Aztlán - mythischer Herkunftsort der Azteken

Alleine aus diesen drei von Prem selbst formulierten Zeilen - einem Verfechter der auch von Dir bevorzugten "Dubletten-Hypothese" - ergibt sich, dass es sich hier um keine Dublette handeln kann, sondern dass es einen anderen (nicht dublizierten) Hintergrund geben muss.

Der einzige feststellbare "Hintergrund" ist der nicht mehr deutbare Namen Aztlán, der - wie bereits mehrfach angedeutet - möglicherweise aus einer nicht mit dem Nahuatl verwandten Sprache stammt.

die aber immer noch von dem Nachkommen der gemeinsamen Vorfahren bewohnt war, also von Uto-Azteken bzw. konkret den Sprechern einer relativ nah verwandten Nahua(tl) Sprache.
Gibt es eigentlich stichhaltige Argumente für die verbreitete Annahme, wonach die Einwanderer, die mit dem Aztlán-Mythos zu verbinden sind, eine mit dem Nahuatl verwandte Sprache gesprochen haben müssen?
 
Ja. Es gibt auch (wenige) nicht Nahuatl-Sprecher, die wohl den gleiche legendären Ursprungsort beanspruchen. Bei diesen wenigen Ausnahmen könnte es sich aber um eine Übertragung handeln. Die wesentlichen (d.h. nahezu alle) Aztlan-Migranten gehören zur Nahuatl-Sprachgruppe.

Dazu ein Literaturhinweis: Michael E. Smith (Loyola University of Chicago) in "THE AZTLAN MIGRATIONS OF THE NAHUATL CHRONICLES: MYTH OR HISTORY" in "Ethnohistory 31(3):153-186 (1984)" S. 153 ff

Smith listet u.a. die unterschiedlichen "Nahuatl-Migranten Gruppen" auf, die ihre Herkunft auf die Region von Aztlan zurück führen. Das sind auch - aber nicht nur - die Azteken. Smith (S. 165) nennt drei große Gruppierungen:
  1. Chichimeca (zu denen auch nicht Nahuatl-Sprecher wie Otomi gehören sollen) als "Sammelbezeichnung" für alle "unzivilisierten" Völker
  2. Culhua (Nahuatl Sprecher in Kontext mit den "ziviliserten Tolteken")
  3. Mexica (als letzte der Nahuatl-Sprecher)
Eine andere mehr nach der Örtlichkeit tendierende Aufteilung von Smith (S. 166) ist
  • Nicht Nahuatl sprechende Chichimeken
  • Gruppen im späteren Basin von Mexiko
  • Gruppen aus den umschließenden Tälern und
  • Mexica (die wohl den Kern der Gruppe um die Azteken bilden).
Und jetzt komme ich zu den Volksteilen, die nach der aztekischen Sage oder Legende nach zunächst mit den Azteken gezogen sein sollen.
meso232.jpg

Prem schreibt dazu:
Die acht Völker, die zunächst mit den Mexi'ca' gemeinsam gewandert und dann vor diesen vorausgezogen waren, sind in historischer Zeit tatsächlich ihre Nachbarn im und rings um das Becken von Mexiko gewesen: Die Huexotzinca' jenseits der Vulkankette des Popocatepetl im Tal von Puebla, die Chalca', Xochimilca' und Cuitlahua'ca' am Südufer der Sees von Mexiko, die Tepaneca', Malinalca' und Matlatzinca' am Westufer des Sees und im westlich anschließenden Tal von Toluca. Die Chichimeca' stehen für die Bevölkerung von Acolhua'can, die sich von chichimekischen Einwanderern herleitet. Da alle längst vor den Mexi'ca' im Becken von Mexiko ansässig und bedeutend gewesen sind, war es diesen offenbar wichtig, ihre Nachbarvölker so in die eigene Geschichte einzuordnen, daß sie als den Mexi'ca' untergeordnet erkennbar werden, wie es bis auf die Huexotzinca' und die Chichimeca' zum Zeitpunkt der spanischen Eroberung tatsächlich der Fall gewesen ist.
Das ist in der Tat eine mögliche Erklärung.
Eine mehr historisierende Erklärung wäre, dass diese Volksstämme tatsächlich Teil einer ursprünglich gemeinsamen "Völkerwanderung" waren, die sich im Laufe dieser Wanderung geteilt haben. Das kennen wir doch von der germanischen Völkerwanderung auch.

