Der türkische Artillerieeinsatz 1453 - Mythos und historische Wahrheit

Aus diesen und anderen ähnlichen Fällen aus der damaligen Zeit kann man entnehmen, dass Schwere Artillerie das sicherste Mittel war eine befestigte Stadt oder eine Festung einzunehmen.

Bei der Verteidigung waren entsprechende Vorwerke und leichte Geschütze nützlicher als massive Mauerzüge und schwere eigene Artillerie der Verteidiger, die auf hohen Türmen und Mauern sowieso nur schwer aufzustellen, zu bewegen und zur Wirkung zu bringen und dort sehr exponiert war.

Auch ältere Festungen (wie Rhodos und Tangier) konnten erstaunlich lange widerstehen, wenn sie nur entschlossen verteidigt wurden.

Gute Befestigungswerke glichen auch größere Unterlegenheiten in der Stärke der Verteidiger gegenüber den Angreifern aus.

Wenn wir uns die Konstantinischen Landmauern näher ansehen, können wir auch feststellen, dass obwohl sie bei der Belagerung schon Jahrhunderte alt waren, der Bauweise der Übergangsfestungen in vielen Details entsprachen. Sie verfügten über umfangreiche Vorwerke (Graben, Grabenmauer, Zwinger, zwei Kurtinen), die einen Sturm auch bei Breschierung der Hauptmauer schwierig machten.

Meiner Meinung nach, hätten die Osmanen ohne ihre schwere Artillerie die Stadt nicht in Sturm nehmen können. Irgendwann hätten Sie diese durch Hunger oder Verrat vermutlich bekommen, aber es hätte vermutlich sehr viel Zeit in Anspruch genommen, wie Jahrhunderte Später die Belagerung von Famagusta.

In den gelesenen Artikeln kann ich keinen technologischen Unterschied zwischen Christen, Mauren und Osmanen erkennen. Alle verfügten über Geschütze ungefähr des selben Typs, wobei in Granada die leichten Stücke überwogen. Schießpulver war schon so wichtig, dass es in Moclin in einem Turm zentral gelagert wurde und bei der Einnahme Ceutas im Inventar der Beute auch eine große Menge Pulver verzeichnet wurde.

Ein weiteres Thema ist jedoch, dass in allen erwähnten Fällen, das massierte Auftreten der Belagerungsartillerie entscheidend war.

Die Möglichkeiten die ein zentralisiertes und wohlhabendes Staatsgebilde zur Schaffung, Haltung und Einsatz eines großen Artillerieparks bietet, sind den aufstrebenden Kastilien-Aragon, Frankreich, Portugal und den Osmanen gemein, sie fehlen jedoch den sich im akuten Niedergang befindlichen Nasriden, Mariniden und Byzantinern. Nicht die überlegene Technologie ist entscheidend, sondern schlicht Menge und Logistik.
 
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Pulvermühlen gab es überall im Reich. Die wichtigsten u.a. in Istanbul, Kairo, Bagdad, Aleppo, im Jemen, Buda, Belgrad und Temesvar, aber darüber hinaus auch noch in vielen anderen Gegenden. Meist wurden sie wohl mit Wasserkraft angetrieben.
Wann gab es diese Pulvermühlen? 1453?

Wäre gut für mich Unwissenden, wenn ihr öfter Jahreszahlen dazu schreiben würdet.
 
Hier habe ich noch ein schönes Exemplar gefunden. Es ist eine Türkische Kanone die in Whitehall steht. Sie wurde 1801 aus Ägypten mitgebracht. Gegossen wurde sie im Jahr der Hedschra von 931 (1524?). Diese weist, im Gegensatz zu dem Dardanellen-Geschütz schon Schildzapfen auf und ist für eiserne Kugeln ausgelegt. Die Lafette ist wohl aus der Viktorianischen Zeit.
 

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Es wird auch aufgeführt (mit Quelle) dass spätestens ab 1448 die Türken über Feldartillerie verfügten und diese in der zweiten Schlacht auf dem Amselfeld verwendeten.

Keine Feldartillerie, sondern Williams spricht von "handgunners", also Handfeuerwaffen, die von übergelaufenen hussitischen Söldnern eingesetzt wurden. Wenn das stimmt, ein klarer Beweis dafür, dass der Technologietransfer von West nach Ost ablief.

