Die Kleine Entente 1920-1938
Das Bündnissystem zwischen der Tschechoslowakei, Jugoslawien und Rumänien zwischen den beiden Weltkriegen wird als Kleine Entente bezeichnet.
14. August 1920: Die Tschechoslowakei und Jugoslawien schließen ein Militärbündnis, das für den Fall eines unprovozierten Angriffs Ungarns auf einen der beiden Staaten gelten soll. Rumänien tritt dem Bündnis, obwohl es an Vorgesprächen beteiligt war, zunächst nicht bei, sondern garantiert Waffenhilfe für einen solchen Angriffsfall. Der Grund hierfür war, dass in Rumänien der Gedanke an einen Fünfmächtepakt unter Einschluss von Griechenland und Polen noch nicht aufgegeben war. Initiator des Paktes war der tschechoslowakische Außenminister Beneš, Rumänien wurde jedoch insbesondere von den Westmächte bereits als faktisches Mitglied der Kleinen Entente angesehen. Ergänzend hatte auch Italien mit Belgrad und Prag einen „Anti-Habsburg-Pakt“ geschlossen.
Beim Restitutionsversuch Karls IV. von Ungarn wirkten die Vertragsabschlüsse unter Beteiligung der Westmächte, so dass Karl IV. zum Aufgeben seiner Pläne gezwungen wurde und am 5.4.1921 ungarischen Boden wieder verlassen musste. Am 23. April 1921 trat Rumänien durch beidseitige Verträge mit Belgrad und Prag dem Paktsystem bei, welches auf Wunsch von Rumänien um jugoslawische Garantien erweitert werden musste. Die erweiterten Garantien bezogen sich auf die Einhaltung des Friedens vom Neuilly zwischen Bulgarien und Rumänien und waren damit gegen Aggressionen Bulgariens gerichtet. Im März 1921 hatte sich auch die Tschechoslowakei als Entente-Mitglied zusätzlich der französisch-polnischen Militärkonvention angeschlossen, zur Regelung von Grenzfragen in Oberschlesien. Polen und Rumänien schlossen ebenfalls einen Pakt ab, der sich offiziell gegen Aggressionen der Sowjetunion, zugleich aber auch gegen solche Deutschlands richteten. Auf diese Weise waren die Entente-Mitglieder in weitere Bündnisse eingegliedert.
Einen letzten Restitutionsversuch von Karl IV. im Oktober 1921, bei welchem er mit Freikorps auf Budapest vorrückte, beantwortete die Kleine Entente mit Mobilmachung ihrer Truppen und drohten mit Einmarsch. Die Freikorps wurden jedoch vor den Toren der Hauptstadt von ungarischen Truppen geschlagen, während die Mobilmachung der Entente-Mitglieder anlief, der König wurde ins Exil nach Madeira durch England geschickt. Ungarn beschloss auf Druck der Entente ein Gesetz über die Entthronung der Habsburger.
Am 21. Mai 1929 stimmten die drei Mitglieder, von denen die Tschechoslowakei und Jugoslawien an Frankreich vertraglich gebunden waren, einer Verlängerung ihres Bündnisses auf unbestimmte Zeit zu. Einmal jährlich tagten die Außenminister, die Generalstäbe schlossen Vereinbarungen zur militärischen Abstimmung der Länder. Es gelang indes nicht mehr, Österreich in die Einkreisungsfront Ungarns einzubeziehen, da diese beiden Länder 1929 und 1930 jeweils Freundschaftsverträge mit Italien und zuletzt gegenseitig einen solchen Vertrag am 26. Januar 1931 abschlossen.
Eine weitere Festigung trat am 16. Februar 1933 im Zuge des von Frankreich betriebenen Planes eines Donaubundes ein. Die drei Entente-Mitglieder richteten einen Permanenten Rat ein, der dreimal jährlich unter Führung der Außenminister zusammen trat und die Politik abstimmen sollte. Beneš arbeitete derweil an weiteren Verbindungen, da ihm die innenpolitische Lage in Jugoslawien und Rumänien unsicher erschien, Frankreich sich nach dem Fehlschlag des Donaubundes zunehmend aus dem Balkan-Bereich zurückzog und Ungarn Verbindungen zu Italien und Deutschland suchte.
Die Generalstabsplanungen der Entente-Mitglieder bezogen sich 1929-1937 ganz überwiegend auf den Kriegsfall mit Ungarn oder Bulgarien. Dabei wurden regelmäßig auch die Kenntnisse über die militärische Stärke dieser beiden potentiellen Gegner ausgetauscht. Die so entwickelten Militärkonventionen wurden mit Vereinbarung vom 27. November 1935 als geheime militärische Zusatzvereinbarungen deklariert.
