Davon haben wir nichts gewusst!

Mag sein, und lass es am Ende 20.000 oder 30.000 gewesen sein, die wussten, was konkret in Auschwitz vor sich ging.
Wie viel ist das quantitativ aber gemessen an einer Bevölkerung about 100 Millionen Menschen, wenn man die annektierten, dem Reich zugeschlagenen Gebiete und die faktisch angegliederten Gebiete (Elsass-Lothringen, ab 1943 auch Südtirol) noch mitzählt?
Auschwitz war ja nicht das einzige Lager, nur das größte. Und man musste auch keine konkreten Kenntnisse haben, um eins und eins zusammen zu zählen.

Die Rede ist mir bekannt, so weit mir bekannt ist aber auch bis heute ihre Ausdeutung als dezidierte Ankündigung des Völkermords umstritten...
Natürlich nicht. Konkrete Planungen gab es zum damaligen Zeitpunkt noch nicht. Die gab es erst mit er Wannseekonferenz bzw. kurz davor. Da hatte der Holocaust längst begonnen.
Aber sehen wir uns den Zeitpunkt der Rede an:
Zweieinhalb Monate nach der Reichspogromnacht.
Fast sämtliche erwachsene männliche Juden Deutschlands waren zu diesem Zeitpunkt in Dachau, Buchenwald oder Sachsenhausen eingesperrt. Hitler war in Kriegsvorbereitungen gegen Tschechien bzw. die Tschechoslowakei (ich weiß nicht, inwiefern slowakische Politiker in Hitlers Planungen eingebunden waren) und Polen.
In diesem Zusammenhang muss man die Rede durchaus als ernstzunehmende Drohung, wenn auch ohne konkrete Planung ernst nehmen.
 
Das die KLs nicht die "Umerziehungslager" waren, als die sie oft in der NS-Presse dargestellt wurden, war den Menschen damals bekannt - denn die Lager sollten ja auch eine abschreckende Funktion erfüllen. Im Bereich München gab es das Sprichwort "Lieber Gott, mach mich stumm, damit ich nicht nach Dachau kumm".

Dass da furchtbare Dinge geschahen, konnte man sich denken, sogar wissen (bei der Zahl an Außenlagern ... es gab genug Möglichkeiten, die abgemagerten Häftlinge auch außerhalb des Lagers zu sehen und zu sehen, wie sie behandelt wurden).

Aber zum Massenmord:

Wie viele Menschen hätten von dem Mord wissen können (haben sich nur entschieden, nichts sehen zu wollen), weil sie direkt an dem Mord mitgewirkt haben? Das sind nicht nur die Mörder in den KLs ...

Das sind die Mitarbeiter der Reichsbahn, die sehr wohl wussten, dass da zig-tausende von Menschen in Lager im Osten gebracht wurden und nicht mehr zurück kamen (wie mein Großvater, der zunächst auch argumentierte, "nichts gewusst" zu haben, nach langen Diskussionen und mit genau dem Argument konfrontiert aber zugab, dass man es wusste, aber nicht wissen wollte).

Da sind die Menschen, die die Gaskammern und Krematorien installierten und warteten.

Die Mitglieder der Einsatzgruppen, die hinter der Front die Erschießungen durchführten (häufig mit logistischer Unterstützung der Wehrmacht).
Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich unterschreiben würde, dass der Massenmord zum allergrößten Teil IN den Lagern, versteckt von der Außenwelt statt gefunden hat. Die Zahlen der von Einsatzgruppen Ermordeten schwanken immerhin zwischen 600 000 und 1,5 Millionen.

Die Betriebe mit ihren Mitarbeitern, in denen Häftlinge (auch aus Auschwitz und ähnlichen Lagern) beschäftigt waren.

Kann man ernsthaft glauben, dass all diese Menschen auch niemals der Familie oder Bekannten gegenüber etwas erzählt haben?

Die ganze Grausamkeit des Mordens war wohl nicht bekannt. Sehr wohl aber, dass Menschen in großer Zahl ermordet wurden.

Hans Scholl, Alexander Schmorell und Willi Graf (Wehrmachtssoldaten und im Falle von Hans zunächst durchaus "Anhänger" des Regimes) fühlten sich gerade WEIL sie Kenntnis von den Massenmorden hatten zur Gründung einer Widerstandsgruppe verpflichtet (Weiße Rose).

Und: Dass die Nationalsozialisten keinen Respekt vor dem Leben hatten, wusste man mindestens dadurch, dass das "Euthanasie"programm zeitweise nach Protest der Kirchen gestoppt wurde ... (von Galen hat das Mordprogramm z.B. in einer Predigt am 3. August 1941 angeprangert).

Es gibt inzwischen auch so viel Literatur zu dem Thema (von Tagebüchern wie von Victor Klemperer über Untersuchungen von Longerich und anderen), dass das Wissen der Menschen eigentlich nicht mehr wirklich in Frage gestellt werden kann.
 
Ich habe selbst noch einmal geschaut, ob ich Näheres zu Longerich finde, das über den Klappentext hinausgeht.

https://www.deutschlandfunkkultur.d...ch-war-ein.945.de.html?dram:article_id=132265

Mich hatte ja interessiert, dass laut Klappentext des Buches, das regime gezielte Hinweise auf den Massenmord veröffentlicht hätte. Das Unternehmen also nicht so geheim war.
Longerich sagt, es habe zumindest Gerüchte über den Massenmord gegeben. Gerüchte über den Einsatz von Giftgas, aber vor allem Gerüchte über Massenerschießungen. Diese habe das Regime bestätigt:

Aber es gibt doch eine Reihe von sehr deutlichen Erklärungen von führenden Nationalsozialisten, Hitler und anderen aus den Jahren ‚42 und ‚43, in denen sie ganz deutlich von der Vernichtung und später von der Ausrottung der Juden sprachen.

Laut Longerich mit dem Ziel, das Gefühl einer Mittäterschaft zu erzeugen.

