer Neuorganisation.
Vielleicht ein Umzug nach Regensburg, um auch die norischen "Proto-Baiuwaren" besser einzubeziehen.
Meier schreibt, es habe sich bei der Bildung der Baiuwaren um die Bildung einer politischen Einheit unter diesem Namen gehandelt, die erst allmählich zu einer ethnischen Identität führte. Sowohl bei den Alamannen als auch bei den Baiuwaren scheint sich erst unter fränkischer Führung etwas wie eine einheitliche Identität gebildet zu haben.

 
Sowohl bei den Alamannen als auch bei den Baiuwaren scheint sich erst unter fränkischer Führung etwas wie eine einheitliche Identität gebildet zu haben.
Zu den Bajuwaren fehlen uns offenbar Quellen für die erste Hälfte des 6. Jhs. (und davor) - aber trifft das auch genauso auf die Alemannen zu? Im Zeitraum nach Mitte 3.Jh. bis zum Sieg Kaiser Iulians (Strassburg 357) gab es keine zentrale Führung der alemannischen Gruppen, aber irgendwie zusammengehörig dürften sie sich schon gefühlt haben, zumindest als Koalition von Gruppen unter jeweiligen Kleinkönigen (Warlords) die ein Gemeinsamens Heer gegen die römische Streitmacht zustande brachten. Damit waren "die Alemannen" erstmal diszipliniert, gelegentliche Aufsässigkeit wurde von Kaiser Gratian und zuletzt von Aetius gemaßregelt (solche Spielereien wie aus Verträgen ausscherende Plünderungszüge) - kurzum keine "geeinten" Alemannen, aber eben doch Alemannen.
Interessant wird es danach:
In der Endphase des weströmischen Reiches entwickelten die Alemannen eine grosse Expansionskraft in alle Richtungen, die jedoch bald gebrochen wurde. Um 469/470-476 kontrollierte der Alemannenkönig Gibuld das donauländische Gebiet bis Passau (D). Er könnte mit dem Alemannenkönig Gebavultus identisch sein, der in den 470er Jahren im Raum von Troyes (F) herrschte. Die Frage, ob Gibuld/Gebavultus alemannischer Grosskönig zu einer Zeit war, als die Donau-Sueben und die Alemannen ein Bündnis schlossen (ca. 469/470), ist umstritten. Die Ausdehnung der alemannischen Macht über das Rhein-Main-Gebiet hinaus wurde zunächst in der Schlacht bei Zülpich (ca. 480/490er Jahre) gebremst, dann brachte König Chlodwigs I. erster Alemannensieg (496/497) die Alemannen in ein Treueverhältnis zu den Franken. Chlodwigs zweiter Sieg (506) und der Tod des rex Alamannorum beendeten abrupt die Phase der alemannischen Unabhängigkeit, nicht aber den Prozess der Ethnogenese im Rahmen der gotischen bzw. fränkischen Politik. Spätestens 506 scheint sich die alemannische Führungsschicht unter ostgotisches Protektorat begeben zu haben. Teile der Alemannen wurden in Oberitalien und offenbar im rätischen Gebiet des Bodenseeraumes, des Thurgaus und des Alpenrheintals angesiedelt, und schliesslich wurde das gotische Alemannien 536/537 vom ostgotischen König Witigis den Franken abgetreten.
Alemannen
Immerhin gibt es zahlreiche Erwähnungen der Alemannen seit dem 3.Jh., und mag die alemannische Ethnogenese 506 noch nicht abgeschlossen sein (trotz der zeitweiligen Expansion unter einem König), so haben wir immerhin viel Quellenmaterial über diese - genau das fehlt zu den Baiuwaren. Die Aufteilung (?!) der besiegten Alemannen - fränkisch/merowingisch dominierte und von den Ostgoten aufgenommene/geschützte - scheint mir interessant für die Zeit von 506 bis 536/37 (Witigis tritt "das gotische Alemannien" an die Franken ab)
 
Zuletzt bearbeitet:
Mein Satz bezog sich auf die Rezension von Jens Lieven zu einem Aufsatz von Dieter Geuenich in oben genannten Sammelband.
"Dieter Geuenich nimmt dagegen die schriftliche Überlieferung in den Blick und lotet mit ihrer Hilfe die Frühzeit der alemannischen Geschichte aus. Dabei gelangt er zu dem Ergebnis, dass die als Alamanni bezeichneten Personengruppen erst mit ihrer Unterwerfung unter die Franken und die Eingliederung in die merowingische Reichsorganisation zu Beginn des 6. Jahrhunderts zu einer Einheit und Identität gefunden haben."

Immerhin gibt es zahlreiche Erwähnungen der Alemannen seit dem 3.Jh., und mag die alemannische Ethnogenese 506 noch nicht abgeschlossen sein (trotz der zeitweiligen Expansion unter einem König), so haben wir immerhin viel Quellenmaterial über diese - genau das fehlt zu den Baiuwaren.

Wie du selbst oben zitierst, ist die Expansion unter einem König äußerst umstritten. Wir haben viele Gruppierungen, die von den Römern als "Alamanni" bezeichnet werden. Ob es dort irgendein Zusammengehörigkeitsgefühl gab, ob sie selbst diesen Namen führten, wissen wir nicht. Eine einigermaßen einheitliche Führung hat es wohl tatsächlich erst unter den Merowingern gegeben, und damit die Entstehung einer Identität als Alamannen.
Der Name ist also im Gegensatz zu dem der Baiuwaren lange bekannt, aber beide Gruppierungen könnten sich erst durch die Schaffung von Istitutionen unter den Merowingern von unterschiedlichsten Kriegerhaufen zu einer Art "Stamm" entwickelt haben.
 