Dazu:
Archäologische Funde können eine Besiedlung Tulas bis ins 11. Jahrhundert hinein bestätigen. In das mit dem Niedergang entstehende Machtvakuum stoßen "Chichimeken" vor.

Mary G. Hodge (a.a.O.) schreibt auf S. 42: 1073: Chichmekische Gruppen verlassen das legendäre Aztlan und datiert damit den Beginn der Wanderung(en).

In der Reihenfolge von Smith (a.a.O.) mit dessen Angaben (S. 168 fff) erfolgte nach Smith dann Ankunft der
- Xochimila: 1182 / 1240 im Südlichen Tal von Mexiko, 1240
- Chalca: 1195
- Tepaneca: 1184 Gründung von Ixtilxóchitl
- Acolhua, Otomi und Tepanec erreichen 1226 das Tal von Mexiko
- Chichmeken gründen 1149 Chicomoztoc
- Chichmeken erreichen 1197 Acolhuacan
- Tlaxcala 1120 von Chichimken mit dem Ursprung aus "Aztlan" gegründet
- 12. Jhd. Nahuatl sprechende Chichmeken aus Colhuacan bei Aztlan erreichen die nördl. Puebla-Provinz
-- 1200 Xonotla
-- 1215 San Esteban
-- 1219 Tetela und Zuzumba
-- 1241 Capulapan
-- 1281 Tutula
- 1211 / 1220: Mexika erreichen Chapultepec

Diese Angaben korrespondieren nach Smith (S. 175) sowohl mit linguistischen wie auch mit (S. 176) archäologischen Belegen. Smith weist besonders darauf hin, dass die "Aztlan-Migration" mit einem neuen Keramik-Stil in Zentral-Mexiko einhergeht (S. 177 f.).

Wie weiter?
Mich interessiert vor allem, welche Ursprungssagen die weiter südlich bis Nicaragua ziehenden Nahua-Völker hatten. Ich denke da etwa an die Nicarao, und der "Geschwistervolk", die Pipil people, die sich in Kontext mit dem Kollaps der Tolteken sehen und nicht Nahuatl (wie die Mexiko) sondern eine nah verwandte Abwandlung (Nawat) sprechen.
Haben diese Gruppierungen ebenfalls die Legende von Aztlan bewahrt oder beschränkt sich diese legendäre Herkunft auf das zentrale Hochland von Mexiko und die Völker dort, die ja massiv von den Azteken beeinflusst und z.T. unterjocht waren. Eine solche regional begrenzte Verbreitung könnte eine Übertragung der "Aztlan-Legende" auf die "Verwandten und Fremdvölker im ehemaligen Aztekischen Reich" als Ursache haben.
 
Zuletzt bearbeitet:
Mit der "keine Bedeutung" ignorierst Du eines der wichtigsten Argumente, die für eine regionale Herkunft sprechen, die sowohl den Ort Aztlan auf einer Insel wie auch die (wohl mehrere) benachbarte Höhle(n) als Ursprungsort der gesamten, zusammen gewürfelten Wandergruppe von mehreren Volksteilen bezeichnet. Das ist kein Ort alleine - das ist eine Region, die da beschrieben wird.

Ich schrieb "zunächst keine Bedeutung". Das war v.a. bezogen auf die von dir im Verlaufe der Diskussion eingebrachte Interpretation der Höhlen eben nicht als reale Höhlen, sondern als Ursprungsort:

Du hattest vor einigen Tagen geschrieben:
Der Begriff "Höhle" in einer indianischen Ursprungslegende ist nicht wortwörtlich sondern im übertragenen Sinn zu nehmen und weit verbreitet. Gemäss der indianischen Mythologie glaubten viele Stammesväter, dass der erste Mensch vor Tausenden von Jahren durch Sonne und Mond in einer Höhle erschaffen wurde.
So erzählt die Sage vom Herauskommen der Inkaelternpaare aus einer "Ursprungshöhle" aus der Ayar Cachi hervorkam. Und die Beendigung von Gewalt erfolgt legendär dadurch, dass die Gewalttäter in der "Ursprungshöhle" eingesperrt werden (C. Schmitz, Uni Potsdam).

