Gordon A. Craig (britischer Historiker) zitiert in einem seiner Bücher über die Einigungskriege eine britische Tageszeitung. Leider habe ich in der Wohnung in NRW nicht meine Bücher zu dem Thema. Aber sinngemäß wurde folgendes wiedergegeben
"Frankreich hat jahrhundertelang einem am Boden liegenden Gegner getreten und ausgeraubt. Allein die Vorstellung, dass man Frankreich nach dem preußischen Sieg nun seinem von Deutschen geraubten Besitz beließ, war undenkbar ..."
Das deckt sich auch vollkommen mit der Bismarkschen Argumentation (Habe auf Grund der nahenden Feiertage die "Bismarck-Werke-Ausgabe" leider im Moment auch nicht zur Hand und liefere das auf Wunsch gerne nach), wo es dann sinngemäß heißt:
"Seit dem 30-Jährigen Krieg hat man Frankreich in territorialer Hinsicher immer wieder nachgegeben, was es nicht daran gehindert hat immer neue Aspirationen in Richtung deutschen Gebietes zu entwickeln, dieses mal muss man ihm etwas abnehmen um ihm einen Schuss vor den Bug zu verpassen."
Das nebst der militärischen Argumentation um die Festungen Straßburg und Metz, so wie der Axiomatik des "alemannischen Elsass".
Das die Versuchung Frankreich diese Gebiete abzunehmen nehe lag, bestreite ich nicht, käme mir gar nicht in den Sinn.
Ich möchte aber vehement bestreiten, dass es sich dabei um eine "Rückholung" handelte, denn zurückholen kann nur der, dem etwas gestohlen wurde. Wenn denn etwas gestohlen wurde, dass dem Heiligen Römischen Reich bzw. den zuvor eigenständigen Herrschaften im Elsass (Lothringen ist da völlig auszunehmen). Preußen war aber weder die Vertretung des Heiligen Römischen Reiches, noch die der vormaligen Elsässischen Notabeln. Ob man Preußen mit deutschen Gesamtinteressen gleichsetzen kann, mag man im Kontext des keine 5 Jahre zurückliegenden Krieges Preußen gegen alle anderen Deutschen Staaten und dem von Preußen betriebenen Ausschluss Österreichs sicherlich auch bezweifeln dürfen.
Darüber hinaus Hatte Preußen als eine der Signatarmächte des Wiener Systems den französischen Anspruch auf Elsass und Lothringen, genau wie Österreich im Rahmen der Wiener Schlussakte annerkannt.
Es mag dem einen oder anderen Zeitgenossen zwar wie gerechtfertigte Rache oder die Rückholung eined deutschen Territoriums in den deutschen Machtbereich vorgekommen sein, aber bei näherer Betrachtungsieht das wohl etwas anders aus. Zudem hat dieses Narrativ noch einen ganz anderen Harken:
Wenn man von "Rückholung" spricht (wie der Vorredner auf den sich meine Einlassung bezog) und darauf verzichten möchte Preußen unzulässigerweise mit dem Heiligen Römischen Reich gleichzusetzen, müsste man es mit der deutschen Nation gleichsetzen und damit den ethnischen Nationalstaat zur einzig legitimen Norm erklären.
Kann man theoretisch natürlich machen. Dann müsste man aber auch einräumen, dass umgekehrt Territorien die sprachlich dann Frankreich zuzuweisen wären (Franche Comté, Lothringen, Westluxemburg, Wallonie) zum Beispiel in Teilen bis in die Epoche der Revolutionskriege von deutschen Fürstenhäusern beherrscht wurden und dem Reichsveband angehörten, was dann ebenfalls illegitim gewesen wäre. Vor diesem Hintergrund wäre dann das Narrativ von den andauernden illegitimen Überfällen Frankreichs und dessen unrechtmäßigen Expansionsbestrebungen so nicht mehr haltbar.
Entweder verzichtet mal also auf die Betrachtung unter nationalem Charakter und dann kann von einer Rückholung durch Preußen keine Rede sein. Oder aber man schreibt dem einen dezidiert nationalen Charakter zu, dann kann man aber kaum von einer dauerhaft unrechtmäßigen Agression Frankreichs gegen Norden und Osten sprechen, sondern dann hatten die französischen Aspirationen auf Lothringen, die Franceh Comté, luxemburgisches Territorium oder die Wallonie nicht minder gute Rechtfertigungen als die deutschen Aspirationen auf das Elsass.
Für Lothringen kann dann von einer Rückholung erst recht keine Rede sein, mindestens im Bezug auf den damals mehheitlich französischsprachigen Teil um Metz herum.
Zudem ist auch Deine Vorstellung von den elsässischen Gebieten unter der Herrschaft der Bourbonen nicht zutreffend. Das Elsass hatte eine weitgehende kulturelle Autonomie unter der französischen Krone.
Es ging mir weniger um den Status des Elsass unter der Französischen Korne als viel mehr um seine Hoheitliche Zugehörigkeit ZUR französischen Krone, die dann spätestens mit dem Wiener Kongress international annerkannter Maßen auf den französischen Staat übergeht.
