Hallo und herzlich Willkommen im Forum!
Ich sah dich letzte Woche schon, dass du dir verschiedene Themen bezgl. der Griechen, Byzantiner, Osmanen durchgelesen hast.
Du sprichst das an, was hier in der Diskussion auch schon gesagt wurde, die
verschiedenen Ebenen der Fortführung des byzantinischen Erbes. Z.B. die Sprache, da ist Griechenland zu nennen, die Religion, da sind die orthodoxen Länder zu nennen. Das Selbstverständnis, da sind sicherlich (u.a.) auch die Griechen zu nennen.
Daneben gibt und gab es aber eben auch andere Bedeutungsebenen, die schwieriger und nicht so offensichtlich sind.
Z.B. die "juristische" legitimatorische, (ideelle) genealogische Ebene, nach dem sich der Sultan (auch) als "Kaiser von Rom" bezeichnete, und so auch von vielen Staatsmännern oder Gesandten der Christenheit bezeichnet wurde. (siehe weiter oben Post mit Link des "Zwei-Kaiser-Problems". Anfrage des russ. Zaren, ob er sich Kaiser/Cäsar/Zar nennen dürfe...)
Oder die kulturelle, die sich wiederum in zahlreiche Untergruppen aufspaltet. In der Ikonenmalerei z.B. ist der orthodoxe Raum der Erbe, im Hofzeremoniell der osmanische Hof. Besonders die Rumänen hatten durch die Phanarioten einen Schub als sog. "Erben" erhalten, und so weiter. Das hatten wir oben alles schon.
Du siehst, das Thema ist komplexer.
Und wenn du von 400 Jahren Sklaverei der Griechen durch die Osmanen schreibst, wie würdest du die beiden Quellen beurteilen, die ich dir hier zur Verfügung stelle? Weißt du eigentlich die Namen, wer persönlich die Gräuel beging? Wer sie zu Verantworten hatte? Welcher "Ethnie" er hatte?
Wird hier der Wunsch Istanbuls/Konstantinopels/der hohen Pforte nach Sklaverei der (griechischen) Bevölkerung deutlich? Mal ehrlich?
Quelle:
"Wenn das Heer des Sultans ihre Länder durchquert, darf niemand durch die Saat fahren noch sonst irgendeinen Schaden anrichten. Niemand darf sich etwas mit Gewalt aneignen, und sei es selbst so wenig, dass es nicht einmal einen Pfennig wert wäre. Die türkischen Herren haben ein Auge darauf und sehen es einander nicht nach, denn sie wollen nicht, dass den Armen Schaden zugefügt werde, sei er Heide oder Christ. Wenn einer eine Henne nimmt, ohne zu danken, zahlt er mit seiner Gurgel. Der Sultan wünscht, dass die Armen in Frieden leben.
...
... als ein Weib einen ‘azab [= Truppenangehöriger] anklagte, ihr unterwegs Milch genommen und ausgetrunken zu haben. Der Sultan ließ ihn ergreifen und ihm den Wanst aufschlitzen, um nachzusehen, ob Milch im Magen sei: Jene hatte nämlich seine Schuld nicht zugeben wollen. Und die Milch wurde im Magen gefunden; hätte man sie dort aber nicht gefunden, so wäre nämliches der Frau widerfahren. So aber verlor der arme Krieger seine Gurgel, und die Frau ihre Milch."
aus:
Konstantin aus Ostrovica (16./17. Jh.), Teilnehmer an den Heereszügen Sultan Mehmets II. (1451-1481)
Quelle:
"Wie viele seiner [Die Rede ist von Ca’fer Pascha (ca. 1630/40-1697), ein hoher osmanischer Beamter und Militär. Er war Ende des 17. Jh. mit Strafexpeditionen gegen die im Reich marodierenden Räuberbanden betraut.] Vorgänger und Nachfolger in den Statthalterschaften haben unter dem Vorwand, dieser Gerichtsbezirk habe kein Kaftangeld entrichtet oder jenes Dorf habe keine Quartiere bereitgestellt und sich ihren Sendboten widersetzt, selbstsüchtige ziele verfolgt, haben ihre Truppen hingeschickt und Weiber und Kinder behelligen und die in den Häusern gefundenen Güter und Lebensmittel rauben und plündern lassen! In Ca’fer Paschas Amtszeit hingegen hat es dergleichen in keinem Gerichtsbezirk und in keinem Banner gegeben. ...