Die "Ursprungshöhle" bezeichnet allgemein den Ursprung des Lebens - ähnlich der menschlichen Geburt aus einer "Höhle" - und in Bezug auf ein Volk oder einen Stamm deren Ursprungsgebiet.
Wir haben also sieben legendäre Ursprungsgebiete für die sieben Teilvölker, die später mit den Azteken zu den Kernvölkern der Nahuatl-Sprecher gezählt wurden und um das Jahr 1000 n.Ch. +/- in das zentrale Hochtal einwanderten.
Dass ich also zunächst mich auf diese Diskussion nicht eingelassen habe, ob man die Höhlen als mythische Ursprungsorte, Kivas oder reale Höhlen interpretieren muss, ist keineswegs eine Ignoranz eines der wichtigsten Argumente. Wenn man die Höhlen als reale Höhlen interpretiert, wie das Grundlage der Mexcaltitán-Hypothese ist, sind Kivas und "Ursprungshöhlen" sowieso ausgeschlossen. Wenn man die "Ursprungshöhlen"-These heranzieht, haben die realen Höhlen, die vor 140 Jahren bei der Formulierung der Mexcaltitán=Aztlán-These eine Rolle spielten, keine Relevanz. (Es sei denn, man wüsste von Höhlen in der fraglichen Region, die Spuren entsprechender Kulte trügen.)


Reden wir noch mal über den Mythos. Angeblich soll ja Huitzilopochtli die Azteken, die sich dann Meschika nannten, von Aztlán aus geführt haben. Huitzilopochtli war aber ursprünglich der 1247 verstorbene Priester Huitziltzín, der post mortem als Huitzilopochtli zum Gott erhoben wurde, und zu einer Art Kyffhäuser-Barbarossa der Azteken wurde. Sein Wirkungsort war Tizayocán, das ist keine 25 km von Teotihuacán und keine 60 km von Tenochtitlán entfernt. Dieser zum Gott Huitzilopochtli erhobene Huitziltzín, der ca. 30 Jahre vor der tatsächlichen Gründung Tenochtitláns und knapp 80 Jahre vor der Gründung Tenochtitláns nach dem Mythos starb, hatte laut Mythos die Wanderung seit Aztlán göttlich geleitet und ihm soll bereits in den Höhlen geopfert worden sein. Das mag ein Theologe so stehen lassen. Ein Historiker muss damit irgendwie umgehen.
 
Greifen wir noch etwas anderes aus dem Mythos auf: Die "Kulturstufe", die der Mythos schildert. Demnach ernährten sich die Bewohner dieser nördlichen Regionen von rohem Fleisch und trugen allenfalls Felle, wenn sie nicht nackt herumliefen.

Das hieße: knapp 5-6000 Jahre nachdem die mesoamerikanische Neolithisierung eingesetzt hat, will der aztekische Mythos, dass die Azteken noch wilde Barbaren waren, die nicht einmal in der Lage waren, Feuer zu machen, geschweige denn Anbau zu betreiben, Keramik herzustellen oder Kleidung zu weben?

Okay, wir müssen das nicht ernst nehmen, zumal ja Archäologie und auch der agroökonomische Wortschatz des Nawa Gegenteiliges beweisen. Aber wie verhält es sich da mit dem vielbeschworenen "wahren Kern" der Mythe? Wie unterscheiden wir den vielbeschworenen "wahren Kern" von dem geschwurbelten Drumherum?
 
Eine mehr historisierende Erklärung wäre, dass diese Volksstämme tatsächlich Teil einer ursprünglich gemeinsamen "Völkerwanderung" waren, die sich im Laufe dieser Wanderung geteilt haben. Das kennen wir doch von der germanischen Völkerwanderung auch.

Und wenn wir bei diesem Beispiel bleiben und uns die Sprachen der Goten, Vandalen, Langobarden, Burgunder zwei bis drei Jahrhunderte nach der Wanderung ansehen, werden wir feststellen, dass praktisch alle Migrantengruppen romanisch sprachen.
Welchen Schluss sollte man also auf die Sprache ihrer "gemeinsamen Vorfahren" ziehen?
 