Wir haben viele Gruppierungen, die von den Römern als "Alamanni" bezeichnet werden. Ob es dort irgendein Zusammengehörigkeitsgefühl gab, ob sie selbst diesen Namen führten, wissen wir nicht.
Das ist die eine Sichtweise (zahlreiche Gruppen, die von den Römern unter der Bezeichnung Alemannen zusammengefasst werden) - die andere wäre die Frage, warum die römische Sicht gerade diese Gruppen zusammenfasst und nicht noch paar andere hinzunimmt (und da wäre doch eine Erklärung, dass sie den Sammelnamen verwenden, den die Leute selber verwendeten)
 
Das ist die eine Sichtweise (zahlreiche Gruppen, die von den Römern unter der Bezeichnung Alemannen zusammengefasst werden) - die andere wäre die Frage, warum die römische Sicht gerade diese Gruppen zusammenfasst und nicht noch paar andere hinzunimmt (und da wäre doch eine Erklärung, dass sie den Sammelnamen verwenden, den die Leute selber verwendeten)

Überliefert ist uns nunmal nur die römische Verwendung. Und in der tauchen unglaublich viele Könige auf, was wir heute wohl eher als "Warlord" übersetzen würden, von einer Abhängigkeit dieser voneinander ist keine Rede. Bei diesen Kriegern dürfte die Abstammung nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben.

Dass die Römer Sammelnamen verwendeten (in diesem Fall für die lästigen Plünderergruppen an der Rheingrenze) ist ja nichts ungewöhnliches. Bei vielen spätantiken "Stämmen" könnte sich die Fremdbezeichnung mit der Zeit zur Eigenbezeichnung gewandelt haben. (Franci, Saxones).
 
Überliefert ist uns nunmal nur die römische Verwendung.
ja und - jein. Das ostgotische Engagement in dieser Region: ist das römische Sicht? die fränkische/merowingische Expansion zu Lasten der Alemannen, dito römische Sicht?
Dass die aus germanischen Bestandteilen zusammengesetzte Namensform Alemanni nur und einzig eine römische Fremdbezeichnung sein soll, kommt mir zudem als nicht ganz plausibel vor. Obendrein sind die römischen Kategorisierungen nicht immer wissenschaftlich up to date (dass sie gotisch nicht als germanische Sprache wahrnahmen usw.)
 
wir heute wohl eher als "Warlord" übersetzen würden, von einer Abhängigkeit dieser voneinander ist keine Rede. Bei diesen Kriegern dürfte die Abstammung nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben.
Abstammung und in diesem Kontext Verwandtschaft haben für gentile Warlords eine untergeordnete Rolle gespielt?
 
...wirklich und 100%ig sicher? Wenn das so ist, wozu benötigte man dann "Traditionskerne", warum entstanden mächtige Sippen/Clans, warum so ein magischer Unfug wie "Königsheil"?

Traditionskerne ist doch ein Erklärungsversuch heutiger Historiker?

Gerade weil man keine großartige Abstammungshistorie vorweisen konnte, bemühte man sich, diese mit Hilfe der Abstammungssagen zu schaffen. Die Römer waren stolz auf ihre über 1000 jährige Geschichte. Und das ahmte man nach, indem man Abstammungen aus Troja, dem äußersten Norden oder sonstwoher erfand. Dazu passt auch das Königsheil, mit dem sich etwa die Merowinger über die anderen Warlords erheben wollten.
Dass man nach Schaffung künstlicher Abstammungen diese in der Folge überhöhte und betonte ist doch nur die Konsequenz daraus.
 
@Stilicho mir wird immer noch nicht klar, wie es innerhalb deiner Darstellung in der historischen Wirklichkeit zu solchen mächtigen Sippen/Clans wie Merowinger, Amaler, Balthen etc hat kommen können und dazu zur Erblichkeit des jeweiligen Chefpostens - wenn nur Beute und aus dieser resultierendes Prestige zählen, hätte es bei den Ostgoten gleich nach Theoderichs Tod irgendeinen kriegsversierten Wahlkönig geben müssen; dem war aber nicht so. Und solche "Adels"familien beharrten zäh über Generationen hinweg auf ihrem Führungsanspruch.
 
Gab es die Balthen als mächtige Sippe jemals?
Und wurden die Amaler nicht erst das was sie waren nach größten Anstrengungen unter Theoderich bzw. seiner Tochter, die Geschichte auf Ermanarich & Co zurückzuführen?
Hatte die Merowingerfamilie vor Chlodvig oder meinetwegen Childerich eine herausragende Bedeutung? ***
Waren diese Adelssippen nicht allesamt "Neureiche", die durch militärische Erfolge großen Wohlstand und großes Prestige erwarben, und erst im Nachgang diesen Reichtum und diese herausragnede Stellung ihren Kindern und Enkeln vererbten?
Es spricht wenig dafür, dass es hier um alte Sippen ging, welche schon immer eine herausragende Rolle spielten.

*** Nachtrag: Bei den Merowingern musste noch eine oder zwei Generationen vorher ein Meerungeheuer als Vorfahre dienen...
 
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