Zu der Auswertung von Briefen und Tagebüchern sagt er folgendes:

Die Konzentrationslager selbst waren in Deutschland ja kein Geheimnis. Was ein Geheimnis war, das waren die Vernichtungslager in Polen oder in den annektierten polnischen Gebieten. Es gab Gerüchte über den Einsatz von Giftgas zur Ermordung von Juden und es gab massive Informationen und Gerüchte über Massenerschießungen. Die Deportationen waren wie gesagt offensichtlich und es herrschte, wenn man jetzt zeitgenössische Quellen sich anschaut, etwa Tagebücher und Briefe, dann kann man sagen, dass in der Bevölkerung ein weit verbreitetes Wissen darüber vorherrschte, dass die Menschen, die deportiert werden, in den Tod deportiert wurden. Ohne dass man jetzt im Einzelnen genau wusste, wo und wie der Mord an den europäischen Juden geschah.


Dafür, dass das Wissen um den Massenmord verbreitet war, führt er außerdem Zeitungsartikel an:

Es gibt aber noch andere Hinweise. Zum Beispiel, wenn Sie sich zum Beispiel die Provinzpresse anschauen, dann erscheinen dort, vor allem im Jahr 1943, eine ganze Reihe von Artikeln, die man nur verstehen kann, wenn man davon ausgeht, dass der Leser dieser Artikel, der damalige Leser, ein ungefähres Wissen über die Ermordung der Juden besaß. Denn es heißt in diesen Artikeln etwa, dass die Methoden, wie die Judenfrage gelöst würden, zwar unschön seien, aber dass sie doch durchgesetzt werden müssten und ähnliches mehr.
 
Johann Adolf Graf Kielmannsegg war während des Krieges Oberst im Generalstab und verfügte sicher über Informationen aus hohen und höchsten Kreisen, sagte aber im Rahmen einer Dokumentation, dass er von konkreten Namen und dem ganzen Ausmaß, von Vernichtungslagern wie Auschwitz, Treblinka, Belzec und Sobibor erst nach dem Krieg erfahren habe. Auch Helmut Schmidt, der als Leutnant der Wehrmacht in Kontakt kam mit Offizieren, die dem NS-Regime gegenüber kritisch eingestellt waren, berichtete, dass er konkrete Namen von Vernichtungslagern und genaue Details wie der industrielle Massenmord durchgeführt und organisiert wurde, nach dem Krieg erfahren habe. Ich denke, man wird beiden das durchaus glauben können. Die Endlösung der Judenfrage war eine "geheime Reichssache." den Tätern wurde strengstens Stillschweigen auferlegt. Allerdings ließ sich ein Genozid an geschätzten 11 Millionen Juden nicht so geheim durchführen wie gewünscht. Es mussten verschiedene Dienststellen eingeweiht werden, es musste die Wehrmacht als Komplize verpflichtet werden. Die Dimensionen waren so gewaltig, dass notwendigerweise Hunderttausende von Menschen in irgendeiner Weise Zeugen und Mitwisser wurden. Die Judenverfolgung und Vernichtung wurde von vielen Zeitzeugen auch als etwas empfunden, das die Greuel des Krieges noch bei weitem übertraf. Der Kommissarbefehl, das erschießen von Kriegsgefangenen aus Bequemlichkeit, die "Vergeltungsmaßnahmen" wegen Partisanenaktivität, das alles war schlimm, mittlerweile aber so alltäglich geworden, dass es nicht mehr als skandalös empfunden wurde. Die Judenvernichtung, erst von Männern, bald auch von Frauen und Kindern war eine andere Qualität. Es gab manche Täter, die damit nicht fertig wurden, es kam zu Selbstmorden, Alkoholismus, Nervenzusammenbrüchen. Trotz jahrelanger Propaganda, trotz aller Versicherungen, dass das alles gut und richtig war, trotz der Abstumpfung und Verrohung die mit dem Unternehmen Barbarossa zwangsläufig einhergehen musste, war es etwas, das noch nie dagewesen war, etwas so widerliches und grausames, dass daneben die fast normal gewordenen Grausamkeiten des Krieges banal wirkten. Gleichzeitig verstand es das System, alle, die Zeugen der Judenvernichtung wurden, die mitbekamen wie Zivilisten und Rotarmisten Grausamkeiten angetan wurden, zu Mitwissern zu machen. Nach allem, was wir Rotarmisten und Zivilisten angetan haben, wird "der Russe" nicht differenzieren, ob man mitgemacht oder unfreiwillig Zeuge wurde.

Die Dimension der Judenverfolgung und -Vernichtung war viel zu monströs, als dass nicht Hunderttausende von Menschen etwas davon mitbekamen, mitbekommen mussten. Obwohl "geheime Reichssache", obwohl Täter und Mittäter zum strengsten Stillschweigen verpflichtet wurden, war das Wissen zu belastend, als dass man nicht wenigstens mit einer Vertrauensperson darüber gesprochen hätte. Ehefrauen, Geschwister, Eltern oder auch mal ein Pastor, die davon mitbekamen werden in den meisten Fällen das, was sie erfahren haben wiederum anderen anvertraut haben.

Hundertprozentiges Wissen über die genauen Abläufe, über die grausamen Details über "Mordfabriken" und Zuständigkeitsbereiche wird nur ein verhältnismäßig kleiner Teil der Bevölkerung besessen haben, immerhin dürften das 100 bis 150.000 Menschen gewesen sein. Die überwältigende Mehrheit der deutschen Bevölkerung hat zumindest durch Schlaglichter, durch Gerüchte und eigene Beobachtungen so viel mitbekommen und mitbekommen müssen, dass sie genau wussten, was sie genau nicht genau wissen wollten.