Greifen wir noch etwas anderes aus dem Mythos auf: Die "Kulturstufe", die der Mythos schildert. Demnach ernährten sich die Bewohner dieser nördlichen Regionen von rohem Fleisch und trugen allenfalls Felle, wenn sie nicht nackt herumliefen.
Wo steht das?
Der bereits mehrfach (auch von Dir in Teilen) wiedergegebene Codex Boturini aus dem Museo Nacional de Antropologfa, Mexico zeigt sogar (symbolisch) eine Pyramide auf der "Heimatinsel" und die Bekleidung der Wandergruppen.
"Unzivilisert" waren die Chichmeken - zu denen auch die Vorfahren der Azteken gehörten - insofern, als sie im Gegensatz zu den staatenbildenden Völkern wie den Tolteken nicht in Städten (Stadtstaaten) wohnten, sondern umherzogen (Jäger, Sammler, Wanderfeldbau) und mit so Dingern wie Pfeil und Bogen umgingen.
Und wenn wir bei diesem Beispiel bleiben und uns die Sprachen der Goten, Vandalen, Langobarden, Burgunder zwei bis drei Jahrhunderte nach der Wanderung ansehen, werden wir feststellen, dass praktisch alle Migrantengruppen romanisch sprachen.
Welchen Schluss sollte man also auf die Sprache ihrer "gemeinsamen Vorfahren" ziehen?
jetzt komm - es ist bei allen einschlägigen Wissenschaftlern unstrittig, dass die Nahua(tl) / Nawa sprechenden Gruppen in mehreren Wellen, im Wesentlichen insbesondere ab ca. 750 (Tolteken) und dann ab dem 11. Jhdt. (Mexika) wieder im zentralen Hochland von Mexiko eingewandert und in einzelnen Gruppen bis Nicaragua vorgestoßen sind. Ein einziger (bisher hier zitierter) Linguist hat die erste Einwanderung auf ~ 500 n. Chr. datiert.

Chi vuku zik Ah xel roxa ru camay zak yuhuh.
 
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Chi vuku zik Ah xel roxa ru camay zak yuhuh.
Gibt es eigentlich einen Grund, warum du in mehreren deiner Beiträge aus meiner Signaturzeile zitierst? Willst du mir damit andeuten, dass du mich trollst? Würde zumindest zu deiner Reaktion auf die "grundsätzlich gemeinsame Lebenswelt" passen.
 
Gibt es eigentlich einen Grund, warum du in mehreren deiner Beiträge aus meiner Signaturzeile zitierst? Willst du mir damit andeuten, dass du mich trollst? Würde zumindest zu deiner Reaktion auf die "grundsätzlich gemeinsame Lebenswelt" passen.
Es gibt einen Grund - ich trolle Dich nicht, aber manche Deiner Beiträge sind einfach unterirdisch, und das bemerke ich dann auch (siehe #48) - sorry.
 
Können wir nach dem Ausflug zur Frage, ob das Wort für Kakao (und Schokolade) ein Lehnwort der Nahuatl und/oder der Maya ist, und wo dieses Lehnwort herkommt (mit dem Hintergrund, wann die Nahuatl-Sprecher nach Zentralmexiko gekommen sind) wieder zum originären Thema zurück kommen?
Ich hatte geschrieben:
... Es gibt auch (wenige) nicht Nahuatl-Sprecher, die wohl den gleiche legendären Ursprungsort beanspruchen. Bei diesen wenigen Ausnahmen könnte es sich aber um eine Übertragung handeln. Die wesentlichen (d.h. nahezu alle) Aztlan-Migranten gehören zur Nahuatl-Sprachgruppe.