Schwere Geschütze wurden durch die Osmanen schon vor der Einnahme Konstantinopels für die Belagerung Hexamilions 1446 gegossen und eingesetzt.

Williams nennt hier leider keine Quelle. Ohne eine quellenkritische Auseinandersetzung ist aber das Vermelden von vermeintlichen Ersterwähnungen leider praktisch wertlos.
 
In den gelesenen Artikeln kann ich keinen technologischen Unterschied zwischen Christen, Mauren und Osmanen erkennen.

Hm, ich allerdings schon und wie. John Vogt - Saint Barbara's Legion. Portuguese Artillery In the Struggle For Morocco, 1415-1578 handelt ja praktisch nur von der Überlegenheit der portugiesischen Artillerie und Befestigungskunst in allen Bereichen, mit deren Hilfe die numerisch völlig unterlegenen Iberer zwischenzeitlich große militärische Erfolge in Marokko erringen konnen.

Kostproben:

180: Morocco provided the scene for some of the epic sieges which the Portuguese endured in their overseas empire, and clearly artillery was the critical factor, in the ability of these tiny garrisons to sustain themselves against massed assaults.

180: The fifty-two guns with which Mulei Nagar besieged Arzila in 1516 was unusual, because Muslim artillery batteries only rarely contained over two or three large guns. If any contrasts can be drawn between Portuguese and Muslim gunnery the basic dichotomy was in the size of opposing cannon. Whereas by the late fifteenth century Western technicians were devoting their skills toward lightening and increasing the firepower of smaller, mobile field pieces, Muslim rulers continued to strive to produce superweapons for siege ordinance. Using the skills of rebel Christian gunfounders, sultans in Morocco armed themselves with a type of giant cannon which the Portuguese nicknamed pasamuro, or "wall-breaker."

180: Artillery had become the first line of defense for Portugal's empire. Their basic defense lay in their cannon and its ability to achieve two goals—to rout massed assaults and prevent Muslim soldiers from closing with the defenders, and, second, the ability to knock Muslim gun batteries out of commission or force them to operate at longer ranges from the fortress walls.

Portugal's defensive record in Morocco was remarkable despite epic sieges under overwhelming odds. Only one station, Agadir, was ever successfully besieged by the Muslims. There seems little doubt that Portuguese artillery was the major deterrent which permitted them to keep the enemy at bay. The lessons learned in Morocco were soon translated into defensive tactics for Oriental fortresses like Goa, Diu, Damao, and others. The Portuguese expended considerable money to purchase modern German and Flemish cannon during the early sixteenth century as a supplement to their own nascent manufactories, and by 1515, Morocco alone contained between 1,500-2,500 cannon. In India at the same time, 1,500 pieces of bronze artillery protected Portuguese interests, and each outbound fleet carried several hundred cannon there for garrison defense.

Klarer geht es kaum. Das winzige Portugal, in Europa selbst kaum eine zweitklassige Macht und in Sachen Feuerwaffen Importeur von mitteleuropäischen Know-how, war in Übersee den auf Masse setzenden Gegnern waffentechnisch völlig überlegen.
 
Gegossen wurde sie im Jahr der Hedschra von 931 (1524?). Diese weist, im Gegensatz zu dem Dardanellen-Geschütz schon Schildzapfen auf und ist für eiserne Kugeln ausgelegt. Die Lafette ist wohl aus der Viktorianischen Zeit.

Meinst du mit "Schildzapfen" die seitlichen Zapfen für die Höhenverstellung des Geschützrohrs in der Lafette? Dann ist es höchstwahrscheinlich bereits eine europäisch beeinflußte, wenn nicht sogar direkt gegossene Kanone, denn diese Zapfen waren eine europäische Erfindung und sind im Kontext des Trends zur leichteren, aber mobilen Feldartillerie zu sehen.

Auch chinesische Kanonen kann man übrigens anhand der Zapfen sofort auf die Zeit nach 1500 datieren, als portugiesische und jesuitische Geschützgießer ins Land kamen.
 
Keine Feldartillerie, sondern Williams spricht von "handgunners", also Handfeuerwaffen, die von übergelaufenen hussitischen Söldnern eingesetzt wurden. Wenn das stimmt, ein klarer Beweis dafür, dass der Technologietransfer von West nach Ost ablief.