In meiner Kindheit und Jugend fiel mir oft auf, dass manchmal nur eine kleine Anspielung, ein Wort genügte, dass sich eisiges Schweigen verbreitete, als ob es eine Vereinbarung gäbe, ein bestimmtes Thema wie eine gefährliche Klippe zu meiden. Vordergründig war oft gar nicht ersichtlich, dass es um Kriegsverbrechen ging, wenn mal von "Sühnemaßnahmen", "Evakuierung" oder ähnlichem gesprochen wurde. Die Älteren wussten aber genau, was gemeint war und wer gemeint war. Sie konnten sofort die Zusammenhänge einordnen. Um das zu können, musste man einiges wissen und noch mehr ahnen. Wer von sich nach 1945 sagte, er habe von nichts gewusst, der muss taub und blind gewesen sein. Sicher mögen viele, vielleicht sogar die meisten erst nach 1945 von Mordfabriken wie Auschwitz und Treblinka gehört haben, und selbst viele der Opfer konnten bis zuletzt nicht glauben, dass so etwas möglich ist. Es übersteigt ganz einfach die Vorstellungskraft. Doch die Synagogen haben alle brennen sehen, die Maßnahmen von den ersten Boykotten 1933 über die Nürnberger Gesetze, die Novemberpogrome und die Kennzeichnung durch den Davidstern haben alle mitbekommen. In jedem Dorf, jeder Kleinstadt gab es Schilder, die Juden sagten, sie seien unerwünscht, die ihnen verboten, sich auf eine Parkbank zu setzen, den Aufzug zu benutzen, ein Schwimmbad oder auch nur den deutschen Wald zu betreten, einen Kanarienvogel oder Goldfisch, ein Radio, Auto, Fahrrad oder nur Schokolade zu besitzen. Mitschüler, Nachbarn, Vereinskameraden verschwanden, waren irgendwann einfach weg. Wurden "abgeholt" oder "mussten sich melden". Niemand konnte so naiv sein, zu glauben, man habe sie in die Sommerfrische geschickt.


Mehrere Jahre der Diktatur hatten die deutschen Volksgenossen zwar nicht gerade feinfühlig, aber sozusagen "feinhörig" gemacht. In vielen Bereichen genügte ein kleiner Hinweis. Die meisten Volksgenossen hatten gelernt, aus winzigen Anspielungen ihre Schlüsse zu ziehen, zwischen den Zeilen zu lesen, in Zusammenhängen zu denken und vor allem, den Mund zu halten. Das NS-Regime beschwor zwar immer wieder die Volksgemeinschaft, aber Bespitzelung allgegenwärtig, und das wussten alle "Volksgenossen". Manche versuchten, alte Rechnungen zu begleichen, und zeitweilig wurden Polizei- und Parteidienststellen von so vielen Denunziationen überschwemmt, dass die Gestapo darin ein Problem sah. Das schuf natürlich ein Klima des Misstrauens, der Angst und vor allem der Verdrängung, das durch die Verrohung und Traumatisierung großer Bevölkerungsteile durch den Kriegsalltag noch verstärkt wurde.
 
Das die KLs nicht die "Umerziehungslager" waren, als die sie oft in der NS-Presse dargestellt wurden, war den Menschen damals bekannt - denn die Lager sollten ja auch eine abschreckende Funktion erfüllen. Im Bereich München gab es das Sprichwort "Lieber Gott, mach mich stumm, damit ich nicht nach Dachau kumm".
Lieber Gott, mach mich taub, dass ich nicht am Radio schraub'.
Lieber Gott, mach mich stumm, dass ich nicht nach Dachau kumm'.
Lieber Gott, mach mich blind, dass ich alles herrlich find'.
Bin ich taub und stumm und blind, bin ich Adolfs liebstes Kind.
 
Niemand konnte so naiv sein, zu glauben, man habe sie in die Sommerfrische geschickt.
Eben. Man konnte das vielleicht anfangs glauben, als man die ganzen Familien, von Kleinkind bis Oma, mit den Koffern an den Sammelstellen wartend und bewacht gesehen hatte. Aber als niemand von denen zurückkam und anschließend in deren noch voll eingerichtete Häuser und Wohnungen deutsche Genossen einzogen, musste jedem klar sein, dass sie nie mehr wieder kommen würden, also tot sein müssten.
 
Dafür, dass das Wissen um den Massenmord verbreitet war, führt er außerdem Zeitungsartikel an:

"Davon haben wir nicht gewußt!" ist eine häufige Aussage zum Kenntnisstand des Holocaust. Longerich problematisiert zunächst, was "Davon" konkret inhaltlich bedeutet und dann auch, in welchem Sinne "gewußt" zu verstehen sei.

Longerich versucht die Informationssituation der Jahre zwischen 1933 und 1945 anhalt zeitgenössischer Quellen zu rekonstruieren. Dazu griff er u.a. auf die bisher nicht ausgewerteten Propagandakonferenzen von Goebbels zu, die vollständigen Goebbels-Tagebücher und die Presseanweisungen des Propagandaministeriums.

Zusätzlich erfolgte eine Auswertung von zwei Dutzend regionalen und überregionalen Zeitungen, u.a. der "Völkische Beobachter" oder die zweitwichtigste NSDAP-Zeitung, der "Angriff".

Ergänzt wurde die Analyse durch die "Meldungen aus dem Reich" sowie Tagebücher etc.

Meldungen aus dem Reich

In die "Endlösung als öffentliches Geheimnis" thematisiert er die merkwürdige Situation, indem zunehmend ab 1942 Deportationen zu erkennen waren. Allerdings, in den "Meldungen aus dem Reich" wurde das Thema in den Berichten nicht angesprochen, da es "tabu" war.

Überschlägt man parallel Kellner und sucht nach Hinweisen zu Deportationen von Juden, dann findet man wenig zu dem Thema. Kellner kommentiert (S. 560ff) eine Meldung (1.12.1943) für die Situation in Italien sehr drastisch - "diese Bestien" - die darüber informiert, dass alle in Italien lebenden Juden in Konzentrationslager gebracht werden.

Folgt man der Darstellung von Longerich weiter dann wird deutlich, dass die "Evakuierung" der Juden gesehen wird und "kirchliche und gewerbliche Kreise" bringen kein Verständnis dafür auf (Stapostelle Bremen). Ähnlich die Stapostelle Magdeburg.