Dazu ein Literaturhinweis: Michael E. Smith (Loyola University of Chicago) in "THE AZTLAN MIGRATIONS OF THE NAHUATL CHRONICLES: MYTH OR HISTORY" in "Ethnohistory 31(3):153-186 (1984)" S. 153 ff

Smith listet u.a. die unterschiedlichen "Nahuatl-Migranten Gruppen" auf, die ihre Herkunft auf die Region von Aztlan zurück führen. Das sind auch - aber nicht nur - die Azteken. Smith (S. 165) nennt drei große Gruppierungen:
  1. Chichimeca (zu denen auch nicht Nahuatl-Sprecher wie Otomi gehören sollen) als "Sammelbezeichnung" für alle "unzivilisierten" Völker
  2. Culhua (Nahuatl Sprecher in Kontext mit den "ziviliserten Tolteken")
  3. Mexica (als letzte der Nahuatl-Sprecher)
Eine andere mehr nach der Örtlichkeit tendierende Aufteilung von Smith (S. 166) ist
  • Nicht Nahuatl sprechende Chichimeken
  • Gruppen im späteren Basin von Mexiko
  • Gruppen aus den umschließenden Tälern und
  • Mexica (die wohl den Kern der Gruppe um die Azteken bilden).
…..

Diese Angaben korrespondieren nach Smith (S. 175) sowohl mit linguistischen wie auch mit (S. 176) archäologischen Belegen. Smith weist besonders darauf hin, dass die "Aztlan-Migration" mit einem neuen Keramik-Stil in Zentral-Mexiko einhergeht (S. 177 f.).

Wie weiter?
Mich interessiert vor allem, welche Ursprungssagen die weiter südlich bis Nicaragua ziehenden Nahua-Völker hatten. Ich denke da etwa an die Nicarao, und der "Geschwistervolk", die Pipil people, die sich in Kontext mit dem Kollaps der Tolteken sehen und nicht Nahuatl (wie die Mexiko) sondern eine nah verwandte Abwandlung (Nawat) sprechen.
Haben diese Gruppierungen ebenfalls die Legende von Aztlan bewahrt oder beschränkt sich diese legendäre Herkunft auf das zentrale Hochland von Mexiko und die Völker dort, die ja massiv von den Azteken beeinflusst und z.T. unterjocht waren. Eine solche regional begrenzte Verbreitung könnte eine Übertragung der "Aztlan-Legende" auf die "Verwandten und Fremdvölker im ehemaligen Aztekischen Reich" als Ursache haben.
und würde jetzt einfach mal mit einer eingeworfenen Zwischenfrage anfangen:

Ist es denkbar, dass die Ursprungslegende von Aztlan einen realistischen Hintergrund hat, nachdem diese Ursprungslegende von "Aztlan" u.a. legendären Orten nicht nur auf die Azteken sondern auf mehrere Volksgruppen zurück geht, die größtenteils der Nahuatl-Sprachfamilie angehören?

Wenn wir da übereinstimmen, können wir versuchen, die Herkunftsregion zu konkretisieren.

Wenn wir da nicht übereinstimmen, indem wir die Ursprungslegende als einen märchenhaften Mythos ohne realen Hintergrund bezeichnen, hat die Konkretisierung von vorneherein keinen Sinn.
 
Wenn wir da übereinstimmen, können wir versuchen, die Herkunftsregion zu konkretisieren.

Der Versuch ist sinnlos, unabhängig davon, was jeder von uns für denkbar hält (ich halte sehr viel für denkbar). Schon die alten Azteken, denen sicher noch mehr schriftliche und mündliche Überlieferungen zur Verfügung standen als uns Heutigen, wussten nichts Genaues über ihre mythische Herkunftsregion.

Wenn Du nach realistischen Hintergründen fragst, dann fällt mir die schöne Geschichte von Motecuhzoma I. ein, der 70 Zauberer ausschickte, um Aztlan zu finden. In dieser Geschichte steckt nämlich eine überaus realistische Auskunft: Um Aztlan zu finden, müsste man schon ein Zauberer sein und die Fähigkeit haben, sich in einen Vogel zu verwandeln.
 
Du beantwortest die nicht gestellte zweite Frage (wo), die hier im Thread diskutiert wird, als "unlösbar" - und lehnst mit dieser Antwort die Beantwortung der gestellten ersten Frage (ob) ab.
 
Du beantwortest die nicht gestellte zweite Frage (wo), die hier im Thread diskutiert wird, als "unlösbar" - und lehnst mit dieser Antwort die Beantwortung der gestellten ersten Frage (ob) ab.