Wie bitte?:

"In the next century the Turks used siege guns in 1422, and field artillery as early as 1448, if not before, at the second battle of Kossovo, where their opponents included Bohemian (Hussite) handgunners forced to seek service as mercenary troops after the end of the religious wars in Bohemia in 1436."

Da ist ausdrücklich die Rede von türkischer Feldartillerie. Die "Handgunner" sind eindeutig die Böhmischen zwangsrekrutierten Söldner auf der anderen Seite und keine Überläufer im Osmanischer Heer.


Williams nennt hier leider keine Quelle. Ohne eine quellenkritische Auseinandersetzung ist aber das Vermelden von vermeintlichen Ersterwähnungen leider praktisch wertlos.

Williams Zitiert dabei ganz konkret ein Werk von Paul Wittek (" The earliest references to the use of firearms by the Ottomans") dass sich auf Primärquellen basiert. Dieses ist ein wichtiges Werk das in der Literatur zum Thema sehr häufig zitiert wird . Z.B. im Agoston (Guns for the Sultan) und hier:

Islamische Geschichte in jdischen ... - Google Buchsuche

Dort geht man auf Seite 170 auf die Frage ein, ob die Feuerwaffentechnologie von emigrierten Sephardischen Juden übertragen wurde, was jedoch nicht sein kann, da schon vorher solche Waffen im Osmanischen Heer im Einsatz waren.
 
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Hm, ich allerdings schon und wie. John Vogt - Saint Barbara's Legion. Portuguese Artillery In the Struggle For Morocco, 1415-1578 handelt ja praktisch nur von der Überlegenheit der portugiesischen Artillerie und Befestigungskunst in allen Bereichen, mit deren Hilfe die numerisch völlig unterlegenen Iberer zwischenzeitlich große militärische Erfolge in Marokko erringen konnen.

Kostproben:
...

Du solltest vielleicht das von dir zitierte etwas besser lesen. Dort wird überall eindeutig von der numerischen überlegenheit der Portugiesischen Artillerie gesprochen, in keinem Fall von einer technologischen.
Es wird zwar der Unterschied zwischen der Tendenz zu leichten Geschützen bei den Christen und Schweren bei den Mauren erwähnt. In dem Werk über die Eroberung Granadas ist jedoch genau die umgekehrte Situation beschrieben, dass die Nasriden nur über leichte Artillerie für den mobilen Krieg im Gebirge verfügen, die Christen die Schweren Stücke die zum Fall der Festungen führen. Tangier wurde von den Portugiesen auch wegen dem örtlichen Mangel an schwerer Artillerie nicht eingenommen.

Ob die Gießer des erwähnten "Passamuros" nun christliche Überläufer waren, wäre zu belegen. Das Königreich Granada hatte in Malaga, gleich gegenüber, seine eigene Geschützgießerei. Im zitierten Werk wird auch ausdrücklich über die Geschicklichkeit der Marokkanischen Artilleristen gesprochen, die am Tag bis zu dreissig Schuss abgaben was damals viel war.
...
Klarer geht es kaum. Das winzige Portugal, in Europa selbst kaum eine zweitklassige Macht und in Sachen Feuerwaffen Importeur von mitteleuropäischen Know-how, war in Übersee den auf Masse setzenden Gegnern waffentechnisch völlig überlegen.

Portugal im 16. Jahrhundert eine "zweitklassige" Macht zu nennen ist schon etwas heftig. Die haben auch kein "Miteleuropäisches Kow-How" importiert sondern (laut zitiertem Text) die Produktion Ihrer eigenen Gießereien durch deutsche und flämische Stücke ergänzt. Bei den enormen Bedarf ist das auch nicht zu verwundern.

Auf "Masse" setzten übrigens gerade die Portugiesen, die den wenigen Kanonen des damals verarmten Köngreich Marokkos eine enorme Zahl an Stücken entgegensetzten die sie mit den Gewinnen ihres blühenden Ostasienhandels finanzierten.

Mir scheint, du projezierst eine Situation aus der Zeit nach der Industrierevolution auf die frühe Neuzeit. zwischen 1400 und 1500 waren weder Portugal noch Spanien, noch der Mittelmeerraum im allgemeinen, technologisch gegenüber Mitteleuropa irgendwie im Rückstand.
 