In Münster waren die Deportationen "Tagesgespräch" Die SD-Außenstelle Minden berichtet im Novmeber 1941: "Die inzwischn zur Tatsache gewordene Evakuierung der Juden aus dem hiesigen Bereich wird in großen Teilen der Bevölkerung mit großer Besorgnis aufgenommen." Diese Besorgnis resultierte daraus, dass viele den Transport im Winter in den "Waggons" nicht überleben würden und im Winter im Osten ebenfalls viele sterben würden.

Sechs Tage später wird vom SD berichtet, dass die Bevölkerung detailliert über die Deportationen der Juden diskutieren würde.

Im Sinne einer Beantwortung des "Davon" kann man deutlich festhalten, dass die Deportation zum Wissensstand gehörte und auch die unmenschlichen Umstände. Die daran anschließende industrielle Tötung der deportierten Juden war im Winter 1941/42 nicht gewußt. Wenngleich geahnt wurde, dass viele Deportierte zu Tode kommen würden.

Die Frage, ob und in welchem Umfang ein konkretes Wissen über systematische Erschießungen von Juden an der Ostfront oder der industriellen Tötung in den Vernichtungslagern vorlag, wird man nur an "Informationsinseln" erkennen können. Es gab relativ viele Täter, die bei Heimaturlauben mehr oder weniger erzählt haben.

Eine systematische und breite Kenntnis, so mein Kenntnisstand durch Longerich, war nicht vorhanden bzw. quellenseitig nicht zu belegen. Longerich thematisiert die "Informationsarbeit" der Allierten durch abgeworfene Flugblätter, um Aufklärung über den Holocaust zu leisten, aber resümiert, dass in der Richtung wenig geleistet wurde. Sodass auch von "Außen" keine validen Informationen zu erhalten waren.

Dennoch eine Sicht von Kellner vom 23. 11. 1943 (S. 547), in der er den Zynismus von Hitler deutlich anspricht: "Hitler geniert sich durchaus nicht, täglich Todesurteile vollziehen zu lassen. Ich bin überzeugt davon, dass ihn noch nicht einmal das Schickesal des gesamten deutschen Volkes irgendwie beeindrucken würde. Er könnte 80 Millionen deutsche Tote liegen sehen und wäre noch in der Lage zu seinem Freund Josef Goebbels zu sagen: "Siehst Du Joseph, das hat vor mir keiner fertig gebracht und wird auch niemand nach mir fertig bringen. Ich bin der genialste Massenmörder aller Zeiten."

Mit dieser prophetischen Äußerung ist er einerseits der parallel ablaufenden "Endlösung" sehr nahe gekommen und andererseits beschreibt sie präzise die Eigensicht von Hitler auf die - angebliche - "Größe" seiner eigenen historischen Leistung.

Longerich, Peter (2007): "Davon haben wir nichts gewusst!". Die Deutschen und die Judenverfolgung 1933 - 1945. 3. Aufl. München: Pantheon.
Kellner, Friedrich (2011): "Vernebelt, verdunkelt sind alle Hirne". Tagebücher 1939-1945. Bonn: Bundeszentrale für Politische Bildung
 
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In Österreich haben wir alles gewusst. Woraus sich eigentlich eine besondere Schwere der Schuld ergibt, anstelle der beschämenden Ausflucht als "1. Opfer". Im Reich wurde ab 33 zensuriert, bei uns lagen die ersten Augenzeugenberichte über Oranienburg, Dachau, Emslandlager ab 1934 in allen Auslagen. Das Schicksal u.a. Carl von Ossietzkys konnte mühelos über die internationalen Zeitungen verfolgt werden, bis 1938........also in Wahrheit trifft vielmehr "sehenden Auges" zu, als "1. Opfer".
 
Tatsächlich, die Quelle kann ich leider nicht mehr anführen, im Lager Sobibor sollen sage und schreibe 18 Deutsche Dienst getan haben. Der Rest waren Ukrainer. Was eine Verschleierung ein klein wenig denkbarer macht, aber natürlich kann man das in keiner Weise auf das Gesambild riesiger Güterzüge umlegen und massenhaft bezugsfertiger Wohnungen rundum....

Verschleierung funktioniert recht perfide. In meiner Volkschulzeit der 80er haben wir Kinder uns geneckt "...wennst weiter blöd bist kommst nach Steinhof" Die Wiener Irrenanstalt, in der Euthanasiemorde an Kindern durchgeführt wurden. aber gut, das war ja längst Geschichte und überdies nicht Allgemeingut. Das wusste zu meiner Zeit niemand. Doch siehe da, ab 200x tauchten Gräuelberichte über die Behandlung in den 1970/80ern auf. Landesweiter Schock, dass in diese Sanatorien lauter Nazi als Pfleger übernommen wurden, die die Kinder in der Kälte stehen ließen, Missbrauch, Todesfälle..... Und wir Kleinen haben es verdammt noch mal gewusst. Sonst hätten wir uns mitten in den wohlhabenden 80ern mit ferngesteuerten Autos und Italienurlauben nicht gegenseitig zum Spaß mit Steinhof gedroht. Fazit: auf den Volksmund hören, der erzählt dir u. U. immer noch mehr als die Zeitung.......
 
In Österreich haben wir alles gewusst. Woraus sich eigentlich eine besondere Schwere der Schuld ergibt, anstelle der beschämenden Ausflucht als "1. Opfer". Im Reich wurde ab 33 zensuriert, bei uns lagen die ersten Augenzeugenberichte über Oranienburg, Dachau, Emslandlager ab 1934 in allen Auslagen. Das Schicksal u.a. Carl von Ossietzkys konnte mühelos über die internationalen Zeitungen verfolgt werden, bis 1938........also in Wahrheit trifft vielmehr "sehenden Auges" zu, als "1. Opfer".

Es geht um die Kenntnis des Holocaust - den planmäßigen Massenmord an Juden. Es gibt zwar verschiedene Ansätze, um einen Beginn zu datieren, aber diese liegen alle im 2. Weltkrieg.

