Vielleicht habe ich das nicht genug betont, aber die ehemaligen Nazis haben in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg die Deutungshoheit über die Nazizeit innegehabt. Das äußerte sich nicht nur in den skandalösen Fehlurteilen der deutschen Justiz gegen Mörder in den KZs und in den Einsatzkommandos*, sondern auch in der Sprache im Bezug zu Taten, die in der Nazizeit geschehen waren.
Das ist so nicht richtig.
Ex-Nazis haben vor allem weiterhin einflussreiche Positionen im Beamten-Apparat und in der sonstigen Justiz inne gehabt, was es ihnen ermöglichte Verbrechen von NS-Tätern zu decken und diese möglichst ungeschoren davonkommen zu lassen.
Im Bereich der Forschung, sowohl im Hinblick, auf Geschichte, als auch sozialwissenschaftliche Bereiche, war das aber im weit geringeren Maße der Fall, weil das, anders als die Justiz und der Staatsapparat eben kein Massenbetrieb ist.
Reflektion der NS-Herrschaft in Deutschland und Forschung zu dem, was passierte, fand ja bereits während des der Existenz des NS-Regimes im Ausland, unter Beteiligung von aus Deutschland emigrierten oder geflohenen Personen statt, die die Verhältnisse in Deutschland kannten.
Man denke Arbeiten wie die von Franz Neumann oder etwa an Horkheimers und Adornos "Dialektik der Aufklärung" und die ganze kritische Theorie.
Das waren durchaus wirkmächtige Positionen, auch schon in den 1940er und 1950er Jahren.
Diese Diskurse konnten nicht mal eben von irgendwelchen ex-Nazis in die von ihnen gewünschten Bahnen gelenkt werden.
Und klar, den so eingeführten Begriff "Reichskristallnacht" benutzten später auch Juden, einfach um verstanden zu werden. Aber das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser Begriff das Verfolgen und Morden der Juden in jenen 3-5 Tagen im November 1938 verschleiert: 24.000 Juden wurden in jenen Tagen KZs gewaltsam gebracht und dort malträtiert und ja nach Laune der Täter auch umgebracht.
Da würde ich mich der "Gegenseite" anschließen und das Argument mittragen wollen, dass von Verschleierung insofern keine Rede sein kann, als dass es unmöglich ist, in diesem Land zu leben und aufgewachsen zu sein, ohne in der Schule sehr genau gelernt zu haben, was damals passierte und ohne in gewisser Regelmäßigkeit durch Funk- und Fernsehen, öffentliche Erinnerungskultur und Gedenktage daran erinnert zu werden.
Insofern kann auch ich da keine Verschleierungsabsicht erkennen.
Die würde gegeben sein, wenn ein solcher Begriff verwendet würde ohne dass breit erläutert würde, was darunter zu verstehen ist, aber das ist nicht der Fall.
Ob man den Begriff für angemessen oder besonders glücklich hält, ist eine andere Frage.