Meinst du mit "Schildzapfen" die seitlichen Zapfen für die Höhenverstellung des Geschützrohrs in der Lafette? Dann ist es höchstwahrscheinlich bereits eine europäisch beeinflußte, wenn nicht sogar direkt gegossene Kanone, denn diese Zapfen waren eine europäische Erfindung und sind im Kontext des Trends zur leichteren, aber mobilen Feldartillerie zu sehen.

Auf der Plakette unter der kanone steht folgendes:

"TURKISH GUN – Made by Murad son of Abdullah, Chief Gunner in 1524. Taken in Egypt by the British Army 1801. The Gun is inscribed:

The Solomon of the age the Great Sultan Commander the dragon guns (to be made) When they breathe roaring like thunder. May the enemy’s forts be raised (sic) to the ground. Year of Hegira 931.
"

Sie wurde also von einem Türken gegossen. Es ist von der Form (facetiert, ohne Mündungswulst) und der dekoration eindeutig türkisch.

Auch chinesische Kanonen kann man übrigens anhand der Zapfen sofort auf die Zeit nach 1500 datieren, als portugiesische und jesuitische Geschützgießer ins Land kamen.

Die Portugiesen fanden wie oben erwähnt schon Feuerwaffen in Goa vor, so wie auch in Malakka und China. Ob diese Schildzapfen hatten ist mir nicht bekannt. r Von den Nasriden hatten wir schon gesagt, dass diese leichte Feldstücke verwendeten, darunter eine art Drehbasse, die üblicherweise Schildzapfen haben (wie die im Anhang dargestellte Waffe).
Von vorneherein anzunehmen, dass dieses unbedingt eine europäische Erfindung ist, wäre genauso zu belegen wie dass die Pulverkörnung oder die Verklotzung nur in Europa bekannt gewesen wären. Das ist zwar möglich und bei der einen oder anderen dieser Sachen sogar Wahrscheinlich, deine Annahme, dass jede Neuerung in der damaligen (vorindustriellen) Zeit, auf einen Einfluss aus Europa oder sogar auf einen europäischen Überläufer, Missionar o.Ä. zurück geht ist jedoch eindeutig falsch.

In einigen Feldern war man ausserhalb Europas damals sogar überlegen, so z.B. die Herstellung der türkischen damaszenierten Musketenläufe, Schwertklingen im mittleren Osten (Persien und Syrien) die Hidraulik und die Giesskunst in Indien, die Textiltechnologie in Ostasien und Indien.
 

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Schwere Geschütze wurden durch die Osmanen schon vor der Einnahme Konstantinopels für die Belagerung Hexamilions 1446 gegossen und eingesetzt.
Williams nennt hier leider keine Quelle. Ohne eine quellenkritische Auseinandersetzung ist aber das Vermelden von vermeintlichen Ersterwähnungen leider praktisch wertlos.
Eine zeitgenössische osmanische Quelle dazu hat aber z.B. Rhoads Murphey: "See the near-contemporary Ottoman account of these events in Kemal Pasa-zade's Tevarih-i Al-i Osman (Paris, Bibliothèque Nationale, Ms. Supp. Turcs 157), fols 19a-21a." (Ottoman Warfare, S. 241, Endnote 9 zu S. 107)
Auf der fraglichen Seite heißt es bei Murphey:
Although debate still continues concerning the provenance and antiquity of primitive pyrotechnic techniques, it seems well-established that a further breakthrough was accomplished by the introduction of methods for the graining of powder, perfected around 1420 and then rapidly disseminated throughout Europe and beyond during the 1420s and 1430s. The Ottomans' early mastery of these significant improvements in the technique for producing gunpowder is demonstrated in their success in demolishing by concentrated connon fire the six-mile defensive walls of Hexamilion on the Isthmus of Corinth in 1446.
 
Da ist ausdrücklich die Rede von türkischer Feldartillerie. Die "Handgunner" sind eindeutig die Böhmischen zwangsrekrutierten Söldner auf der anderen Seite und keine Überläufer im Osmanischer Heer.