Die frühen Konzentrationslager, die bereits kurz nach der Machtergreifung eingerichtet worden sind, dienten noch nicht dem organisieren Massenmord. Opfer waren zunächst politische Gegner. Auch die staatliche Diskriminierung der Juden ab 1933 war noch kein Teil des Massenmords.

Ob man angesichts dessen, was man bis 1938 wußte oder hätte wissen können, die spätere Entwicklung hätte ahnen können, ist eine andere Frage.
 
In Österreich haben wir alles gewusst.

Nein! Man wußte !!! von KZ`s - es gab sogar Berichte in Tageszeitungen zu Dachau - und diese wurden nach 1933 sogar aktiv von Teilen der Bevölkerung befürwortet (Gellately: Backing Hitler). In der Folge wurde manches vermutet. Für einiges gab es Gerüchte. Aber die Dimesion des industriellen Tötens, die hat die Masse der Bevölkerung nicht "gewußt". Da sind Unterscheidungen sinnvoll und hilfreich.
 
Jedes der späteren KZ hatte eine 2stellige Zahl von Außenlagern. die alle "mitteindrin" lagen. In der Nachbarschaft der Bevölkerung. Zu meiner Heimat fällt mir die Errichtung der noch erhaltenen 6 Wiener Flaktürme ein. Mitten in der Stadt waren die so wie heute durch Bauzäune abgesichert und beim einkaufen sah man die verhungerten Menschen von den Türmen fallen. Jedes dieser unzähligen Außenlager die teils unmittelbar mit den Betrieben verschmolzen hatte sein eigenes, mit Kalk bedecktes Massengrab. Man kann sich das durchaus so vorstellen, dass die zivilen Arbeiter an der Grube vorbei nach Hause gingen. Hätten sie nichts gewusst, hätten sie ihenen ja auch nicht heimlich Essen zugesteckt. Hätten sie es nicht gewusst, hätte es nicht wenige Polizisten gegeben, die im kleinen Rahmen Transporte verhinderten. Abgesehen davon sind Menschen neugierig. Allein schon die nach dem Krieg bekundete völlige Abwesenheit von Neugier ist zu ungewöhnlich, um glaubhaft zu sein.Die Tötungsanstalt Hartheim lag bspw mitten in einer Ortschaft, die in einen unerträglichen Leichengeruch gehüllt war. Man wusste nicht, wie der Schlauch in Treblinka genau konstruiert war und der Vergasungstrakt in Auschwitz. Aber die Tatsache an sich blieb niemandem verborgen. Auch die Züge wurden nicht um 2 Uhr nachts durch das schlafende Reich geschleust. Sondern wie üblich zwischendurch abgestellt. Von meinen Angehörigen weiß ich, dass am Wiener Südbahnhof neben dem Regionalzug nach Graz ein vernagelter Güterzug abgestellt war, aus dem die nicht sichtbaren Menschen weinten und brüllten. Was als "nicht gewußt" verbrämt wurde, war in Wahrheit Gleichgültigkeit. Allerdings keine satte Gleichmut. sondern die einer Bevölkerung die selber nur auf einer höheren Stufe zu leiden hatte. Schwiegervater: "Ich war zerlumpt, hungrig und fürchtete mich vor Uniformierten. Aus dem Zug sah ich hinter Stacheldraht noch Zerlumptere, noch Hungrigere und eben die Uniformierten vor denen ich mich selber fürchtete. Was hätte ich mir also denken sollen. Ich dachte mir ga richts und war nur froh, wenigstens von diesem Stadium verschont zu sein" Das kann ich am Ehesten menschlich nachvollziehen. Das Bild einer satten, feiernden Bevölkerung die sich nichts scherte ist allerdings falsch. Jeder achtete auf seine eigene Haut, aber das will man so natürlich nicht zugeben. Abgesehen von Kriegsgewinnlern Thyssen, Krupp.....die hatten absolute Schuld und bereicherten sich daran aus wohgenährtesten Blickwinkeln. Darum gehören sie auch heute noch zur Elite, statt allesamt zu baumeln. Einer Art Lovecraft'schen Horrorlogik folgend. Oder weniger rachsüchtig, sollten die Erben dieser Blutschinder wenigstens in Sozialwohnungen glücklich werden. Ihre Betriebe hätten schon neue Betreiber gefunden. Also irgendwie ist das alles nicht überstanden. Der "nicht gewusst" Zynismus geht immerhin soweit, dass der berüchtigte SD Vertreter in Auschwitz Wilhelm Boger, Erfinder der Bogerschaukel im Ausschwitzprozess darauf beharrte nicht gewusst zu haben, dass seine "verschärft Verhörten" durch das Verhör verstorben sein sollten. Das habe er nicht mitbekommen. Nach seinen Angaben müsse das aus unerfindlichen Gründen (vielleicht wurden sie krank oder waren es die Wärter) in den Zellentrakten geschehen sein. Denn in seinem Verhörzimmer oder soll man es "Werkzeugschuppen" nennen, sei garantiert niemand ums Leben gekommen. Zur "nicht gewusst" Mentalität muss ich immer an den Generalstaatsanwalt Fritz Bauer denken. Zitat aus der zweiten Hälfte der 1960er(!!) "Sobald ich mein Büro verlasse, betrete ich Feindesland" und beging dann mutmasslich Selbstmord.
 
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"Davon haben wir nicht gewußt!" ist eine häufige Aussage zum Kenntnisstand des Holocaust. Longerich problematisiert zunächst, was "Davon" konkret inhaltlich bedeutet und dann auch, in welchem Sinne "gewußt" zu verstehen sei.

Tuchel ist der Situation für Berlin nachgegangen. Ab dem Herbst 1941 - darauf wurde bereits hingewiesen - wurde die Deportation der Deutschen mit einer jüdischen Konfessionszugehörigkeit gestartet.

Es erfolgte ab diesem Zeitpunkt zunehmend der Abtransport der ca. 55.000 Betroffenen in die Vernichtungslager im Osten.

Mehr als 5000 entzogen sich der Deportation durch Flucht. Es tauchten aber auch die verbleibenden in den Rüstungsindustrien beschäftigten erst ca. 1943 unter.