Die erste Frage habe ich beantwortet:
Denkbar ist vieles.

Nur ist Deine Schlussfolgerung falsch, denn jeder kann eine ihm beliebige Herkunftsregion angeben.
Und es mangelt schlicht an belastbaren Fakten, um diese beliebigen Thesen zu widerlegen oder zu verifizieren.

Wie sollen wir denn vorgehen?

Wir haben hier nur einen klar identifizierbaren Ort (von mir grün markiert) - soll das unser Ausgangspunkt sein?

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Klar identifzierbar (der hinterlege Link lässt sich nicht öffnen)????

Die Insel links ist in der Legende als "Aztlan" bezeichnet.

Der markierte krumme Berg ist in der Legende mit "Colhua'can" bzw. "Chicomoztoc" (Chee-co-moz-toch) bezeichnet, er umfasst mindestens eine, nach anderen Überlieferungen aber auch (sieben bzw. wie hier im Codex) acht "Ursprungshöhlen", also "Geburtsstätten" (z.B. Ortschaften) aus denen jeweils die weiteren, ursprünglich mit den Azteken wandernden Völker hervorgekommen sein sollen. Daher muss es sich schon hier um eine bzw. mehrere Region(en) und nicht nur einen Ort handeln.
Colhuacan ist aber auch der erste toltekisch gegründete, von Nahuatl-Sprechern regierte, vorkolumbianischer Stadtstaat im Hochtal von Mexiko. Wer seine eigene Herkunft von den Tolteken ableiten wollte, könnte daher auch diese Stadt als eigenen "Ursprungsort" angegeben haben.
Eine Gleichsetzung der beiden Orte wird aber überwiegend nicht geteilt Eine Gleichsetzung der beiden Orte wird aber überwiegend nicht geteilt (Prem, Geschichte Altamerikas, S. 129)

Beides zusammen - Insel und krummer Berg - habe ich in der Diskussion hier insgesamt als Ursprungsregion bezeichnet (dazu auch wieder Prem, Geschichte Altamerikas, S. 135 f).

Sinnvoll erscheint mir, erst einmal mit den größeren räumlichen Einheiten zu beginnen.
 
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Fangen wir doch mal von hinten an:
  • die Legende (für die im Wesentlichen Nahuatl-sprechenden Völker) besagt eine Einwanderung von Westen bzw. hauptsächlich von Nordwesten her,
  • die überwiegende Mehrheit der Forscher geht davon aus, dass die Angehörigen dieser Sprachfamilie bis etwa 500 an der Küste vordrangen und erst in der zweiten Hälfte des letzten Jahrtausends im zentralen Hochland eingesickert sind 1) und die Vorfahren der Azteken sogar erst nach 1.000 die legendäre Urheimat verlassen hätte,
  • die Legende von der "Expedition" Montezuma I., der nur wenige Jahrzehnte vor der spanischen Eroberung regierte, geht von der problemlosen sprachlichen Kommunikation mit den Bewohnern der legendären Urheimat aus.
Dazu jetzt das (heutige) Verbreitungsgebiet der Sprachfamilie Yuto-Nahua (Uto-Azteken) mit den Nahuatl-Sprechern (Tolteken und Azteken, die erst ab ca. 650 "von Nordwesten" in das zentrale Hochland eingewandert sind) im heutigen Staat Mexiko

(Quelle: Día Internacional de la Lengua Materna 2019 - vgl. Atlas de las Lenguas Indígenas de México) und Online-library

Die "nähesten" in Frage kommenden Regionen, bei denen alle drei Punkte zutreffen würden, wären damit (von Süden her jeweils in den Provinzen)
  • die pazifische Küste von Michoacán und Colima westlich von Mexiko-Stadt mit Nahuatl,
  • die pazifische Küste und das Hinterland von Nayarit (im Nordwesten) mit Nahuatl, Cora und Huichol sowie Tepehuano del sur
  • die nördliche pazifische Küste von Sinaloa und Sonora sowie der Südosten von Chihuahua (im Nordwesten) mit Yoremnokki (Maya), Jiak Noki (yaqui), Guarijio, Tepehuano del Norte, Tarhumara und Oichkama no'oka/Oisham no'ok (pima)