Hast Recht, ich habe die Hussiten fälschlicherweise als Überläufer ins osmanische Lager gelesen.

Ich bleibe aber hier wie auch in den anderen Fällen dabei, daß bloße Erwähnungen von Feuerwaffenanwendungen ohne eine textkritische Analyse des betreffenden Passus in der Originalquelle praktisch wertlos sind (unabhängig davon, ob ein anderer Autor zitiert wird oder nicht), denn allzuhäufig entpuppt sich das, was als blanke Tatsache dargestellt wird, als subjektive Interpretation, Unterschiebung oder falsche Lesart. Zudem ist die Frage, von wann die Quelle stammt. Ist sie viel jüngeren Datums, ist ebenfalls größte Skepsis angebracht.

Ich verweise da nur auf die Diskussion über die Santa Anna, wo wir einen Monat diskutiert haben, ob sie gepanzert war oder nicht, und am Ende zeigte sich bei der Einsicht in die Urquelle, dass beide Interpretationen möglich waren.
 
Du solltest vielleicht das von dir zitierte etwas besser lesen. Dort wird überall eindeutig von der numerischen überlegenheit der Portugiesischen Artillerie gesprochen, in keinem Fall von einer technologischen.

Doch, die ganze Abhandlung handelt eindeutig nicht nur von der quantitativen sondern ebenso der qualitativen Überlegenheit der portugiesischen Artillerie, deren sehr variantenreiche Bewaffnung ja nun wirklich in allen Details geschildert wird. Das Hauptmanko der marokkanischen Artillerie lag darin - wenn sie überhaupt aufgefahren wurde-, dass man sich auf die überholten Riesengeschütze konzentrierte. Ansonsten gab es anscheinend nicht viel zu berichten, denn für die meisten Waffenarten schienen die Marokkaner kein Gegenstück zu haben bzw. diese viel zu selten und in zu geringer Stückzahl einzusetzen.

Zusammenfassend ist ganz klar zu vermerken, dass Vogt hier den Fall eines militärischen Konfliktes zwischen einem Gegner schildert, der Feuerwaffen taktisch und strategisch erfolgreich einsetzt und einem, der sich weitgehend auf die traditionelle mittelalterliche Kriegsführung verläßt und nur sporadisch Gebrauch von - überholten - Schußwaffen macht.
 
Mir scheint, du projezierst eine Situation aus der Zeit nach der Industrierevolution auf die frühe Neuzeit. zwischen 1400 und 1500 waren weder Portugal noch Spanien, noch der Mittelmeerraum im allgemeinen, technologisch gegenüber Mitteleuropa irgendwie im Rückstand.

Das hat schon seine Richtigkeit; dass die burgundische und habsburgische Artillerie im 15. und frühen 16. Jh. führend waren ist unstrittig und der Artikel von Vogt spricht ja auch oft genug von der technologischen Führerschaft des mitteleuropäischen Geschützgusses, die sich die Portugiesen zunutze machten.
 
Von vorneherein anzunehmen, dass dieses unbedingt eine europäische Erfindung ist, wäre genauso zu belegen wie dass die Pulverkörnung oder die Verklotzung nur in Europa bekannt gewesen wären.

Verstehe ich nicht, ich hatte dir bereits die Quelle gegeben, Uta Lindgren: Europäische Technik im Mittelalter. :winke:Dass du nicht weißt, dass Körnung ein in Europa entwickelter Prozess ist, überrascht ein wenig, denn das läßt sich ohne Anstrengung überall nachlesen.

At the same time, black powder began to assume its definitive form
with the appearance of corning, the process of compounding the ingredients
wet and forming the powder into grains. With full hindsight, the
ballistic advantages of corned powder are clear. Since the decomposition
reaction spreads more rapidly from grain to grain than within the grain
by a factor of about 150, corned powder develops its propulsive force far
more quickly than a tightly packed charge of dry-mixed, or serpentine,
powder. Gunners were slow to exploit this advantage, not least of all
because fast-burning corned powder could cause guns designed for serpentine to explode. Perhaps more to the point, the inspiration that led to
corning had nothing to do with ballistic performance. In its earliest form
the process involved pressing moistened powder into small cakes or
lumps to reduce the surface area exposed to atmospheric moisture in
order to extend shelf life. Before use, the lumps were broken up into
crumbs which, serendipitously, allowed the decomposition reaction to
proceed more rapidly. Recognition that crumb powder was “stronger”
then led to the development of corned powder. How rapidly corning was
perfected and how quickly the process assumed its final form, in which
the grains are tumbled in drums to give them spherical form and sieved
for uniformity of size, is unclear. The earliest record of a precursor
process dates from 1411, and a fuller description is given in an edition of
the gunner’s manual Das Feuerwerkbuch dating from about 1420. All of these developments came together with synergistic effect
around 1420–40 in northern France, ...

Quelle: John F. Guilmartin: The Earliest Shipboard Gunpowder Ordnance: An Analysis of Its Technical Parameters and Tactical Capabilities, The Journal of Military History 71 (July 2007): 649–69 (660)
 
Although debate still continues concerning the provenance and antiquity of primitive pyrotechnic techniques, it seems well-established that a further breakthrough was accomplished by the introduction of methods for the graining of powder, perfected around 1420 and then rapidly disseminated throughout Europe and beyond during the 1420s and 1430s. The Ottomans' early mastery of these significant improvements in the technique for producing gunpowder is demonstrated in their success in demolishing by concentrated connon fire the six-mile defensive walls of Hexamilion on the Isthmus of Corinth in 1446.

Wo ist die Quellenkritik? Primärquelle bitte. Dass der Autor das hastig von den Byzantinern errichtete dünne Mäuerchen über den Isthmus zum "six-mile defensive walls" erklärt, beweist eigentlich schon seine Unkenntnis. Die Länge der Mauern spielt in diesem Zusammenhang überhaupt keine Rolle, sondern nur die Stärke, also netter Versuch seitens des Autors, Sand in die Augen zu streuen. :rofl:
 
Wo ist die Quellenkritik? Primärquelle bitte.
Sorry, das Manuskript aus der Bibliothèque Nationale hab ich zufällig grad nicht bei der Hand. Kannst Du osmanisch lesen? Verstehen?
(Es ist ja nicht so als hättest Du auch nur an einer einzigen Stelle so was wie Quellenkritik in Deine Ausführungen eingestreut......)

EDIT: Evtl. haben wir hier eine Edition der Chronik mit Originaltext und Transkription. Ich schau mal rein.
 
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Hast Recht, ich habe die Hussiten fälschlicherweise als Überläufer ins osmanische Lager gelesen.

Ich bleibe aber hier wie auch in den anderen Fällen dabei, daß bloße Erwähnungen von Feuerwaffenanwendungen ohne eine textkritische Analyse des betreffenden Passus in der Originalquelle praktisch wertlos sind (unabhängig davon, ob ein anderer Autor zitiert wird oder nicht), denn allzuhäufig entpuppt sich das, was als blanke Tatsache dargestellt wird, als subjektive Interpretation, Unterschiebung oder falsche Lesart. Zudem ist die Frage, von wann die Quelle stammt. Ist sie viel jüngeren Datums, ist ebenfalls größte Skepsis angebracht.

Ich verweise da nur auf die Diskussion über die Santa Anna, wo wir einen Monat diskutiert haben, ob sie gepanzert war oder nicht, und am Ende zeigte sich bei der Einsicht in die Urquelle, dass beide Interpretationen möglich waren.


Wenn du die entsprechenden Texte liest, wirst du leicht feststellen, dass man sich auf zeitnahe Zeugnisse basiert und frühere, immer noch mögliche Termine auf Grund der Zeitferne der Quellen verwirft.

Ansonsten stehts bei wie bei Turandokht: Ich beherrsche weder das Türkische noch das Persische.

Doch, die ganze Abhandlung handelt eindeutig nicht nur von der quantitativen sondern ebenso der qualitativen Überlegenheit der portugiesischen Artillerie, deren sehr variantenreiche Bewaffnung ja nun wirklich in allen Details geschildert wird. Das Hauptmanko der marokkanischen Artillerie lag darin - wenn sie überhaupt aufgefahren wurde-, dass man sich auf die überholten Riesengeschütze konzentrierte. Ansonsten gab es anscheinend nicht viel zu berichten, denn für die meisten Waffenarten schienen die Marokkaner kein Gegenstück zu haben bzw. diese viel zu selten und in zu geringer Stückzahl einzusetzen.