Von den untergetauchten überlebten in Berlin lediglich ca. 1700. Diese Zahl hört sich zunächst nicht hoch an, dennoch weist Tuchel darauf hin, dass eine nicht unerheblich "Logistik" bzw. Unterstützergruppe notwendig waren, einen untergetauchten bis zum Kriegsende zu verstecken. Tuchel berichtet, dass ein Netzwerk von bis zu 10 Unterstützern tätig werden mußte, um erfolgreich zu agieren.

Das Antizipieren der tödlichen Gefahr für die zur Deportation anstehenden jüdischen Mitbürger war sicherlich eine breit geteilte Befürchtung. Diese bezog sich in den dokumentierten Berichten aber eher - lediglich - auf die menschenfeindlichen Umstände der Deportation und auf die antizipierte Gefahr einer Erschießung. Die Entwicklung von Konzentrationslagern zu industriellen Tötungslagern gehörte nicht zu den antizipierten Bedrohungsvorstellungen.

Tuchel, Johannes (2013): Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Berlin. In: Michael Wildt und Christoph Kreutzmüller (Hg.): Berlin 1933-1945. Erste Auflage. München: Siedler, S. 193–210.
 
Das industrielle Ausmass konnte nicht antizipiert werden, bleibt zweifelhaft. Der Wille, Juden umzubringen kam in den Universitätsmorden ab 33/34 heraus, gegen jüdische Verleger usw. Die ermordeten jüdischen Akademiker und Professoren lagen schon buchstäblich auf den Stiegen herum und dann vor allem in der "Reichskristallnacht", die auch mit etlichen Morden einherging. Typisches Szenario: am 16. März 1938 trat der jüdische Kulturwissenschaftler Egon Friedell ans Fenster seiner Wiener Wohnung als die SA bei ihm anklopfte, rief den Passanten zu, sie mögen zur Seite treten und stürzte sich in den Tod. Man hätte schon ein taubstummer Troglodyt sein müssen für die Ignorierung dieser Vorgänge. Das KZ Mauthausen war von einem ständigen Leichengeruch umgeben, der keinem der Landwirte entgehen konnte, die rundum ihre Äcker bestellten. Die Tötungsanstalt Hartheim bewirkte in den 30er Jahren eine Absiedelung der Bewohner, weil in der Ortschaft gelegen die Emissionen des Krematoriums das Leben dort unmöglich machten. Wie gesagt in den 30er Jahren. Von den späteren Vernichtungslagern war nur Auschwitz weithin abgeriegelt. Wie Claude Lanzmann eindrucksvoll darstellte, war Treblinka, Sobibor usw. von ganz normalen Äckern umgeben die ganz normal von den Landwirten bestellt wurden. Er hat diese alten Bauern noch selbst interviewt. "Jaja da drüben gings mörderisch zu, ich konzentrierte mich darum auf mein Pflugschar" Berüchtigt wurden ja auch die Gesten entlang der Bahnlinie nach Auschwitz, wo die Kinder den Zuginsassen durchschnittene Kehlen andeuteten.

Wie gesagt, streuten sich die Außenlager quer durchs zivile Gebiet. Nachdem die Heinkelwerke in Wien/Schwechat bombardiert wurden - sie wurden dorthin verlegt, weil Wien erst spät mit der Besetzung Norditaliens in Bombenreichweite kam, wurden die einzelnen Fertigungsstellen auf die ganze Stadt verteilt. Kolonnen ausgehungerter KZ Häftlinge von Peitschen angetrieben, auf dem Weg zu ihren Schlaflagern gehörten ab 44 zum Stadbild. Die während der Arbeitsschicht Verstorbenen wurden in Schubkarren den Kolonnen nachgeführt, die auf ihrem Weg die besten Adressen passierten. Die allgemeine Tenor war allerdings Zustimmung bis Wohlwollen, als Rache für die Bombenangriffe.

Zudem kam in den 20er Jahren der Begriff "Schädling" auf, der Bettwanzen meinte aber sofort auf den "Volksschädling" ausgeweitet wurde. Dass die Menschen mit einem Schädlingsbekämpfungsmittel war eben Zyklon B ermordet wurden, wie kein plötzlicher Einfall. Das hat eine lange Genese. Dass man sog. Minderwertige und Volksschädlinge aus derselben Perspektive zu betrachten begann, wie jene tierischen Invasoren erfolgte gleichzeititg mit der Begriffsbidlung der "Schädlingsbekämpfung" an sich. Allerdings in USA genauso wie in Deutschland.

Hinzu kommt, dass es ja durchaus Entlassungen gab aus den zu den Vernichtungslagern benachbarten Konzentrationslagern. Die Leute haben die rauchenden Krematorien gesehen und gingen wieder ihren zivilen Tätigkeiten als Bäcker und Schuster nach. Natürlich waren sie eingeschüchtert aber das ist nicht dasselbe wie "nichts gewusst".

Allerdings scheint es, als ob die Bevölkerung mehr wusste als die Bür0kratie. In seinem Prozess hat der Logistiker Eichmann wiederholt den Kopf geschüttelt, als man ihm Chelm und Chelmno vorhielt. "Das kommt so in meinen Listen nicht vor, es muss sich um ein Lager gehandelt haben". Tatsächlich liegen Chelm (Hügel) und Chelmno (Hügelchen) sehr weit auseinander. Nur hat wohl Globocnik vor Ort dort die Aufteilung vorgenommen. Darum wusste der Logistiker in Berlin nichts vom anderen Lager.

Dass das alles schon früh antizipiert wurde, ist auch deshalb naheliegend, weil die arisierten Haushalte nicht erklärt werden konnten. Wenn jemand in einer Blitzaktion nicht nur Möbel sondern auch Gemälde und jedes wertvolle Gut zu Gunsten einer anderen Person zurücklassen muss, ist das ein augenscheinlicher Kriminalfall, dessen Spuren natürlich so gründlich getilgt werden müssen, wie bei jedem Raub der im Fall vorhandener Zeugen (nämlich der glücklichen Übernehmer) zum Raubmord werden muss. Eine Brieftasche kann man "rauben" und es dann ableugnen, die Übernahme einer unbeweglichen Villa kann man nur "raubmorden".