Mexikanische Bundesstaaten und Mexiko-Stadt nach Wikipedia

Angehörige der Sprachfamilie, die im Südwesten der USA leb(t)en (Shoshone, Comache und Hopi) sind sprachlich schon zu weit getrennt, als dass eine Auswanderung "ab ca. 1000 n.Chr." ) und eine problemlose sprachliche Verständigung im 15. Jhdt. möglich wäre.
Angehörige der Sprachfamilie, die in südlich angrenzenden Staaten (bis nach Nicaragua) leben, scheiden ebenfalls aus, weil deren Vorfahren (Pipil und Mangue) nach archäologischen Erkenntnissen bereits dort einwanderten, bevor die Azteken sich "auf die Wanderschaft" machten - abgesehen davon dass West-/Nordwesten und Süden doch relativ getrennte Richtungsangaben sind.

Die einzigen Regionen, in denen auch noch Nahuatl gesprochen wurde (und heute noch wird) sind nach dem Atlas de las Lenguas Indígenas de México die beiden erstgenannten Regionen, also
  • die Küste von Michoacán und Colima westlich von Mexiko-Stadt sowie
  • die Küste und das Hinterland von Nayarit im Nordwesten.

1)
Neben den viel zitierten Archäologen eine Stimme aus der Sprachwissenschaft:
La historia de las lenguas más septentrionales es menos conocidas que las lenguas del sur, muchas de las cuales quedaron integradas en el área lingüística mesoamericana y adquirieron algunos rasgos típicos de esa área por contacto prolongado con hablantes de otras lenguas del área. Se supone que los grupos nahuas hablantes del proto-náhuatl entraron en Mesoamérica c. 500 d. C. Las fases de la expansión de los pueblos nahuas es algo más conocida y puede ser contrastada en parte con evidencias arqueológicos e incluso para el período más tardío con los relatos tradicionales de tōltēcas y āztēcas, o mēxicas. Estos pueblos habrían entrado en el Valle de México hacia el 800 d. C., y habrían formado la élite dominante en el reino tolteca y más tarde del imperio azteca.
vgl. Online-library "Historical linguistics as a sequence optimization problem: the evolution and biogeography of Uto‐Aztecan languages"
 
Zuletzt bearbeitet:
Nee, kein Beitrag aus dem letzten Jahr, sondern einer aus eben diesem Thread:

Mythen sind sehr schnell wandelbar. Ich verweise dazu immer wieder gerne auf die Mythen der Hopi. Die Hopi sind ein Volk, das sehr lange zu Weißen und auch zu den benachbarten Navajo, die erst kurz vor den Weißen nach Arizona kamen, Distanz hielt und sich sehr zurückzog. In den 1950er Jahren haben Ethnologen dann mit den Hopi über deren Ursprungsmythen gesprochen. Die Hopi waren sich sicher, dass das die Mythen waren, die seit Anbeginn ihrer mythischen Wanderungen weitergegeben wurden. Aber sie hatten Autos, Flugzeuge, Plastik, afrikanisch- und europäischstämmige Menschen in ihre Mythen eingebaut. Ihre Mythen müssen also noch im 20. Jhdt. eine Umformung erfahren haben, ohne dass es ihnen bewusst war. Soviel nur zum Alter von Mythen und ihrer Faktentreue.
 
Das hatte ich dann nicht richtig realisiert.

Nur zu meiner Vorgehensweise:
Wenn Mythen / Legenden / Sagas einen "wahren Kern" haben, dann gilt es den vom Allgemeinen ausgehend herauszuarbeiten, und die Aussagen jeweils mit den Ergebnissen der historischen Forschung abzugleichen.
Nach dem "Ausschlussprinzip" werden dabei nicht infrage kommende Hypothesen der Reihe nach ausgesiebt.
Das führt zum Ergebnis "Wenn (überhaupt) => Dann".
Es ist ein allgemeinerer und daher möglicherweise übertragbarer Ansatz als die Vorgehensweise der Norweger Helge und Anne-Stine Ingstad, die 1961 eine Wikinger-Siedlung bei L’Anse aux Meadows an der Spitze der Great Northern Peninsula Neufundlands (Vinland) entdeckten und sich dabei nach eigenem Bekunden ausschließlich von den Sagas leiten ließen. Der Küste von Norden her folgend war die Fundstelle in Neufundland der erste infrage kommende Anlegeplatz (vgl. den Thread Wikinger in Amerika )