Zusammenfassend ist ganz klar zu vermerken, dass Vogt hier den Fall eines militärischen Konfliktes zwischen einem Gegner schildert, der Feuerwaffen taktisch und strategisch erfolgreich einsetzt und einem, der sich weitgehend auf die traditionelle mittelalterliche Kriegsführung verläßt und nur sporadisch Gebrauch von - überholten - Schußwaffen macht.

Das ist deine Interpretation. Du bist dabei jedoch nicht konsequent. Du versuchts zwanghaft die Expansion der benutzung der Feuerwaffen von Mitteleuropa aus zu belegen und blendest dabei alles aus, was dir nicht in den Kram passt.

Du vermengst auch so wie es dir gerade gefällt die Technologie zur Herstellung und die Verwendung der selben, was zwei völlig unterschiedliche paar Schuhe sind. (Es gab z.B. Stämme in Nordamerika die frühzeitig die Muskete übernahmen und diese erfolgreich und geradezu modern anwendeten, jedoch nicht in der Lage waren auch nur eine einzige herzustellen)

Die Anwendung von Feuerwaffen durch die Osmanen und durch das Nasridische Königreich Granada ist jedoch genauso umfassend und modern wie das europäischer Mächte, so wie auch die der Safawidischen Perser und der Indischen Moghule. Eine deutlichen westlichen technologischen Vosprung findet man erst ab 1800 mit der beginnenden Industrialisierung, was auch mit dem Zeitpunkt zusammenfällt in dem diese Reichen gegenüber der europäischen Expansion nachgeben.

Im Falle marokkos, sprechen wir von einer grossen Bombarde in Ceuta schon im Jahre 1415 (!). Zu dem Zeitpunkt, und mindestens 75 Jahre danach, waren diese "Riesengeschütze" noch der Stand der Technik und die schnellste Art eine Stadtmauer zu knacken. Nochmals: Die Portugiesen scheiterten vor Tangier weil sie ihre grossen Stücke nicht dabei hatten. Agadir wurde dagegen von den Marokkanern eingenommen, also unbezwingbar waren die portugiesischen Festungen auch nicht.

Du weigerst dich, die "Modernität" der Osmanen bei der Verwendung ihrer Artillerie anzuerkennen, weil du entgegen aller Beweise nicht akzeptieren willst, dass sie die technologie zur Herstellung ihrer Waffen selber herstellten, verlangst paradoxerweise jedoch gerade das über die Portugiesen anzunehmen, vermutlich nur weil sie Europäer sind?

Das hat schon seine Richtigkeit; dass die burgundische und habsburgische Artillerie im 15. und frühen 16. Jh. führend waren ist unstrittig und der Artikel von Vogt spricht ja auch oft genug von der technologischen Führerschaft des mitteleuropäischen Geschützgusses, die sich die Portugiesen zunutze machten.

Das ist wieder so eine absolute Behauptung, die völlig die zahlreichen Quellen und Beispiele über frühe Verwendungen in Italien, der Iberischen Halbinsel und südosteuropa übersieht und vor allem die sehr erfolgreiche und massive Verwendung durch die Franzosen im Hundertjährigen Krieg. Das die Poligonalfestung in Italien entstand, ist kein Zufall.

Vogt schreibt auch nur, dass die Portugiesen Stücke aus Flandern und Deutschland dazu kauften um ihren riesigen Bedarf zu decken. Spanien hatte sehr leistungsfähige und qualitative Giessereien in Medina del Campo, Baza, Almería (nach der Eroberung) und Perpignan (damals zum Königreich Aragon zugehörig) und kaufte trotzdem noch einige italienische und flandrische Stücke dazu.

Bezüglich der Körnung, kann es ja sein. Ich bestreite jedoch deine obige behauptung, dass dieses NUR den Europäern bekannt gewesen wäre und diesen einen zeitlichen Vorsprung gegeben hätte. Eine erhaltenen Ersterwähnung in einem Feuerwerksbuch beweist m.E. nicht, dass es woanders unbekannt gewesen wäre. Wie schon mehrfach geschrieben: Um Raketen herzustellen ist die Körnung oder Pressung auch erforderlich.
 