Zum "nichts gewusst" fällt mir noch der spätere FPÖ (= "AfÖ") Parteichef Friedrich Peter ein. Welcher der Einsatzgruppe C angehörte und darauf beharrte, keinen einzigen Menschen erschossen zu haben. Was die Einsatzgruppe C betreffend ein Ding der Unmöglichkeit war. Das war vergleichbar mit der Behauptung eines Schlächters, der darauf beharrt noch nie ein Huhn geschlachtet zu haben.

"Nichts gewusst" ist nach wie vor ein elendes Kapitel.
 
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Das industrielle Ausmass konnte nicht antizipiert werden, bleibt zweifelhaft.

Im Gegensatz zu Dir leiste ich mir den Luxus und belege derartige Thesen durch Literatur. Also, wer schreibt, dass die Bevölkerung in Deutschland / Österreich das Vorhandensein der Vernichtungslager kannte und die Dimension der Vernichtung antizipieren konnte???????????????

Das konnten noch nicht einmal die Westalliierten. Und die hatten Zugang zu entsprechenden Berichten von - wenigen - Personen, die aus den Vernichtungslagern fliehen konnten. Selsbt die hatten Probleme der Verifizierung derartiger ungeheuerlichen Informationen.

Gibt einen Thread dazu, inklusive Literatur. Aber muss man ja wieder lesen.

Hinzu kommt, dass es ja durchaus Entlassungen gab aus den zu den Vernichtungslagern benachbarten Konzentrationslagern. Die Leute haben die rauchenden Krematorien gesehen und gingen wieder ihren zivilen Tätigkeiten als Bäcker und Schuster nach.

Das ist schlichtweg wieder einmal viel Phantasie und Unkenntnis. Gesehen wurden die Deportion und gesehen wurden die Konzentrationslager, aber nicht die Arbeitsweise der Todeslager. Die Vernichtungslager lagen vor allem im Osten, außerhalb der - klassischen - Reichsgrenzen.(vgl. Stichwort in der Enzyklopädie)

Dabei wurden die ersten Deutschen 1200 mit einem jüdischen Hintergrund im November 1941 in Buchenwald vergast. Die nächste Station war Chelmo, wetslich von Warschau, Und es folgten als Todeslager Treblinka, Belzec und Sobibor in 1942. Im März 1942 erfolgten die ersten Deportationen in das Todeslager Auschwitz (vgl. Gilbert: Endlösung)

Ab Mai 1942 wurden detallierte Informationen über den Massenmord an ca. 700.000 Juden in Galizien bzw. im Osten durch die im Untergrund arbeitende Jüdische Sozialistische Partei aus Warschau nach London geschmuggelt. Zu diesem Zeitpunkt wurde Belzec als einziges Todeslager explizit genannt. Das war der Kenntnisstand von denen, die am nächsten dran waren. (ebd. S. 121)

Gilbert, Martin (1982): Endlösung. Die Vertreibung und Vernichtung der Juden. Ein Atlas. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt (Rororo aktuell).
Gutman, Israel; Jäckel, Eberhard; Longerich, Peter; Schoeps, Julius H. (Hg.) (1998): Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden. Band 3 Q-Z. 2 Aufl. 3 Bände. München: Piper, S. 1494-1497
 
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Das industrielle Ausmass konnte nicht antizipiert werden, bleibt zweifelhaft.
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Allerdings scheint es, als ob die Bevölkerung mehr wusste als die Bür0kratie. In seinem Prozess hat der Logistiker Eichmann wiederholt den Kopf geschüttelt, als man ihm Chelm und Chelmno vorhielt. "Das kommt so in meinen Listen nicht vor, es muss sich um ein Lager gehandelt haben". Tatsächlich liegen Chelm (Hügel) und Chelmno (Hügelchen) sehr weit auseinander. Nur hat wohl Globocnik vor Ort dort die Aufteilung vorgenommen. Darum wusste der Logistiker in Berlin nichts vom anderen Lager.

Du behauptest jetzt, dass die Konstrukteure des Holocaust schlechter über das industrielle Ausmaß bescheid wussten, als die durchschnittliche Bevölkerung?

Du verennst dich da doch ganz schön in dem Beitrag. Wenn du die Beispiele etwas differenzierter vorgetragen hättest, hättest du mehr zur Diskussion beitragen können. Was ein unmittelbarer Nachbar der Vernichtungslager wusste, trägt zB nichts dazu bei, was die Bevölkerung in Dtld wusste. Es gab noch kein Twitter.
 
Es gab noch kein Twitter.
Twitter nicht, aber ausländische Radiosender.
Allen Strafandrohungen zum Trotz sollen 1944 10 bis 15 Millionen Deutsche täglich das Programm der BBC gehört haben. - Lebensgefahr am Radio

Vereinzelt sendete BBC Einzelheiten über die Judenverfolgung. So auch Thomas Mann in seinen Sendungen. Deutsche Hörer!
Auch im Mai und Juni 1942, als die Berichte aus Polen in England eintrafen, gab es deutschsprachige Sendungen dazu. Von einer detaillierten Berichterstattung, die den Wissenstand der deutschen Zuhörer merklich erhöht hätte, kann man aber kaum sprechen.
Ausgeblendet: Der Holocaust in alliierten Medien
Jordan: "The BBC knew more than they broadcasted"
Auch Radio Beromünster, der Schweizer Sender, den man in Südwestdeutschland empfangen konnte, konnte/wollte nur vage und sehr zurückhaltend darüber berichten.