Generalstabsbesprechungen:
Mai 1929 in Bukarest
September 1930 in Belgrad
Mai 1931 in Bukarest
Dezember 1931 in Prag
November 1932 in Belgrad
März 1934 in Bukarest
November 1934 in Prag
November 1935 in Belgrad
Juni 1936 in Bukarest
November 1937 in Prag
Auf der vierten Besprechung wurden erstmals Pläne für einen großen europäischen Krieg besprochen, als mögliche Gegner wurden
1. Deutschland, Österreich und Ungarn gegen die Tschechoslowakei,
2. Italien, Albanien und Bulgarien gegen Jugoslawien
3. Sowjetunion und Bulgarien gegen Rumänien
angenommen.
Die Gefahr eines großen europäischen Zusammenstoßes wurde auch auf der fünften Konferenz besprochen, mit ähnlichen Konstellationen. Alle Planungen richteten sich darauf, in einem Kriegsfall Ungarn schnell zu besetzen, da auf andere Weise der militärische Zusammenhalt der Entente-Mitglieder bei einem Angriff dritter Mächte kaum gesichert erschien. Im November 1932 wurde daher auch in Belgrad ein militärisches Abkommen verabschiedet, welches die Besatzungszonen in Ungarn regelte, das Abkommen wurde bei der Folgekonferenz in Prag geringfügig geändert. Ein Gefahr wurde vor allem in den Römischen Protokollen zwischen Italien, Österreich und Ungarn, daneben in der Möglichkeit eines Anschlusses von Österreich an Deutschland gesehen. Beneš versuchte, Kontakte nach Moskau zu knüpfen, Jugoslawien und Rumänien schlossen im Februar 1934 den Balkanbund mit der Türkei und Griechenland. Die Kriegsszenarien auf der siebten Konferenz 1934 in Bukarest unter Leitung von Antonescu änderten sich:
1. Sowjetunion und Ungarn gegen Rumänien
2. Deutschland und Österreich, ggf. Ungarn gegen Tschechoslowakei
3. Italien und Albanien gegen Jugoslawien
In drei Szenarien wurde wiederum ein Präventivkrieg gegen Ungarn geplant, um die militärischen Verbindungen herzustellen.
Die Veränderungen des Jahres 1935 brachten unterdessen die Annäherung der Tschechoslowakei und Rumäniens an die UdSSR, nicht zuletzt auch wegen der zwischen Frankreich und der UdSSR am 5. Dezember 1934 erzielten Einigung über einen Ostpakt. Die Folgekonferenz in Belgrad brachte daher eine Konzentrierung überwiegend auf die jugoslawischen Belange, eine Bedrohung durch die UdSSR und Bulgarien wurde nicht mehr erörtert. Auch bei diesen Szenarien wurde wieder beschlossen, präventiv in einem europäischen Krieg gegen Ungarn loszuschlagen, auch wenn sich das Land zunächst neutral verhalten sollte.
In 1936 einigte sich Rumänien mit der UdSSR über Bessarabien, die Konferenz der Staatsführungen im Juni 1936 in Bukarest betonte zudem erneut die freundschaftlichen Beziehungen der Entente zu Frankreich (ein jeweils abgeschlossener bilateraler Accord zu Frankreich war im Frühjahr 1936 ratifiziert worden), nahm die ruhenden Kontakte zu Polen wieder auf. Eine weitere Entspannung trat durch den jugoslawisch-bulgarischen Freundschaftspakt vom Januar 1937 ein.
Auch die Planungen des Jahres 1937 klammerten daher die UdSSR als Gegner aus, bezogen Griechenland und die Türkei als Beistandsländer ein und befassten sich mit den möglichen Hauptgegnern Deutschland, Italien, Österreich und Ungarn. Dazu wurde die Schaffung eines einheitlichen Oberbefehls beschlossen, der bei dem militärisch stärksten Partner liegen sollte. Zusätzlich wurde eine Entente-Kommission zur Koordination der Rüstungen gebildet, die sich erstmals im April 1937 in Prag traf. Damit hatten die Entente-Vereinbarungen ihren Höhepunkt erreicht.
Als im März 1938 deutsche Truppen nach Österreich einmarschiert waren, hatte sich die militärische Lage der Tschechoslowakei erheblich verschlechtert. Das Land war nunmehr im Dreiviertelkreis von deutschen Truppen umschlossen. Die Gebietsabtretungen nach der Konferenz von München im September 1938, sowie die Gebietsbesetzung durch Ungarn engten den Raum weiter ein. Im März 1939 rollten neuerlich deutsche Truppen über die Grenze der auf sich allein gestellten Rest-Tschechoslowakei. Die Paktländer Jugoslawien und Rumänien verhielten sich passiv. Die zehn Generalstabsbesprechungen der Entente waren Papierarbeit geblieben, die Entente galt im März 1939 als aufgelöst. Die militärischen Betrachtungen der vergangenen zehn Jahren, in denen 19 Varianten eines Krieges geplant wurden, hatten sich fälschlicherweise mit dem vermuteten Hauptgegner Ungarn beschäftigt.
Quelle: Rudolf Kiszling, Die militärischen Vereinbarungen der Kleinen Entente 1929-1937, München 1959. Südosteuropäische Arbeiten, Band 54.