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Wenn du die entsprechenden Texte liest, wirst du leicht feststellen, dass man sich auf zeitnahe Zeugnisse basiert und frühere, immer noch mögliche Termine auf Grund der Zeitferne der Quellen verwirft.

Ansonsten stehts bei wie bei Turandokht: Ich beherrsche weder das Türkische noch das Persische.
*hüstel*
Ich hab das studiert. Osmanisch krieg ich auch noch zusammen, wenn es sein muß. Es ist nur so, daß ich hier natürlich mit den Originalquellen ankommen könnte - aber ich kann Euch ja viel erzählen, wenn es keiner mit entsprechenden Sprachkenntnissen nachprüfen kann. :scheinheilig:
 
Ich möchte einen Artikel (übrigens auf deutsch) in die Runde werfen, den ich schon mal im Thread "Was wir den Arabern verdanken" gepostet hatte, vielleicht waren ja einige dort noch nicht in die Diskussionen involviert:

Hans-Heinrich Nolte
Neuzeitlicher Kulturtransfer von der Islam- zur Christenwelt : Politik, Militär, Religion


Glücklicherweise ergänzt er seinen Artikeln mit einigen Fußnoten, so dass man wenigstens die Herkunft einiger Aussagen nachvollziehen kann.

Einige Aussagen als Appetitanreger:

"Wie Gottfried Liedl herausgearbeitet hat, wurden die ersten Kanonen in Europa von spanischen Arabern eingesetzt und zwar als Festungsartillerie auf den Türmen der angegriffenen Städte des Sultanats Granada im 14. Jahrhundert. Besonders im Königreich Navarra haben dann arabische (muslimische) Fachleute die Waffenproduktion und auch die Kanone weiterentwickelt; da die Navarresen sowohl im Hundertjährigen Krieg wie an den Kämpfen gegen Granada beteiligt sind, tragen sie zur Verbreitung der neuen Militärtechnik bei. Schnell gibt es deutsche Büchsenmeister und schon 1396 verteidigen die Osmanen Nikopolis gegen die Ungarn mit Kanonen. In diesem dauernden Krieg an der Grenze, aber dann auch zwischen den Mächten des christlichen Systems werden die Waffen auf beiden Seiten weiterentwickelt, lernt man die Taktik des neuen Kriegs. Gute Fachleute wechseln in diesem Kampf für teures Geld die Fronten – so wie es Muslime sind, welche die Rüstung von Navarra voranbringen, so war es der ungarische Stückegießer Orban, der für Sultan Mehmets in Adrianopel ..."

"Zu diesem Zeitpunkt waren unter den Christen die besseren
Geschützmeister zu finden und es gab in der Geschütztechnik mehr Transfer von der christlichen in die muslimische Welt. Das bildete auch kein Problem, da die Christen sich genauso wenig einig waren, wie die Muslime. Für den Krieg insgesamt ist es ein wichtiger, aber letztlich doch untergeordneter Gesichtspunkt, wer die effektivsten Erfindungen macht. Geschützmeister kann man kaufen, und dafür kommt es darauf an, wer die meisten Mittel und die beste Organisation hat. Die weitere Expansion des Osmanischen Imperiums macht schnell deutlich, dass dies die Osmanen waren. In demselben Jahrhundert, in dem es den beiden Königen von Kastilien und Aragon endlich gelingt, Granada zu erobern, weil sie von dessen Militärorganisation so viel gelernt haben, fiel das Oströmische Reich..."

"... Wie gelang es dem Osmanischen Reich, das Königreich Ungarn zu zertrümmern, obgleich zu diesem Zeitpunkt meist Christen die besten Kanonen und Gewehre herstellten? Man muss zuerst darstellen, dass in der Schlacht bei Mohacz eine moderne Armee eine altertümliche besiegte. ..."

etc.

Lest selber weiter.

Ich muss aber gestehen, dass es zu lange her ist, seit ich das letzte mal den Artikel gewissenhaft gelesen habe, also steinigt mich nicht gleich, wenn darin einige Ungenauigkeiten oder Fehler enthalten sein sollten. Ich weiß aber noch, dass er zahlreiches richtig zusammenfasste.
Die kommunizierende Röhre Orient-Okzident, vereint durch das Mittelmeer... :still:
:winke:
 
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