Sicherlich bedeutete der westfäliche Frieden nicht die natlose Integration der elsässischen Territorien, die das betraf in einen Französischen Staat. Andererseits, auch wenn der Zentralismus in Westeuropa eine andere Tradition hat, findet die faktisch starke Durchdringung des Territoriums durch den Staat ja ohnehin erst ab dem ausgehenden 17.-18. jahrhundert statt. Insofern ist Autonomie in dieser Zeit eigentlich eher die Regel als die Ausnahme, betrachtet man Österreich dauert es bis in die Maria-Theresianische Zeit, bis die Erblande und Böhmen im Zuge der Haugwitz'schen Reformen einigermaßen zusammenwachsen, von Ungarn, dem Herzogtum Mailand oder den Österreichischen Niederlanden nicht zu reden.
Auch wenn man nach Westeuropa schaut, war das nicht anders. Bis in die Bourbonische Zeit, war unter der betonung der Autonomierechte Aragons und Kataloniens noch von "Las Espanas" (Das Sonderzeichen will nicht funktionieren) die Rede, was sich noch im Spanischen Erbfolgekrieg in der Parteiergreifung der aragonesischen Landesteile für die habsburgische Seite deutlich manifestierte.
Im Inneren Frankreichs selbst findet im Zuge der Revolution die administrative Auflösung der alten Regionen und die Neueinteilung in Départements ja auch nicht zufällig statt, sondern um die Autonomie der einzelnen Landesteile zurück zu drängen.
Insofern kann man, meine ich durchaus von einer Angliederung der elsässischen Territorien an Frankreich, bzw. den abgesteckten Machtbereich der franösischen Krone im Sinne der Zeit sprechen.
Erst Napoleon hat Elsass in dem französischen Zentralstaat integriert. So hat noch 1800 die Stadt Mülhausen (Mulhouse) eine Petition an Napoleon geschickt, in welchem sie darin bat, Mülhausen nicht in den französischen Staat zu integrieren.
Hättest du dazu eine adäquarte Quelle? Ich muss zugeben, dass mir dahingehend nur wenig bekannt ist. Wikipedia ist zwar sicherlich keine wissenschaftlich zitirfähige Quelle, spricht aber davon, dass die Stadt Mühlhausen 1798 explizit
für einen Anschluss an Frankreich votiert habe:
In der Mitte des 18. Jahrhunderts gewannen chemische und mechanische Industrien an Bedeutung. Im Jahr 1746 begann mit der Gründung einer Textildruckmanufaktur die industrielle Entwicklung der Stadt. Die Stadt unterhielt bevorzugte Beziehungen mit Louisiana, von wo es Baumwolle importierte.
1798 votierte die Stadt für einen Anschluss an Frankreich, da die errichteten Zollschranken den Warenverkehr in die wichtigsten Absatzgebiete erschwerten. Auf dem Wiener Kongress 1814/15 war eine Wiederangliederung von Mülhausen an die Schweiz kein Thema mehr; die Stadt blieb wie das umgebende Elsass Teil Frankreichs. In den Jahren nach 1820 expandierte die Textilindustrie weiter und Mülhausen entwickelte sich zu einer erfolgreichen Industriestadt, in der sich später auch andere Industriezweige ansiedelten und die zahlreiche Arbeitskräfte aus der Umgebung anzog.
(
Mülhausen – Wikipedia )
Zudem, müsste man, gerade wenn mane eine Diskussion über gegenseitigs Abnehmen von Territorien und nationale Zugehörigkeit gerade im Fall Mühlhausen auch die Verbindungen zur schweizerischen Eidgenossenschaft berücksichtigen, bevor man das einfach mal (wie der Vorredner) für großdeutsche Gedankenspiele vereinnahmt.
Der Wechsel der Sprache (deutsch/allemanisch als Alltagssprache in französische) vollzog sich erst in der 2.Hälfte des 20. Jahrhunderts unter dem Eindruck der beiden Weltkriege.
Das kommt wohl ganz auf die soziale Klasse an:
In den Landgemeinden mag das der Fall gewesen sein, in den Städtischen Zentren Kolmar, Straßburg, Mühlhausen waren die Sprachverhältnisse (vgl. Riederer Günter: Feiern im Reichsland, Politische Symbolik, öffentliche Festkultur und die Erfindung kollektiver Zugehörigkeit in Elsaß-Lothringen(1871-1918), Trierer Historische Forschungen Band 57, Verein Trierer Historische Forschungen (hrsg.), Trier, 2004) wohl schon im 19. jahrhundert ziemlich durchmischt.
Sicherlich war im Gegensatz zu Metz zu diesem Zeitpunkt in Straßburg, Kolmar und Mühlhausen mehrheitlich noch das Deutsche vorherrschend, aber auch diese Zentren hatten sicherlich keinen monolitischen, kulturell eindeutig deutschen Charakter mehr.
Sollte Bedarf danach bestehen sich über den inneren Charakter des Elsass und den Grad der Integreation in den französischen Staat/Herrschaftsbereich vor der französischen Revolution weiter auszutauschen, würde ich allerdings vorschlagen dass in den Elsaß-Lothringen-Threat zu verlegen, mit Bismarck hat diese Diskussion ja nicht mehr viel zu tun.