Aber zurück zur Aztlán Ursprungslegende:
Es gibt mehrere "Bilderberichte" -
hier eine schon sehr europäisch/spanisch geprägte von 1704 bzw. 1721,
der Beginn der Wanderung ist oben rechts, das Ende dann unten links im See
aztlan-4.jpg


und dann noch eine mit dem "krummen Berg"
aztlan-5.jpg


Quelle jeweils Aztlán: mito y realidad sobre el lugar previo al México-Tenochtitlán
 
Zuletzt bearbeitet:
Das hatte ich dann nicht richtig realisiert.

Hast Du richtig realisiert, was in dem von Dir verlinkten Aufsatz steht?


1)
Neben den viel zitierten Archäologen eine Stimme aus der Sprachwissenschaft:
vgl. Online-library "Historical linguistics as a sequence optimization problem: the evolution and biogeography of Uto‐Aztecan languages"

Hier wird der von mir oben schon erwähnten Hypothese von Jane Hill das Wort geredet. Folgende Schlussfolgerungen werden unterstützt:

1. Es wird davor gewarnt, den Wanderungsmythen einen historischen Wert beizumessen.
2. Wanderungen von Nahuatl-Sprechern gingen keinesfalls nur in eine bestimmte Richtung.
3. Bereits die Proto-Nahua-Sprache war in Zentralmexiko beheimatet (ungeachtet eventueller späterer Wanderungen von Nahuatl-Sprechern)
 
Zuletzt bearbeitet:
Aber zurück zur Aztlán Ursprungslegende:
Es gibt mehrere "Bilderberichte" -
hier eine schon sehr europäisch/spanisch geprägte von 1704 bzw. 1721,
der Beginn der Wanderung ist oben rechts, das Ende dann unten links im See
aztlan-4.jpg
Die Karte ist - in dieser Form - von 1699, die anderen Daten sind Neuauflagen. Hier eine englische Ausgabe, das Original lag in italienisch vor, siehe hier:

gemelli1699.jpg


Schauen wir uns die Karte doch mal an. Oben und unten sind keine geographischen Kategorien, wenn man nicht gerade über Berg und Tal oder Geologie redet. Wir sind heute daran gewohnt, dass Karten genordet sind (was im Übrigen durchaus kritisiert wird), also Norden oben, Westen links, Ostren rechts, Süden unten. Und nun schauen wir mal auf den Berg, der ÜBER dem Schilfsee dargestellt wird: Chapulpetec: Wenn wir eine genordete Karte hätten - was 1699 natürlich schon längst üblich war -, müsste Chapulpetec im Verhältnis zum See unten links liegen.

Hier sehen wir auch keine einheitliche Orientierung der Karte, ein Teil steht Kopf - und zwar sowohl im italienischen Original als auch in der englischen Fassung. Das gilt für die Schrift ebenso, wie für die Darstellungen von menschen, Pflanzen und Glyphen.

Laut Text stammt die Karte in der ursprünglichen Fassung von Don Carlos (de) Sigüenza, das war ein in México geborener Neu-Spanier, mütterlicherseits verwandt mit dem spanischen Barockdichter Góngora (DER spanische Barockdichter). Seine Eltern waren nach Neu-Spanien eingewandert, Carlos wurde in México geboren, sein Vater war vor der Auswanderung nach Spanien Hauslehrer am spanischen Königshof gewesen. Carlos war Novize bei den Jesuiten, musste den Orden aber verlassen und ein Wiedereintritt wurde ihm verwehrt. Er wurde Mathematiker und Astronom (dafür erhielt er auch eine Professur) und gilt als erster Archäologe Mexikos - ist also eine Art Universalgelehrter gewesen. Das Original der Karte von Carlos de Sigüenza ist die folgende:
The_Sig%C3%BCenza_Map_WDL3247.png
 
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