Die englische Regierung nahm die Berichte aus Polen, spätestens aber das Riegner-Telegramm vom 8.8.1942 ernst. Immerhin sah sich das House of Commons am 17.12.1942 veranlasst eine Schweigeminute abzuhalten und am nächsten Tag wurde die Interalliierte Erklärung zur Vernichtung der Juden 1942 – Wikipedia veröffentlicht.
BBC ON THIS DAY | 17 | 1942: Britain condemns massacre of Jews

Auch die Schweizer Behörden waren gut informiert. Deutsche Deserteure gaben bei Befragungen ausführliche Berichte über Massaker und auch die Schweizer Ärztemission an der Ostfront berichtete.

Gaston Haas, «Wenn man gewusst hätte, was sich drüben im Reich abspielte». 1941–1943. Was man in der Schweiz von der Judenvernichtung wusste (2. Auflage), Basel 1997. https://www.e-periodica.ch/cntmng?pid=szg-006:1996:46::667 (Review)
Siehe auch: https://www.dodis.ch/res/doc/SZG_Zala_Perrenoud.pdf

Hätten diese Radiosender tatsächlich ihre Glaubwürdigkeit in Deutschland eingebüßt, wenn sie genauer über den Holocaust berichtet hätten?
Sie waren in Deutschland verboten, wurden sowieso als Propaganda-Sender eingestuft und trotzdem hörten ihnen so viele Leute zu. Goebbels hätte vermutlich Schwierigkeiten gehabt, explizit eine BBC-Sendung zum Holocaust zu dementieren, die niemand gehört haben durfte. Das hätte mMn nur das Interesse daran erhöht.
Ich denke, da wäre noch etwas mehr Information über diesen Kanal möglich gewesen.
 
Dann nehmen wir doch mal den Hr. Haas. Wenn sich diese Diss. mit der "Judenvernichtung" bis 1941 beschäftigt, dann blendet es vor allem eines aus, die auf der Wannsee-Konferenz beschlossene "Endlösung" und die damit zusammenhängenden industriellen Massenmord, sprich Holocaust. Gewußt wurde die systematische Verfolgung von politischen Gegnern, Juden oder anderen "mißliebigen Personen" und das System der Konzentrationlager.

Dass Berichte in Zeitungen den Holocaust direkt thematisierten ist mir neu - was nicht viel heist - und es wäre durchaus intererssant, was denn da berichtet wurde. Es bleibt bei mir allerdings eine große Skepsis hinsichtlich der realistischen Darstellungen der Informationen (@ursi: Kannst Du etwas dazu sagen?)

Diese in Zürich erstellte Dissertation befasst sich mit dem Informationsstand der schweizerischen Behörden und in der Schweiz angesiedelter Organisationen über die Judenvernichtung. Nach dem Überblick über die Ereignisse der Jahre 1933-41 wird das Wissen über die Judenvernichtung im Politischen und im Justizund Polizei-Departement, in der Armee, der katholische Kirche und den Jüdischen Organisationen dargestellt. Das letzte Kapitel befasst sich mit den Berichten in den Zeitungen. Denn sie waren es, die das Bild über den Genozid der Öffentlichkeit vermittelten

Demgegenüber: Und zum Thema "ernstnehmen" und ab wann die "Dimension" verifiziert vorlag und die Reaktionen aus den USA und GB:

Folgt man der Darstellung der Enzyklopädie (S. 108ff), dann gab es als äußere Begrenzung einen vier Meter hohen elektrisch geladenen Stachedrahtzaun (A I und A II). Bewacht von zwischen 2600 und 6000 SS-Wächtern. Ausschwitz II war zudem von einem Netz an Kanälen - ca. 13 km Länge - umgeben. gravierenden

Dieser Komplex von A II und A II war umgeben in einem Abstand von ca. 1 km von einer Postenkette mit Hunden ("Hundestaffel") .

Trotz dieser gravierenden Bewachungssysteme gab es im Lager Widerstand und auch Ausbrüche. Es sind ca. 667 aus dem Lager entkommen. 270 wurden in unmittelbarer Nähe des Lagers wieder gefangen.

Am bekanntesten und am wichtigsten ist die Flucht von Wetzler und von Rosenberg (07.04.1944), die Pressburg erreichten und dort die verbliebenen jüdischen Führer treffen konnten. Im Ergebnis wurde den Alliierten ein detaillierter Brief zugeleitet, in dem sie auf Auschwitz hinwiesen.

Als Ergebnis verlangten viele jüdische Persönlichkeiten die Bombardierung von Auschwitz, was ab Herbst 1943 von Italien aus technisch kein Problem gewesen wäre. Ähnliches gilt für die sowjetische Luftwaffe, die ebenfalls in der Lage gewesen wäre.

Gutman, Israel; Jäckel, Eberhard; Longerich, Peter; Schoeps, Julius H. (Hg.) (1998): Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden. Band I A-G. 2 Aufl. 3 Bände. München: Piper

vgl.:
Bewachung des Interessengebietes des KZ Auschwitz
 
Zuletzt bearbeitet:
Ab Mai 1942 wurden detallierte Informationen über den Massenmord an ca. 700.000 Juden in Galizien bzw. im Osten durch die im Untergrund arbeitende Jüdische Sozialistische Partei aus Warschau nach London geschmuggelt. Zu diesem Zeitpunkt wurde Belzec als einziges Todeslager explizit genannt. Das war der Kenntnisstand von denen, die am nächsten dran waren. (ebd. S. 121)

Gilbert, Martin (1982): Endlösung. Die Vertreibung und Vernichtung der Juden. Ein Atlas. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt (Rororo aktuell).

Klein weist darauf hin, dass am 2. Juli 1942 auf Seite 6 ein Hinweis unter dem Titel: "Allies are urged to execute Nazis" zu finden war.

Die oben angeführte Information über Belzec und Kulmhof/Chelmohat ihren Weg auf die hinteren Seiten der NYT gefunden. Es wurden aber auch detallierte Informationen geliefert wie dieser systematische Massenmord mit Hilfe von Gas verübt wurde. Eine Erwähnung fanden auch bereits "Gaskammern".

Klein, Peter (2009): Kulmhof/Chelmo. In: Wolfgang Benz und Barbara Distel (Hg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. 8 Bände. München: Beck (8), S. 301–328.
 
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