Seit dann unser Her Pascha selber den Oberbefehl innehatte, hielt sich solches Gesindel zurück. Da hatte er die in Wischnitza liegenden Reiterfähnlein zu einer Streifpartie abkommandiert, aber drei von diesen Männern blieben unterwegs nicht bei ihrem Fähnlein, sondern trieben sich ohne Beurlaubung nach ihrer ständigen Gewohnheit zum Essen und Trinken in den Dörfern herum, behelligten die Einwohner oder töteten sogar solche, die sie allein antrafen, und nahmen ihre Habe an sich. Als sie so auf dem Land umherstreiften, wollten sie einem Hirten eine Ziege wegnehmen, und da der Hirte sich zur Wehr setzte, schlugen sie ihm mit einem solchen Streitkoben, den man Sechskanter nennt, eine Wunde am Kopf, raubten die Ziege mit Gewalt und ritten davon. Als nun der Hirte mit seinem blutigen Kopf daherkam und diese Missetat anzeigte, sandte unser Herr Pascha unverzüglich Leute aus, die hinritten und jene Schurken an einem Platz in den Wäldern gerade beim Braten der gestohlenen Ziege fanden; sie nahmen die Kerle und ihre Bratspieße samt dem halbgaren Braten mit und führten sie unserem Herrn vor. Dieser befragte sie zuerst über ihre Rationen: ‚Bekommt ihr vom Ärar die euch zustehende Tagesration an Brot, Fleisch und Gerste und jeden Monat euren Sold oder nicht? Oder betrügt man euch mit verkürzten Rationen?’ ‚Nein’, war die Antwort ‚wir erhalten täglich unsere Rationen und jeden Monat unseren Sold vom Ärar in voller Höhe und sind auch niemals mitverkürzten Zuteilungen betrogen worden.’ – ‚Obwohl ihr also’, versetzt unser Herr, ‚unter der Herrschaft unseres Padischahs weder an euren Rationen noch an eurem Sold verkürzt werdet und keinen Mangel an Brot und Fleisch leidet, es also keineswegs nötig habt, mit roher Gewalt Schafe oder Ziegen zu rauben und die armen Re’aya [Anm. d. Red. die Untertanen] zu bedrücken, begeht ihr in der euch angeborenen Gemeinheit nicht nur solche abscheulichen Missetaten, sondern verlasst auch, wenn eure Fähnlein zu einer wichtigen Aufgabe eingesetzt werden, euren Dienst und lauft davon!’ Er ließ den Kerlen den halbgaren Braten der geraubten Ziege samt den Bratspießen um die Hälse binden und sie selber aufhängen zum abschreckenden Beispiel für alle Welt. Von dem Schurkengesindel, das nun sah, wie es jenen ergangen war, machten sich die einen aus dem Staub, und die anderen gingen in sich und ließen von ihrem Unwesen ab, so dass nun jedermann erlöst war von dem nächtlichen Flintenknallen."
aus: ‘Ali (1674-nach 1722) aus Temeschwar, Siegelbewahrer des Ca’fer Pascha, Chronik, Aus den Erinnerungen an Ca’fer Pascha den Älteren, aufgezeichnet vonseinem Siegelbewahrer ‘Ali
Zitiert nach:
Stefan Schreiner (Hrsg). Die Osmanen in Europa. Erinnerungen und Berichte
türkischer Geschichtsschreiber. Graz, Wien, Köln 1985, S. 349 ff.
Wie du siehst, ist es Ende 17./18. Jh. schon schwieriger eine "gerechte" Herrschaft auszuüben, Räuberbanden werden erwähnt, sogar selbstkritisch fehlender Lohn/Nahrung als evtl. Motiv angeführt und korrupte Gouverneure angesprochen (du weißt, welcher Geburt sie waren?) Das soll aber durch neue Beamte aus Istanbul unterbunden werden, statt die Untertanen z.B. durch neue Steuereintreibungen zu "unterjochen".
Es gibt auch hier mehrere Ebenen.
Was wollte Konstantinopel, was war tatsächlich in den Provinzen los. Wer hatte es zu verantworten und mit welcher Legitimation. Über welches Jahrhundert sprechen wir. Wer "warf den ersten Stein", also was war "Aktion" und "Reaktion". Und so weiter...
Auch hier ist das Bild wesentlich komplexer. Aber dieses Thema passt besser in die schon vorhandenen Threads im Osmanischen Reich-Bereich.
Also denn, schöne Ostern noch, wobei die Orthodoxie ja ein anderes Datum hat, solltest du dieser Richtung angehören.
Caio und LG :winke: